von Muggelchen
Als Severus nach dem Treffen am Sonntagmorgen mit Harry, Arthur und Black um Mittag herum gedankenverloren sein Büro betrat, überraschte er Miss Granger, die sich gerade gefährlich nahe über sein Denkarium beugte. Aufgebracht belferte er: „Was zum Teufel denken Sie sich dabei?“ Sie musste den Schutzzauber seines Schrankes durchbrochen haben und es machte Severus rasend.
Nachdem sie sich umgedreht hatte und für wenige Sekunden in die vor Zorn funkelnden schwarzen Augen geschaut hatte, blickte sie ertappt zu Boden. Sie hatte Snapes Abwesenheit, deren Grund sie nicht kannte, genutzt, um etwas über seine Vergangenheit in Erfahrung bringen zu wollen, doch in der einen Stunde, in welcher sie sogar vier Geheimverstecke im Boden und in den Wänden aufgespürt und geöffnet hatte, war sie auf nichts gestoßen, was Snapes Gefühlswandlungen erklären könnte oder was auf ein bestimmtes Ereignis von vor über zwanzig Jahren hinweisen würde. Das Einzige, was ihr blieb, war sein Denkarium, welches sie vor einer Viertelstunde ausfindig gemacht hatte, doch bisher hatte sie nicht den Mut gefunden, einen Blick hineinzuwerfen. Sie hatte keine Erfahrung mit einem Denkarium und kannte deren Sinn und Zweck lediglich aus Büchern.
Seine sonst so furchteinflössende Art, leise und bedrohlich zu sprechen, hatte er abgeschüttelt, denn jetzt giftete Snape sie bösartig mit den Worten an: „Sie haben sich gerade mit Ihrem Verhalten um eine Stelle gebracht, die ich nie wieder jemandem anbieten werde! Haben Sie mich verstanden!“
Ihre Lippen zitterten, weil sie Snape nicht nur enttäuscht hatte, sondern sich selbst um die Chance gebracht hatte, beim ihrer Meinung nach besten Zaubertränkelehrer in Europa eine Meisterprüfung machen zu können. Sie würde ihn nicht anlügen, denn sie wusste von Harry, dass er ein hervorragender Legilimentiker war. Vielleicht trieb er sich jetzt schon in ihren Gedanken herum, ohne dass sie etwas davon bemerkte, weswegen sie ehrlich, wenn auch mit leiser, stockender Stimme versicherte: „Ich habe nicht reingesehen!“
Für einen Augenblick wusste Severus nicht, wie er reagieren sollte. Wäre sie irgendeine Schülerin, würde er sich für ihren Schulverweis einsetzen, aber sie war seine Schülerin. Sie war eine erwachsene Frau, die nichts unüberlegt tun würde. Trotzdem kam die schmerzende Erinnerung in ihm auf, als er Harry damals in einer ähnlichen Situation erwischt hatte, nur dass er damals nicht hatte verhindern können, dass Harry einen seiner unangenehmsten Momente im Leben gesehen hatte. Wütend warf er Miss Granger vor: „Aber Sie wollten! Warum? Haben Sie nach Erinnerungen gesucht, die Sie sich mit Ihrem besten Freund teilen wollten, um gemeinsam über mich zu lachen, genau wie damals?“
Verstört blickte Hermine auf und fragte verdutzt: „Ich weiß nicht, was Sie meinen?“
Schnaufend brachte er ihr all die Geringschätzung entgegen, die er während ihrer Zeit als Schülerin auch nie zurückgehalten hatte, bevor er drohte: „Versuchen Sie nicht mir weiszumachen, dass Mr. Potter Ihnen niemals davon erzählt hat!“
Sie schüttelte voller Unverständnis den Kopf und fragte: „Was soll er mir erzählt…?“
Doch Snape unterbrach sie und schimpfte: „Sie neunmalkluge Göre! Hören Sie auf, mich für dumm zu verkaufen!“ Erst hier rannen ihre Tränen die Wangen hinunter, die sie zuvor noch hatte zurückhalten können, aber es ließ ihn unbeeindruckt. Während er gestern noch Mitleid mit ihr gehabt hatte, weil sie wegen irgendetwas geweint haben musste, zeterte er dieses Mal: „Sie brauchen nicht zu glauben, dass Ihre weibliche Taktik mich in irgendeiner Art und Weise besänftigen würde. Hören Sie auf zu flennen und erklären Sie mir auf der Stelle, weswegen Sie in meine Privatsphäre eindringen wollten! Oder vielleicht haben Sie es schon längst getan?“
Auf der einen Seite atmete sie aufgeregt, weil sie Angst vor Snape bekommen hatte und auf der anderen Seite, weil er sie mit seinen Worten so sehr verletzte, dass sie ihre Tränen nicht zurückhalten konnte, egal wie sehr sie ihm gerade diese Angriffsfläche verwehren wollte. Er war mit einem Male wieder der verabscheuungswürdige Lehrer von früher – wenn nicht sogar um einiges schlimmer –, der nichts und niemanden leiden konnte und dies auch nicht mehr verbergen wollte.
Sich zusammennehmen wollend sagte sie erneut und mit zitternder Stimme: „Ich habe nicht hineingesehen! Und ich habe keine Ahnung, was Harry damit zu tun haben sollte!“ Sie ließ noch einige Schimpfwörter über sich ergehen, während sie mehrmals schluchzte und die Nase hochzog. Natürlich kränkte er sie gezielt mit dem Wort „Besserwisser“, aber auch andere Worte waren in seiner Schimpftirade enthalten, die sie nicht einmal in Gedanken wiederholen wollte. Diese Situation ließ unangenehme Erinnerungen in ihr aufkommen. Erinnerungen an Situationen, in denen er ihr damals schon wehgetan hatte. Sein Gezeter unterbrechend schrie sie aufgebracht: „HÖREN SIE AUF! Ich habe niemals in Ihr verdammtes Denkarium geschaut!“
Durch ihre Lautstärke völlig in Rage versetzt zog Severus seinen Zauberstab und richtete ihn mit kaltem hinterhältigem Blick auf seine ehemalige Meisterschülerin. Sie reagierte jedoch nicht, wie er es erwartet hatte, indem sie ihren eigenen Stab zog, sondern sie erstarrte kurzerhand zur Salzsäule. Offenbar rechnete sie mit einem bösen Fluch, aber Severus, der sich aufgrund des Mangels ihrer eigenen Verteidigung nicht dazu imstande sah, sie verhexen zu wollen, sagte lediglich kaum hörbar: „Legilimens.“
Er war leichter in ihren Kopf eingedrungen als sie es für möglich gehalten hatte. Sie musste seinen gewaltsamen Zutritt dulden, denn sie kannte keinen Weg, ihn zu vertreiben. Okklumentik war eines der wenigen Dinge, von denen sie keine Ahnung hatte. Ihr Herz schlug schneller und ihre Atmung stockte, als sie seine unverkennbare Präsenz wie einen schwarzen Fleck in ihrem Geiste spürte und sie bekam es mit der Angst zu tun.
Erinnerungen, die aktuell waren und alte Erinnerungen, an die sie vor kurzem gedacht hatte, befanden sich alle ganz deutlich im Vordergrund ihres Gedächtnisses, in welches Severus sich gerade Zutritt verschafft hatte. Hätte Harry ihr damals davon erzählt, was er in seinem Denkarium gesehen hatte, würde Severus ohne viel Mühe oder zeitraubender Suche auf diese Erinnerung stoßen, denn nach seiner absichtlichen Erwähnung über den Denkarium-Vorfall mit Harry musste sie zweifelsohne an diesem Moment gedacht haben. Severus fand jedoch nichts dergleichen. Es schien nicht einmal eine Erinnerung daran vorhanden zu sein, wie Harry etwas von einem Denkarium erzählt hatte, geschweige denn, dass er unerlaubt einen Blick hineingeworfen hatte.
Stattdessen sah Severus andere Erinnerungen, die sich während ihrer Auseinandersetzung bei ihr in den Vordergrund gedrängt hatten. Erinnerungen daran, wie er sie schon in der ersten Zaubertränkestunde nicht aufgerufen hatte, obwohl sie sich unentwegt gemeldet hatte. Und Erinnerungen daran, wie er ihr Punkte abgezogen hatte, weil sie ohne Aufforderung eine Frage richtig beantwortet hatte und wie er sie danach vor der ganzen Klasse mit seinen Schimpfworten bedacht hatte. Nachdem besonders die Slytherins über das Gryffindor-Mädchen gelacht hatten, stolperte er plötzlich in eine Erinnerung, die mit gekränkten Gefühlen in Verbindung gebracht wurde, die so stark waren, dass er sie am eigenen Leib wahrnehmen konnte. Er spürte ihre Schmerzen, nachdem Draco ihre Zähne mit dem Densaugeo-Fluch zum Wachsen gebracht hatte. Er fühlte die Demütigung, das Schamgefühl, sogar den schmerzenden Kiefer – genau das, was sie damals empfunden hatte. Gleich darauf sah Severus sich selbst, wie er mit ausdrucksloser Miene zu Miss Granger sagte: „Ich sehe keinen Unterschied!“ Dieser Moment wiederholte sich einige Male, bevor sie von einer weiteren Erinnerung abgelöst wurde: Miss Granger, weinend, bei ihren Eltern Zuhause; wie sie mit ihrer Mutter sprach und in Erwägung zog, Hogwarts nach den Ferien nicht mehr zu besuchen. Ihr Vater, Mr. Granger, der sie liebevoll umarmte und ihr bestätigte: „Du bist meine hübsche, kluge Tochter. Lass dir von niemandem das Gegenteil einreden!“ Ihre verletzten Gefühle von damals, die Severus nun selbst erleiden musste, waren zu viel für ihn, so dass er die Legilimentik beendete.
Es war ein schreckliches Gefühl, falsch gelegen zu haben. Miss Granger hatte tatsächlich nicht in sein Denkarium geschaut und sie hatte auch keine Ahnung davon, was Harry damals darin gesehen hatte. Stattdessen hatte er in ihren Erinnerungen gestöbert und fühlte sich nun schlechter als zuvor, als er sich noch im Recht glaubte. Jetzt hatte er selbst das getan, was er ihr zuvor noch vorgeworfen hatte, denn er hatte ihre Privatsphäre verletzt und war somit nicht besser als Harry.
Völlig entsetzt über das, was eben geschehen war, blickte Hermine den Professor mit großen, feuchten Augen an. Ihr war schwindelig und ihr Herz pochte so sehr, als wollte es sich aus dem Brustkorb befreien. Er hatte sich an ihren Gedanken vergangen, ihr psychische Gewalt angetan, weil er einfach getan hatte, wozu er fähig war, ohne dass sie sich dagegen hatte wehren können. Sie fühlte sich missbraucht und ausgeliefert; fühlte sich von ihm genauso gedemütigt wie früher.
Während sie heftig und hörbar durch die feuchte Nase atmete, stand er nur da, blickte sie an und war offensichtlich um einige Worte verlegen. Als sie sich endlich zusammengerissen hatte, wandte sie ihren nun gefühllosen Blick von ihm ab und ging wie in Zeitlupe zu dem Stuhl hinüber, auf dem ihre Jacke und ihre Tasche lagen. Sie kleidete sich an, griff in ihre Tasche und zog eine Mappe heraus, die sie wortlos auf den Tisch legte. Danach nahm sie ihre Tasche und ging, ohne Professor Snape auch nur einmal anzusehen, zur Tür. Nachdem sie diese bereits geöffnet hatte, schüttelte der Professor sich endlich von seiner Starre frei und sagte kleinlaut: „Miss Granger?“ Die junge Frau hielt jedoch nicht inne, sondern trat über die Schwelle und schloss die Tür leise hinter sich.
Wie versteinert verweilte Severus einen Moment zur Tür starrend, durch die seine Meisterschülerin – oder besser ehemalige Meisterschülerin, denn ihre Ausbildung bei ihm hatte er in einem Anfall von Wut beendet –, eben stillschweigend, aber sichtlich angegriffen, den Raum verlassen hatte. Nachdem er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, ging er zum Tisch hinüber und schlug die Mappe auf, die sie zurückgelassen hatte. Als er ihre zierliche, ordentliche Schrift überflog, wurde ihm bewusst, was er gerade betrachtete. Eine neue Theorie Harry betreffend hatte sie ihm als Abschied dagelassen.
Auf den Korridoren der Kerker fiel es ihr noch schwerer, ihre Tränen zu unterdrücken, weswegen ihr hier und da schon einige Schüler hinterherblickten. Sie hielt es für klug, sich zunächst bei Harry zu beruhigen, weswegen sie eine Treppe höher ins Erdgeschoss ging.
Kaum hatte sich Harrys Tür geöffnet, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und bemerkte nicht einmal, dass es Sirius war, der sie nun hereinbat. „Was ist denn nur los, Hermine?“, fragte er mitfühlend. Harry, der sich seit Arthurs Offenbarung heute früh den ganzen Tag lang fühlte, als würde er auf glühenden Kohlen sitzen, sprang alarmiert vom Sofa auf und blickte seine beste Freundin mit großen Augen an, bevor er sie umarmte und fest an sich drückte, weswegen sie nur noch stärker schluchzte.
Eine ganze Weile brachte sie kein einziges Wort heraus. Sirius hatte den zweien bei einem Hauself ein wenig Tee und Gebäck bestellt, bevor er sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte, um sie allein zu lassen. Die beiden hatten mittlerweile auf der Couch Platz genommen. Harry drückte sie noch immer tröstend an sich, streichelte ihr über den Rücken und die buschigen Haare, als er endlich mit leiser Stimme fragte: „Minchen, was ist denn nur passiert?“ Er vermutete, es könnte sich womöglich um einen Streit mit Ron handeln.
Noch immer konnte sie nichts sagen. Erst der Hauself schreckte sie versehentlich auf, als er mit einem lauten Plop den beruhigenden Tee und ein paar Orangenkekse brachte, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Harry löste die Umarmung, schenkte Hermine Tee ein und reichte ihr die Tasse. Erschreckend musste er feststellen, dass ihre Hände so sehr zitterten, dass nicht nur scheppernd die Tasse mit der Untertasse kollidierte, sondern auch der Löffel in der Tasse klingelnde Geräusche erzeugte, weswegen er ihr die Tasse lieber wieder abnahm und sie auf den Tisch stellte. Hermine blickte ungläubig auf ihre Hände, die schneller als die Flügel einer Eule flatterten, die sich gerade vom Boden erheben wollte. Noch immer war ihre Atmung sehr stockend. Beruhigend ergriff Harry ihre Hände und legte sie übereinander, damit er sie mit seinen vollkommen umschließen konnte.
Nach einer Weile sprach sie endlich. Harry musste häufig nachfragen, weil er wegen ihrer ständigen Schluchzer wenig verstehen konnte. Sie erzählte ihm genau, was Severus ihr angetan hatte. Wie er sie beschimpft, beschuldigt und ihr vorgeworfen hatte, sich über ihn lustig machen zu wollen. Sie schilderte ihm von dem demütigenden Erlebnis, als er sich unerlaubt Zutritt in ihre Gedankenwelt verschafft hatte und besonders eine Sache gesehen hatte, die noch heute zu einem ihrer schlimmsten persönlichen Erlebnisse zählte, wenn man alle Kriegsereignisse außen vor lassen würde. Zu guter Letzt erzählte sie, dass er sie als seine Schülerin nicht mehr sehen wollte. Er hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, sie als Meisterschülerin nicht mehr haben zu wollen.
„Du hast an seinem Denkarium gestanden?“, fragte er ungläubig. Sie nickte zustimmend, versicherte jedoch, nicht hineingesehen zu haben. Harry war nun klar, warum Severus so außer sich geraten war.
Sie fragte ganz plötzlich mit verschnupft klingender Stimme: „Warum hast du nie erzählt, dass du heimlich eine seine Erinnerungen angeschaut hast?“
Betroffen blickte Harry zu Boden, bevor er schilderte: „Das war damals genau so eine Situation wie jetzt mit dir, Hermine. Er war so wütend… Ich dachte, er würde mir den Kopf abreißen und als Zutat für irgendeinen Zaubertrank nehmen.“ Hermine lachte kurz auf, aber ihr Gesicht war noch immer von Kummer gezeichnet.
„Harry, ich will ja gar nicht wissen, was du da gesehen hast, aber ich möchte versuchen zu verstehen. Ich verstehe Snape nicht! Er war bisher so nett zu mir und das war ja schon verwirrend genug, aber heute? Er war ein richtiges Schwein! Im Moment dürfte er nicht hier auftauchen, sonst…“, Hermine hielt inne, weil sie nicht wusste, was sie dann tun würde. Würde sie ihn anschreien oder sogar verhexen? Vielleicht würde sie ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen und ihn beschimpfen – sich über seine fettigen Haare, seine ungesunde Hautfarbe und seine Hakennase lustig machen? Nein, sie war kein Typ, der andere wegen ihres Äußeren verlachte.
Tief Luft holend machte sich Harry bereit zu versuchen, ihr einiges zu erklären, ohne die Erinnerung aus dem Denkarium zu erwähnen, die er nie zu Ende gesehen hatte. „Hermine, du weißt doch sicher noch, was sie mit Luna in der Schule gemacht haben.“
Sie fragte nach: „Meinst du, dass sie ihre Sachen versteckt haben?“
Harry nickte, bevor er schilderte: „Ich habe mich mit Remus etwas über deren Schulzeit unterhalten. Er hat Tagebuch geführt, weißt du? Na ja und die Rumtreiber – du weißt, wen ich meine – die waren nicht sehr nett. Für einige waren sie sicherlich sehr cool, aber die, die anders waren…“
„Anders wie Luna“, warf Hermine ein, weshalb Harry nochmals nickte.
„Ja, nur dass man mit Luna noch ausgesprochen harmlos umgegangen war. Die Rumtreiber haben Dinge getan…“ Harry hielt inne und schüttelte den Kopf, bevor er offen und betroffen zugab: „Ich wäre daran zerbrochen, wenn man das mit mir in der Schule gemacht hätte, Hermine!“
Hermine musste einmal angestrengt schlucken, bevor sie einmal die Nase hochzog und danach leise sagte: „Ist er nicht daran zerbrochen?“
Den Kopf schüttelnd vermutete Harry: „Nicht daran, denke ich, aber es hat natürlich dazu beigetragen, dass er so geworden ist, wie er jetzt ist. Was ich sagen möchte ist: Allein die Tatsache, dass du an seinem Denkarium gestanden hast, hat ihn daran erinnert hat, wie ich seine schreckliche Erinnerung gesehen habe. Er muss so wütend auf dich gewesen sein, dass er…“
Hermine sagte aufgebracht: „Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts angeschaut habe! Er hat mir nicht geglaubt und hat einfach in meinem Kopf herumgewühlt, um mich überführen zu können. Er hat in meinen schlimmsten Erinnerungen gestochert, Harry! Er hat genau das getan, was er mir grundlos vorgeworfen hatte. Was glaubst du, wie ich mich jetzt fühle? Er hat das mit meinen Zähnen gesehen, Harry.“ Sie hielt sich vor Scham die Hände vor das Gesicht, bevor sie noch hinzufügte: „Snape hat gefühlt, was ich gefühlt habe.“ Sie schluchzte kurz aufgebracht, fing sich jedoch schnell wieder.
Hier hakte Harry nach: „Was? Du hast gewusst, dass er nicht nur deine Erinnerung sieht, sondern auch fühlt?“ Sie nickte, konnte aber nicht erklären, warum dies so war. Murmelnd sagte Harry: „Das muss der Unterschied zwischen Legilimentik und einem Denkarium. Ich selbst habe Legilimentik ja niemals angewandt, nur Okklumentik. Im Denkarium werden nur pure Erinnerungen abgelegt, die man wie einen Film sehen kann. In dem Kopf einer Person… Er muss das gefühlt haben, was du zu der Erinnerung gefühlt hast. Kann ich mir anders nicht erklären. Keine Ahnung, ob er während meines Unterrichts auch das gefühlt hat, was ich zu meinen Erinnerungen empfunden habe, die er gesehen hat. Ist ja eigentlich auch egal. Hermine, ich bin der festen Überzeugung, dass Severus sich sehr bald darüber klar sein wird, dass er einen Fehler begangen hat; dass er dich grundlos gefeuert, dich unnötig beleidigt und dich verletzt hat! Wenn er das nicht sogar schon wenige Sekunden später gewusst hatte, nachdem er deinen Kopf verlassen hat!“
Wütend sagte Hermine: „Trotzdem würde ich ihn verhexen, wenn er jetzt, in diesem Moment, durch diese Tür hereinkommen würde!“
Es wäre nicht klug, Hermine in ihrem Zustand von dem zu berichten, was Albus in Umlauf gebracht hatte. Allerdings könnte es sie im ersten Moment sogar belustigen, wenn er ihr beibringen würde, man würde ihn für den nächsten, dunklen Lord halten, doch sie würde nur solange herzhaft darüber lachen, bis er ihr anvertrauen würde, um wen es sich bei der Person handelte, die diese Theorie vertreten würde.
Sein Kollege Severus schien in den letzten Wochen und Monaten zwar immer wieder mal in alte Muster zu verfallen, aber dass es so schlimm kommen würde wie heute, hätte Harry nicht gedacht. Nach einer kurzen Überlegung wollte er an Hermines logische Denkweise appellieren und fragte daher: „Mine, wenn wir annehmen würden, dass das mit Snapes seltsamen Anwandlungen eine Krankheit wäre, wie würdest du dann das bezeichnen, was heute geschehen ist?“
Sie schnäuzte sich zunächst die Nase und trocknete die Augen, bevor sie nachdachte und mit verquollener Stimme sagte: „Ich würde sagen, er hatte einen Rückfall.“ Hier stimmte Harry ihr zu. Obwohl sie stinksauer auf Snape war, so wusste sie doch auch, dass er möglicherweise für sein explosives Verhalten gar nichts konnte. Ihr klangen plötzlich seine Worte in den Ohren, die er vor nicht allzu langer Zeit zu ihr gesagt hatte: „Miss Granger, es bedeutet mir viel, was Sie für mich tun!“ So etwas Feinfühliges konnte er von sich geben, wenn man ihn nett behandelte, doch wenn man sich wie heute einen Fehltritt erlaubte, dann brachen Zorn und Wut ungebremst hervor und ließen ihn zu einer abscheulichen Bestie werden.
„Wir dürfen nicht aufgeben, Mine. Ich glaube, er macht sich in diesem Augenblick vielleicht sogar schon Vorwürfe und sucht nach einer Möglichkeit“, Harry wurde unterbrochen, als Hermine den Satz beendete, „sich bei mir zu entschuldigen! Das soll er mal versuchen, dieser…“
Er beruhigte sie und empfahl: „Schlaf erst einmal drüber, ja? Ich weiß, dass du dich gekränkt fühlst und du hast jedes Recht dazu, wütend auf ihn zu sein. Du hast selbst immer gesagt, man soll lieber über eine Sache schlafen, wenn sie einen zu sehr beschäftigt. Geh einfach das, was heute vorgefallen ist, nochmal mit deinen grauen Zellen durch. Du hast mir doch erzählt, wie er gesagt hatte, du würdest dir die Mühe machen, seine Freundschaft zu erlangen. Zeig ihm einfach, wozu du wirklich fähig bist. Er hofft, dass wir ihm helfen, Mine! Ich habe auch viele, viele Dinge wegstecken müssen, bis ich ihm nahe gekommen bin. Ich glaube aber, von seinem Denkarium sollten wir wirklich die Finger lassen.“
Harry konnte ein gequältes Lächeln auf Hermines Lippen zaubern, die noch immer ein wenig zitterten. Severus musste ihr wirklich eine Heidenangst eingejagt haben, dachte Harry.
Betroffen und verletzt sagte Hermine: „Ach Harry, ich hab überhaupt keine Ahnung, wo ich mit einer Nachforschung beginnen könnte, wenn wir niemanden sonst fragen können. Außerdem weiß ich nicht, ob ich ihn so schnell wiedersehen möchte. Er war heute echt ein…“
„Schwein! Ja ich weiß, Hermine. Zu mir war er auch so“, sagte Harry kopfnickend.
Sie schluchzte nur noch einmal, bevor sie vorsichtig fragte: „Du gehst bestimmt heute Abend mit seinem Hund raus.“ Harry nickte, so dass sie ihn gleich darauf bat: „Fang das Thema bitte nicht an! Versprichst du’s mir? Wenn er drüber sprechen möchte, soll er von sich aus anfangen oder besser gleich mit mir reden!“
Auch hier stimmte Harry nickend zu. „Ich bin gespannt, ob er überhaupt was zu mir sagen wird“, sagte Harry abschließend, bevor er sich von Hermine verabschiedete, die einfachheitshalber seinen Kamin benutzte, um nachhause zu flohen.
Nachdem Severus die Theorie durchgegangen war, die Miss Granger ihm dagelassen hatte, begann er sich zu fragen, warum er sie nur aus seinen Diensten entlassen hatte. Die Ideen, die sie immer hatte, waren zwar außergewöhnlich, aber nachvollziehbar. Sie hatte einen klugen Kopf und er hatte sich an genau diesem auf brutale Weise vergriffen. Das erste Mal in seinem Leben konnte er wirklich nachvollziehen, wie sich ein anderer Mensch fühlen musste, denn Empathie war im Allgemeinen nie seine Stärke gewesen. Natürlich rief er sich immer und immer wieder das Szenario ins Gedächtnis zurück, wie es ihm ergangen war, nachdem er Harry in seinem Denkarium erwischt hatte. Damals waren Severus viele Dinge durch den Kopf gegangen, aber die schlimmste Befürchtung war jene gewesen, dass Harry alles, was er über seinen Zaubertränkelehrer gesehen hatte, herumerzählen würde, damit man ihn wieder einmal zum Gespött der Schule machen könnte. Doch Harry hatte es tatsächlich all die Jahre für sich behalten; hatte nicht einmal seinen besten Freunden davon berichtet.
Ganz tief in seinem Innern bereute er, wie er mit Miss Granger umgegangen war. Er bedauerte, sie von sich gestoßen zu haben, weil sie bisher eine geniale Schülerin gewesen war, die er zu gern weiterhin unter seinen Fittichen hätte. Er hatte zuvor noch nie einen privaten Schüler gehabt. Einen Meisterschüler zu unterrichten war etwas anderes als täglich den Dummköpfen in den Klassen etwas in ihre Schädel prügeln zu wollen. Miss Granger als Schülerin zu haben bedeutete, immer jemanden um sich zu haben – nicht allein zu sein. So überwältigend und gleichermaßen beängstigend die Gefühle im ersten Moment auch waren, nachdem sie bei der angebotenen Stelle zugesagt hatte, so unerträglich war es nun zu wissen, dies alles durch einen Fehler verloren zu haben.
Die Mappe mit ihrer neuen Theorie hatte Severus mit in sein Wohnzimmer genommen. Auf der Couch sitzend blickte er auf ihre Handschrift, die ihm mittlerweile so vertraut war, während der Hund seinen Kopf auf Severus’ Oberschenkel gelegt hatte, um sich tätscheln zu lassen. Miss Granger war sehr ordentlich. Nie hatte er einen Schreibfehler entdeckt oder gar ein durchgestrichenes Wort. Sie hatte stets drauf geachtet, ihn mit ihrer Arbeit zufriedenzustellen. Gedankenverloren vergaß Severus das Abendessen und die Zeit.
Plötzlich klopfte es, bevor die Tür sich bereits ohne Aufforderung öffnete. Es konnte sich nur um Harry handeln, dachte Severus und seine Vermutung wurde bestätigt.
„Hi, Severus! Heute keinen Hunger gehabt? Hab’ Sie beim Abendessen vermisst“, sagte Harry gut gelaunt. Der Hund sprang auf, rannte zu Harry herüber und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.
„Was dagegen, wenn ich heute Abend mitkomme?“, fragte Severus mit beherrschter Stimme einen daraufhin verdutzten Harry, der jedoch keinesfalls ablehnte.
In der Nähe von Hagrids Hütte spazierten sie am verbotenen Wald entlang. Harry ahnte, dass Severus reden wollte, denn immer wieder blickte sein älterer Kollege zu ihm hinüber. Mittlerweile schien es fast so, als würde Severus von Harry erwarten, den Anfang zu machen, aber er hatte Hermine versprochen, das Thema nicht zu erwähnen.
Severus schien solche Schwierigkeiten zu haben, sich jemandem anzuvertrauen, so dass Harry sich ein Herz nahm und endlich fragte: „Geht es Ihnen gut? Sie sehen sehr nachdenklich aus.“ Das sollte reichen, um Severus zum Reden zu bewegen, aber Harry hatte sich geirrt. Vielleicht ging sein Kollege davon aus, dass Harry bereits über alles im Bilde war, aber selbst wenn er damit richtig lag, würde Harry niemals ein Versprechen brechen. So liefen sie weiterhin stumm nebeneinander her, bevor sie wieder den Heimweg einschlugen. Severus hatte kein Wort von sich gegeben.
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