von Muggelchen
An dem Abend im März, an welchem die Schule wiedereröffnet wurde, traf sich Draco mit Susan zum Eisessen in Florean Fortescues Eissalon. Ihm war völlig egal, ob sie in einem Cafè saßen oder in einem Restaurant; die Hauptsache für ihn war, dass er ihr seine Entschuldigung persönlich überbringen könnte, was sich jedoch als sehr schwierig erwies. Er hatte sich selten in seinem Leben für sein Verhalten entschuldigen müssen. Mehrmals setzte er an, ihr sein Bedauern auszusprechen, aber bevor er ein Wort der Reue verlieren konnte, verließen andere seinen Mund.
So sprach er den Abend der Verleihung an, an dem sie zusammen bei den Weasleys getanzt hatten. Sie hatte es zwar schon in einem Brief erwähnt, aber es war etwas völlig anderes, ihre Augen fröhlich glitzern zu sehen, wenn sie davon schwärmte, wie gut ihr das gefallen hatte. Draco fühlte sich geschmeichelt, als sie ihn einen außerordentlich guten Tänzer nannte. Das war ein Kompliment; wieder eines von ihr. Er musste sich bedanken oder eines zurückgeben, wie Severus es ihm erklärt hatte. Das letzte Mal hatte er sich einfach bedankt. Dieses Mal…
Sein Herz raste, als er krampfhaft versuchte, nach einem ehrlichen Kompliment zu suchen, welches er ihr entgegenbringen konnte. Er blickte sie an und vergaß für einen Augenblick die Zeit. Ihr kräftig rotes Haar wurde von den letzten Sonnenstrahlen geflutet, die einige Strähnen zum Glänzen brachten. Ohne zu überlegen sagte Draco geistesabwesend: „Ich hätte nie gedacht, dass mir rote Haare so gefallen könnten.“ Ihr Lächeln verschwand und wurde durch einen fragenden Blick ersetzt.
Was hatte er da nur gesagt? Er meinte es als Schmeichelei, aber es kam völlig anders rüber. „Ich… ich meine…“, sagte Draco stockend, bevor Susan befreit lachen musste.
„Ist schon gut, keine Sorge! Wenn ich mich jetzt in Sie hineinversetze, Mr. Malfoy, dann würde ich meinen, Sie hätten eine Abneigung gegen rote Haare wegen der ganzen Weasleys, mit denen Sie in der Schule nicht gerade gut ausgekommen sind. Daher nehme ich das als Kompliment!“, sagte sie schäkernd.
Woher wusste sie nur, wie seine Gedanken sich verzweigten? Rote Haare brachte er tatsächlich stets mit den Weasleys in Zusammenhang und dass er die damals nicht leiden konnte, war kein Geheimnis. Draco lächelte verlegen und erklärte: „Trotzdem hab ich mich ungeschickt ausgedrückt.“
Aber Susan lachte nur und winkte ab. „Mr. Malfoy, die wenigen Male, die wir uns bereits getroffen haben… Wie soll ich das beschreiben? Na ja, es ging immer hoch und runter; auf und ab. Vielleicht sollten wir mal versuchen, die Waage zu halten und ab einem Punkt konstant weiterzumachen. Vielleicht ab heute?“, suggerierte sie ganz offen, bevor sie einen Schluck von ihrer Eisschokolade nahm.
Gegen das Lächeln, das ihre Worte auf seine Lippen zauberte, konnte er nichts unternehmen. Nickend stimmte er zu, doch sagte er: „Aber nur…“ Sie horchte interessiert auf. Natürlich würde ein Malfoy eine Bedingung stellen und sie war gespannt darauf, welche das sein würde. Er lächelte nochmals und beendete seinen Satz: „…wenn Sie mich wieder beim Vornamen nennen. Den Punkt hatten wir schon hinter uns!“
Die Schüler trafen zur entsprechenden Uhrzeit am Bahnhof ein. Erstklässler würden erst im September eintreffen, weswegen der Professor für die Pflege magischer Geschöpfe dieses Mal wegen der reiferen Schüler nach Hogsmeade gekommen war, um sie mit den Kutschen abzuholen. Hagrid kullerte eine Träne über die Wange, die gleich darauf unbemerkt in seinem zotteligen Bart verschwand und sein großes Herz wurde ihm ganz schwer, als er mit ansehen musste, wie viele Schüler nun die Thestrale bestaunten und streichelten.
Die Idee mit den Aufbauklassen stellte sich als kleiner Geniestreich heraus. Durch die gezielten Testbögen würden die Lehrer noch vor Einschulung der Erstklässler herausfinden, welcher Schüler über welchen Wissensstand verfügte. Die Atmosphäre in Hogwarts war in dieser Zeit sehr entspannend. Die Schüler mussten nichts lernen und bekamen auch kaum Hausaufgaben auf. Sie mussten lediglich im Unterricht Fragebögen ausfüllen, Essays schreiben, ihr Geschick im Brauen von Zaubertränken unter Beweis stellen, praktische Prüfungen bei Professor Flitwick in Zauberkunst ablegen und so weiter und so fort. Sie mussten sozusagen zeigen, was sie konnten.
Professor McGonagall stellte fest, dass sieben Schüler im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren die Fähigkeit besaßen, eine Animagus-Form anzunehmen, was sie natürlich erst Albus und dann gewissenhaft dem Ministerium mitteilte. Auffällig war, dass die Animagi der sieben Schüler ausschließlich Fluchttiere darstellten. Im Lehrerzimmer hörte Harry, wie Minerva mit Albus darüber sprach. Sie erklärte, dass eine Animagusform nicht frei wählbar wäre, sondern von der Persönlichkeit abhängen würde. Harry war dabei, als die vier Mädchen und drei Jungen stolz ihren Animagus vorführten. Dabei kamen so scheue Tiere an Tageslicht wie ein Chinchilla, eine Rennmaus, ein Pferd, zwei Rehe, ein Kaninchen und ein Meerschweinchen – ängstliche Tiere, die bei dem kleinsten Laut aufgeschreckt das Weite suchten.
Noten wurden während der Überprüfung des Wissensstandes nicht vergeben. Vier ältere Schüler imponierten so sehr mit ihren Fähigkeiten, dass sie die UTZ-Prüfung außerhalb der Reihe ablegen durften. Nach relativ kurzer Zeit konnten alle verbleibenden Schüler in einzelne Klassen eingegliedert werden. Ginny kam in einer der zwei zukünftigen Klassen für das siebte Schuljahr, in denen man bis zum regulären Beginn des Schuljahres den bisherigen Unterrichtsstoff etwas auffrischen wollte. Draco besuchte keine der Klassen.
Hermine hatte damals zusammen mit Harry und Ron ihren UTZ geschafft. Neben ihrer Ausbildung zur Heilerin im St. Mungos verbrachte sie nun ihre Nachmittage bei Snape im Kerker. Das Angebot, seine Zaubertränkeschülerin zu werden, hatte sie nicht mehr angesprochen. Zu Rons Bedauern war Hermine bald öfter in Hogwarts als bei ihm Zuhause. Er musste trotzdem immer lange auf Hermine warten, obwohl auch er durch das harte Training bei Pfützensee meist spät nachhause kam. Kaum hatte sie begonnen, sich regelmäßig mit Snape wegen Harrys Gabe zu treffen, kam auch bald schon ihr Patronus-Otter, der ihm mitteilte, dass sie in Hogwarts bei Harry auf der Couch übernachten würde. Ron nahm diese Nachricht zum Anlass für ein kurzes, sehr herzliches Treffen mit seinem besten Freund und einer etwas größeren Auseinandersetzung mit Hermine, die am Ende nachgab und trotz der fortgeschrittenen Stunde mit ihm zurück nachhause ging.
Wenige Tage nach dieser Auseinandersetzung besuchte Hermine Harry, bevor sie in die Kerker gehen wollte. „Was ist los, Mine?“, fragte Harry, der ihren sorgenvollen Blick nicht übersehen konnte.
„Sag mal, hat Ron in letzter Zeit mal mit dir geredet? Ich meine, so über alles Mögliche“, begann Hermine zögerlich.
Nicht drumherum redend fragte Harry: „Über dich?“
Hermine nickte, während sich ihre Augen langsam mit Tränen füllten. Sie trocknete sie mit ihrem Ärmel, bevor sie stockend erklärte: „Ich glaube, dass ich ihn nicht glücklich machen kann, Harry. Was soll ich denn nur tun? Wir sind schon so lange verlobt.“ Sie seufzte, bevor sie ehrlich sagte: „Ich liebe ihn! Ich liebe ihn wirklich. Es macht Spaß, mit ihm Schach zu spielen. Er ist witzig. Ich meine, ich bekringel mich vor Lachen, wenn er ’boah ey’ oder ’voll krass’ sagt. Er ist dann so süß.“ Hermine konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie ließ ihnen freien Lauf, während sie weiterhin erklärte: „Aber wir drehen uns im Kreis, Harry. Wir kommen einfach nicht voran. Dabei möchte ich so gern weiterkommen im Leben. Ich glaube, wir bremsen uns gegenseitig aus.“
Harry hatte sich alles in Ruhe angehört, bevor er fragte: „Hast du mit ihm schon mal darüber gesprochen, was dich beschäftigt?“
Entmutigt schüttelte sie den Kopf. Sie atmete einmal ein und aus, um sich zu stählen, bevor sie sagte: „Ach weißt du, vielleicht ist das nur eine Phase bei mir. Vielleicht ist ja alles in Ordnung, nur ich bin komisch. Ich möchte wirklich gern das Angebot von Snape annehmen. Das wäre für mich ein Erfolg versprechender Einstieg in ein Gebiet, das mir eh viel besser liegt als ’Heilerin’, aber wenn Ron jetzt schon so sauer wird…“, sie hielt inne und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich meine, ich bin doch nur während meiner Freizeit hier. Sollte ich Zaubertränkeschülerin werden, würde ich noch viel mehr Zeit hier verbringen!“
Fordernd fragte Harry: „Vor was genau hast du Angst, Hermine?“
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie leise und schluchzend zugab: „Dass ich ihm das Herz breche.“ Harry tröstete seine beste Freundin und nahm sie ihn den Arm, bis ihre Atmung sich wieder normalisiert hatte. „Danke Harry, danke fürs Zuhören! Das war wirklich notwendig. Ich geh dann mal nach unten“, sagte sie, während sie von Harry zur Tür begleitet wurde.
„Na dann, viel Spaß im Kerker! Und Hermine?“, sagte Harry, der noch wartete, bis sie ihm in die Augen blickte. Dann gab er ihr mit auf den Weg: „Ron ist kein Hellseher. Du musst ihm sagen, was in dir vorgeht!“ Sie nickte und lächelte dankend.
Hermine war keine zwei Monate regelmäßig in Hogwarts, da stand eines Abends Ron bei Harry auf der Matte, um mit ihm zu reden. Sein bester Freund wirkte bedrückt. Es war nicht schwer zu erahnen, dass er Probleme mit Hermine haben musste. Harry hatte das Gefühl, dass es an ihm lag, den Anfang machen zu müssen, wenn die Situation nicht eskalieren sollte. So sagte er unverbindlich klingend: „Ron, ich beneide dich! Ich beneide dich um deine Kindheit, deine Sorglosigkeit und deine Leichtigkeit, das Leben zu sehen. Vielleicht bist du mein bester Freund, weil du mich niemals hast merken lassen, dass ich das alles nie hatte.“
Harry ließ den Satz jetzt einen Moment wirken, bevor er zur Sache kam: „Hermine ist genauso mein Freund wie du.“ Er erinnerte sich für einen Moment an das Trimagische Turnier, als er Ron aus dem See retten musste und Hermine gleich hatte mitnehmen wollen, weil sie auch seine Freundin war. Dann gab Harry offen zu: „Ich habe mir aber nie vorstellen können, mit ihr etwas anzufangen, das über Freundschaft hinausgeht.“
Mit zusammengekniffenen Lippen nickte Ron zustimmend. „Weiß du, Harry… Ich liebe sie wirklich, aber wir hatten nach unserer Verlobung irgendwie keinen Plan mehr; eigentlich vorher schon nicht. Keiner von uns wollte den nächsten Schritt wagen. Keiner hat darüber gesprochen, wann denn nun mal die Hochzeit sein soll. Es hat ewig gedauert, bis wir überhaupt zusammengezogen sind und noch immer hat jeder von uns einen Großteil seiner Sachen bei den Eltern stehen. Wir haben eine so lange Verlobungszeit hinter uns…“ Ron hielt inne und quälte sich ein Lächeln ab, bevor er sagte: „Ich glaube, euer Papst wäre stolz auf uns.“
Harry versuchte, entspannt zu lachen, um die Stimmung etwas aufzulockern. „Versteh mich nicht falsch, Harry. Ich will nicht über Mine lästern oder so, aber ich kann einfach mit ihren Interessen wenig anfangen. Konnte ich noch nie. Dieses ständige Lesen... Immer wieder schenkt sie mir Bücher. Das ist lieb gemeint, mich zum Lesen animieren zu wollen, aber dann lieber Science Fiction oder so was, aber nichts über Tiere der magischen Welt.“
Sich in Hermine hineinversetzend erwiderte Harry: „Ja, ich verstehe, Ron. Und ich denke, im Gegenzug kann sie nicht deine Begeisterung für Quidditch teilen. Natürlich feuert sie dich auch im Stadion an, aber es ist trotzdem nicht ihr Ding. War es in der Schule schon nicht. Ich käme mit ihr als Partnerin auch nicht gut aus.“ Harry kam auf Ron zu und legte ihm einen Arm über die Schultern, bevor er sagte: „Aber als Freund, so als Kumpel, Ron, da passen wir beide wirklich super zu ihr!“
Ron lächelte erleichtert, bevor er bedrückt zugab: „Sie will unbedingt ihren Meister in Zaubertränke machen und ich glaube, ich stehe ihr da im Weg.“
Die beiden setzten sich und schwiegen sich an. Nach einer ganzen Weile wurde die Stille unterbrochen. „Ich liebe sie, Harry“, wimmert Ron, während er verloren auf den Boden blickte.
„Ich weiß“, antwortete sein Freund leise.
Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, sagte Ron fast flüsternd: „Aber wir passen einfach nicht zusammen.“
Seufzend erwiderte Harry: „Ich weiß, aber Ron, es wäre besser für euch beide, wenn du das Gespräch, das wir hier gerade geführt haben, einmal mit ihr beginnst.“
Dieses Mal antwortete Ron knapp: „Ich weiß.“
Bekümmert sagte Ron über seinen zerplatzten Traum: „Ich hab immer gedacht, sie wäre es, Harry.“
Den Kopf schüttelnd erwiderte Harry: „Lass den Kopf nicht hängen, Ron. Ich bin sicher, dass ihr beide offen darüber reden könnt. Hermine wird dich verstehen. Und ich bin mir sicher, dass du nicht um ihre Freundschaft bangen musst!“
Hier begann Ron plötzlich zu schluchzen, bevor er offen weinte, woraufhin er sich willig von Harry zum Trösten in den Arm nehmen ließ. Nachdem sich Ron gefasst hatte, bekannte er: „Das hat mir immer am meisten Sorge bereitet. Ich meine, zu glauben, dass ich sie komplett verliere, wenn wir unsere Beziehung beenden. Ich will sie als Freundin behalten. Das, was wir hier zusammen tun, das macht mir Spaß, weißt du? Abenteuer bestehen und Rätsel lösen! Du bist in dem einen am besten und Mine in dem anderen. Ich will aber weiterhin mittendrin sein, Harry!“ Wieder begann Ron zu weinen.
Harry verstand seinen Freund. Der bangte mehr darum, Hermines Freundschaft für immer zu verlieren als die Beziehung zu beenden. „Ron, ein Trio besteht aus drei Leuten. Das wird so bleiben! Du brauchst gar nicht denken, dass du überflüssig bist. Wenn du in der ersten Klasse nicht die Schachpartie gewonnen hättest, würde heute alles ganz anders aussehen. Du bleibst für uns beide unersetzlich, Ron!“, versicherte ihm Harry lächelnd.
Tröstete und aufmunternd sagte er abschließend zu seinem Freund: „Aber was ganz für euch beide spricht, ist, dass ihr es fast gleichzeitig gemerkt habt. Und glaub mir, Ron, so können wir am besten das sein, was wir schon immer waren: die allerbesten Freunde.“
Nach einer Weile gestand Ron mit verquollenem Gesicht und heiserer Stimme: „Ich werde ein Momentchen brauchen, um den Schock zu verdauen.“ Einen Augenblick später fügte er beteuernd hinzu: „Und wenn ich mich gefangen habe, dann werde ich mit ihr reden. Ganz sicher!“
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