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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Mädchen weich vom Wege nicht

von Muggelchen

Mitten in der Nacht ließ Harry sich erneut von Wobbel in Ginnys Krankenzimmer bringen, um sie im Schlaf zu beobachten, doch sie erwachte recht schnell, fast so als würde sie seine Anwesenheit spüren. Leise stellte er einen Besucherstuhl an das Bett heran, bevor er sich setzte, ihre Hand ergriff und sie bis über beide Ohren anstrahlte.

„Wenn du keine Ohren hättest, Harry, würde dein Lächeln einmal rundherum um deine Kopf reichen“, flüsterte sie schelmisch grinsend. Gleich darauf verschwand ihr eigenes Lächeln und sie sagte: „Aber nicht, dass du erwischt wirst!“ Sie klang besorgt, doch Harry strahlte sie nur verträumt an.
„Nein, das wird nicht passieren. Da passt Wobbel schon auf mich auf, nicht wahr?“, fragte er seinen Elf, der daraufhin mit großen Augen und noch größerem Grinsen nickte, bevor er wieder Ginnys dicken Bauch bewunderte und sich daran erinnerte, was er alles während seiner Ausbildung als Hauself in dem Fach „Kinderbetreuung“ erlernt hatte. Er konnte gar nicht abwarten, sein Können in die Praxis umzusetzen.

Einen Moment schien Ginny betrübt, doch Harry musste gar nicht nachfragen, weil sie von sich aus sagte: „Es tut mir Leid, dass alles so gekommen ist, Harry. Ich wollte wirklich nicht, dass das passiert, aber im Nachhinein…“
„Nein“, unterbrach Harry, „das muss dir gar nicht Leid tun. Es ist doch alles ganz wunderbar, wie es ist oder nicht?“

Sie fasste sich an den Bauch, bevor sie Harry tief in die Augen blickte. Den Kummer, den er in ihnen ausmachen konnte, küsste er einfach weg. Er wollte nicht, dass sie sich darum sorgte, das Kind von einem anderen Mann zu bekommen, denn das war ihm völlig egal. Es war ihr Kind und er war mit Ginny zusammen, also würde er sich auch um das Kind kümmern und zwar ohne Wenn und Aber.

Wobbel blickte Ginny verzückt an, bevor er leise, aber fröhlich sagte: „Oh, wie sehr ich mich auf das Baby freue!“
Ginny schaute Harry etwas verdutzt an, der daraufhin erklärte mit einem Schmunzeln auf den Lippen: „Na ja, wo ich das Formular ausgefüllt habe, um einen Hauself zu beantragen, da habe ich wohl angekreuzt, dass Kinder im Haushalt vorhanden wären.“
Jetzt lächelte Ginny, obwohl ihre Augen ein wenig feucht wurden, aber nur aufgrund des Glücksgefühls und der Erleichterung und beides sammelte sich gleichermaßen in Freudentränen, bevor sie sagte: „Ach Harry, komm her…“

Sie riss ihn an sich, so dass er beinahe auf sie fiel, doch er konnte sich noch rechtzeitig mit beiden Händen neben ihrem Kopf abstützen.

Nachdem sie ihm mit beiden Händen durch die eh schon wirren Haare gefahren war, sagte sie gerührt: „Wobbel wird mir eine große Erleichterung sein!“ Als sie den Elf betrachtete, der noch immer voller Vorfreude auf ihren Bauch blickte und sich offenbar schon in Gedanken ausmalte, welch lebensfrohe Arbeit auf ihn zukommen würde, fragte sie: „Wobbel? Hast du schon Erfahrung mit Kindern?“
Wobbel machte große Augen, vergaß alles um sich herum und zählte stolz auf: „Ich bin in allem ausgebildet, Miss Weasley. Ich kann Wickeln und Füttern, kleine Babys behutsam waschen und anziehen, mit ihnen spielen oder sie in den Schlaf wiegen, an die frische Luft gehen, für sie singen“, er nickte kräftig, „Krankheiten von ihnen fern halten, ihnen beibringen, aufs Töpfchen zu gehen…“
„Halt, halt, das reicht. Wie ich sehe, kennst du dich wirklich gut aus“, sagte Ginny lachend.

Niemand, nicht einmal Wobbel, weil er so aufgeregt erklärte und erzählte, was man ihm in Sachen Kinderpflege alles beigebracht hatte, bemerkte den schwarzen Schatten, der an der offenen Tür zu Ginnys Krankenzimmer lungerte und sie nach einem kurzen Moment leise wieder schloss.

Am Morgen besuchte Hermine für ein paar Minuten wieder Harry, bevor der zu Snape gehen und sie selbst sich auf den Weg in die Bibliothek in den vierten Stock machen würde. Womit Hermine nicht gerechnet hatte, war, dass sie hier ihren Professor antreffen würde und zwar in einem Gang der Abteilung „Wahrsagen“, den sie gestern auch schon aufgesucht hatte.

„Oh, guten Morgen, Professor Snape. Harry holt gerade Ihren Hund. Ich dachte eigentlich, Sie wären immer da, wenn er kommt.“
Professor Snape schob mit einem schmalen Finger ein Buch zurück ins Regal, bevor er, während sein Blick weiterhin über die Buchtitel schweifte, mit langsam fließender Stimme sagte: „Ihnen auch einen guten Morgen, Miss Granger. Hat Harry Ihnen nie gesagt, dass er freien Zutritt zu meinen Räumen hat? Er hat den Hund schon häufiger während meiner Abwesenheit abgeholt.“ Erst jetzt drehte er sich zu ihr um, aber er bewegte sich nicht vom Fleck.
Mit ihrer vollen Tasche über die Schulter geworfen näherte sie sich ihm, bevor sie etwas skeptisch fragte: „Wollten Sie etwas von mir oder sind Sie nur durch Zufall hier?“
Ihre Frage beantwortete er nicht direkt, indem er sich erkundigte: „Geht es mit Ihrer Recherche voran?“ Sie nickte lediglich, gab ihm aber keinerlei Information, was ihn veranlasste zu sagen: „Gut, dann werde ich Sie nicht länger stören. Miss Weasley dürfte in zwei, drei Tagen entbinden und ich werde Madam Pomfrey bis dahin noch zur Hand gehen. Sie finden mich im Krankenflügel, falls Sie mich suchen sollten.“ Er nickte ihr reserviert zu und ließ sie allein.

Hermine schaute ihm noch eine Weile hinterher, selbst als sie ihn gar nicht mehr sehen konnte. Weswegen sollte sie ihn suchen wollen? Von diesem merkwürdigen Zusammentreffen ließ sie sich jedoch nicht weiter irritieren. Wie gestern machte sie es sich auch heute wieder am Fenster bequem, holte sich die fünf Bücher und blätterte darin herum, las laut oder führte Selbstgespräche.

Wie schon am Vortag hatte sich Severus erneut angeschlichen, um seine Schülerin zu beobachten. Gestern erst hatte er sich selbst nach einem Grund für sein Verhalten gefragt, aber er hatte keinen gefunden, der erklären würde, warum er seine Zeit damit verbrachte, Miss Granger zu observieren. Zum Glück benötigte Poppy seine Hilfe kaum noch, weswegen er auch keinen weiteren Pflichten nachkommen musste. Er war lediglich noch für den Vorrat vom „Trank der lebenden Toten“ verantwortlich, den er für das neue Schuljahr etwas aufstocken sollte, weil Poppy nicht dazu gekommen war. Diesen Trank braute er seit Tagen jeden Morgen und jeden Abend, so dass bereits sein privater Vorrat an Bitterem Beifuß zur Neige gegangen war. So stand er jetzt wieder hier an der gleichen Stelle hinter dem Bücherregal wie gestern schon und betrachtete ihre buschige Mähne von hinten.

Nachdem sie auch wegen ihrer Farben alle fünf Bücher durchgeblättert hatte, wiederholte sie laut für sich: „’Kräftiges Orange: Zuverlässigkeit, Loyalität, Vertrauenswürdigkeit’. Hey, das hätte Snape mal wissen müssen, BEVOR er in meinen Kopf eingedrungen ist!“

Sie seufzte, als sie sich daran erinnerte, wie sehr sie sich in diesem Moment vor Snape gefürchtet hatte, aber sie schüttelte den Gedanken schnell wieder von sich ab und widmete sich ihrer Recherche.

„Was gibt’s noch für Orange? ’Immerwährende Ausführung und Anwendung des Guten’ – klingt doch mal gar nicht so schlecht! ’Guter Wille’ – ja, den hab ich! Orange gefällt mir schon mal sehr gut!“, sagte Hermine lächelnd zu sich selbst.

Wenn sie von anderen Menschen schon keine Bestätigung ihrer Person erhielt, dann gab es immer noch die Bücher. Sie nahm sich das Pergament mit ihren Aufzeichnungen, auf welchem Ron sie als Strichmännchen verewigt hatte und las die Farben, die er zu den schiefen Pfeilen geschrieben hatte.

„So, mal sehen: ’Gelb und Braun oder Goldbraun’. Das hättest du aber besser beobachten müssen, Ron“, schalt sie ihren Freund in Abwesenheit.

Seinen Notizen entnahm sie, dass er selbst sich für die Farbe „Goldbraun“ entschieden hatte, weil es dick unterstrichen war. Sie erinnerte sich auch daran, dass Harry während des Experiments „Goldbraun“ gesagt hatte, so dass sie nur nach dieser Farbe suchte und fündig wurde.

„’Goldbraun: Steht für Arbeitsfreude, Strebsamkeit und Ordnung, außerdem für Lebhaftigkeit.’ Ja, da sehe ich mich auch drin“, murmelte Hermine stolz.

Severus hatte all ihr Gemurmel sehr gut verstehen können und innerlich stimmte er den Bedeutungen ihrer Farben zu. Beim ersten Test hatte er ihre magischen Farben bereits bewundern können. Damals lag es ihm auf der Zunge, aber er hatte es sich verkniffen zu sagen, dass sie wie eine Honigbiene aussehen würde, obwohl das die erste Assoziation gewesen war, die ihm in den Sinn gekommen war. Er hatte jedoch befürchtet, sie könnte sich beleidigt fühlen, weswegen er den Kommentar unterlassen hatte.

Nachdem Miss Granger nach zwei Stunden die fünf Bücher an ihren Platz zurückgebracht hatte, kam sie mit einem einzelnen Buch zurück, doch Severus konnte leider den Titel nicht erkennen, aber er erkannte, dass es sich um dasselbe Buch handelte, in welchem sie bereits gestern stehend im Gang gelesen hatte. Vorhin hatte er es in den Regalen nicht ausfindig machen können, als er nach diesem bestimmten Buch gesucht hatte.

Er ärgerte sich darüber, dass sie still darin las, anstatt laut mit sich zu reden. Er mochte ihre Stimme und hatte sich daher nie drüber beschwert, wenn sie von ihren ganzen Reisen berichtet hatte und den vielen Erfahrungen, die sie währenddessen hatte sammeln können. Doch jetzt sagte sie keinen Mucks und ihm blieb nichts anderes übrig, als auf ihren Kopf zu starren.

’Buschige Haare’, wiederholte er in Gedanken. Sie selbst hatte sie „buschig“ genannt und schien sich daran zu stören, doch er konnte nichts an ihren braunen Haaren aussetzen. Sie waren voll und lang. ’Würde man sie glätten’, dachte Severus, ’würden sie sicherlich bis zum Gesäß reichen.’

Sie langte in ihre Tasche und zog abermals etwas zum Essen heraus, doch dieses Mal war es eine Tüte. Durch das Regal hindurch erkannte Severus, dass es sich um mit Schokolade überzogene Mandelsplitter handelte. Sie war wohl eine kleine Naschkatze, dachte er. Bisher war es ihm nie aufgefallen, dass sie sich gern an Süßem gütlich tat, aber es lag auf der Hand, dass ihr momentan danach war.

Er ließ seine Gedanken schweifen und erinnerte sich daran, wie er sie an seinem Denkarium hatte stehen sehen und wie er sie beschuldigt hatte. Dass sie zu dem Zeitpunkt die Wahrheit hätte sagen können, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, denn kaum jemand in seinem Leben war ihm gegenüber jemals ehrlich und aufrichtig gewesen. Im Nachhinein fragte er sich, warum er sie überhaupt beschuldigt hatte, sich an seinen Erinnerungen vergangen zu haben. Sicherlich war sie neugierig – immerhin hatte sie den Schutzzauber seines Schrankes durchbrochen –, aber warum sollte sie etwas über ihn herausfinden wollen? Er war doch keines ihrer Projekte, für welches sie recherchieren musste. Vielleicht hatte er wirklich nur überreagiert, wie Harry es später in einer ruhigen Minute laut vermutet hatte. Bis heute war es ihm ein Rätsel, dass sie sich trotz dieses Vorfalls weiterhin seine Schülerin nennen wollte, doch er war froh darüber, dass sie seine Entschuldigung angenommen hatte, auch wenn er selbst der Meinung war, dass es mehr als nur eine verbale Entschuldigung benötigt hätte, diesen Vorfall wiedergutzumachen.

Per Zauber ließ Miss Granger das Buch zurück ins Bücherregal schweben und leider konnte er immer noch nicht erkennen, wie der Titel des Buches lautete, in welchem sie eben zwei Stunden fast bewegungslos gelesen hatte. Während sie noch ihre Sachen zusammenpackte, verschwand Severus heimlich und ungesehen aus der Bibliothek.

Hermine besuchte noch vor dem Abendessen Harry und fragte ungeniert: „Hast du heute Abend Zeit?“
„Ähm, ja. Ich wollte eigentlich zu Remus, wegen seiner Tagebücher, aber er hat leider abgesagt. Warum fragst du?“, fragte er etwas skeptisch zurück.
„Na ja, du hattest ja gestern vorgeschlagen, dass wir beide zusammen mal unter die Leute gehen könnten. Ich würde gern, dass du mich heute Abend begleitest“, erklärte seine Freundin.
Er bekam schon Muffensausen allein bei dem Gedanken, dass fremde Menschen ihn um Autogramme bitten würden oder junge Mädchen und reife Frauen sich ihm an den Hals schmeißen könnten, doch trotzdem sagte er nicht sofort ab, sondern fragte zunächst: „Wohin soll es denn gehen?“
Hermine druckste nicht herum, sondern erklärte offen: „Das ist ein Informationsabend von der ’Initiative für die Forderung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes für magische und nichtmagische Halbwesen’ und ich darf eine Begleitung mitbringen. Werden nicht viele da sein, falls du dir darüber Sorgen machst.“
Grübelnd murmelte Harry: „Das sagt mir irgendwas…“ Hatte er von denen nicht mal einen Bittbrief erhalten?
„Ja, sicher sagen dir die was. Ich gehe davon aus, dass die dir auch mal eine Eule geschickt haben. Ich hab schon Remus gefragt, ob er mitkommen möchte, aber er hat heute auch leider keine Zeit für mich. Er versucht aber noch nachzukommen. Hat er versprochen!“, sagte Hermine, die innig hoffte, dort nicht allein aufschlagen zu müssen.
Harry seufzte einmal, bevor er zögerlich zusagte, aber gleich noch seine Bedenken äußerte, indem er sagte: „Ja, ich komme mit, aber wenn mir das zu viel werden sollte, dann sei mir nicht böse, wenn ich wieder gehen möchte.“
„Schon gut, Harry. Ich bin froh, dass du mitkommst. Alleine möchte ich da wirklich nicht hin…“, sagte sie innehaltend.
„Wieso? Gibt es da irgendwas, von dem ich wissen sollte?“, fragte er mit großen Augen.
Hermine zuckte einmal gelangweilt mit den Schultern und erwiderte: „Da kommen natürlich auch Tierwesen und andere Geschöpfe. Du weißt schon: Werwölfe, Vampire, Mischlingskinder von Riesen oder Kobolden, aber natürlich nicht nur. Es kommen auch Leute, die die Sache einfach nur finanziell unterstützen, wie ich halt, aber trotzdem – allein würde ich da nicht hin wollen.“

Es blieb ihm keine Zeit, sich großartig Gedanken über den kommenden Abend machen zu können, denn Hermine wollte sofort mit ihm los. Zum Glück war er mit dem Hund heute schon zum letzten Mal draußen gewesen, so dass er zustimmte. Er kleidete sich etwas schicker, aber nicht zu elegant, um nicht ins Auge zu fallen. Sie entschlossen sich, den Ort per Apparation aufzusuchen, so dass sie über das Gelände von Hogwarts bis hin vor die Tore liefen. Während sie bereits die Eingangspforten sehen konnten, fiel beiden eine dunkle Gestalt auf, die etliche Meter vor ihnen ebenfalls zu den Toren ging und bald darauf nicht mehr zu sehen war.

„Sag mal, hast du erkennen können, wer das war?“, fragte Harry seine Freundin.
Sie blickte nochmals genauer hin, aber da die Sonne schon fast untergegangen und die Umgebung um die Tore herum bereits in Schatten gehüllt war, sagte sie aus Spaß: „Also, bei schwarzen Gestalten muss ich immer unweigerlich an Snape denken. Ist komisch oder?“ Sie lachte auf, bevor sie hinzufügte: „Ich hab keine Ahnung, wer das war.“

Nachdem sie das Portal passiert hatten, nahm Hermine ihn an die Hand und übernahm die Apparation, weil sie genau wusste, wo das Treffen dieser Initiative stattfinden würde. Als Harry wieder festen Boden unter den Füßen spürte, wäre er beinahe hingefallen, denn der Weg, auf dem sie gelandet waren, war leicht abschüssig und mit Kieselsteinen bedeckt. Rings ums die beiden herum eröffnete sich ihnen ein dichter dunkler Wald.

„Hier lang“, sagte Hermine und sie nahm Harry an die Hand.

Mit ihm im Schlepptau machte sie sich auf den Weg. Nach nur wenigen Minuten lichtete sich der Wald und Harry blickte auf ein finster aussehendes Schloss, welches einzig über eine Brücke zu erreichen war.

„Das ist nicht dein Ernst oder?“, fragte er etwas verdattert. Das Schloss wirkte nicht sehr einladend und schien einem Gruselfilm entsprungen.
„Harry, glaubst du etwa, die können sich für ihre Versammlung das Convention-Center eines Hotels mieten? Die würde man achtkantig rausschmeißen, sobald die ersten Halbriesen da auftauchen würden“, erklärte Hermine.

Die Schlossbrücke hatten die beiden hinter sich gelassen, während sie sich bereits der riesigen hölzernen, eisenbeschlagenen Tür näherten, die sich wie von Geisterhand öffnete, um beide Gäste einzulassen. Im Eingangsbereich befand sich jedoch niemand, der ihnen die Tür geöffnet hatte, was Hermine zu erklären versuchte: „Hier kommt wahrscheinlich sonst eh keiner her. Wird eine Art Zauber sein, der die Tür jedem öffnet, der sich ihr nähert, aber ich bin sicher, der Gastgeber wurde über unser Kommen informiert.“

Harry blickte sich ein wenig in der Halle um, die spärlich durch Gaslicht an den Wänden erleuchtet war. Auf gruselige Art und Weise war es hier wohnlich, zumindest was das Gebäude an sich betraf. Wände und Boden waren in dunklen Rottönen gehalten und in der Eingangshalle stand ein kleines, elegantes Tischchen mit einem frischen Blumengesteck als Dekoration darauf. Furchteinflößend waren jedoch die Portraits, die dicht an dicht an den Wänden aufgehängt worden waren. Sie zeigten düstere Gestalten, die der Maler verzerrt und fast schon karikaturistisch dargestellt hatte, mit entweder zu rundem Kopf, zu großem Mund oder zu eckigem Kiefer. Eines zeigte einen Scharfrichter mit Kapuze und Axt, ein anderes eine alte dürre, heimtückisch dreinschauende Frau mit weißen, hochgesteckten Haaren, langem Kinn und einer schwarzen Katze auf dem Buckel. Neben ihr auf dem Tischchen standen etliche Flaschen mit Totenköpfen auf den Etiketten, was sie für den Betrachter als Giftmischerin entlarvte. Aber das Gruseligste an allem war, dass auch diese skurril dargestellten Portraits am Leben waren!

Bevor sich Harry in den böse funkelnden Augen der Giftmischerin verlieren konnte, wurden Hermine und er von einer großen schlanken Gestalt mit wehendem Umhang abgelenkt, die sich ihnen näherte. Mit einer besonnenen Stimme, wie Harry sie auch von Severus kannte, sagte der jung aussehende, attraktive Mann: „Guten Abend, meine Dame“, er nahm Hermines Hand und küsste sie, bevor er sich Harry mit einer leichten Verbeugung zuwandte, „mein Herr, ich begrüße Sie beide herzlich zu unserer Versammlung.“

Noch immer hielt der Gastgeber Hermines Hand in seiner, was Harry ein wenig suspekt vorkam, aber anscheinend ließ sie sich davon nicht stören. Im Gegenteil, denn sie schien geradezu verzaubert zu sein. Harry umfasste Hermine an ihrer Taille, so dass dem Gastgeber deutlich werden sollte, dass er die Finger von ihr zu lassen hatte und tatsächlich ließ der Mann endlich von Hermine ab, die ihn noch immer verzückt anlächelte.

„Ich bin Sir Castus Caedes, aber Sie können mich ruhig mit Mister anreden. So viel Wert lege ich nicht auf meinen niedrigen Adelsstand“, sagte Mr. Caedes mit warmer, leiser Stimme.

’Was für ein Angeber’, dachte Harry. Wenn der Kerl schon keinen Wert auf seinen Stammbaum legte, hätte er seine adlige Abstammung auch gar nicht erwähnen brauchen, aber es war für Harry eindeutig, dass der Gastgeber nur Hermine imponieren wollte und die fiel voll drauf rein, so wie sie ihn mit ihren brauen Augen anhimmelte. Für einen kurzen Augenblick erinnerte sich Harry daran, wie Hermine damals in der zweiten Klasse Feuer und Flamme für Lockhart gewesen war, denn den hatte sie ganz genauso verträumt angeschmachtet.

„Folgen Sie mir doch bitte, Miss… ähm?“, fragte Mr. Caedes.
„Miss Granger“, stellte sich Hermine leicht errötend, aber breit lächelnd vor.

Es war für Harry tatsächlich mal etwas Neues, als „der Harry Potter“ so völlig links liegengelassen zu werden, denn Mr. Caedes hatte ihn nicht nach seinem Namen gefragt und gerade das fand Harry einfach nur unhöflich. Bevor Mr. Caedes mit seinen geraden, strahlend weißen Zähnen und seinen schwarzen, vollen Haaren, dem zuckersüßen Lächeln und den dunklen Augen sich über Hermine hermachen konnte, nahm Harry ihren Arm und schlang ihn um den seinen. Sofort verblasste das Lächeln von Mr. Caedes, denn er hatte die Botschaft verstanden.
Er warf Harry für einen kurzen Moment einen drohenden Blick zu, bevor er nun weniger enthusiastisch sagte: „Folgen Sie mir bitte, hier entlang!“

Mr. Caedes führte sie an eine große Flügeltür, hinter der schon Stimmengewirr zu vernehmen war. Hinter der Tür offenbarte sich ein großer Saal und das Erste, was ihnen unter der Gästeschar sofort ins Auge fiel, waren insgesamt fünf Halbriesen.

An Hermine gewandt sagte Harry: „Sag mal, ist das da hinten Hagrid? Zusammen mit Olympe?“

Schmachtend blickte Hermine noch Mr. Caedes hinterher, der sich bereits von ihnen entfernt hatte, bevor sie Harry anschaute und dann seinem Blick folgte.

„Ach du meine Güte, ja! Du hast Recht!“, sagte sie freudestrahlend. Gleich darauf stieß sie Harry mit dem Ellenbogen an, nickte mit ihrem Kopf in eine Richtung und sagte gleich darauf: „Da ist Professor Flitwick, siehst du?“ In der Schule hatte man nie offen drüber gesprochen, aber jeder Schüler schien zu wissen, dass einige von Professor Flitwicks Ahnen Kobolde gewesen sein mussten.

„Oh Gott…“, sagte Harry verstummend, denn schon kam jemand auf ihn zu, den er am heutigen Abend ganz bestimmt nicht treffen wollte – Horace Slughorn.
„Harry, mein lieber Freund!“, sagte der kleine rundliche Mann recht laut, bevor er Harry an sich drückte, als wären sie die dicksten Freunde. „Was für eine Freude, Sie hier zu treffen! Harry, ich möchte Ihnen jemanden vorstellen. Kommen Sie, kommen Sie mit mir!“, waren Slughorns letzte Worte, bevor er Harry entführte und Hermine unbeachtet stehen ließ.

Sie warf Harry noch einen mitleidigen Blick hinterher, während er von dem dicken Ex-Lehrer für Zaubertränke zu einer Gruppe von Gästen geführt und wie ein Schmuckstück den gaffenden Augen präsentiert wurde. Der ganze Saal hatte durch die laute und innige Begrüßung mitbekommen, dass „der Harry Potter“ anwesend war. Offensichtlich war Hermine zur Befriedigung von Slughorns Profilierungssucht nicht geeignet, aber sie blieb nicht lange allein.

Von hinten hauchte ihr jemand ins Ohr: „Oh, arme Miss Granger…“ Als sie sich erschrocken umdrehte, wurde alsbald ihre Hand ergriffen und geküsst.
„Oh, Mr. Caedes, ich…“
Er unterbrach Hermine und bot an: „Nennen Sie mich doch Castus. Ich möchte meinen Vornamen gern aus ihrem Mund hören“, schmeichelte er ihr, während er ihr tief in die Augen blickte. Sie spürte, wie ihr die Röte über das Gesicht kriechen musste, als sie leise seinen Vornamen hauchte und er sie dabei ganz verträumt anlächelte.

„Ja, is’ das nicht uns’re Hermine?“, sagte Hagrid vor Freude strahlend. Kurzerhand hatte er Mr. Caedes unabsichtlich mit seinem massigen Körper abgedrängt, um Hermine herzlich zu begrüßen.
„Hallo Hagrid! Hallo Olympe, lange nicht gesehen“, sagte Hermine freundlich, bevor sie der Halbriesin die Hand gab und darauf hoffte, sie in einem Stück und ohne Quetschungen wiederzubekommen. Nachdem sie die beiden begrüßt und ein wenig mit ihnen geredet hatte, blickte sie sich kurz um, nur um zu bemerkten, dass Castus sich wieder entfernt hatte. Jetzt verweilte er in einer hinteren Ecke des Raumes und beobachtete sie still. Hermine fand es angenehm, auf diese Weise von einem Mann betrachtet zu werden. Es war ein gutes Gefühl, einen Verehrer zu haben.

Am Buffet ereignete sich eine ähnliche Situation wie die mit Hagrid. Voller Frust füllte Hermine gerade ihren Teller hauptsächlich mit Süßspeisen, bevor Castus sich ihr näherte, nur um kurz darauf von dem kleinwüchsigen Filius verscheucht zu werden, der ebenfalls seine ehemalige Schülerin persönlich begrüßen wollte. Er hielt mit ihr solange ein Schwätzchen, bis der Leiter der Initiative, Mr. Bloom, in einen anderen Raum bat, um von einer kleine Bühne aus das Wort an die Gäste richten zu können.

Die zweite Portion Mousse au Chocolate aß sie während der Rede, auch wenn sie so ein Verhalten eigentlich für unhöflich hielt, doch in der letzten Reihe bemerkte sie sowieso kaum jemand. Harry hatte sie zwar begleitet, aber letztendlich war sie nun doch allein hier, denn ihr bester Freund war von Slughorn herumgereicht worden und musste sich momentan vorn in der ersten Reihe zwischen dem Vampir Sanguini und dessen Freund und Begleiter Eldred Worple sitzend von beiden Seiten vollquatschen lassen.

Mr. Blooms Rede brachte für die stets auf dem aktuellsten Stand bleibende Hermine keine Neuigkeiten, so dass sie sich ein wenig geknickt aus der letzten Reihe davonstahl, um sich noch einmal in dem anderen Zimmer am Buffet zu bedienen.

„Hermine?“, hauchte es wieder an ihrem Ohr, doch dieses Mal musste sie sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Castus hinter ihr stand. Sie ließ es zu, als seine Arme sich von hinten um ihre Taille schlängelten und sie genoss seine sinnliche Stimme, die flüsternd und mit einer betörenden Melodie in der Stimme zu ihr sagte: „Das ist also dein Name?“ Er stöhnte wonnig, bevor er wie ein Echo wiederholte: „Hermine… Hermine… Ich wusste, dass der Name mir bekannt vorkommt.“ Er drehte sie langsam in seinen Armen herum und küsste sie keck auf die Stirn, bevor er sie mit seinen Augen hypnotisierte und ihr ins Ohr hauchte: „Das ist der Name, den mir der Wind geflüstert hat, als ich in einer lauen Sommernacht am See gesessen hatte und ich mich fragte, wann mir wohl die Frau meiner Träume über den Weg laufen würde.“

Hermine wusste gar nicht, wie ihr geschah. Seine Worte klangen so einfühlsam und betörend, so dass sie sich nicht einmal wehrte, als er sie aus dem Raum hinausführte und mit ihr einen Stock höher ging, was sie normalerweise niemals zugelassen hätte, denn sie war ihm heute das erste Mal begegnet und hatte nur wenige Worte mit ihm gewechselt. Er öffnete eine Tür und ließ sie herein.

„Es ist stockdunkel hier drin!“, sagte sie mit ein wenig Sorge in der Stimme.
Daraufhin ergriff er leicht ihre Oberarme, drückte sie an seine Brust und entgegnete: „Deine Augen strahlen hell genug, Hermine.“

Irgendetwas stimmte nicht, doch Hermine konnte einfach nicht mit dem Finger drauf deuten. Warum war sie mit einem ihr völlig fremden Mann einfach mitgegangen? Doch das schöne Gefühl, dass endlich jemand Interesse an ihr zeigte und dazu noch ein so eleganter, gutaussehender, wohlerzogener…

„Au! Was… Was war das?“, fragte sie ängstlich. Hermine war der Meinung, eine Art Stich an ihrem Hals verspürt zu haben. Sie führte eine Hand an ihre Kehle und fühlte etwas Warmes. Ihre Atmung beschleunigte sich, denn sie ahnte plötzlich Böses. Hermine wollte Castus von sich stoßen, doch der ließ sie nicht los. „Ich möchte gehen!“, schrie sie, doch ihre Stimme war erschreckend leise. Sie fragte sich, was Castus getan hatte und warum ihr auf einmal so schwindelig war. Sie konnte nicht einmal mehr klar denken.

Castus bedeckte ihr Gesicht mit federleichten Küssen, doch seine Liebkosungen widerten sie an. Schwach zischelte Hermine: „Hören Sie auf! Lassen Sie mich gehen.“ Plötzlich spürte sie seine Lippen erneut an ihrem Hals und mit jedem seiner gierigen Küsse wurde sie schwächer und schwächer. Mit ausgezehrt klingender Stimme flehte sie: „Nicht… nicht… Hören Sie auf…“ Sie versuchte, nach ihrem Zauberstab zu tasten, nur um zu bemerken, dass sie keine Kontrolle mehr über ihre Gliedmaßen besaß.

Ihr war bereits ganz schwummrig und jegliches Zeitgefühl war verschwunden. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie plötzlich Licht vom Flur in den finsteren Raum schien. Ein schwarzer Schatten mit wallendem Umhang stand im Türrahmen und feuerte einen Fluch auf Castus ab. In dem Moment, in welchem Castus getroffen wurde, fiel Hermine wie ein nasser Sack zu Boden, denn sie war viel zu kraftlos, um sich noch allein auf den Beinen halten zu können.

Das Bild vor ihren Augen war verschwommen und alles drehte sich. Sie erkannte die Gestalt nicht, die sich ihr in dem dunklen Raum näherte, aber sie spürte mit einem Male einen Druck an ihrem Hals, gleich so, als wollte jemand sie erwürgen. Hermine geriet in Panik und wollte die Hand an ihrem Hals abwehren, doch ihre flügellahmen Arme gehorchten ihr nicht und fielen plump auf den Boden.

„Das wird schon wieder“, hörte sie eine tiefe brummende Stimme sagen, die sie aus unerfindlichen Gründen beruhigend fand. Da Hermine noch atmen konnte, schien die Hand an ihrem Hals gar nicht zuzudrücken und so gab sie jeglichen Versuch sich zu wehren auf. Mit einem Male fühlte sie etwas Kaltes, Rundes an ihren Lippen und gleich darauf wurde ihr Mund geflutet, so dass sie aus purem Reflex schluckte. Trotz ihrer benebelten Sinne schmeckte sie etwas aus dem Trank heraus. Es war Feuersalamander-Blut, eine hochwirksame Zutat für Heil- und Kräftigungstränke. Sie atmete erleichtert auf, als sie erkannte, dass der Schatten ihr nichts Böses wollte, doch gleich darauf ließ die schemenhafte Gestalt sie allein im Zimmer zurück. Draußen auf dem Flur hörte sie plötzlich einen höllischen Lärm.

Der Leiter Mr. Bloom sowie die Gäste schreckten auf, als sie ein lautes Scheppern hörten. Harry und Filius waren die Ersten, die der Ursache für den Lärm auf den Grund gehen wollten. Hagrid und Olympe folgten sogleich. Mr. Bloom hinderte zunächst alle anderen Gäste, die sich ebenfalls erheben wollten, mit netten Worten daran, den Saal zu verlassen, bevor er selbst den Raum verließ. Im Flur angelangt blickten alle auf die Scherben einer ehemals hüfthohen, blauen Vase, die offensichtlich jemand vom ersten Stock die Treppe hinuntergeworfen haben musste.

„Hermine!“, war das Einzige, was Harry in den Sinn kam, bevor er ohne nachzudenken nach oben rannte.
„Warten Sie doch! Was ist denn nur geschehen?“, fragte Mr. Bloom aufgebracht, doch Harry war bereits oben angelangt und zückte seinen Zauberstab.
„Lumos!“, sagte er, bevor er den dunklen Raum betrat, dessen Tür offen stand. „Gott, HERMINE!“, schrie er aufgebracht, als er ihren bewegungslosen Körper auf dem Boden liegen sah. Etwas weiter hinter ihr lag Mr. Caedes, der augenscheinlich mit einem Petrificus Totalus überwältigt worden war.

Filius drängte sich nach vorn und beugte sich über Hermine, als plötzlich von Mr. Bloom das Licht im Zimmer angemacht wurde und sich alle erschraken, besonders Hagrid. Ein Teil des Schlosses verfügte offenbar über eine Stromversorgung.

„Was ist mir ihr?“, fragte Olympe besorgt, während Filius derweil die nicht ansprechbare und beunruhigend blasse Hermine untersuchte, indem er vorsichtig ein Augenlid öffnete, um ihre Pupillen zu betrachten. Harry kniete sich neben sie und hielt ihre Hand wie er es damals schon gemacht hatte, als sie in der zweiten Klasse versteinert im Krankenflügel gelegen hatte.

Mr. Bloom beäugte in der Zwischenzeit den bewegungslosen Mr. Caedes und als er dessen blutverschmiertes Gesicht sah, hielt er sich vor Schreck eine Hand vor den Mund, bevor er murmelte: „Er hat sie gebissen…“
Von dieser Bemerkung aufgescheucht entfernte der kleinwüchsige Professor für Zauberkunst ein weißes Tuch, welches auf Hermines Hals lag und da erschrak Harry, denn das Tuch hatte eine leicht blutende Bisswunde bedeckt.

Völlig außer sich beteuerte Mr. Bloom, dass so etwas noch niemals geschehen wäre. Er versicherte, sofort Hilfe zu holen und verließ gleich darauf das Zimmer.

„Hermine, kannst du mich hören?“, fragte Harry. Sie reagierte jedoch nur, indem sie ihren Kopf in seine Richtung drehte und versuchte, ihre Augen zu öffnen, was ihr jedoch nicht gelang.

Mit Mr. Worple und Sanguini im Schlepptau kam Mr. Bloom zurück in das Zimmer. Der Vampir-Experte Worple beugte sich über Hermine und betrachtete ihren Hals. Mit den Fingern tastete und drückte er ein wenig um die Bisswunden herum, bevor Sanguini sich zu ihm gesellte und ihm über die Schulter schaute.

Harry hörte, wie Sanguini leise zu Worple sagte: „Sie ist nicht verwandelt, aber er war zu gierig.“ Mr. Worple nickte daraufhin zustimmend und zog derweil zwei Fläschchen aus seiner Jackeninnentasche.
„Moment, was ist das? Was wollen Sie ihr da geben?“, fragte Harry beschützend.

Mr. Worple behielt die Ruhe, so als wäre es für ihn nicht die erste Situation dieser Art. Er erklärte Harry, dass er die Wunde desinfizieren wollte und dass die andere Flasche einen Trank enthalten würde, der für eine schnellere Neubildung des Blutes sorgte. Erst nach Harrys Einverständnis durfte der Vampir-Experte mit der Behandlung fortfahren.

Nachdem Mr. Worple sich um Hermine gekümmert hatte, legte er das weiße und mit Desinfektionslösung benetzte Seidentuch locker um ihren Hals, um die Wunde vor Verschmutzungen zu schützen.

Sanguini stand auf und ging zu dem noch immer bewegungslosen Mr. Caedes hinüber, den er verachtend anblickte. Gleich darauf sagte er für alle im Raum: „Dieser Zwischenfall ist sehr bedauerlich, aber ich versichere Ihnen allen, dass Vampire wie er, die so verantwortungslos und eigennützig handeln, selbst in unseren Kreisen unerwünscht sind.“

Gerade erst kam Hermine langsam wieder zu Bewusstsein, da hörte man von unten einen lauten Knall wie von einer Bombe. Gleich darauf folgten Schreie, so dass Hagrid, Filius, Olympe und Sanguini auf den Flur hinausliefen, um die Ursache der Explosion zu ergründen. Völlig unerwartet hörte man von unten einen der Gäste rufen: „TODESSER!“

Geschockt blickten sich Hagrid und Filius an, während Sanguini, der den Tod nicht zu fürchten hatte, bereits die Treppe hinunterstürmte. Obwohl jeder den warnenden Ruf vernommen hatte, wiederholte Hagrid aufgebracht: „Todesser! Harry, da unten sind Todesser!“ Harry nickte, drückte noch einmal Hermines Hand und erhob sich, um sich mit den anderen ins Getümmel zu stürzen.

Mr. Bloom erweckte Mr. Caedes aus seiner Starre, denn als Vampir wäre er für Todesser ein schwieriger Gegner. Caedes hatte sich zwar die ganze Zeit nicht bewegen können, doch er hatte alles um sich herum bewusst wahrgenommen, so dass er gleich fragend wiederholte: „Unten sind Todesser?“ Nachdem Mr. Bloom genickt hatte, verließen beide die junge Frau, die noch immer auf dem Boden lag und sich unmerklich regte. Von außen verschloss Mr. Bloom die Tür und belegte sie mit zwei starken Schutzzaubern, so dass die angeschlagene Miss Granger keine leichte Beute für Angreifer sein sollte.

„Warten Sie…“, sagte Hermine schwach, doch sie war bereits allein. Nur mit viel Kraftanstrengung war es ihr möglich gewesen, sich aufzusetzen und als sie es endlich fertig gebracht hatte, ihren Oberkörper in eine aufrechte Position zu bringen, fiel ihr das weiße Seidentuch in den Schoß. In ihrem Kopf drehte sich alles und sie fühlte sich ausgelaugt. Geistesabwesend nahm sie das weiße Seidentuch aus ihrem Schoß und drückte es sich an die brennende Stelle am Hals. Als sie Blut auf dem Boden und am Tuch bemerkte, durchfuhr sie ein großer Schreck, weil ihr bewusst wurde, dass es sich ausnahmslos um ihr eigenes Blut handelte. Ganz plötzlich kamen alle Erinnerungen an das zurück, was ihr widerfahren war. Sie war so dumm gewesen, auf die hypnotische Wirkung eines Vampirs hereinzufallen. Sie schalt sich selbst für ihre Einfältigkeit, denn sie wusste doch im Vorfeld, dass auch solche Wesen auf der Versammlung anwesend sein würden, weshalb es doppelt so unverzeihlich war, Mr. Caedes nicht als Vampir erkannt zu haben.

Während sie versuchte, sich an Details zu erinnern, hörte sie von unten laute Rufe und ein furchtbares Getöse wie bei einer Schlacht. Lautstark gingen viele Dinge zu Bruch und einmal hörte sie ein ohrenbetäubendes Klirren, als wäre ein riesiger Kronleuchter auf den Boden gefallen. In Gedanken ging sie nochmals alles durch, was geschehen war, und plötzlich erinnerte sie sich an Hagrids Stimme, die gesagt hatte, es wären Todesser unten.

Hermine wollte blitzschnell aufspringen und zu Hilfe eilen, doch die ersten beiden Versuche missglückten, denn sie torkelte und fiel beim ersten Mal auf die Knie und beim zweiten Versuch auf den Allerwertesten. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt schon sitzen konnte, denn so ein Vampirbiss raubte einem nicht nur Blut, sondern auch körperliche und geistige Kraft. Hinzu kam, dass man sich schwerlich an alles erinnern konnte, aber nichtsdestotrotz hatte Hermine im Hinterkopf, dass da jemand gewesen war, der ihr einen Stärkungstrank eingeflösst hatte, doch die Frage, um wen es sich dabei handeln könnte, war nicht zu beantworten. Vielleicht war der Schatten auch nur ihrer Einbildung entsprungen.

Nachdem sie zur Tür gerobbt war, benötigte sie selbst in ihrem geschwächten Zustand nicht sehr lange, um die beiden Schutzzauber zu durchbrechen. Während unten noch immer ein Heidenlärm herrschte, öffnete sie oben langsam die Tür. Die Klinke benutzte sie zudem, um sich daran hochzuziehen, um endlich in eine aufrechte Position zu kommen. Sofort wurde ihr wieder schwindelig, doch sie wollte einfach nicht auf dem faulen Hintern sitzen, während da unten die Menschen gegen Todesser kämpften. Sie hatte immer alles gegeben, um anderen zu helfen, auch wenn sie selbst dafür hatte einstecken müssen.

Das Geschrei war lauter geworden, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Sie hörte die Schritte von durcheinander laufenden Menschen und vernahm das Zischen und Grollen von abgefeuerten oder abgewehrten Flüchen. Mittendrin dröhnte Hagrids tiefe Stimme und sie konnte sich gut vorstellen, denn das hatte sie schon mehrmals erleben dürfen, wie er die Todesser nicht mit seinem Regenschirm, in welchem sein gebrochener Zauberstab eingearbeitet war, angriff, sondern einfach mit seinem gewaltigen Körper auf sie zustürmte und die Feinde – im wahrsten Sinne des Wortes – regelrecht umrannte. Wo Hagrids mülldeckelgroßen Hände hinschlugen, wuchs kein Gras mehr.

Sich mit den Händen am Treppengeländer festhaltend ging Hermine schwankend an einer geschlossenen Tür vorbei und steuerte bereits auf die erste Stufe nach unten zu, als eine zweite Explosion zu hören war. Gleich darauf folgten wieder die Schreie und die verzweifelten Hilferufe von Verletzten, was Hermine an die schlimmen Zeiten erinnerte, als sie mit ihren Freunden gegen Feinde kämpfen musste.

Aufgeregt zog sie ihren Zauberstab und da wurde ihr auf einmal klar, dass sie ihn gar nicht benutzen konnte, denn sie musste sich mit beiden Händen am Geländer festhalten, damit sie das Gleichgewicht nicht verlieren würde.

Plötzlich rannte eine Gestalt in schwarzer Robe und heller Maske im Erdgeschoss durch eine Tür hinaus auf den Flur, blickte nach oben und sah Hermine am Geländer. Hermine holte mit ihrem Stab aus, verlor das Gleichgewicht und ließ ihn fallen, so dass ihr Zauberstab genau vor den Füßen der finster gekleideten Gestalt landete. Sie hörte ein tiefes, schmutziges Lachen von unten, während sie ihre Augen schließen musste, weil der Raum sich zu drehen begann. Auf einmal fühlte sie einen Arm um sich und sie bemerkte, wie ein wortloser Fluch an ihr vorbei nach unten geschleudert wurde, der den Todesser außer Gefecht setzte. Der Körper des Todessers sackte bewusstlos zusammen, während zur gleichen Zeit die Person hinter ihr sie umfasste und nach hinten schleifte. Hermine blinzelte, konnte aber nichts erkennen. Ihr Verstand war diesmal jedoch viel wacher als beim ersten Mal. Sie roch erneut etwas Vertrautes, nämlich den Duft vom „Bitteren Beifuß“ und sie fragte sie, wo sie das schon einmal vernommen hatte.

Wieder spürte sie eine Ampulle an ihren Lippen und gierig trank sie den Stärkungstrank, den der Unbekannte ihr einflösste. Geschwächt bedankte sie sich bei der dunklen Gestalt, die sie gleich darauf allein in der Besenkammer zurückließ und die Tür schloss. Hermine verhielt sich ruhig. Sie lehnte sich an die Wand der kleinen Kammer und wartete ungeduldig und mit einem flauen Gefühl im Magen, bis der Kampf unten vorbei sein würde.


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Während der vier Stunden, die ich in dem verspäteten Zug verbrachte, sprudelten mir alle diese Ideen nur so im Kopf herum.
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