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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Miss Grangers Gespür für Farben

von Muggelchen

Heute früh, kurz bevor Ron sich auf den Weg zum Training gemacht hatte, war er zwischen Tür und Angel stehen geblieben und hatte vorgeschlagen: „Hermine, vielleicht sollten wir überlegen, uns auch räumlich zu trennen. Na ja, du weißt schon. Falls du mal jemanden mit nachhause bringen möchtest…“
Sie wusste genau, dass ihm dieser Vorschlag viel Mühe bereitet hatte und ihn zu hören schmerzte sie, doch sie hatte ein Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert und entgegnet: „Ja, da hast du Recht, Ron. Ich werde mich langsam mal nach einer Wohnung umsehen. Viel Spaß heute beim Training.“ Sie verkniff es sich hinzuzufügen „und grüß Angelina von mir“.

Kaum war er zur Tür raus, brach Hermine in Tränen aus. Sie wusste, dass Ron ihrem Ratschlag, es noch einmal mit Angelina zu probieren, nachgehen würde oder sogar schon nachgegangen war.

Auf ein Frühstück verzichtend packte sie ihre riesige Tasche – mit einer schicken, kleinen Damenhandtasche konnte man sie nicht vergleichen – und stopfte alles hinein, was sie für ihre heutige Recherche benötigen würde. Sie griff auch nach einer Packung Eis: fünfhundert Gramm von dem Schokoladeneis, das sie glücklich machte, wenn sie niedergeschlagen war. Damit es nicht schmolz, versah sie es mit einem Kältezauber, bevor sie es in ihre geräumige Tasche zwängte. Dann trocknete sie ihre Tränen, verließ das gemeinsame Haus und flohte direkt zu Harry.

„Guten Morgen!“, grüßte Harry sie freudestrahlend. Nur murmelnd erwiderte sie seinen Gruß, bevor sich die beiden wie üblich umarmten, doch dieses Mal ließ Hermine nicht ganz so schnell wieder los wie sonst. „Alles okay?“, fragte er sie mit einer seltsamen Vorahnung, woraufhin sie nickte, doch ihre schimmernden Augen bestätigten das Gegenteil.
Noch bevor er fragen konnte, erklärte sie: „Ron hat heute früh vorgeschlagen, dass jeder sich eine eigene Wohnung suchen sollte, falls ’ich’ vielleicht mal jemanden mit nachhause bringen sollte.“ Sie seufzte, bevor sie sagte: „Ich glaube eher, dass er mal eine sturmfreie Bude haben möchte und ich denke, ich weiß auch, um wen es sich dabei handelt.“
„Angelina!“, sagte Harry so schnell, dass Hermine ins Stocken geriet. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und gestand ihr: „Er hat mir erzählt, dass sie es längst nochmal mit einem Date versucht haben und es scheint… na ja, geklappt zu haben. Ron wollte nur nie etwas in deiner Gegenwart sagen, Hermine. Er will dir nicht wehtun, weißt du.“

Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen als würde sie Schmerz empfinden und ihre Lippen bebten, doch sie gestand sich selbst, dass eine räumliche Trennung unvermeidlich sein würde und es wäre auch völlig normal, wenn beide sich einen anderen Partner suchen würden.

Sie schluckte mehrmals, bevor sich ihre Stirn wieder glättete und sie leise sagte: „Ich bin ja gar nicht sauer, dass er schon jemanden gefunden hat. Ich bin nur sauer…“
Er beendete ihren Satz, indem er fragte: „Weil du noch keinen neuen Freund hast?“ Er lächelte ihr zu, rieb aufmunternd ihre Schulter und versicherte ihr: „Lass mal, du findest auch noch jemanden. Wir gehen einfach zusammen öfters aus. Nur wir beide! Mit Ginny kann ich momentan ja eh nichts unternehmen und Ron ist… beschäftigt.“
Sie stimmte wortlos zu und rang sich ein Lächeln ab. Um ihren Kummer und das Thema zu verdrängen, fragte sie neugierig: „Und? Hast du heute Nacht geschafft, was du dir vorgenommen hattest?“

Er nickte strahlend und erzählte ihr, wie Wobbel es fertig gebracht hatte, ihn in Ginnys Krankenzimmer zu schmuggeln.

Um sich vor ihrer Arbeit etwas Entspannung zu gönnen, hatte sie zugestimmt, Harry beim Spazierengehen zu begleiten. Beide gingen nach unten in die Kerker, um vor dem Frühstück Severus’ Hund abzuholen und gemeinsam auszuführen. Obwohl neben Harry noch jemand anderes anwesend war, öffnete Salazar ohne Murren die Tür. Der Hund kam sofort zu Harry gelaufen und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, aber er sprang ihn nicht mehr an, wie er es als ganz junger Hund gemacht hatte.

Hermine war bisher im Hintergrund geblieben und hörte lediglich die Stimme ihres Professors ungewohnt warm grüßen: „Ah, guten Morgen, Harry. Treten Sie doch ein. Eine Tasse Kaffee vor dem Spaziergang?“ Für einen Moment fragte sie sich, warum der Professor sie nicht auch einmal so freundlich grüßen könnte, anstatt immer nur so distanziert, aber dennoch höflich.

Den Kaffee dankend ablehnend trat Harry ins Wohnzimmer ein. Auch Hermine ging einen Schritt vor, doch sie blieb genau im Türrahmen stehen, weil sie bisher keine Erlaubnis bekommen hatte, Snapes private Wohnräume zu betreten. Bisher war sie nur ein einziges Mal in seinem Wohnzimmer gewesen und zwar an dem Tag, an dem er sich eine Schussverletzung zugezogen hatte und Harry, Draco und sie seiner Erzählung über diesen Vorfall gelauscht hatten.

Da Harry die Tür nicht wie üblich hinter sich geschlossen hatte, blickte Severus hinüber und bemerkte dort seine zögernde Schülerin. Er war etwas verdutzt, sie hier zu sehen, wo sie doch diese Woche beurlaubt war.

Wie üblich grüßte er sie mit seiner formell höflichen Stimme: „Miss Granger, Ihnen auch einen guten Morgen. Treten Sie doch bitte ein.“ Er rechnete damit, dass sie ihn aufsuchen wollte, um über ihr gestriges Experiment zu sprechen, doch sie machte diesbezüglich keinen Anfang und schaute sich stattdessen neugierig in seinem Wohnzimmer um, weshalb er fragte: „Und, Miss Granger? Zufriedenstellende Ergebnisse erhalten?“
Zunächst blickte sie ihn fragend an, bis der Groschen endlich gefallen war und sie eintönig erwiderte: „Oh, ähm, ja. Beziehungsweise nicht wirklich befriedigend, weil ich keine Ahnung habe, was die Farben zu bedeuten haben. Deswegen bin ich heute hier. Ich will in die Bibliothek gehen.“
Er nickte ihr zu, bevor er nicht ganz ernst vorschlug: „Sie könnten ja Professor Trelawney um Hilfe bitten.“
Hier schaltete sich Harry ein, der in Hermines Sinne antwortete: „Oh nein, keine Chance.“
Severus brauchte nicht nachzuhaken, warum das so war. Jemand wie Miss Granger, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand, konnte mit dem Geschwafel einer Wahrsagerin sicherlich genauso wenig anfangen wie er selbst, so dass er lediglich noch fragte: „Sie haben also Ihre Aufzeichnungen von gestern mit dabei?“ Sie nickte, rührte sich jedoch nicht, um ihm ihre Unterlagen zu geben, so dass er direkter wurde: „Dürfte ich wohl einen Blick drauf werfen?“

Es missfiel ihm, dass sie genervt seufzte, bevor sie jedoch ihre große Umhängetasche auf einem der beiden Einsitzer abstellte und damit begann, in ihr herumzuwühlen. Sie zog ein langes, glattes Pergament aus einer Mappe heraus, ohne die Mappe selbst aus der Tasche zu nehmen und betrachtete es kurz. Gleich darauf sagte sie: „Ich würde es gern erst überarbeiten, bevor ich es Ihnen zur Ansicht gebe.“

Severus fand ihr Verhalten heute etwas eigentümlich. Möglicherweise, so vermutete er, hatte sie etwas vor ihm zu verbergen, so dass er sich ihr bereits näherte und zuversichtlich sagte: „Ich möchte nur schnell einen Blick drauf werfen.“ Wieder seufzte sie und er musste sich arg zusammenreißen, um sie dafür nicht zu rügen oder sie zumindest auf ihr Verhalten anzusprechen. Ohne ihm in die Augen zu blicken hielt sie ihm das Pergament hin, welches er sofort entgegennahm. Er ging zurück zur Couch und setzte sich wieder, bevor er ihre Notizen betrachtete und dann stutzte er.

Hinter der Couch und leicht nach vorn gebeugt stand Harry, der über Severus’ Schulter blickte und sich mit einem breiten Grinsen an den gestrigen Abend und die Nacht erinnerte; wie Ron ihn zum Beispiel mit dem Kitzelfluch belegt hatte. Als er Rons Zeichnung von Hermine betrachtete, mit den wabernden Blasen drumherum, den vielen Pfeilen und seiner unsauberen Handschrift, da fragte er sich, was Severus jetzt wohl gerade denken mochte.

„Was ist das?“, fragte Severus verdattert, als er mit einem schmalen Zeigefinger auf Rons Zeichnung tippte.
Harry begann nun zu lachen, bevor er antwortete: „Na, das ist Hermine… Erkennt man doch an den Haaren oder?“ Wieder lachte Harry auf, doch als er kurz zu seiner Freundin hinüberblickte, bemerkte er, dass sie völlig ernst geblieben war; sich sogar über seinen Kommentar zu ärgern schien, weswegen sich seine Freude trübte. Rons Vorschlag von heute früh war ihr sehr aufs Gemüt geschlagen.
Severus räusperte sich und erklärte trocken: „Ich habe Miss Granger anders in Erinnerung. Jedenfalls mit vier Fingern und einem Daumen und nicht mit zwei Fingern und einem… Stumpf.“

Es brachte Hermine überhaupt nichts, ihre Tränen hinunterschlucken zu wollen. Zu wissen, dass Ron sich bereits mit einem anderen Mädchen – nein, einer anderen Frau – traf und somit jemanden hatte, der ihn trösten würde, machte sie eifersüchtig, auch wenn sie wusste, dass dieses Gefühl gar keine Berechtigung hatte, in ihr aufzukommen, doch stoppen oder unterdrücken konnte sie es nicht. Sie hatten oft genug über ihre Situation gesprochen und sie war diejenige gewesen, die immer versichert hatte, dass jeder sich nun nach einem anderen Partner umsehen könnte, ohne dem anderen gegenüber ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Trotzdem war sie neidisch auf Ron, denn sie ging davon aus, dass sie selbst etliche Jahre benötigen würde, um einen Mann zu finden, der zu ihr passen würde.

Wellen von Selbstmitleid kamen in ihr auf und sie drohte, in ihnen zu ertrinken. Wer würde schon einen Bücherwurm mit buschigen Haaren haben wollen? Sie musste sich von ihrem Neid auf Ron ablenken, dachte sie. Das Beste wäre, wenn sie sofort in die Bibliothek gehen würde, um sich in Arbeit zu stürzen, damit sie alles um sich herum vergessen konnte.

„Accio meine Notizen!“, sagte Hermine gefühlskalt, nachdem sie ihren Zauberstab gezückt hatte. Ihre Notizen befreiten sich aus dem lockeren Griff des Professors und landeten in ihrer freien Hand. Harry und Snape starrten sie sprachlos an, was sie nur aus den Augenwinkeln bemerkte, denn sie vermied es, die beiden direkt anzusehen.

Unachtsam stopfte die sonst so ordentliche Hermine ihre Aufzeichnungen in die Tasche zurück, so dass man deutlich hören konnte, wie das Pergament knitterte. Noch immer hatte sie den beiden Männern nicht einen Blick geschenkt, während sie sich bereits ihre Tasche griff und gleich darauf zur Tür stürmte. Sie drehte den Türknauf, doch die Tür öffnete sich nicht. Die beiden Männer waren so verdattert, dass keiner von ihnen bisher etwas gesagt hatte und Hermine wollte jetzt auch kein Gespräch beginnen, weswegen sie verzweifelt an der Tür rüttelte und den Knauf wie wild drehte.

Genervt nahm sie ihren Zauberstab zur Hand und sagte: „Alohomora!“ Der Zauberspruch bewirkte nichts, so dass sie wieder an der Tür rüttelte. Sie war den Tränen nahe, aber es kam auch Wut in ihr auf. Gereizt und einige Oktaven höher forderte sie, während sich derweil ein Hauch Verzweiflung in ihrer Stimme niederschlug, den sie nicht verbergen konnte: „Lassen Sie mich raus.“

Severus zog seinen Stab aus dem Ärmel und wedelte wortlos damit, so dass sich die Tür, die nur geschlossen, aber nicht verschlossen war, auf der Stelle öffnete. Ungläubig schaute er seiner Schülerin hinterher, die wie von der Tarantel gestochen das Weite suchte.

„Harry?“, fragte Severus aufblickend. Sein junger Kollege schaute ihn nur einen kurzen Moment lang verdutzt an, doch dann legte sich plötzlich ein Hauch von Verständnis über Harrys Gesicht, als würde er sehr wohl wissen, weshalb die junge Dame die Flucht ergriffen hatte. „Harry, hab ich irgendwas…?“
Harry unterbrach ihn kopfschüttelnd und versicherte ihm: „Nein, nein, Sie haben nichts gemacht.“ Er seufzte genauso, wie Miss Granger vorhin geseufzt hatte, bevor er noch anfügte: „Sie macht im Moment eine schwere Zeit durch. Nehmen Sie es ihr bitte nicht übel, ja? Ich geh ihr am besten mit dem Hund nach.“

In Windeseile leinte Harry den Hund an und rannte Hermine hinterher.

„Hermine!“, rief er ihr nach und er bemerkte, wie sie erst zögerte, dann jedoch ihren schnellen Schritt drosselte, letztendlich stehenblieb und auf ihn wartete. Nachdem er sie erreicht hatte, fragte er: „Ich dachte, wir wollten zusammen spazierengehen?“ Er versuchte, in ihre Augen zu sehen, doch sie schaute zu Boden.
„Nein Harry, ich will nicht. Ich möchte in die Bibliothek gehen!“, sagte sie bestimmend.
„Alles klar bei…“
Hermine unterbrach ihn, schüttelte den Kopf und sagte leise und schluchzend: „Nein, nichts ist klar bei mir. Wie denn auch?“
Harry wollte sie umarmen, doch sie wandte sich ab, so dass er fragte: „Vor was hast du so große Angst, Hermine?“
Leise und wimmernd antwortete sie: „Dass ich alleine bleibe…“ Sie schluckte einmal kräftig, bevor sie sich selbst eine Maske aufsetzte und energisch sagte: „Ich gehe jetzt. Ich habe wirklich Lust, in die Bibliothek zu gehen! Drück mir die Daumen, dass ich was herausbekomme. Ich kann immerhin nicht mit einer halbfertigen Theorie an die Öffentlichkeit gehen oder?“

Harry hatte keine Gelegenheit mehr, ihr viel Glück zu wünschen, denn sie eilte bereits den Gang entlang und verschwand hinter einer Ecke.

Im Ministerium war Susan mit der Liste fertig, die Arthur angefordert hatte. Alle Überfälle nach Voldemorts Sturz hatte sie kategorisiert. Es gab mehr Opfer, die den Familien von Todessern zugeordnet werden konnten und die hatten ausschließlich durch Magie den Tod gefunden. Die zweite Kategorie lautete „Todesfälle durch Muggelart“ und auch hier hatten die Opfer, wenn es auch weniger waren, selten überlebt. Häufig war Brandstiftung die Ursache für den Tod von Reinblütern und Halbblütern gewesen. Kein einziges Opfer, welches durch Feuer umgekommen war, war in irgendeiner Art und Weise mit einem Todesser verwandt oder befreundet. Zu Tode geprügelt war Christian Rosier aufgefunden worden und ob das ein Werk von Muggeln gewesen war, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen.

Diesen Bericht legte Susan dem Minister vor, der sofort alles stehen und liegen ließ, um einen Blick darauf zu werfen. Nach einer Weile, Susan wartete währenddessen, sagte Arthur schweren Herzens: „Es scheinen tatsächlich zwei verschiedene Gruppen zu sein, die hier ihr Unwesen treiben. Beide versuchen, so gut es geht, ihre Taten unauffällig zu gestalten, bis auf die beiden Attentate, die beide vereitelt werden konnten. Allerdings werden wir Mr. Tyler nicht mehr dazu befragen können, denn der wurde laut Abkommen bereits in die Muggelwelt ausgeliefert. Ich finde einfach keine Zeit, um…“

Arthur verstummte, denn er konnte vor Susan schwerlich zugeben, Severus dazu angehalten zu haben, ohne Genehmigung Legilimentik bei dem Täter einzusetzen. Er würde ihn bald fragen müssen, was er in Tylers Gedanken gesehen hatte, aber die Arbeit im Ministerium häufte sich auf erschreckende Weise. Erst letzte Woche hatte er wieder fünf Angestellten kündigen müssen, weil sie sich Zugriff zu Akten verschafft hatten, die sehr vertraulich waren. Akten, die mit Todessern zu tun hatten. Langsam gingen ihm die Auroren aus, die er den gefeuerten Angestellten auf den Hals hetzen konnte.

Tonks bildete gerade fünf neue Auroren aus. Die einzige Frau stellte Tracey Davis dar. Sie war mit Ron im gleichen Jahrgang gewesen und war damals, trotz ihrer Muggelabstammung, dem Hause Slytherin zugeordnet worden. Kevin Entwhistle hingegen stammte aus Ravenclaw, war ebenfalls mit Ron im gleichen Jahrgang gewesen und war wie Miss Davis muggelstämmig. Arthur legte Wert darauf, dass sich langsam ein Gleichstand von reinblütigen, halbblütigen und muggelstämmigen Mitarbeitern im Ministerium einpendelte. Er hoffte zudem innig, dass die Attentate nicht Überhand nehmen würden, denn ohne Hinweise auf die Täter war er völlig hilflos.

Die Bibliothek im vierten Stock war zwar für jedermann geöffnet, aber menschenleer. Für die nächsten Stunden wollte Hermine heute niemanden mehr sehen und so war sie überglücklich, hier niemanden anzutreffen, nicht einmal Madam Pince. Die Bibliothekarin war nicht an ihrem üblichen Platz und da das Pult auch so aufgeräumt und frei von jeglichen Klemmbrettern, Karteikarten und Büchern war, ging Hermine davon aus, dass Madam Pince erst zum ersten September nach Hogwarts zurückkehren würde.

In der riesigen Bibliothek blieb Hermine zunächst stehen und blickte sich bezaubert um, denn sie erinnerte sich daran, wie verzückt sie gewesen war, als sie das erste Mal diese Räume des angehäuften Wissens betreten hatte. Einmal tief ein- und ausatmend ergötzte sie sich an dem Geruch von altem Pergament, Papier und Leder sowie dem Duft von Holzpolitur und Bohnerwachs. Offenbar hatte Mr. Filch hier ganze Arbeit auf Muggelart geleistet. Der Boden glänzte und wirkte wie neu und die Fenster waren geputzt, so dass die Sonne mit Leichtigkeit in den Raum hineinscheinen konnte, um ihn nicht nur zu erwärmen, sondern ihn auch gemütlich und heimelig zu machen. Hier fühlte sich Hermine richtig wohl!

Es war nie schwer gewesen, einen freien Platz in der Bibliothek zu finden, denn viele Schüler hatten damals nicht den Drang verspürt, sich hier freiwillig aufzuhalten, aber heute hatte sie wirklich freie Platzwahl, was ihr die Entscheidung, einen Ort zu finden, um sich heute für etliche Stunden niederzulassen, schwerer machte als geahnt. Letztendlich wählte sie einen kleineren, länglichen Tisch, der sich direkt an einem Fenster befand und der von zwei Bücherregalen vor neugierigen Blicken geschützt war. Sie glaubte zwar nicht, dass sich heute jemand hierher verirren würde und schon gar nicht hatte sie etwas zu verbergen, aber sollte doch jemand hier auftauchen, würde man sie in dieser versteckten, kleinen Nische nicht sofort bemerken.

Sie ließ sich Zeit, um all ihre Unterlagen auf dem Tisch auszubreiten, bevor sie sich auf den Weg machte, durch die Gänge mit den hohen Regalen zu schlendern, um nach Büchern über Farben und Auren Ausschau zu halten, doch sie hielt natürlich stets die Augen nach Büchern offen, die allgemein ihr Interesse wecken könnten. Das Einzige, was sie hörte, waren ihre eigenen Schritte und deren Widerhall. Sie bemerkte nicht das fast lautlose Rascheln eines Umhanges, die vorsichtigen Schritte auf dem gebohnerten Boden und auch nicht das stille Atmen einige Regale entfernt.

Aus einer unerklärlichen Motivation heraus war Severus seiner Schülerin gefolgt. Er hatte jahrelange Praxis hinter sich und wusste, wie er selbst in einem so hellen Raum für sie unsichtbar bleiben konnte. Die Bibliothek kannte er in- und auswendig, denn schon als Schüler hatte er hier seine meiste Freizeit verbracht. Hier hatte er Ruhe vor Übergriffen gehabt, denn bis auf Lupin hatten die Rumtreiber diesen Ort so gut es ging gemieden. Severus folgte ihr nicht nur mit den Augen, als Miss Granger, wie hätte es anders kommen sollen, in den Regalen die Bücher über Wahrsagen, Hellsehen und fachverwandte Themen beäugte. Er hörte, wie sie leise die Buchtitel vorlas und nur, wenn sie sich unter einem Titel nichts vorstellen konnte, griff sie nach dem Werk und blätterte darin herum, bevor sie es weglegte oder es sich unter den Arm klemmte.

Mit fünf dicken Wälzern, die sie kaum noch tragen konnte, ging sie an ihren Platz zurück und Severus folgte ihr lautlos. Sie hatte sich bereits gesetzt und das erste Buch aufgeschlagen, als er sich ihr von hinten näherte. Mit dem Zeigefinger als Lesehilfe überflog sie zunächst die Inhaltsangabe, bevor sie sich Kapitel und deren Seiten notierte, die sie für vielversprechend hielt und wie er selbst es früher immer bei seinen Recherchen gehandhabt hatte. Dann begann sie damit, die Kapitel, die ihres Erachtens Antworten auf ihre Fragen beinhalten könnten, zu lesen, während er – nur durch ein Bücherregal von ihr getrennt – direkt hinter ihr stand und ihre buschigen Haare betrachtete.

Er erschrak, als er plötzlich völlig überraschend ihre Stimme vernahm, doch er gab trotzdem keinen Laut von sich, während er sie herablassend murmeln hörte: „Zwei Finger und einen Stumpf…“ Gleich darauf schnaubte sie verachtend, bevor sie wütend nach dem zerknitterten Pergament in ihrer Tasche fischte, welches sie vorhin seinen Händen entrissen hatte. Sie glättete die Falten mit der flachen Hand, hielt es sich danach vor die Nase und betrachtete es, bevor sie es noch viel wütender wieder auf den Tisch knallte.

Severus überlegte, ob er vorhin mit seinem Kommentar bei Miss Granger in Ungnade gefallen sein könnte, doch Harry hatte ihm versichert, dass er nichts getan hatte. Was war es nochmal gewesen, was Harry vorhin gesagt hatte? Miss Granger würde eine „schwere Zeit“ durchmachen, zitierte Severus seinen jungen Kollegen in Gedanken. Die Frage war nur, weshalb das so war. Wieder murmelte sie vor sich hin: „Es gibt mehr an mir als nur buschige Haare. Ich hab auch noch andere Merkmale, verdammt!“ Dann seufzte sie, bevor sie sich wieder dem Buch widmete.

Er blieb eine ganze Weile ungesehen hinter seiner Schülerin stehen, denn er hoffte, noch länger ihren Selbstgesprächen lauschen zu können. Ihre Stimme hatte für ihn schon lange etwas Vertrautes. Während seiner Tage als Spion war er zu der Ansicht gekommen, dass besonders Menschen, die unter Stress litten, sich zu Selbstgesprächen hinreißen ließen. Wenn sie sich allein dachten, redeten sie mit sich selbst über alles Mögliche, was sie belastete. Peter Pettigrew war zum Beispiel so ein Schwätzer gewesen, der oftmals alten Zeiten nachgetrauert hatte, aber meist nur in Selbstmitleid versunken war. Lucius hingegen hatte häufig leise geflucht, wenn er sich allein glaubte, aber selbst daraus hatte Severus immer einige Informationen entnehmen können. Äußerst schaurig war es immer gewesen, Bellatrix zu belauschen. Es war eine wunderliche Angewohnheit von ihr gewesen, mit gedämpfter Stimme vor sich herzusingen: gewalttätige Texte zu sanften Melodien, die einem Schlaflied für Kinder ähnelten. Ihr gesunder Menschenverstand hatte sich vor langer, langer Zeit längst verabschiedet. Wenn es mit der Zeit auch immer schwerer geworden war, den Anhängern des Dunklen Lords heimlich zu folgen und sich derweil stets mucksmäuschenstill und unsichtbar zu verhalten, damit sie sich weiterhin allein glauben konnten, so war es doch eine notwendige Aufgabe gewesen, denn in Selbstgesprächen waren die Menschen immer ehrlich.

Als Miss Granger etwas aus ihrer Tasche kramte, beobachtete Severus sie wieder aufmerksamer. Er musste ein Buch des Regals, welches ihn von ihr trennte, leicht zur Seite kippen, damit er sehen konnte, was sie auf den Tisch gestellt hatte. Es war eine rundliche Packung, die sie öffnete, bevor sie noch eine Folie entfernte. Nach etlichen Minuten, in denen sie diese Packung nicht mehr angerührt hatte, zog sie auch noch einen großen Löffel aus ihrer Tasche und begann damit, in der Bibliothek… zu essen? Severus stutzte. Miss Granger müsste es eigentlich besser wissen, dachte er. Es war kein Geheimnis, dass Madam Pince „ihre“ Bücher wie eigene Kinder hütete. Sollte Miss Granger auch nur ein wenig Eiscreme an dem Finger haben, mit dem sie eine Seite umzublättern gedachte, würde das Buch wild um sich schlagen oder laut kreischen. Die Schutzzauber der Bibliothekarin würden die Bücher schon vor Verschmutzung zu schützen wissen.

Miss Granger blätterte, las und notierte sich hin und wieder etwas, bis sie die fast leere Eispackung, die sie nebenbei verschlungen hatte, in die Hand nahm und sich zurücklehnte, um gewissenhaft das letzte bisschen süße Köstlichkeit herauszukratzen. Mit einem Male schrie Miss Granger auf und sagte: „WAS? 1285 Kalorien? Oh mein Gott...“

Es folgte ein amerikanisches Schimpfwort mit dem Buchstaben „f“ beginnend, von welchem er nie gedacht hätte, es jemals aus Miss Grangers Mund zu hören. Aber Severus hätte auch nie von Miss Granger geglaubt, dass eine Kilokalorienangabe sie so aus dem Häuschen bringen könnte, denn normalerweise war sie anders als die Frauen, die er sonst noch kannte.

Severus erinnerte sich daran, wie selbst Miss Bones während der Preisverleihung mit Draco indirekt über Gewichtsprobleme gesprochen hatte, denn sie hatte zu ihm gesagt „Sie machen einen neidisch! Andere müssten tagelang hungern, um wieder auf ihr Gewicht zu kommen.“. Doch Miss Granger hatte sich nie darum geschert, wie kalorienhaltig eine Mahlzeit gewesen war. Sie trug auch nie Kleider oder Röcke, sondern immer nur Hosen und Shirts, höchstens mal eine schicke Bluse. Offensichtlich hatte sie erkannt, dass ein wehender Rock nicht die passende Garderobe für eine Umgebung war, wo mit kleinen Fläschchen, Ampullen und mit feinen Zutaten hantiert wurde, die leicht vom Tisch gefegt werden könnten. Er selbst trug nie seinen wehenden Umhang, wenn er arbeitete.

Hermine las und las und immer wieder notierte sie sich etwas. Nur einmal glaubte sie, den Duft von Bitterem Beifuß zu vernehmen, den man für die Herstellung des „Tranks der lebenden Toten“ verwendete, doch vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Sie hatte bisher Erklärungen für Rons Farben notiert. In allen Büchern, ob sie nun die Aura eines Menschen behandelten oder über irgendwelche geistigen Kräfte berichtete, wurden die Farben mit den gleichen Eigenschaften verknüpft.

Während sie in ihr Notizbuch schrieb, murmelte sie vor sich her: „’Kräftiges Rot: Viel Energie, große Veranlagung für sportliche Aktivität.’ Warum überrascht mich das jetzt nicht? ’Rot vermischt mit Grün: Aufrichtigkeit, Unvoreingenommenheit. Helles Violet’…“ Sie nahm das Buch nochmals genauer unter die Lupe und las laut vor: „’Helles Violet zeugt von hoher Opferbereitschaft, großem Edelmut und Selbstlosigkeit und ist nur bei hoch entwickelten Seelen zu finden.’“ Sie stutzte einen Moment und sagte danach zu sich selbst: „Das gefällt mir schon mal! Ich habe wirklich viel mit Ron gemein… ich hatte ja auch den violettfarbenen Schein um mich herum.“

Das Gelesene notierte sie sich, bevor sie sich auf ihre Farben stürzen wollte, doch da hielt sie plötzlich inne. Sie dachte eine ganze Weile lang nach, bevor sie die Feder weglegte und aufstand, um nochmals durch die Regale zu gehen.

Severus folgte ihr so gut es ging. Es musste ein bestimmtes Buch gewesen sein, welches vorhin beim Stöbern offensichtlich Miss Grangers Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie hatte es wiedergefunden und zog es aus dem Regal heraus, aber sie ging nicht zurück an ihren Tisch, sondern blätterte und las im Stehen darin. Severus bedauerte es, nicht näher an sie herantreten zu können, denn sie stand mitten auf dem Gang und er konnte nicht auf sie zugehen, ohne dass sie es bemerken würde. So beobachtete er sie eine ganze Weile aus der Ferne, ohne ihre gemurmelten Worten hören zu können, doch eines versuchte er sich zu merken, nämlich den Standort des Buches, welches sie nach einer Stunde, in der sie darin im Stehen gelesen hatte, wieder zurückstellte. Später wollte er nachsehen, welches Buch es gewesen war, das seine Schülerin so sehr gefesselt hatte, dass sie einen Teil davon bereits an Ort und Stelle verschlungen hatte.

Während Miss Granger wieder ihre Sachen zusammenpackte, suchte Severus ungesehen das Weite.


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Wir haben immer schon gespürt, dass sich zwischen Ron und Hermine etwas entwickelt, obwohl ich und Emma uns dessen nicht bewusst waren. Doch in diesem Film gestehen beide sich das ein. Als Hermine mit Viktor Krum auf dem Weihnachtsball erscheint, kapiert Ron endlich, dass er etwas für sie empfindet.
Rupert Grint