von Muggelchen
Harry spürte etwas an seinem kleinen Finger und zog daher verschreckt die Hand zurück. Als er es nochmals spürte, zuckte seine Hand nur, aber er ließ die Berührung zu. Seine Atmung beschleunigte sich trotzdem, denn er konnte nicht sehen, was ihn berührte und so schloss er die Augen. Ohne zu sehen konnte Harry das Gefühl besser einordnen. Er spürte einen Finger an seinem. Aus einem Finger wurden mehrere, die mit Bedacht seine Hand leicht umfassten. Harry öffnete kurz die Augen. Es war ein beängstigendes Gefühl, eine Hand zu spüren, aber niemanden zu sehen, weshalb Harry seine Augen fest zusammenpresste. Seine Atmung war unregelmäßig. Angst und Panik hatten ihn übermannt. Kleinlaut sagte er in den leeren Raum: „Ich hab Angst! Ich sehe niemanden!“ Dass man seine Worte gehört hatte, fühlte er, denn der Daumen der unsichtbaren Hand streichelte ermutigend seinen Handrücken. Nach einer Weile ließ er zu, von der Hand dazu aufgefordert zu werden, sich vom Boden zu erheben.
Remus hatte sich langsam an Harry herangetastet. Als Werwolf konnte er auch in seiner menschlichen Gestalt einige Gerüche verstärkt wahrnehmen, die anderen verborgen blieben. So verwunderte es ihn nicht, als Harry zugab, dass er Angst hatte. Angst war das erste, was er wahrgenommen hatte. Mit seiner feinfühligen Art hatte er es geschafft, Harry zum Aufstehen zu bewegen. Die anderen Gäste beobachteten stillschweigend und mit einem Ausdruck des Mitleids, wie Remus Harrys Hand an seine Wange führte.
Harry spürte eine Wange und einen kleinen Schnauzbart. Erleichtert flüsterte er: „Remus?!“ Er fühlte, wie der Kopf sanft nickte. Harry begann zu weinen und sagte: „Remus! Ich hab Angst! Ich will nachhause! Bring mich nachhause, ja?!“ Wieder fühlte er ein Nicken.
Sirius war etwas gekränkt, weil sein Patensohn nicht nach ihm gefragt hatte. Die beiden Männer verließen mit Harry die geschockte Gesellschaft und apparierten vor die Tore von Hogwarts. Die Statuen am Eingang ließen die drei passieren. Harry fühlte die ganze Zeit über Remus Hand und auch wenn er nichts sehen konnte, so fühlte er sich auf dem Grund und Boden von Hogwarts bereits wesentlich wohler. Die unsichtbare Hand führte ihn in die Kerker. Harry wusste, dass Remus Severus aufsuchen wollte. Salazar erklärte an Snapes Gemächern: „Er ist nicht hier, Harry. Er ist in seinem Büro! Mit einer Frau…“ Harry kannte den Weg dorthin. Als Ron und er mit dem Ford Anglia nach Hogwarts geflogen waren, landeten sie so zusagen gleich danach in Snapes Büro, um eine Standpauke über sich ergehen lassen zu müssen.
Nachdem Remus an Snapes Bürotür geklopft hatte, wurde sie wenig später geöffnet. „Lupin!“, sagte Snape böse grinsend. Er wollte seinen ehemaligen Schulkameraden und Kollegen mit einer schnippischen Bemerkung aufziehen, da hielt er plötzlich inne. Neben Lupin stand Harry, der ihn mit großen Augen anblickte. Einige Äderchen waren in dem Weiß seiner Augen geplatzt, was Harry ein zombiehaftes Aussehen verlieh.
Bevor Remus die Gelegenheit dazu bekam, erklärte Harry bereits leise: „Ich sehe Remus nicht! Ich fühle seine Hand, aber ich sehe ihn nicht!“ Severus blickte hinunter und bemerkte die sich haltenden Hände der beiden Männer.
Hermine hatte sich zur Tür vorgekämpft und sagte: „Harry, wie ist das geschehen?“
Severus hatte die drei Männer in sein Büro gebeten, auch wenn es ihm nicht gefiel, dass einer der Männer Black war. Harry zitterte am ganzen Körper und erklärte die Situation dieses Mal ausführlicher. Er erklärte, wie er sich über Sirius und seine Gehässigkeiten geärgert hatte und wie mit einem Male Stille einkehrte. „Das ist interessant!“, sagte Severus gelassen. Er begann damit, Harry auszufragen: „Sie haben nicht einmal mehr die Menschen gesehen, die Sie nicht verärgert haben?“ Severus konnte es sich nicht verkneifen, Sirius für Harrys Zustand die Schuld zuzuweisen. Harry verneinte.
Während Severus die Flasche mit dem leichten Beruhigungsmittel suchte, weil das beim letzten Mal geholfen hatte, sagte Harry mit besorgter Miene zu Hermine: „Was ist, wenn ihr alle verschwindet…? Was, wenn ich irgendwann niemanden mehr sehen kann? Hermine… ich will nicht allein sein!“
„Black, wie wäre es, wenn Sie das tun, was Sie am besten können?“, suggerierte Severus hochnäsig.
„Und das wäre…?“, fragte Sirius gereizt nach.
Snape wandte sich direkt an Black und befahl: „Gehen Sie und holen Sie Albus!“ Sauer darüber, Snapes Befehl gehorchen zu müssen, weil es das Beste für Harry war, verließ Sirius das Büro, um den Direktor zu benachrichtigen.
„Lupin…“, sagte Severus, um die Aufmerksamkeit des ehemaligen Rumtreibers zu erlangen. Remus hatte noch immer nicht von Harrys Hand abgelassen.
Er wirkte hilflos und besorgt. „Ja, Severus?“, fragte Remus mit dünnem Stimmchen und großen Augen. Von den vier Gryffindors, die Severus damals das Leben schwer gemacht hatten, war Remus der harmloseste, wenn nicht gerade Vollmond war.
„Lupin, unterrichten Sie mich so genau wie möglich über den Inhalt der Gespräche, die Mr. Potter so verärgert haben. Ich brauche Anhaltspunkte, was den Auslöser für Harrys… Krankheit betrifft.“
Remus druckste herum. Wie sollte man jemandem ins Gesicht sagen, dass man über ihn schlecht gesprochen hatte, ohne das eigene Gesicht dabei zu verlieren? Sich zusammennehmend erklärte Remus abgehackt: „Wir… wir haben über alte Zeiten gesprochen. Über Hogwarts… und über die Späße, die James…“
Er genoss es, Lupin so verlegen zu erleben. Spöttisch warf Severus ein: „Ah ja, die Späße. Die waren nur für diejenigen unterhaltsam, die durch Ihren Schabernack nicht persönlich betroffen waren, nicht wahr? Haben Sie über bestimmte Ereignisse ausführlich diskutiert oder hat es Ihnen gereicht, die Erinnerungen an ihre Schulzeit mit einer kurzen, chronologischen Aufzählung ihrer Streiche aufzufrischen?“
Hermine dachte laut: „Vielleicht will Harry nicht hören, dass sein Vater früher so ein… Na ja… so ein…“
Severus nahm es ihr ab, eine entsprechende Bezeichnung zu suchen und schlug mit ruhiger Stimme, als fühlte er sich nicht persönlich betroffen, einige Begriffe vor: „Taugenichts? Unruhestifter? Schultyrann? Es gibt viele Bezeichnungen, die zutreffen würden.“ An Harry gewandt fragte Severus ernsthaft: „Ist es so, Mr. Potter? Gefällt es Ihnen nicht, wie Ihr Vater früher mit seinen Mitschülern umgesprungen ist? Wollen Sie nicht hören, wie er andere gedemütigt und verletzt hat? Schalten Sie daher einfach Ihre Sinne aus?“
„Ich schalte gar nichts aus! Das passiert einfach!“, erklärte Harry sofort. Er überlegte kurz, antwortete jedoch ehrlich: „Mir gefällt zwar nicht, was er getan hat, aber ich habe mich damit abgefunden, dass er in der Schule einige… ähm… unschöne Dinge angestellt hat.“
Die Tür öffnete sich. Sirius kam hereingestürzt und sagte aufgeregt atmend: „Albus ist nicht da. Minerva sagt, er wäre kurzfristig zu den Weasleys aufgebrochen.“
Harrys Augen weiteten sich vor Freude: „Sirius!“
Mit breitem Lächeln fragte sein Pate: „Du siehst mich, Harry? Oh, ich bin so froh darüber!“ Harrys Freude verging, als er auf seine Hand starrte, die noch immer die unsichtbare Hand von Remus hielt.
Zaghaft fragte Remus: „Harry, siehst du mich?“ Er erhielt keine Antwort.
„Ich möchte ein Experiment wagen!“, kündigte Severus an. „Lupin, wenn Sie die Freundlichkeit hätten…“ Remus stand auf und ließ sich willig von Severus zur Tür begleiten. „Mr. Potter, ich möchte Sie bitten, wenn möglich ohne zu blinzeln, die Tür hier im Auge zu behalten.“ Severus schloss die Tür hinter Remus und öffnet sie sofort darauf wieder. Harry hatte nicht einmal geblinzelt.
Als die Tür wieder aufging, sagte er aufgeregt fröhlich: „Ich sehe ihn!“ Remus fiel ein Stein vom Herzen.
Hermine blieb erstaunlich sachlich, als sie zu Severus sagte: „Dann ist es definitiv keine Erkrankung des Gehirns und keine psychologische Muggelkrankheit!“
Severus bestätigte ihren Verdacht und erklärte: „Sie haben Recht, Miss Granger. Es muss eine magische Erkrankung sein…“
Hermine fiel ihm ins Wort und regte an: „Es könnte aber auch ein Phänomen sein und keine Erkrankung!“
„Wenn es ein Phänomen ist, Miss Granger, dann eines, das äußerst selten auftritt, weil ich nämlich auf diesem Gebiet bereits recherchiert und nichts gefunden habe!“, erwiderte Severus.
„Auf jeden Fall scheint er Probleme damit zu haben, die Sache wieder rückgängig zu machen. Ergibt es denn überhaupt einen Sinn, Dinge oder Personen, die er schon nicht sehen kann, kurzzeitig zu verbergen, damit er sie wieder sehen kann?“, philosophierte Hermine.
Perplex starrten Remus, Sirius und Harry auf Hermine und Severus, die wie ein eingespieltes Forscherteam ihre Theorien mitteilten, während sie Bücher aufschlugen, um etwas nachzulesen. „Ähm…“, sagte Harry, um die Aufmerksamkeit der beiden zu erlangen. Als Severus ihn anblickte, fragte Harry fassungslos: „Warum genau ist Hermine eigentlich hier?“
Jetzt blickte auch Hermine von ihrem Buch auf und erklärte: „Oh… Na ja, wir sind seit Wochen damit beschäftigt, einen Grund für deine… Situation zu finden. Was hier eben geschehen ist, war sehr interessant, Harry!“
Severus erläuterte: „Möglicherweise ist es nichts, weswegen man sich Sorgen machen müsste, aber wir wollten zumindest herausbekommen, was es überhaupt sein könnte.“
Ungläubig fragte Harry: „Ihr beide – zusammen – recherchiert und forscht seit Wochen, was der Grund dafür sein könnte, dass ich manchmal keine Leute mehr sehe?“ Hermine nickte mit einem Gesichtsausdruck, der mitteilte, dass sie ihr Verhalten für völlig normal hielt.
Severus nickte nur einmal bestätigend, bevor er sagte: „Mr. Potter, wenn das noch einmal geschehen sollte, dann suchen Sie mich bitte sofort auf und zwar, wenn möglich, zusammen mit der Person, die Sie nicht mehr sehen können! Mir ist da noch eine andere Sache eingefallen, der ich auf den Grund gehen möchte.“
Die durch den Schnee weißgezeichnete Landschaft war ein wahrer Blickfang. Harry saß an seinem Fenster im ersten Stock und schaute verträumt nach draußen. Er hatte sich dazu entschlossen, Severus die Flasche Nesselwein, die er aufgrund des hohen Wertes bereits abgelehnt hatte, zu Weihnachten zu schenken. Die Eule mit dem Geschenk hatte er gestern Abend losgeschickt. Weihnachtspäckchen wurden von den Hauselfen empfangen, die entsprechend der Adressierung die Geschenke unter die jeweiligen Weihnachtsbäume legten. Dass Severus dem Wein nicht abgeneigt war, hatten Harry in einigen Gesprächen herausbekommen. Der einzige Grund, warum er die Flasche nicht annahm war, weil sie seines Erachtens zu wertvoll war. Weihnachtsgeschenke abzulehnen war jedoch ungehörig, dachte Harry, weswegen er damit rechnete, dass Severus die Flasche dieses Mal behalten würde.
Unter dem kleinen Weihnachtsbaum in Harrys Wohnzimmer hatten sich etliche Geschenke angehäuft, die von den Hauselfen dort niedergelegt worden waren. Die Form und Griffigkeit eines der Geschenke ließ einen Pullover erahnen. Der Blick auf das Schild am Päckchen, auf welchem Familie Weasley stand, bestätigte Harrys Vermutung. Sie schenkten ihm neben dem jährlichen Pulli, für den er wohl nie zu alt war, auch Bücher und einige Kleinigkeiten, die er gut gebrauchen konnte.
Sirius und Anne hatten ihm einen Besen geschenkt. Es war der neue Rocketeer, der momentan schnellste Besen auf dem Markt. Nachdem Harry den Besen für eine Viertelstunde begeistert begutachtet hatte, stürzte er sich auf die anderen Geschenke. Was war es wohl, was Remus und Tonks ihm schenkten? Deren Paket fühlte sich so weich an wie das mit dem Pullover von Mrs. Weasley. Nachdem er es geöffnet hatte, breitete er den Inhalt auf dem Boden aus. Es war ein kompletter Muggelanzug: Eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, eine passende Krawatte, sogar Schuhe, Krawattennadel, Manschettenknöpfe mit dezentem Gryffindorabzeichen und Unterwäsche waren dabei. Der Anzug wirkte etwas groß, dachte Harry, bevor er den dabei liegenden Brief las:
„Lieber Harry,
wir beide wünschen dir ein schönes Fest. Wir sehen uns zwar morgen, aber das Geschenk wollten wir dir pünktlich überreichen! Keine Sorge wegen der Größe, denn die passt sich magisch an!
Alles Liebe,
Remus & *durchgestrichen* Tonks“
Harry lachte. An der Handschrift erkannte er, dass Remus ihren Vornamen unter den Brief geschrieben hatte. Sie musste ihn ohne sein Wissen durchgestrichen haben, denn es war an der Handschrift eindeutig zu erkennen, dass Tonks ihren Nachnamen dahinter gesetzt hatte.
Er staunte nicht schlecht, als er ein kleines Päckchen in der Hand hielt, welches von Severus stammte. Neugierig öffnete er es und las den Titel des Buches: „Muggel-Märchen und ihr historischer Hintergrund“. Erst nachdem Harry die Kapitel des Buches im Inhaltsverzeichnis überflogen hatte, verstand er die Bedeutung des Geschenkes. Er könnte das Thema sogar in seinem Unterricht einbringen, wenn er wollte. Das Buch behandelte bekannte Märchen aus der Muggelwelt, die entweder tatsächlich stattgefunden hatten oder zumindest einen wahren Kern besaßen.
Harry las gleich das Kapitel über Schneewittchen. Die Hexe aus diesem Märchen gab es früher also wirklich! Sie hantierte mit schwarzmagischen Gegenständen wie Spiegeln herum und war zu ihrer Zeit eine gefürchtete Zaubertränkemeisterin. Das Gift auf dem Kamm war verdünntes Basiliskenblut und der Apfel war mit einem Gebräu getränkt, ähnlich dem "Trank der Lebenden Toten". „Wow!“, brachte Harry erstaunt hervor. Nicht, dass Tante Petunia oder Onkel Vernon ihm jemals ein Kinderbuch vorgelesen hatten. Nachdem Harry seit der Vorschule bereits Lesen konnte, hatte er damals Dudleys verschlissene Märchenbücher verschlungen.
Am Fenster klopfte es und Harry ließ gleich darauf eine Eule herein. Der Brief, den sie brachte, stammte vom Ministerium. In ihm stand:
„Sehr geehrter Mr. Potter,
es freut uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Ihnen für Ihre besonderen Verdienste für das Wohl der magischen und nichtmagischen Gesellschaft den Orden des Merlin 1. Klasse überreichen möchten.
Wir möchten Sie daher bitten, sich am 08. Januar kommenden Jahres zu 14 Uhr im Ministerium einzufinden. Die Verleihung selbst findet um 18 Uhr statt.
Wir bitten Sie herzlich zu erscheinen.
Ein frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Arthur Weasley
Minister für Zauberei“
Den Brief legte Harry emotional unbewegt auf einen Tisch, bevor er sich den anderen Geschenken widmete. Als er alle Geschenke geöffnet hatte, nahm er sich erneut das Buch über Märchen und las auf dem Boden sitzend darin weiter.
Wenige Minuten später pochte es laut. Das aufgeklappte Buch auf dem Boden liegen lassend erhob sich Harry und öffnete die Tür. Vor ihm stand Severus, in einer Hand die Flasche Nesselwein haltend, in der anderen ganz offenbar den Brief von Mr. Weasley. Bevor Harry die Chance bekam, einen Gruß loszuwerden, zeterte Severus aufgebracht und mit Zornesröte auf den Wangen, während er mit dem Stück Pergament in der Luft wedelte: „Mr. Potter! Was denken Sie sich dabei? Ich habe es nicht nötig, aufgrund von Beziehungen so eine Auszeichnung…“
Harrys Augen weiteten sich. Er lächelte und sagte unterbrechend: „Bei Merlins Bart, Sie haben auch einen bekommen? Das ist ja riesig!“ Harry stürmte auf den Tisch zu und nahm seinen Brief vom Ministerium in die Hand. Severus nachahmend wedelte er damit und sagte fröhlich: „Ich habe auch einen Brief bekommen! Sagen Sie, welche Klasse will man Ihnen verleihen?“
Verdutzt öffnete Severus einige Male den Mund, aber es kam kein Ton heraus. Nachdem er sich geräuspert hatte, sagte er leise: „Erster Klasse…“
Harry hüpfte wie ein Kind in die Luft. „Das ist ja Wahnsinn! Moment! Ich wette, Dumbledore hat auch einen Brief bekommen! Ich geh und frag ihn…“, sagte er erfreut, bevor er durch die Tür verschwand.
Mit Absicht ließ Harry einen verdatterten Severus in seinem Wohnzimmer zurück. Er wusste genau, dass Mr. Weasley den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte und nun alle drei den Orden des Merlin 1. Klasse erhalten sollten. Doch er hatte keine Lust, Severus die Gelegenheit zu geben, ihn über mögliche Gespräche mit Mr. Weasley auszuhorchen. Außerdem wollte er nicht, dass Severus ihm aus einer Überreaktion heraus wieder den Nesselwein in die Hand drückte. Er hielt es daher für sinnvoller, seine Überraschung vorzutäuschen und das Weite zu suchen. Was er nicht vortäuschen brauchte war die Freude über Mr. Weasleys Entscheidung.
Mit offen stehendem Mund verweilte Severus in Harrys Wohnzimmer. Seine Gedanken überschlugen sich. Das eben Erlebte deutete er so, dass Harry keinen Finger krumm gemacht hatte und man ihm, dem Ex-Todesser, tatsächlich aus freien Stücken diese hohe Auszeichnung überreichen wollte. Berührt über die Entscheidung des Ministers ließ sich Severus auf einen Sessel nieder. Endlich, dachte Severus, endlich honorierte man sein verdammtes Leben, das nie seines gewesen war. Endlich bekam er die Anerkennung, die er sich so sehnlich gewünscht hatte. Die Wiederherstellung seines Rufes war mit dieser bedeutsamen Auszeichnung gesichert! Severus schloss die Augen.
Die Gefühle, die wie Wellen in einer Brandung in ihm aufwallten, ließen sich kaum unterdrücken. Er wollte das Wohnzimmer seines Kollegen verlassen, bevor Harry von Albus zurückkommen und ihn so ergriffen vorfinden würde. Nachdem Severus aufgestanden war, fiel sein Blick auf das Buch, das er Harry geschenkt hatte. Miss Granger hatte beiläufig erwähnt, dass Harry Gefallen an dem Buch finden könnte, weil es bekannte Geschichten aus der Muggelwelt mit der Zaubererwelt verband. Das Buch war nicht sehr teuer, aber es war auch nicht der Wert, auf den es bei einem Geschenk ankam. Es war für Severus offensichtlich, dass Harry bereits in dem Buch gelesen haben musste.
Eine Hand hebend blickte Severus auf das Etikett der Flasche Nesselwein und wiederholte nochmals für sich, dass es nicht auf den Wert eines Geschenkes ankam. Für einen Moment verweilten seine Augen auf dem Einhorn, dem Symbol für Unschuld und Reinheit. Er entschloss sich dazu, dieses Mal Harrys Geschenk anzunehmen.
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