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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Farben in der Dunkelheit

von Muggelchen

Vor dem Frühstück folgte die Standpauke, der Harry gestern Abend entgangen war, denn Severus sagte mit strenger Stimme, als Harry eigentlich nur den Hund abholen wollte: „Bringen Sie mich nicht noch einmal in so eine Situation, Harry! Sie können von Glück reden, dass Aurora Ihnen offenbar wohlgesinnt ist, aber wenn es jemand anderes gewesen wäre – Filch oder ein anderer Lehrer! Nicht auszudenken. Es war ganz offensichtlich, was Sie beide getrieben haben und… wagen Sie es ja nicht, mich mit Einzelheiten vertraut zu machen!“

Harry schloss seinen Mund schnell wieder, den er geöffnet hatte, um Severus zu unterbrechen. Kleinlaut entschuldigte sich Harry, bevor er mit dem Hund nach draußen ging und er sich im Nachhinein darüber ärgerte, wieso Severus es wieder einmal geschafft hatte, dass er sich wie ein frühreifer Teenager fühlte, der von einem Lehrer beim Knutschen erwischt worden war.

Morgens zur gleichen Zeit, während Harry auf dem Hogwartsgelände mit dem Hund spazieren ging, war im Ministerium eine Eule eingeflogen. Man hatte Susan sofort benachrichtigt, nachdem Schwester Marie aus dem künstlichen Koma geweckt worden war. Zusammen mit Kingsley begab sie sich sofort ins Hospital, um der Zeugin einen Besuch abzustatten.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte Susan mit freundlicher Stimme. Schwester Marie sah recht munter aus, wenn auch etwas blass um die Nase.
„Danke, es geht mir gut. Sie sind sicher Miss Bones“, sagte sie mit zarter Stimme, woraufhin Susan sich selbst und ihren Kollegen vorstellte.
Nach der Begrüßung verlor Susan keine Zeit und fragte ohne Umschweife: „War es Mr. Malfoy, der Sie mit einem Messer verletzt hat?“
Ein empörtes Prusten war die erste Reaktion auf diese Frage, bevor Schwester Marie erklärte: „Nein, er hat um Hilfe gerufen und deswegen bin ich sofort ins Zimmer gerannt.“ Gleich nach diesem Satz kam die Erinnerung in ihr auf, weswegen sie erschreckt einatmete. Susan forderte sie auf zu erzählen, was sie gesehen hatte.

„Da war dieser Mann, der ein Messer gezogen hatte und auf Mr. Malfoy losgehen wollte. Als er mich gesehen hat, war er so flink bei mir, dass ich gar nichts tun konnte. Er hielt mir eine Hand vor den Mund und stieß mir“, sie schüttelte sich kurz, „das Messer in den Bauch. Danach bin ich ohnmächtig geworden und hier aufgewacht.“

„Wie sah der Mann aus?“, fragte Kingsley mit seiner beruhigenden Stimme, die bei Schwester Marie Wunder wirkte.
Sie dachte nur kurz nach und beschrieb den Mann mit den Worten: „Groß! Er war so groß wie Sie und schlank, fast dürr. Er trug einen Vollbart… konnte sein Gesicht leider nicht gut erkennen. Die Augen waren schmal, aber er kann sie auch nur zusammengekniffen haben. Er trug aber keinen Umhang, sondern eine normale Jacke. Tut mir Leid, aber mehr… Es war nur ein so kurzer Moment, wissen Sie. Vielleicht möchten Sie lieber meine Erinnerung daran haben?“ Das Angebot nahm Kingsley dankend an.

Mit Kingsley an ihrer Seite marschierte Susan zur Station, auf welcher Mr. Malfoy lag. Von Professor Puddle forderte sie mit recht harschen Worten: „Mr. Malfoy wird ab sofort nicht mehr fixiert! Nach Aussage von Schwester Marie wurde sie von einem Eindringling niedergestreckt. Mr. Malfoy hatte lediglich um Hilfe gerufen und ist an dem Vorfall ansonsten unbeteiligt beziehungsweise ist er genauso ein Opfer wie sein Zimmergenosse oder die Schwester.“

Aufgrund von Shacklebolts Anwesenheit wollte Professor Puddle sich nicht sträuben. Puddle begleitete beide in Malfoys Krankenzimmer und entfernte wortlos die Gurte, die den Patienten bewegungsunfähig gemacht hatten. Die erste Bewegung, die Mr. Malfoy daraufhin ausführte, war, dass er eine Hand auf seinen Bauch legte und er sich mit der anderen an der Nase kratzte. Ansonsten machte er nichts. Nachdem Susan den Professor aufgefordert hatte, sie mit dem Patienten allein zu lassen, war Puddle gegangen.

„Mr. Malfoy? Ich habe mit Schwester Marie gesprochen und sie hat Ihre Version bestätigt, dass ein weiterer Mann im Zimmer anwesend war“, sagte Susan zuversichtlich, doch sie erhielt keine Antwort. „Mr. Malfoy?“, fragte sie vorsichtig, woraufhin er nur seinen Kopf abwandte. Nochmals nannte sie seinen Namen, während sie ihn vorsichtig am Oberarm berührte.
Jetzt reagierte er und zwar äußerst gereizt, indem er bösartig zischte: „Fassen Sie mich nicht an, Sie…“ Was er auch sagen wollte, er verkniff es sich.

Über seine Reaktion sichtlich irritiert war Susan einen Schritt von ihm gewichen, bevor sie fragte: „Mr. Malfoy, es ist doch alles in Ordnung? Ihnen wird kein Vorwurf…“
Doch er unterbrach sie mit barscher Stimme und forderte: „Lassen Sie mich allein!“
Wieder fasste er sich an seinen Bauch und es schien fast so, als hätte er Schmerzen, weshalb sie fragte: „Fühlen Sie sich nicht wohl? Bereitet Ihnen etwas…“
Shacklebolt bemerkte, wie Susan zusammenzuckte, als Mr. Malfoy fauchte: „Verschwinden Sie sofort!“
Er wollte sich auf dem Bett aufrichten und zog dabei Luft durch die Zähne ein, weswegen Susan dieses Mal bestimmender sagte: „Sie haben doch Schmerzen – ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen. Erzählen Sie endlich, was geschehen ist!“

Mit Entrüstung in der Stimme antwortete Lucius endlich, während er mit leichten Streichelbewegungen über dem Bauch versuchte, den Schmerz zu lindern: „Ich weiß nicht, wer es war, aber zwei Herren waren offenbar der Meinung, Schwester Marie rächen zu müssen…“
Über diese Aussage sehr besorgt fragte Susan: „Was hat man Ihnen angetan?“ Shacklebolt beobachtete weiterhin still das Szenario und blickte derweil einmal hinüber zu dem identitätslosen Patienten.
Vor Wut zitternd versicherte Mr. Malfoy: „Selbst in Askaban hat sich niemals ein Wärter dazu herabgelassen, mich zu schlagen, aber hier, in einem ach so noblen Hospital, da machen sich zwei Männer über mich her. Äußerst mutig, einen gefesselten, blinden Mann auch noch zu knebeln und…“ Er zitterte am ganzen Leib, weshalb er mit seiner Schilderung innehielt.

„Darf ich mal sehen?“, fragte Susan zaghaft, doch Mr. Malfoy zögerte sehr, sehr lange, bevor er letztendlich nachgab und sein Oberteil lüftete. Erschrocken hielt sich Susan eine Hand vor den Mund, denn Mr. Malfoys Oberkörper, besonders aber die Bauchgegend, war nicht nur mit blauen und grünen Flecken übersät, sondern teilweise auch mit blutunterlaufenen Stellen versehen, die großflächigen Quetschungen ähnelten. Es schien, als sei Mr. Malfoy mehrmals mit einem Gegenstand geschlagen worden. Die bunten Farben der Flecken auf seinem Bauch zeichneten sich kontrastreich auf der vornehm blassen Haut ab.

Von seinen Wunden schockiert beteuerte Susan: „Ich werde dagegen etwas unternehmen. Misshandlungen werde ich nicht dulden!“
Sarkastisch entgegnete er: „Schmeißen Sie sich für mich nur nicht so ins Zeug, Miss Bones. Sie vergessen wohl, dass ich nur ein Todesser bin. Wahrscheinlich hab ich es nicht anders verdient.“
„Ich werde körperliche Misshandlung nicht erlauben! Mr. Malfoy, Sie sind…“, sagte Susan, bevor sie unterbrochen wurde.
Mr. Malfoy sagte höhnend: „Ich bin nur ein Gefangener, um den Sie sich kümmern, Miss Bones. Vergessen Sie das nicht! Sie brauchen nicht zu denken, ich sähe Sie womöglich als zukünftige Schwiegertochter – Merlin bewahre! Für mich sind Sie lediglich eine Ministeriumsangestellte, mit deren Hilfe ich vielleicht aus Askaban herauskommen werde und nichts anderes! Und das – ausschließlich das – ist der einzige Grund, warum ich überhaupt noch mit Ihnen rede!“

Dieses Mal hatte er sie tief getroffen. Ihre Augen füllten sich so schnell mit Tränen, dass sie sie nicht zurückhalten konnte. Als ihre Lippen zu beben begannen, legte Kingsley stärkend eine Hand auf ihre Schulter. Sich nicht dafür schämend, nun eine Schwäche zu zeigen, sagte sie hörbar bewegt und mit wenig Kraft in der Stimme: „Ich werde trotzdem dafür sorgen, dass das nicht wieder passieren wird, Mr. Malfoy.“

Auf dem Flur fing sich Susan sehr schnell. Sie suchte Professor Puddle auf und erklärte ihm so laut und drohend, dass die umstehenden Schwestern jedes Wort verstehen konnten: „Wenn ich von Mr. Malfoy noch ein einziges Mal zu hören bekomme, dass er hier schlecht behandelt, ja sogar misshandelt wurde, dann werden alle, die hier auf dieser Station arbeiten, für einige Tage Bekanntschaft mit den Zellen in Askaban machen, ist das klar!“

Susan wusste, dass die tratschenden Schwestern dafür sorgen würden, dass jeder Angestellte von ihrer Drohung hören würde. Nichtsdestotrotz beantragte sie beim Minister persönlich einen vertrauenswürdigen Angestellten aus dem Ministerium, der für Malfoys Sicherheit auf der Station sorgen sollte, welcher ihr prompt genehmigt wurde.

Lucius schlief erst sehr spät ein. Zu schlimm war die Erinnerung an letzte Nacht und an den Schmerz, den man ihm zugefügt hatte. Wehrlos hatte er alles ertragen müssen, was die beiden unbekannten Medimagier mit ihm getan hatten, nur weil sie ihn für den Angreifer ihrer Kollegin hielten, doch irgendwann schlief er endlich ein.

Als Lucius seine Augen öffnete, schaute er in die strahlend blauen seiner Frau, die ihn böse anblickte. Ungläubig fragte er: „Zissa?“ Dann freute er sich, sie so klar vor sich sehen zu können. Er konnte alles sehen! Da war der kostbare rote Wandteppich, den seine Schwiegereltern Cygnus und Druella Black ihnen zur Hochzeit geschenkt hatten und dort hinten in der Vitrine, da präsentierten sich auch die beiden prunkvollen Fabergé-Eier, welche ihnen von Orion und Walpurga Black als Souvenir ihrer Russlandreise mitgebracht worden waren. Beide hatten köstlich amüsiert ihre Geschichte wiedergegeben, wie sie einem dämlichen Muggel diese Inbegriffe höchster Goldschmiedekunst billig aus dem Ärmel geleiert hatten. Da stand auf dem Sideboard die blau-goldene Spieldose, die Bellatrix hatte anfertigen lassen, um ihrer Schwester zum Geburtstag einen großen Wunsch zu erfüllen. Und dann, ganz plötzlich, wusste Lucius, dass er träumen musste, denn er konnte doch in Wirklichkeit gar nichts sehen. Wieder blickte er zu seiner Frau hinüber, die noch immer sehr missgelaunt schien, bevor sie leise zischelnd sagte: „Du wirst heute Abend nicht dort hingehen!“

Die Erkenntnis, nur zu träumen, wurde von der Situation, die er momentan erlebte, komplett verdrängt, so dass er sich tatsächlich in Narzissas Gegenwart dachte. Er wusste, auf was seine Frau ansprach, weshalb er beteuerte: „Ich muss heute Abend dort hin, Narzissa!“
Sie schloss die Augen und versuchte, ihre zittrige Atmung unter Kontrolle zu bekommen, bevor sie sie wieder öffnete und noch viel leiser als zuvor, aber mit sehr viel mehr Entschiedenheit sagte: „Du wirst dort nicht hingehen!“
Aufbrausend erwiderte Lucius: „Lord Voldemort rechnet mit mir! Ich kann nicht einfach behaupten, dass ich leider unpässlich wäre.“
Die Stimme seiner Frau bebte. „Geh zu Severus und bring ihn dazu, Riddle davon zu überzeugen, dass er deine Hilfe bei der Herstellung dieses“, sie rümpfte die Nase, „abscheulichen Trankes benötigt!“

Für einen Moment überlegte Lucius, ob er das tun sollte, doch dann antwortete er: „Der Lord wird dahinter kommen! Ich bin nicht gut genug in Okklumentik, Liebes. Nicht so gut wie Severus.“
„Deswegen soll ja auch Severus ihn darum bitten, dich von dieser Gräueltat heute Abend zu befreien“, konterte Narzissa. Lucius schüttelte den Kopf, aber es fielen ihm keine Gegenargumente ein.

Seine Frau nutzte seine innere Zerrissenheit und ging hinüber zum Kinderbettchen, um den fast eineinhalb Jahre alten Draco auf den Arm zu nehmen, der daraufhin fröhlich glucksend erwachte. Als Lucius wieder zu ihr hinüberblickte, formte sich aufgrund des herzerweichenden Bildes, den seine wunderschöne Frau und der lang ersehnte Sohn abgab, ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen, doch Narzissas Gesicht blieb ernst und ihre Züge schienen so hart, wie die Antlitze der in Stein gemeißelten Göttinnen der Griechen – und genauso schön.

Den kleinen verschlafenen Jungen ihrem Mann entgegenhaltend, sagte sie mit leiser, doch dieses Mal hörbar zitternder Stimme: „Dein Sohn, Lucius, ist fast in dem gleichen Alter! Würdest du ihn auch umbringen, wenn Riddle das von dir verlangen würde?“ Natürlich würde er das nicht, dachte Lucius, weswegen er verschämt zu Boden blickte. Narzissa drückte den Jungen an ihre zierliche Brust und gab ihm einen Kuss auf das blonde Haar. Ihren Mann danach scharf anblickend erklärte sie: „Ich mag nicht viel von diesen Halbblütern halten, aber niemals – niemals – würde ich deren Kinder morden! Niemals, Lucius!“

Mit Daumen und Mittelfinger einer Hand massierte er seine Schläfen, während er nach einer anderen Lösung suche. Was sollte er nur tun? Lord Voldemort würde ihn büßen lassen, wenn er heute Abend nicht erscheinen würde. Mit hilfesuchendem Blick wandte er sich an Narzissa, die daraufhin ermutigend wiederholte: „Geh zu Severus, mein Liebster! Er wird dir helfen, da bin ich mir sicher. Und wenn du es nicht tun solltest, dann wirst du mich und ihn“, sie schaukelte Draco in ihrem Arm, „nicht mehr antreffen, wenn du dieses Haus wieder betrittst. Ich möchte keinen Kindsmörder zum Gemahl haben.“ In ihrer sonst so klangvollen Sprechweise war ein Hauch von Ekel zu vernehmen, den man sonst nur wahrnehmen konnte, wenn sie über die von ihr so verabscheuten Tierwesen sprach.

Mit gebrochener Stimme sagte Lucius: „Lord Voldemort wird es herausbekommen und er wird uns alle dafür bestrafen.“
Doch sie erwiderte zuversichtlich: „Nein, das wird er nicht! Wenn du von Severus zurückkommst, werde ich deine Gedanken manipulieren und die Erinnerung an heute so tief in deinem Unterbewusstsein vergraben, dass niemand – nicht einmal Riddle – auch nur ahnen könnte, dass sie überhaupt existieren. Du weißt, dass ich sehr gut darin bin. Allenfalls in deinen Träumen wird die Erinnerung an heute erhalten bleiben.“

Zustimmend nickte Lucius, bevor er zu seiner Frau hinüber ging und erst ihr und dann seinem Sohn einen liebevollen Kuss auf die Stirn gab. Bevor er zu Severus aufbrach, um ihn um das zu bitten, was Narzissa ihm nahelegte, sagte seine Frau noch, während sie sich von ihm abgewandt hatte: „Ich möchte dich noch wissen lassen, dass Riddle Draco und mich nie bekommen wird, auch wenn er dich in seinen Fängen hat. Ich würde alles tun, um Draco zu schützen, Lucius… Alles!“

Wieder wurde sich Lucius nur kurz darüber bewusst, dass er träumen musste, bevor die leise ermattete Stimme von Severus ihn erneut in das Geschehen eintauchen ließ, als würde sich jetzt in diesem Moment alles abspielen.

„Lucius?“, fragte Severus, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten. „Lord Voldemort hat zugestimmt. Du wirst mir heute zur Hand gehen. Es war leicht, ihn zu überzeugen. Du warst in Zaubertränken der Beste deines Jahrgangs“, sagte Severus gleichgültig und etwas erschöpft klingend.

Bedrückt setzten sich beide um einen blubbernden Kessel, dessen grünsilberner Inhalt einen fauligen Gestank verbreitete. Severus forschte an einem Zaubertrank, der die zombiehaften Inferi, die Lord Voldemort eines Tages einzusetzen gedachte, körperlich für lange Zeit nicht verwesen lassen sollte. Testobjekte befanden sich bereits im Keller des von Voldemort zur Verfügung gestellten Hauses. Dumpfe unmenschliche Laute waren aus den Tiefen des Gemäuers zu vernehmen, so dass ihm und selbst Severus eine Gänsehaut über den Rücken lief.

„Das ist absoluter Wahnsinn! Das ist abartig!“, sagte Lucius angeekelt. Severus blickte ihn mit seinen dunklen Augen an, doch seine Gemütslage blieb unergründlich. Lucius sah ihm an, dass sein Freund sich offenbar nicht sicher war, ob er ihm trauen durfte. Vielleicht würde Severus denken, es wäre ein Test vom Dunklen Lord, um dessen Loyalität zu überprüfen? Würde Severus lediglich mit einem leichten Kopfnicken seiner Aussage zustimmen, Lord Voldemort würde gefährliche und wahnwitzige Ideen verfolgen, wäre es seine Pflicht, den Dunklen Lord über Severus’ Meinung zu unterrichten. Doch Severus erwiderte gar nichts, woraufhin Lucius leise weitermurmelte.

„Warum sollte ich dich eigentlich zu mir holen? Was gibt es denn heute, weshalb du es vorziehst, diesen Gestank einzuatmen?“, fragte Severus mit ruhiger Stimme, während er eine Zutat in den Kessel warf.
Nervös antwortete Lucius, der Severus etwas mehr traute als der offenbar ihm: „Ach, Narzissa hat das von mir verlangt, denn sonst… Sie hat gedroht, mich zu verlassen, wenn ich heute Abend mitgehen würde. Bitte, Severus! Das hat nichts damit zu tun, dass ich Lord Voldemort nicht treu wäre. Das musst du mir glauben, aber ich…“ Lucius hielt inne, bevor er mit einem anderen Thema fortfuhr: „Weißt du, Severus… Wenn ich du wäre, dann würde ich schleunigst verschwinden!“

Lucius ahnte, dass Severus von einer Treueprüfung ausgehen würde, denn der erwiderte sauer klingend und mit schmieriger Stimme: „Möchtest du, dass ich Lord Voldemort davon berichte, wie verräterisch du dich äußerst? Oder willst du etwa mich in eine Falle locken, um ihm das Gleiche über mich zu berichten?“

Ungläubig starrte Lucius seinen alten Freund an. Seit Severus und andere seiner ehemaligen Schulkameraden nun zu den Todessern gehörten, konnte niemand mehr dem anderen voll vertrauen. Doch Severus… ihm wollte er trauen. Warum sonst hätte er ihm diesen Gefallen erwiesen, heute bei ihm bleiben zu dürfen?

Selbstsicher erklärte Lucius: „Ich meine es ernst, Severus! Du hast keine Frau und keine Kinder… Du brauchst nur um das eigene Leben zu fürchten. Wäre ich in deiner Situation, dann würde ich dem Lord den Rücken kehren und…“
„Sei still, Lucius!“, zischelte Severus gefährlich leise und blickte sich um, als würde er befürchten, beobachtet zu werden.
Lucius ließ sich jedoch nicht den Mund verbieten, denn er offenbarte: „Severus! Das alles hier ist doch der reine Wahnsinn, aber du kannst gehen und musst dich um niemanden sorgen. Bei Merlin, tu es doch einfach! Voldemorts Absichten waren früher noch eindrucksvoll und ruhmreich, doch jetzt…? Er ist ein wahnsinniger Irrer, der…“
„GENUG!“, belferte Severus.
Eindringlich machte Lucius ihm klar: „Verdammt! Du hast doch miterlebt, wie schwierig es für uns war, endlich mit einem Kind gesegnet zu werden. Ich werde Dracos und Narzissas Leben nicht aufs Spiel setzen – nur deshalb muss ich bei ihm bleiben, aber du…“ Lucius verstummte.

Der Kinderwunsch von Lucius und Narzissa, die beide ausgesprochen jung geheiratet hatten, stellte sich erst nach sehr langer Zeit ein. Narzissa erlitt vier Fehlgeburten, bevor die Schwangerschaft mit Draco ungefährlich schien und trotzdem war Lucius aus lauter Angst mit seiner Frau bei jedem Wehwehchen sofort ins Hospital gegangen, auch wenn sie nur nebenbei erwähnt hatte, unter Kopfschmerzen zu leiden. Sein Sohn bedeutete ihm alles und Severus wusste das. Es war seinem dunkelhaarigen Freund im letzten Jahr sogar sichtlich eine Ehre, als er während eines festlichen Anlasses vor versammelter Gästeschar von Narzissa darum gebeten worden war, der Pate des blonden Babys zu werden. Nachdem Narzissa ihm den kleinen Draco in den Arm gelegt hatte, griff das Baby mit seiner winzigen Hand sofort nach der großen Hakennase und gluckste dabei so fröhlich, dass es selbst Severus zum Lächeln gebracht hatte.

„Du hast mir immer noch nicht erzählt, was für heute Abend geplant ist“, stichelte Severus, woraufhin Lucius zunächst kräftig schlucken musste.
Nur zögerlich, weil er wusste, dass es Severus nicht kalt lassen würde, schilderte Lucius stockend und mit einigen Pausen: „Nachdem du… Lord Voldemort von der… von der Prophezeiung erzählt hattest, hat er einen… na ja… einen Entschluss gefasst.“ Gespannt horchte sein ehemaliger Schulkamerad auf, als er weitererzählte: „Er denkt, dass er den Jungen gefunden hat.“

Verachtend schnaufte Severus, während er belustigt beide Mundwinkel nach oben zog und sanft den Kopf schüttelte. Lucius wusste, dass Severus die Prophezeiung nicht für bare Münze nahm und nur einmal hatte er ihm gegenüber erwähnt, dass er nicht nachvollziehen konnte, warum Lord Voldemort dem ganzen Aberglauben so viel Bedeutung beimessen würde. Das war eine gefährliche Meinungsäußerung gewesen, die sein Freund da von sich gegeben hatte, doch Lucius hatte niemals auch nur mit dem Gedanken gespielt, diese Information an den Dunklen Lord weiterzugeben.

Ganz allmählich wurde das Gesicht seines Freundes wie in Zeitlupe sehr ernst, nachdem Lucius’ Worte und die bitterernste Situation, die sich dahinter verbarg, sich ihm als Realität offenbarten. Severus wurde leichenfahl, nachdem sich Ernüchterung in ihm niedergeschlagen hatte und er einen Moment später aufgewühlt fragte: „Das ist nicht dein Ernst?“ Severus konnte nicht glauben, dass sich die Prophezeiung tatsächlich erfüllen sollte. Lucius nickte ihm nur zögerlich zu, bevor Severus von ihm wissen wollte: „Und wen hat er auserwählt, dieser abergläubische…“ Er verkniff sich die Beleidigung und erwartete gespannt eine Antwort.

Es fiel Lucius schwer, Severus jetzt in die Augen zu sehen. Er hatte in der Schule miterlebt, wie sehr sein schwarzhaariger Freund damals gelitten hatte, weshalb er mit abgewandten Gesicht und sehr leiser Stimme antwortete: „Lord Voldemort glaubt, dass es dieses Potter-Baby ist.“
„WAS?“, schrie Severus erregt, der sonst nie seine Beherrschung zu verlieren schien. Sein ganzer Körper wurde von einem Zittern übermannt und Lucius bemerkte, dass Severus verzweifelt nachzudenken schien.

In dem Moment, als sein Freund zur Tür hinausstürmen wollte, hielt Lucius ihn fest und schimpfte: „Bleib hier, du Narr! Wenn er dich sieht, sind wir alle in Gefahr! Du, ich, Narzissa… Draco! Du bleibst schön hier, mein Freund!“

Als Lucius die geballte Faust auf sich zufliegen sah, schreckte er aus seinem Traum hoch und er schrie und schrie, weil er nicht sehen konnte, wo er war.


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