von Muggelchen
Hinter dem Felsen warteten Draco und Severus, bis die Todesser auf Hogwarts zustürmten. Sie verließen den schützenden Hügel erst, nachdem sie sicher waren, nicht mehr sofort von ihnen gesehen zu werden. Mit einem selbst entwickelten Zauberspruch sorgte Severus zusätzlich dafür, dass man Draco und ihm nur wenig Beachtung schenkte. Apparation war bei so einem Getümmel viel zu gefährlich, aber nicht nur deswegen rannten Draco und Severus ungefähr fünfzig Meter seitlich hinter den Todessern hinterher. Einige der Todesser versuchten es. Sie apparierten mit einem krachenden Geräusch, nur um sich kurz darauf mit zerrissenen Körpern zu materialisieren. Die Macht des Schlosses, die starken Schutzzauber um Hogwarts herum, hatte die Todesser zersplintert. Die, die noch über einen Unterkiefer verfügten, schrieen sich die Seele aus dem Leib.
Wie erhofft schenkten die schwarzen Gestalten den beiden Abtrünnigen keine Beachtung. Der Feind war auf die Auroren fixiert, die bereits damit begonnen hatten, ihre Flüche gegen die vermummten Gegner zu schleudern. Ein magischer Kampf war ein farbenfrohes Spektakel und beinahe schön anzusehen, wenn die Gefahr nicht so groß wäre, dabei sein Leben zu verlieren.
Von Severus hatte Draco etliche Zaubersprüche gelernt, die einen Gegner unschädlich machen würden. Er visierte die hinterherhinkenden Todesser nacheinander an und begann damit, Voldemorts stürmende Armee von hinten zu reduzieren, so dass die anderen den Verlust nicht auf der Stelle bemerken würden. Draco schwang seinen Zauberstab zielsicher wie eine Fliegenklatsche, und trotz der großen Entfernung fiel ein Todesser nach dem anderen bewegungslos zu Boden. Sie waren unfähig, sich zu rühren, unfähig zu kämpfen und es war unmöglich, von ihren Alliierten mit einem Gegenzauber erlöst zu werden. Nur sein eigener Stab konnte die Flüche wieder aufheben. So verlor Voldemort bereits viele seiner Todesser allein an Draco und Severus. Die überwältigten Feinde lagen friedlich und vollkommen harmlos auf dem Gras im Schein der Mittagssonne und warteten auf das Ende des Krieges.
In seinem Leben hatte Draco noch nie jemanden getötet und das sollte sich, wenn es nach ihm ginge, heute nicht ändern. Severus lief direkt vor ihm und schoss seitlich immer wieder Flüche auf die Todesser. Die hatten letztendlich bemerkt, woher die gezielten Angriffe kamen. Vier von ihnen lösten sich vom Rest, der weiter nach Hogwarts stürmte. Einer der Todesser schoss wortlos einen Avada Kedavra. Draco sprang rechtzeitig zur Seite und landete auf einer abgerissenen Gliedmaße. Der grüne Lichtblitz verfehlte ihn nur knapp und hinterließ eine erdige Narbe auf der Wiese. Als der gleiche Todesser mit beängstigender Geschwindigkeit auf Draco zugestürmt kam, traf er den Feind mit einem modifizierten Petrificus Totalus direkt an der Brust. Die Gestalt mit der weißen Maske und der schwarzen Robe gefror abrupt. Durch den vorherigen Sprint fiel sie mit hohem Tempo vornüber. Der Kopf des Todessers kollidierte mit einem Stein. Im gleichen Moment war ein unheilvoll lautes, knackendes Geräusch zu vernehmen, welches Draco das Blut ihn den Adern gefrieren ließ. Angsterfüllt dachte er an seinen Vater und er flehte, dass es nicht er sein würde, der dort schwer verletzt am Boden lag. Dass Severus die anderen drei Todesser überwältigt hatte und weiter zum Schloss rannte, hatte Draco vor lauter Entsetzen nicht bemerkt.
Mit heftig zitternder Atmung starrte Draco auf den leblos wirkenden Körper vor sich. Seine Gedanken drehten sich nur noch um eines. Die Angst, seinen Vater verloren zu haben, ließ seinen Körper beben. Nur kurz entwich ihm ein herzzerreißendes Flehen: „Vater!“ Er eilte auf den Verletzten zu, erstarrte blitzartig vor Angst, als ein weiterer Todesser auftauchte und die Szenerie seelenruhig betrachtete. Auf der Stelle richtete Draco seinen Stab auf den observierenden Feind, der sich noch immer nicht rührte. Die Arme des Betrachters hingen schlaff an dessen Seiten herab; der Zauberstab zwischen den behandschuhten Fingern verweilte in einer lockeren Position, die keinen plötzlichen Angriff zulassen würde. Skeptisch und weiterhin seinen Zauberstab auf ihn richtend beäugte Draco den Todesser, während er sich dem am Boden liegenden Verletzten näherte. Ohne es bemerkt zu haben, befand sich Draco nur noch am Rande der Schlacht, die sich direkt vor dem Schloss abspielte.
Von allen anderen ungeachtet verweilte der in schwarz gekleideten Feind ruhig auf seinem Fleck, blieb völlig unbeeindruckt von dem entfernten Getöse der Schlacht, den Schreien, den Hilferufen, dem Zischen und Grollen der Flüche. Aus einem unerklärlichen Grund verhexte Draco den friedfertig wirkenden Todesser nicht. Dennoch blieb er, wie Severus es ihm gelehrt hatte, ständig auf der Hut, während er sich dem Verletzten näherte und sich letztendlich neben ihn kniete. Augen und Zauberstab hatte er die ganze Zeit über auf den anderen Todesser gerichtet. Tastend schälte er dem Regungslosen einige Teile der gebrochenen Maske vom Gesicht als wären sie abgeplatzte Stücken einer Porzellanpuppe. Für nur eine Sekunde blickte Draco nach unten und erkannte sofort das blutverschmierte Gesicht und die leblosen Augen seiner Tante. Der Schädel war gespalten. Mit der freien Hand fühlte er nach einem Puls, aber er spürte keinen.
Es verschaffte ihm nur wenig Erleichterung zu wissen, durch diesen Unfall nicht seinen Vater, dafür jedoch seine Tante getötet zu haben. Langsam erhob er sich wieder, den Feind unablässig mit den Augen fixierend. Draco schluckte hörbar, bevor er unsicher fragte: „Vater?“ Der Todesser erhob wie in Zeitlupe seine freie Hand und zog die Kapuze vom Kopf. Schon beim Anblick der langen, blonden Haare musste Draco gegen aufkommende Tränen kämpfen. Der Zauberstab in seiner Hand bebte vor Anspannung, wie damals, als er Professor Dumbledore auf dem Astronomieturm gegenüberstand. Langsam entfernte der Todesser die Maske vom Gesicht und ließ sie zu Boden fallen. Das ausgezehrte Gesicht seines Vaters kam zum Vorschein, und obwohl er ihm bereits näher kam, verhexte Draco ihn nicht.
Bald standen sie sich gegenüber. Lucius lächelte müde. Seine Augen zeugten von tiefer Traurigkeit, als er seinen Sohn betrachtete und feststellte, wie sehr dieser gewachsen und zu einem jungen Mann geworden war. Betrübt darüber, seinen Jungen so lange Zeit nicht gesehen zu haben, schloss er für einen Moment die Augen und atmete zur Beruhigung tief durch. Draco beobachtete ihn weiterhin mit gezücktem Zauberstab. Als Lucius die Augen wieder öffnete, hob er schwächlich die Hand und reichte Draco den eigenen Zauberstab.
„Nimm ihn, Draco“, bat Lucius mit einem Flüstern. Panisch riss Draco seinem Vater den Zauberstab aus der Hand. Ohne ihn ging nur noch wenig Gefahr von einem Zauberer aus. „Nun denn, verhex mich“, forderte sein Vater resignierend.
„Vater, ich …“ Draco bekam keine Chance, seinen Satz zu beenden.
„Verhex mich!“, befahl Lucius mit barscher Stimme. Als sein Sohn sich nicht rührte, erklärte Lucius mit Nachdruck: „Draco, ich bin des Kämpfens müde! Ich habe es satt, einem Wahnsinnigen zu folgen, dessen einziges Bestreben bestenfalls noch darin besteht, seinen eigenen Tod zu vermeiden. Durch seine Angst vor dem Ableben hat er seine einst so erstrebenswerten Ziele aufgegeben. Er befreit mich und all die anderen aus Askaban, damit wir zusehen dürfen, wie er sich am heutigen Tage abermals an seiner Obsession versucht, die er vor über zwanzig Jahren schon in der Gestalt eines Kleinkindes nicht töten konnte. Ich“, Lucius legte eine Hand auf die Brust, „habe nicht einmal mehr Angst vorm Sterben, Draco. Jetzt nicht mehr, wo ich weiß, dass du am Leben bist. Und nun, bitte, mach mich unschädlich. Askaban wird für mich keine neue Erfahrung sein.“
Severus hatte kehrtgemacht, weil Draco ihm nicht mehr gefolgt war. Als er sich an die beiden Personen heranschlich, hörte er Lucius’ Worte. Nur deshalb zeigte sich Severus. Sofort erkannte Lucius seinen einstigen Verbündeten, der sich leise genähert hatte, und sagte mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen: „Ich hatte es gehofft. So warst du es also, der sich seiner angenommen hat.“ Snape nickte bejahend. Nachdem Lucius zitternd ausgeatmet hatte, erwiderte er: „Ich bin wirklich froh, dass du es warst, Severus. Nun weiß ich, dass er eine Chance hat.“
Draco musste daraufhin lächeln, während ihm ungewollt eine Träne über die Wangen lief, die er nicht mehr aufhalten konnte. Nachdem Lucius seinen Sohn ein drittes Mal aufgefordert hatte, verhexte dieser ihn und machte Lucius zu einem der vielen Todesser, die überwältigt am Boden liegend die Schlacht abwarteten, um am Ende nach Askaban gebracht zu werden. Treu verweilte er an der Seite seines Vaters und betrachtete ihn. Endlich, nach unzähligen Albträumen, hatte er ihn gefunden. Sehr bald würden Auroren kommen, die ihm seinen Vater wieder wegnehmen würden. Jede Sekunde nutzte Draco, um bei ihm zu sein. Er hielt sogar die durch den Zauber ganz steife Hand und war einfach nur froh, dass er ihn nicht im Kampf verloren war.
Während der Flucht mit Severus war es Draco nicht möglich gewesen, Kontakt zu seinen Eltern herzustellen. Von Severus hatte er alle Hintergründe erfahren, beispielsweise dass sein Vater die Gunst des Dunklen Lords verloren hatte. Der Vorfall im Ministerium, die zerbrochene Prophezeiung, der darauf folgende Aufenthalt seines Vaters in Askaban. Voldemort war mehr als nur ungehalten über die Unfähigkeit des einst als seine rechte Hand gelobten Mannes. Um Lucius zu bestrafen, gab Voldemort dessen Sohn eine schier unerfüllbare Aufgabe. Wenigstens hatte Draco einen Weg gefunden, die Todesser sicher nach Hogwarts zu bringen, aber er scheiterte – wie von Voldemort berechnet – an dem eigentlichen Auftrag: dem Mord an Dumbledore. Der Dunkle Lord hatte gewusst, dass Lucius’ Spross dazu nicht in der Lage wäre. Dracos einkalkuliertes Versagen und etwaiger Tod sollte Lucius’ Strafe für die verpatzte Aktion im Ministerium sein. Womit weder der Lord noch Lucius gerechnet hatte, war der Unbrechbare Schwur zwischen Severus und Narzissa. In dem Moment, als Severus seinen Schwur eingehalten hatte und an Dracos Stelle den Auftrag ausführte, hatte er dem Dunklen Lord einen Strich durch die Rechnung gemacht. Weder Severus noch Draco waren seit diesem Moment vor Voldemort sicher. Beide mussten fliehen. Es blieb keine andere Wahl. Narzissa war vorzeitig untergetaucht. Draco vermutete, dass seine Mutter, schlau wie sie war, sich an einem Ort versteckt hielt, der nicht einmal vom Dunklen Lord ausfindig gemacht werden konnte. Nach dem Tod von Dumbledore und der Flucht von Severus und Draco stand Lucius Malfoy weiterhin in den Diensten des Dunklen Lords – auf der untersten Stufe der Ergebenen, noch tiefer als Peter Pettigrew. Aus Askaban befreit wurde er scheinbar, um bei der Vorbereitung zur finalen Schlacht zu helfen. In Wirklichkeit hoffte Voldemort jedoch, durch Lucius eine Spur zu dem Verräter Snape zu bekommen. Doch auch Lucius wusste nicht, wo die beiden sich aufhalten konnten. Wenn der Dunkle Lord seinem Zorn freien Lauf gelassen hatte, sollte sich Malfoy senior nur daran erinnern, wie es Verrätern wie Karkaroff erging, und wie gütig Voldemort war, ihn am Leben zu lassen.
„Bleib hier, Draco. Es wird bald vorbei sein“, sagte Severus, bevor er sich von ihm entfernte. Nur am Rande bemerkte Draco, dass die Anzahl der Todesser stark abgenommen hatte. Einige Anhänger wandten sich noch während der Schlacht vom Dunklen Lord ab und flohen feige in alle Himmelsrichtungen. Nur wenige entkamen. Draco beobachtete, wie Severus derweil direkt auf Harry zu rannte. Voldemort hatte den gleichen Weg eingeschlagen.
Aus der Ferne konnte Draco Voldemort ausmachen, der sich Harry mit übermütigem Gehabe näherte. Am Ende war es – wie vorherbestimmt – Harry, der Voldemorts Leben endgültig auslöschte. Zwei helfende Hände unterstützten ihn, ohne die es ihm das eigene Leben hätte kosten können. Neben seinem bewegungslosen Vater kniend wurde Draco am Ende der Schlacht Zeuge von der Niederlage des Dunklen Lords.
Einer der Männer an Harrys Seite war Severus, der Voldemort unter Dauerbeschuss hielt und ihn somit unfähig machte zu handeln. Der andere war ein alter Mann mit einem langen, silberfarbenen Bart. Draco blinzelte einige Male und fragte sich, ob seine Sinne ihm einen Streich spielten. Der langbärtige Zauberer bombardierte Voldemort ebenfalls mit Zaubersprüchen und verhinderte, dass dieser sich von Snapes zermürbenden Attacken erholen konnte. Im Sekundentakt wurde Voldemort von den Flüchen der beiden Männer getroffen, die ihn schwächten, aber nicht töten konnten. Er starb einfach nicht. Als Harry hervortrat und seinen Zauberstab auf den Gegner richtete, löste sich eine goldfarbene Magiekugel aus seinem Stab. Sie beendete Voldemorts Leben für immer.
Am Ende waren es zwei mächtige Zauberer, die die Kräfte des Dunklen Lords drosselten, damit der von Voldemort gezeichnete Junge ihn besiegen konnte.
Voldemort war tot.
Alles wurde ruhig.
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