von Muggelchen
Am nächsten Morgen gab es, wie Minerva es später zu bezeichnen pflegte, einen kleinen Wirrwarr während des Frühstücks. Vom Geruch der warmen Würstchen und des gebratenen Specks war Ginny, die sich jetzt in der ersten Woche des neunten Monats ihrer Schwangerschaft befand, übel geworden und sie konnte sich gerade noch vom Tisch abwenden, um sich gleich darauf geräuschvoll zu übergeben, während Meredith sich aus lauter „Sympathie“ gleich mit erbrechen musste. Die meisten Anwesenden waren erschrocken vom Frühstückstisch aufgesprungen, um entweder zu Hilfe zu eilen oder ihren eigenen Würgreiz mit vorgehaltener Hand unter Kontrolle zu bekommen. Ein Junge schrie sogar aufgebracht „Sie bekommt ihr Baby!“, was natürlich nicht stimmte. Lediglich der strenge Geruch des Essens war ihr auf den empfindlichen Magen gestoßen, der sich trotz des Mangels an aufgenommener Nahrung daraufhin leeren wollte.
Poppy hatte sich der jungen Miss Weasley angenommen und sie vorsichtshalber in den Krankenflügel geführt. Minerva, Harry und Filius beseitigten per Zauberei das Erbrochene, während Albus alle Schüler freundlich dazu aufforderte, wenn ihnen überhaupt noch danach sein sollte, sich etwas vom Tisch zu nehmen, um in ihren Gemeinschaftsräumen oder bevorzugt an der frischen Luft weiterzufrühstücken. Während dieses „Wirrwarrs“ war Severus völlig unbeeindruckt von der Aufregung um ihn herum am Frühstückstisch sitzen geblieben, um genüsslich sein Käsebrötchen zu verzehren.
„Wie können Sie dabei nur weiter essen?“, fragte Harry ihn ungläubig.
„Ich musste schon bei ganz anderen Gelegenheiten einen kühlen Kopf bewahren, Harry. Ach, da fällt mir ein: Hätten Sie heute einen Moment Zeit? Sagen wir, vor dem Mittagessen? Ich möchte Ihnen in meinem Büro etwas gegen Ihre ’Kopfschmerzen’ geben“, erwiderte Severus gelassen, bevor er den Rest seines Frühstücks mit dem letzten Schluck Kaffee hinunterspülte und sich auf den Weg zu seinem Patensohn machte, um das Formular vom „Amt für die Neuzuteilung von Hauselfen“ abzuholen.
Im Krankenflügel versicherte Ginny einer aufgebrachten Madam Pomfrey: „Nein wirklich, das war nur der Geruch von dem Gebratenen. Davon ist mir schlecht geworden. Jetzt hab ich aber richtig Hunger bekommen!“
Poppy hatte seit ihrer Zeit in Hogwarts keine Babys mehr zur Welt gebracht, aber sie stellte nichtsdestotrotz eine ausgebildete Hebamme dar.
Sie untersuchte Ginny trotz Einwände und erklärte danach: „Sollte das Kind jetzt schon kommen, wären das über drei Wochen zu früh, aber sehr gefährlich wäre es nicht mehr, nur damit Sie sich keine Sorgen machen, Miss Weasley. Manche Kinderchen können es halt nicht abwarten und kommen schon früher in diese Welt! Sie wissen ja, dass der Geburtstermin laut Berechnung der 31. August sein soll.“
„Da wird Harry sich aber freuen“, sagte Ginny leise und weniger begeistert.
Er liebte sie, das war ihr klar, aber in ihr wuchs das Kind von einem anderen Mann, weswegen sie ein kaum zu beschreibendes, mulmiges Gefühl im Magen verspürte. Welcher Mann würde sich darüber freuen? Ginny selbst hatte am 11. August, ihr Bruder Percy am 22. August Geburtstag. Ihr Kind würde im gleichen Monat wie sie zur Welt kommen, was sie wieder ein wenig fröhlicher stimmte.
„Natürlich wird er sich freuen, Miss Weasley! Haben Sie ihm etwa noch nichts Genaueres über die Schwangerschaft erzählt? Zum Beispiel, was es werden wird?“, fragte Madam Pomfrey, die der Schwangeren half, sich wieder vom Bett zu erheben. Sie schüttelte nur mit traurigem Gesichtsausdruck den Kopf, doch Pomfrey erklärte ihr daraufhin: „Mr. Potter war einige Male bei mir gewesen und hatte sich erkundigen wollen, ob bei Ihrer Schwangerschaft alles im grünen Bereich wäre. Er war neugierig und hat gefragt, ob ich ihm sagen würde, ob es ein Junge oder Mädchen werden würde.“
Ginny zog beide Augenbrauen erstaunt in die Höhe. Harry hatte sich wegen ihres Wohlergehens erkundigt und darüber hinaus sogar wegen ihres Babys?
Madam Pomfrey bemerkte die Überraschung ihrer Patientin und erklärte: „Natürlich konnte ich ihm nichts anderes sagen, als dass alles in Ordnung wäre, denn er ist ja weder ein Familienangehöriger noch Ihr Verlobter oder Ehemann. Schweigepflicht – Sie verstehen? Deshalb darf ich ihm überhaupt nichts sagen, völlig egal wie oft er versucht mich auszufragen.“
Vor dem Mittagessen besuchte Harry seinen älteren Kollegen, der ihm sofort das gerollte Formular in die Hand drückte und ihm nahelegte, es an einem Ort auszufüllen, an dem er keine „Kopfschmerzen“ haben würde – also in der Muggelwelt. Er sollte sich offenbar gleich darum kümmern, denn Severus drängte ihn zu seinem Kamin hinüber und sagte, in der Nähe der Winkelgasse fände er bestimmt ein ruhiges Plätzchen und so flohte Harry in die Winkelgasse und sein kleiner Spion mit ihm. Nachdem er den Pub „Zum Tropfenden Kessel“ hinter sich gelassen und die Straße der Muggelwelt betreten hatte, war der observierende Hauself nicht mehr bei ihm. Aus einer Laune heraus besuchte er Sirius’ Freundin, die hier ganz in der Nähe wohnte, damit er bei ihr gemütlich das Formular ausfüllen konnte.
„Harry, was machst du denn hier?“, fragte sie etwas verwirrt, nachdem sie ihre Wohnungstür geöffnet hatte.
„Darf ich reinkommen? Ich möchte nur in Ruhe etwas erledigen und dann geh ich auch schon wieder“, versprach er ihr, so dass sie es ihm nicht abschlagen konnte.
„Ich hab aber Freundinnen zu Besuch“, flüsterte sie, während sie ihn hereinbat. „Nur dass du Bescheid weißt!“
Natürlich würde er in Gegenwart von anderen Muggeln nicht zaubern.
Im Wohnzimmer begrüßte er knapp die drei jungen Frauen, die alle Annes Alter zu haben schienen und somit um die zehn Jahre älter waren als er selbst. Anne führte ihn danach in die Küche und bot ihm einen Platz am Küchentisch an, den er dankend annahm.
„Sag mal, hast du einen Kugelschreiber?“, fragte er Anne, die ihm bereits ungefragt eine Tasse Kaffee vor die Nase stellte.
„Ja, ich hol dir einen. Moment…“, erwiderte sie und verschwand im Wohnzimmer.
In der Zwischenzeit las sich Harry das Pergament durch und betrachtete die Felder, die er ausfüllen musste.
„Was zum…?“, flüsterte er stutzend.
Hermine würde ihn umbringen, wenn sie wüsste, dass Severus von ihm verlangte, einen eigenen Hauself beim Zaubereiministerium zu beantragen. Warum nur sollte er so etwas tun, fragte er sich. Einerseits wusste er, dass Severus so etwas nicht aus Jux und Tollerei vorschlagen würde, aber andererseits konnte er sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, einen Elf in seinen Diensten stehen zu haben. Natürlich musste er sofort an Dobby denken und wie der unter den Malfoys gelitten hatte, doch Harry würde einen Hauself selbstverständlich mit Respekt behandeln und gerade das müsste Hermine doch wissen. Eigentlich haderte Harry nur mit sich selbst, weil er nicht Hermines Zorn auf sich ziehen wollte, doch da wurde er schon aus seinen Gedanken gerissen, als Anne ihm etwas zum Schreiben brachte.
Mit einem Kugelschreiber auf Pergament zu schreiben erwies sich als sehr schwierig, weil es nicht wie Papier hart war, sondern sehr weich und er aufpassen musste, keine Löcher ins Pergament zu reißen. Doch auch hier konnte Anne Abhilfe schaffen, denn sie besaß noch einen Steno-Füllfederhalter, mit dem er, fast wie mit einer Feder, ganz einfach das Formular ausfüllen konnte.
Viele Felder kreuzte er gar nicht an, denn die musste man nur berücksichtigen, sollte man einen Elf benötigen, der sich zum Beispiel mit Tieren auskennen müsste und selbst da gab es noch den Unterschied, ob der gewünschte Elf nur mit Haustieren oder sogar mit Nutztieren vertraut sein sollte. Um Hedwig würde Harry sich weiterhin selbst kümmern, weswegen er das Kästchen frei ließ. Völlig gedankenverloren setzte er den Haken bei „Kinder im Haushalt vorhanden“, denn er dachte fast unentwegt an Ginny, aber das war schon seit etlichen Wochen so. Immer wieder drehte sich in seinem Kopf alles um seine Freundin, die offiziell nicht seine Freundin sein durfte.
Nachdem er alles ausgefüllt hatte, alle Häkchen gesetzt waren und er das Formular noch einmal gründlich durchgegangen war, setzte er am unteren rechten Rand seine benötigte Unterschrift, um den Antrag gültig zu machen. Womit er gar nicht gerechnet hatte, war, dass der Antrag sich vor seinen Augen in Luft auflöste und fast zeitgleich ein lautes Plop ertönte und in Annes Küche plötzlich ein in eine Art graufarbene Toga gewickelter Hauself vor ihm stand, der mit piepsiger Stimme sagte: „Harry Potter, Sir. Seien Sie wärmstens gegrüßt. Mein Name ist Wobbel und ich bin ab jetzt Ihr Hauself.“
Während Harry das freundlich wirkende Geschöpft mit offen stehendem Mund anstarrte, öffnete sich die Tür zur Küche.
In den Kerkern setzte Narzissa ihren Sohn und auch Severus darüber in Kenntnis, dass sie vor einiger Zeit einen Antrag beim Ministerium gestellt hätte, mit dem sie ihren Anspruch auf das Malfoy-Anwesen und sämtliche Gelder und Besitztümer ihrer Familie geltend gemacht hatte.
„Sie schreiben zurück, ich müsste lediglich bei Gringotts meine Identität bestätigen lassen und schon würde ich zumindest wieder über die Gelder unserer Familie verfügen. Das Anwesen würde man mir, nachdem Gringotts ihre Identitätsbestätigung ans Ministerium weitergeleitet hätte und die Mitarbeiter dort das nochmals geprüft hätten, frühestens im November übergeben können. Das hört sich doch gut an oder, Draco?“, fragte Narzissa freudestrahlend.
Draco überlegte, ob er sich dazu überwinden könnte, mit seiner Mutter wieder in Malfoy-Manor zu leben. Sicherlich würde ihr selbst die schwermütig finstere Atmosphäre des Hauses nicht mehr zusagen. Womöglich würde sie es von oben bis unten umdekorieren, denn das war es gewesen, was Susan ihm einmal empfohlen hatte. Als er Susan erneut davon berichtet hatte, wie dunkel und ungemütlich das alte Herrenhaus sein würde, hatte sie gekontert, dass man so etwas mit etwas Farbzauber ganz leicht umgestalten könnte. Ein wenig Beige hier, etwas Gelb dort und schon würde alles freundlicher aussehen. Mittlerweile stieß ihn der Gedanke nicht mehr ab, in sein altes Zuhause umzuziehen und er würde zu gegebener Zeit Susan fragen, ob sie dort mit ihm wohnen wollte. Das Herrenhaus war groß genug für alle.
Nach dieser Neuigkeit machte Severus sich auf in sein Büro, denn in seinem privaten Labor, welches man auch von seinem Büro aus erreichen konnte, wollte er heute mit Miss Granger ihre Theorie in die Praxis umsetzen. Sie wollten zusammen einen Trank brauen, der Magie sichtbar machen sollte und womöglich sogar Harrys Gabe, wobei Letzteres nur noch zweitrangig zu sein schien.
Zur gleichen Zeit in London stand Anne an der offenen Küchentür und blickte wie versteinert und mit weit aufgerissenen Augen auf den kleinen Hauself. Sie bemerkte nicht einmal, wie sich eine ihrer Freundinnen hinter ihrem Rücken mit einer Tasse in der Hand an ihr vorbeischlängelte, um sich etwas Kaffee nachzuschenken. Auch diese junge Frau blieb wie angewurzelt stehen, als sie die merkwürdige, grauhäutige Kreatur mit spitzen Ohren und kleiner Knubbelnase erblickte, die sie mit einem breiten Grinsen anschaute und sich zur Begrüßung tief verbeugte.
„Seien Sie gegrüßt, die Damen!“, sagte Wobbel äußerst höflich, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte. In diesem Moment schlug sich Annes Freundin eine Hand vor den Mund, um einen Schrei zu vermeiden.
Anne löste sich aus ihrer Starre und schloss aufgeregt die Tür hinter sich und ihrer Freundin, bevor sie Harry leise, aber dennoch gefährlich zischend fragte: „Was zum Teufel soll das? Ich hab dir doch gesagt, ich habe Besuch!“ Danach wandte sie sich an ihre Freundin und fragte besorgt: „Bethany? Kannst du mir versprechen, nicht zu schreien?“ Ihre Freundin Bethany schüttelte den Kopf, so dass Anne sich genötigt fühlte zu empfehlen: „Dann lass die Hand dort, wo sie jetzt ist – auf deinem Mund!“ Ihre Freundin nickte und behielt ihre Hand auf dem Mund.
„Es tut mir so Leid, Anne! Wirklich! Ich wusste ja nicht, dass das passieren würde. Ich habe nur…“
Harry wurde unterbrochen, als Anne schimpfte: „Harry! Du wirst dafür sorgen, dass hier keiner von diesen Vergissmich-Idioten auftauchen wird, hast du verstanden?“
Harry wusste sofort, weswegen Anne sich so aufregte. Die „Vergissmich“ waren Angestellte des Ministeriums aus der „Abteilung für magische Unfälle und Katastrophen“, die sich um jeden Muggel „kümmerten“, der magieverdächtige Dinge gesehen hatte. Er erinnerte sich daran, wie Ron und er damals mit dem fliegenden Ford Anglia von Arthur zur Schule geflogen waren, weil sie den Hogwarts-Express verpasst hatten – was im Übrigen Dobbys Verschulden gewesen war. Das Problem war nur, dass einige Muggel sie dabei gesehen hatten. Die Erinnerungen von insgesamt acht Menschen waren damals von den Vergissmich „optimiert“ worden – die Erinnerungen an ein fliegendes Auto hatte man kurzerhand gelöscht.
Ein zweiter Blick in die Vergangenheit führte ihm vor Augen, dass man auch seine Tante Magda, die er damals noch vor Beginn des dritten Schuljahres per Zauber aufgebläht hatte, so dass sie im wahrsten Sinne des Worte in die Luft gegangen war – sie schwebte hinauf gen Himmel – nach diesem Vorfall einer Gedächtnisoptimierung durch die Vergissmich unterzogen hatte. Danach hatte sie sich nicht mehr an diesen Vorfall erinnern können. Schlimmer war es bei Mr. Roberts, dem Verwalter eines Campingplatzes, gewesen. Der Zeltplatz befand sich mitten in einem sehr einsamen, britischen Sumpf- und Waldgebiet, und während der Quidditch-Weltmeisterschaft hatte Mr. Roberts plötzlich einen unverhofften Ansturm von Campern zu verzeichnen – Zauberer und Hexen, die sich gar nichts dabei gedacht hatten, in seiner Gegenwart zu zaubern. Dem guten Mann waren mehrmals die Erinnerungen an einige sehr seltsame Erlebnisse gelöscht worden; alles zum Wohle der Zauberergesellschaft und zur Geheimhaltung der magischen Welt.
Von Sirius hatte Anne erfahren, dass das Löschen von Erinnerungen möglich war und sie wollte ihrer Freundin diese Behandlung ersparen. Allein der Gedanke daran, seiner Erinnerungen beraubt zu werden und sich als Muggel nicht einmal dagegen zur Wehr setzen zu können, war für Anne eine grauenvolle Vorstellung. Das war bisher eine der schlimmsten Dinge, die sie von ihrem Freund über die Zaubererwelt erfahren hatte. Anne wollte auf gar keinen Fall, dass dies mit ihrer besten Freundin geschehen würde.
„Ich werde versuchen…“
Harry wurde erneut von Anne unterbrochen, die mit leiser, aber sehr bedrohlicher Stimme, wie er es sonst nur von Severus kannte, forderte: „Nein, du SORGST dafür, dass die sie in Ruhe lassen!“
Zitternd entfernte Bethany ihre Hand vom Mund und sagte mit bebender Stimme ihre ersten Worte: „Die werden nicht kommen.“
Ungläubig blickten Harry und Anne auf die unscheinbar wirkende Bethany, die sich ihre braunen Haare mit beiden Händen gleichzeitig hinter ein Ohr klemmte. In ihren Augen hatten sich Tränen gesammelt, aber sie schien sich beruhigt zu haben, obwohl sie noch ein wenig aufgeregt atmete.
Wobbel meldete sich zu Wort und sagte mit hängenden Ohren und trauriger, hoher Stimme: „Ich habe nicht gewollt, dass Sie Ärger bekommen, Mr. Potter. Ich werde mich natürlich dafür bestraf…“
„Nein!“, unterbrach dieses Mal Harry. „Es ist nicht deine Schuld, Wobbel.“ Für einen Moment stutzte er, nachdem der komisch klingende Name des Hauselfen ihm das erste Mal über die Lippen gekommen war. „Sei nur still, ja? Du wirst nicht bestraft werden!“, versicherte Harry seinem Elf mit freundlicher Stimme.
Nach einem Moment hatte sich Bethany gefasst, bevor sie leise fragte: „Das ist einer von diesen Hauselfen, richtig?“ Aufgrund der fragenden Blicke, die ihr zugeworfen wurden, erklärte sie eher an Anne gerichtet: „Ich hatte dir damals doch erzählt, dass mein Bruder in Frankreich ein Internat für Jungen besucht. Na ja, das war ein Internat für… für Zauberer.“
Annes Augen weiteten sich vor Staunen, doch sie behielt die Fassung und fragte vorwurfsvoll: „Frank war ein Zauberer und du hast mir nie davon erzählt?“ Nörgelnd warf sie noch hinterher: „Wir sind seit dem Sandkasten die besten Freundinnen, Beth!“
Ihre Freundin rechtfertigte sich reumütig, indem sie mit Tränen in den Augen erklärte: „Aber du hast es doch gewusst – zumindest für einen Tag.“ Sie zwang sich ein gequältes Lächeln ab, bevor sie fortfuhr: „Wir waren im Zoo…“ Beth konnte einen Schluchzer nicht unterdrücken und ihr lief eine Träne über die Wange, als sie tief bewegt schilderte: „Frank hat dir ganz stolz erzählt, dass er ein Zauberer ist und dass er zu seinem elften Geburtstag einen Brief aus Frankreich erhalten hatte und er im September dort zur Schule gehen würde – zur Schule für Hexerei und Zauberei. Du hast ihm natürlich nicht geglaubt und da hat er… es dir einfach gezeigt.“
Völlig verdattert schüttelte Anne den Kopf, bevor sie stockend sagte: „Ich weiß davon nichts! Ich kann mich nicht an so etwas erinnern. Er hat mir nie…“
Doch dann machte plötzlich alles Sinn und sie schluckte mehrmals, um nicht auch noch weinen zu müssen.
Mit von den Tränen schon ganz glasigen Augen und mit zitternder Stimme, ab und an schluchzend, sagte Beth leise und einige Oktaven höher: „Die Vergissmich sind gekommen und haben die Stunden aus deinem Gedächtnis gelöscht, Anne! Ich konnte nichts dagegen machen... Ich wollte, aber sie haben mich magisch gefesselt und mir meine Stimme weggezaubert. Frank hat geweint und geschrieen, dass sie dich in Ruhe lassen sollen, aber dann… Es ging so schnell, Anne.“
Bethany hatte auf Annes Wunsch hin die anderen beiden Freundinnen nachhause geschickt, so dass Harry, Anne und Beth sich im Wohnzimmer ein wenig darüber unterhalten konnten, was gerade ans Tageslicht gekommen war. Der Elf hörte aufmerksam und mit kugelrunden Augen zu, äußertes sich jedoch nicht. Beth machte die ganze Sache mehr zu schaffen als Anne, was man damit erklären konnte, dass Anne ja keine Erinnerung mehr an diesen schrecklichen Tag hatte.
„Beth, jetzt ist aber mal genug. Hör auf zu weinen“, sagte Anne mitfühlend und zum Trost streichelte sie ihrer Freundin den Rücken.
Mit wenigen Sätzen hatte Beth erzählt, dass sie von ihrem Bruder natürlich viele Briefe per Eule aus seinem Internat erhalten hatte und er ihr neben vielen anderen Dingen auch ausführlich darüber berichtet hatte, wie Hauselfen das Essen zubereiten würden oder aufräumten und die Wäsche machten. Er hatte die kleinen Wesen so bildhaft beschrieben, dass Beth beim Anblick von Wobbel sofort das Wort „Hauself“ durch den Kopf geschossen war.
„Frank war also ein Zauberer… So, so. Beth? Du verheimlichst mir aber nicht noch etwas oder?“, fragte Anne vorsichtig, doch Beth schüttelte nur den Kopf. Sie war ein normaler Muggel, nicht mal ein Squib. „Ich kann nicht glauben, dass man mir als Kind einfach die Erinnerung genommen hat. Diese… Wie alt war ich da?“ Anne rechnete im Kopf nach, bevor sie aufgebracht zeterte: „Gott, ich war erst acht Jahre alt! Gibt es denn keine Gesetze gegen so was? Ich war noch ein Kind, verdammt und zugenäht!“, meckerte Anne.
Harry hatte sich damals nie Gedanken darüber gemacht, wie es den Menschen ergehen würde, denen man das Gedächtnis optimiert hatte. Nur aufgrund Lockharts Schicksal wusste er, was geschehen konnte, wenn so ein Vergissmich- oder Obliviatezauber schief ging, aber dass die Vergissmich ganz offensichtlich nicht einmal vor Kindern Halt machten, das war ihm ein Dorn im Auge. Wenn ein Kind mit acht Jahren herumerzählen würde, dass ein Freund gezaubert hätte, dann würde jeder Erwachsene es sicherlich auf die Fantasie des Kindes schieben, dachte er. Einen Vergissmich-Zauber bei einem Kind anzuwenden war selbst in Harrys Augen ethisch nicht vertretbar.
Nach einem Moment der Stille brach es aus Anne heraus: „Beth? Ich muss dir was sagen: Sirius ist ein Zauberer!“
Beth nickte und entgegnete lediglich lächelnd: „Das habe ich mir ehrlich gesagt schon gedacht!“ Bevor Anne fragen konnte, warum das so wäre, erklärte Beth nicht sehr ernst: „Ein Kerl, der nicht mit einer Fernbedienung umgehen kann, ist entweder ein völliger Idiot oder ein Zauberer! Und da er kein Idiot ist…“ Harry lachte einmal laut auf, während Beth neckisch grinste, so dass Anne endlich auch wieder lächeln konnte.
Die drei unterhielten sich eine Weile über die Deistigkeit, einem Kind Erinnerungen zu stehlen. Das Gespräch kam auf die Gesetze der Zaubererwelt und auf das Zaubereiministerium.
„Ich werde mich darüber beschweren! Ich werde mich beim Zaubereiministerium beschweren, dass man mir als Achtjährige eine Erinnerung gestohlen hat. Jawohl, das mach ich! Die werden mich kennen lernen!“, sagte Anne, die sich diese fixe Idee in den Kopf gesetzt hatte.
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