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Fanfiction

Der Weg ins Licht - 5. Einsicht

von artis.magica

5. Einsicht
Loslassen, was wir liebten....
Abschied als Anfang von
etwas Neuem begreifen...
Nichts ist schwerer...


Ihr Weggehen glich einer Flucht. Der Wind wehte schneidend und blies ihnen Schnee ins Gesicht. Sie schritten schnell aus, fröstelnd die kalten Hände in die Taschen gestopft.
Hermine störte die Kälte nicht.
Sie sah sich nicht um, nie wieder wollte sie in ihrem Leben zurücksehen. Sie hatte diesen Abschnitt ihres Lebens abgeschlossen. Eine ungewisse Zukunft lag vor ihr. Unverzagt wollte sie ihr entgegengehen.
Ginny und Ron folgten ihr stumm. Ein jeder hing seinen Gedanken nach. Sie waren übereingekommen, über die Ereignisse der letzten Tage vorerst kein Wort mehr zu verlieren.
Endlich langten sie in Hogsmead an. Vor den 'Drei Besen' blieben sie stehen.
„Wärmen wir uns drinnen auf?“, fragte Ron hoffnungsvoll und sah von Ginny zu Hermine.
„Nein“, entschied Hermine nachdrücklich, „wir werden nicht hierbleiben! Wir gehen nach London in den 'Tropfenden Kessel'. Dort werden wir bleiben, bis wir Harry gefunden haben!“
Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch.
Sie nickten stumm und dann apparierten sie.
Im 'Tropfenden Kessel' nahmen sie Quartier; Hermine und Ginny teilten sich ein Zimmer, Ron hatte eines für sich allein, gleich neben dem ihren.
Schweigend aßen sie zu Abend. Hermine spürte immer noch Rons Unbehagen. Er war derjenige, der keine Ahnung von den Ereignissen der letzten Tage gehabt hatte.
Ginny hatte ihn im Ungewissen gelassen. Erst nachdem sie Hermine im Krankenflügel besucht hatten, hatte sie ihm alles erzählt. Zuerst war er zornig, dann erschüttert und jetzt nur noch unsicher. Er sagte nichts.
Hermine wäre jede Reaktion von ihm recht gewesen, hätte er geflucht, geschimpft oder mit ihr gestritten. Aber dass er gar nichts sagte, bedrückte sie. Sie sah ihn an. Er war tief verletzt, sie wusste es.
„Ron, es tut mir leid“, sagte sie leise.
Er sah sie mit trotzigen Augen an.
„Schon gut!“, erwiderte er brüsk. Er schob seinen Teller von sich und erhob sich.
„Ich will nicht drüber reden!“
Er wünschte ihnen eine 'Gute Nacht' und ließ sie allein. Sie sahen ihm nach bis er durch die Tür verschwunden war.
„Er ist ganz schön sauer“, sagte Ginny dann.
Hermine starrte in ihren Tee.
„Ja, sieht so aus“, sagte sie bekümmert. Tief in ihrem Inneren wollte sie nicht, dass Ron böse auf sie war. Sie seufzte auf.
„He, er wird drüber wegkommen“, sagte Ginny ermutigend und lächelte sie über ihre Tasse hinweg an. Hermine gab das Lächeln dankbar zurück.
Sie saßen noch eine Weile stumm beisammen und gingen dann zu Bett.
Hermine lag noch lange wach. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die sie unaufhaltsam verfolgen würde. Ruhe breitete sich in ihr aus. Sie war zuversichtlich.
Sie lauschte den gleichmäßigen Atemzügen von Ginny, die neben ihr im Bett lag.
Da fragte Ginny leise: „Wird es uns möglich sein, ihn zu besiegen?“
Hermine drehte sich zu ihr um.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. „Aber ich hoffe es!“
„Hast du Angst?“ Ginny sah ihr in die Augen.
Hermine horchte in sich hinein. Sie fühlte Zuversicht und Hoffnung, aber keine Angst. Sie lächelte und schüttelte leicht den Kopf.
„Nein“, sagte sie ruhig. „Nein, ich habe keine Angst.“
„Was gibt dir Halt?“
Hermine ließ sich Zeit mit der Antwort.
„Freundschaft, Liebe, Vertrauen“, flüsterte sie zögernd.
„Wird es genügen?“
„Wir werden es herausfinden!“
Ginny schwieg lange.
„Denkst du an ihn?“, fragte sie zaghaft.
Hermine nickte traurig.
„Oh, Hermine. Ich wollte dich nicht verletzen, nie…“
Hermine schwieg.
„Ich weiß“, sagte sie schließlich.
Müdigkeit überfiel sie beide und schloss ihnen die Augen. Sie schliefen tief und traumlos.



Hermine erwachte früh. Es war noch dunkel. Sie erhob sich und kleidete sich an. Dann ging sie hinunter in die Wirtsstube. Sie setzte sich an einen Tisch und zündete eine Kerze an. Sie zog aus ihrer Tasche Severus' Tränkebuch, einen Bogen Pergament, Feder und Tinte. Sie schlug das Buch auf und suchte die markierte Stelle mit der Rezeptur für das Heilelixier. Dann schrieb sie die Zutatenliste ab. Sie arbeitete sehr gewissenhaft.
Als sie fertig war und das Buch zuschlug fiel der kleine Dolch aus seinen Seiten. Hermine nahm ihn auf und betrachtete ihn nachdenklich.
Eine Tür fiel laut ins Schloss.
Hermine fuhr zusammen und sah sich erschrocken um. Der alte Wirt war eingetreten. Er warf ihr ein müdes 'Guten Morgen' zu, das Hermine leise erwiderte.
„Kaffee?“, fragte er sie brummig.
„Ja“, sagte Hermine und nickte. „Danke.“
„Mmmm.“
Zehn Minuten später stellte er ein Frühstück vor sie hin. Hermine griff sich eine Scheibe Brot und nippte am Kaffee. Da kamen Ron und Ginny herein.
„Du bist aber schon früh auf“, sagte Ron gähnend und streckte sich. Dann langte er nach dem Kaffee. Dabei fiel sein Blick auf Hermines Notizen.
„Was hast du da?“, fragte er interessiert.
„Eine Zutatenliste für…“, begann sie, da wurde sie von Ron unterbrochen.
„Woher hast du es?“, fragte er verwundert.
„Was meinst du?“ Hermine sah ihn entgeistert an.
„Das Buch da… Woher hast du es?“
Hermine sah ihm in die Augen.
„Aus dem Raum der Wünsche“, flüsterte sie. „Harry hat es dort vor Severus Snape versteckt.“
Ron lachte leise auf und setzte sich.
„Kluger Kopf“, sagte er zutiefst zufrieden, butterte sich einen Toast und biss genüsslich hinein.
Hermine biss sich ihrerseits auf die Zunge und verkniff sich eine Bemerkung.
„Und aus diesem Buch hast du eine Zutatenliste?“, fragte er mit vollem Mund. „Hast du dich nicht immer geweigert, irgendeine Art Magie zu verwenden, die durch Snape…“, er kratzte sich am Kopf, „nun ja, das muss man ihm schon lassen, …verbesserte worden ist?“
„Ja“, Hermine räumte missgestimmt ihre Sachen zusammen, „und wir werden diese Zutaten heute in der Winkelgasse besorgen!“
„Wofür?“, Ron hielt mit dem Kauen inne.
„Was glaubst du?“, fragte Hermine katzig, schlug die Seite mit der Rezeptur auf und schob das Buch mit Schwung über den Tisch zu ihm hin. Ron nahm es zögernd und las. Er nickte mit hochgezogenen Brauen und reichte es ihr zurück.
„Was ist das?“, fragte Ginny, als Hermine den Dolch in ihre Tasche gleiten ließ.
Sie sah sich um. Der Wirt klirrte mit den Gläsern und Tassen, er würde sie nicht hören.
„Es ist ein Horcrux“, flüsterte sie.
Wie aus allen Himmeln gefallen riss Ron die Augen auf. Wenn er es bis dahin noch nicht war, jetzt war er vollkommen wach.
„Woher weißt du das?“, fragte Ginny überrascht.
Weitere Gäste betraten den Raum und setzten sich an den großen Tisch ihnen gegenüber.
Hermine schüttelte den Kopf. Sie verstanden. Hastig aßen sie zu Ende und gingen nach oben auf ihr Zimmer.
„Also los, Hermine, erzähl! Woher hast du den Horcrux?“, fragte Ron zappelig und schloss sorgfältig die Tür. Dann ließ er sich aufs Bett fallen, seine Wangen waren vor Aufregung gerötet. Ginny setzte sich neben ihn. Gespannt sahen sie beide Hermine nach, die unruhig im Zimmer auf und ab ging.
Jetzt musste sie es ihnen erzählen, Severus' Geheimnis, von ihm tief verborgen und sorgsam behütet. Sie fuhr sich durchs Haar, ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wandte sich Ron und Ginny zu. Erwartungsvoll sahen sie ihr in die Augen. Sie setzte sich zu ihnen und begann zu erzählen, wie dieser Horcrux in Severus' Hände gelangt war.


Sprachlosigkeit als sie geendet hatte. Mit großen Augen sahen Ron und Ginny sie an. Sie waren beeindruckt und sichtlich bewegt.
„Hat Dumbledore gewusst, dass es diesen Horcrux gibt?“, fragte Ron, als er sich wieder gefangen hatte.
„Ich glaube nicht“, sagte Hermine.
„Was machen wir jetzt damit?“, fragte Ginny.
„Wir werden ihn zerstören“, entgegnete Hermine nachdenklich.
„Er ist es noch nicht?“, Ginny und Ron starrten ehrfurchtsvoll auf die kleine Waffe mit der langen Schneide.
„Warum hat Snape ihn denn nicht zerstört?“, fragte Ron und setzte misstrauisch hinzu: „Vielleicht wollte er ihn Du-weißt-schon-wem selbst wieder überreichen?“
Hermine sah ihm in die Augen.
„Nein“, sagte sie bestimmt.
„Woher willst du das wissen?“, fragte Ron trotzig.
„Er war in dem Päckchen, nicht wahr?“, fiel Ginny ein und sah Hermine in die Augen.
Hermine nickte stumm. Ginny verstand.
Ron erhob sich ärgerlich.
„Weiber“, grummelte er erzürnt. „Was war denn nun noch alles in dem Paket?“
Hermine stand auf. Sie griff nach ihrer Tasche und holte die Sachen hervor. Sie legte alles auf den Tisch. Ron trat näher und sah skeptisch auf die fünf Gegenstände.
„Wessen Zauberstab ist das?“, fragte er.
Ginny rollte die Augen.
„Er gehört Snape“, rief sie ungeduldig und kam zu ihnen. „Du bist unwahrscheinlich schwer von Begriff, Ron!“
Ron starrte seiner Schwester ärgerlich in die Augen. Hermine wandte sich lächelnd ab.
„Wie werden sie zerstört?“, fragte Ron, nachdem er sich wieder gefasst hatte.
Hermine drehte sich zu ihnen und berichtete, was Severus' Erinnerungen ihr gezeigt hatten.
„Erst wenn alle Seelenstücke von Voldemort gefunden und zerstört sind, dann erst kann er besiegt werden!“, schloss sie.
„Ich hoffe, du hast du dich nicht von ihm in die Irre führen lassen“, sagte Ron widerborstig und schielte aus den Augenwinkeln zu Hermine hin.
Hermines Mine verhärtete sich, doch sie schwieg beharrlich.
„Wieviele Horcruxe haben wir denn schon?“, begann Ginny nachdenklich, um der Situation die Spannung zu nehmen. Es war keine Frage, auf die sie eine Antwort erwartete.
„Das Tagebuch, der Ring von Slytherin, der Becher von Hufflepuff, der Dolch von Ravenclaw. Diese vier sind zerstört“, zählte sie auf und setzte „Na ja, fast“ noch hinzu, als Hermine den Mund öffnete, um einzuwenden, dass das Seelenstück, das der Dolch verbarg noch nicht vernichtet war.
„Was noch fehlt sind das Medaillon und noch zwei uns unbekannte Teile…“, ergänzte Ron.
„Nein, nur ein uns unbekanntes Teil“, berichtigte ihn Hermine schulmeisterlich. „Du hast wohl vergessen, dass der letzte Teil von Voldemorts Seele in ihm selbst ist.“
Ron sah sie verdutzt an.
„Ja, klar“, sagte er dann und kratzte sich verlegen lächelnd am Kopf. Es tat ihr wohl, dass Ron aufstecken musste. Selbstzufrieden lächelte sie in sich hinein.
„Ginny und ich gehen in die Winkelgasse“, fuhr sie fort, während sie alles wieder in ihrer Tasche verstaute. „Wir besorgen dort die Zaubertrankzutaten.“ Sie wandte sich Ron zu.
„Und du schickst derweil Pigwidgeon nach Harry oder Hedwig. Er wird sie schon finden.“


Das Einkaufen in der Winkelgasse war eine traurige Angelegenheit. Wo früher reges Treiben und fröhliche Ausgelassenheit herrschte, so war nun angespannte Furcht zu spüren. Die Menschen wirkten bedrückt und ängstlich. Misstrauisch sahen sie sich um und hasteten schnell durch die Gassen und an den Geschäften vorbei, wo sie zu früherer Zeit gerne verweilten, um bunte Auslagen zu betrachten oder mit dem Ladenbesitzer einen Plausch zu halten.
Der graue kalte Tag verstärkte diese Wirkung noch. Es gab Schneeregen und Nebel senkte sich über die Straßen.
Hermine und Ginny schritten unwillig durch den Schneematsch und schickten sich an, die Einkäufe schnell zu besorgen. Beladen mit wohlgefüllten Tüten kamen sie nach etwas über zwei Stunden wieder im 'Topfenden Kessel' an. Ihre Wangen waren vor Kälte gerötet, die Hände klamm. Fröstelnd setzten sie sich an den Kamin und streckten die kalten Gliedmaßen dem wärmenden Feuer entgegen. Sie bestellten sich einen Tee, um sich aufzuwärmen.
„Brauen wir den Trank hier?“, fragte Ginny flüsternd.
„Ich hoffe, dass wir Harry nicht lange suchen müssen. Ich würde es lieber im Grimmauldplatz tun. Da haben wir Ruhe…“, Ron war die Treppe heruntergekommen und trat nun zu ihnen. Hermine erhob sich und zog die Jacke aus.
Sie nahm ihre Tasse und umschloss sie mit den Handflächen. Sie trank den heißen Tee mit vorsichtigen Schlucken. Es wurde ihr wohlig warm. Sie wandte sich um und fragte: „Wie steht es, Ron?“
„Hab Pig weggeschickt. Hoffe, er braucht nicht zu lange!“
Hermine und Ginny nickte stumm und zustimmend.
„Wir werden noch zwei weitere Tage warten… Wenn es länger dauert, dann werden wir uns wohl einen Kessel borgen müssen“, sagte Hermine.



Sie verbrachten die nächsten beiden Tage in Untätigkeit. Sie waren angespannt und achtsam. Unruhig liefen sie im Zimmer auf und ab. Hermine las in ihren Büchern, um sich abzulenken. Es gelang ihr nicht. Also gesellte sie sich zu den beiden Freunden und tigerte ebenso unruhig im Zimmer umher.
Endlos schienen die Minuten, die zu Stunden und Tagen wurden.
Endlich, nach drei Tagen klopfte es an die Scheiben. Pigwidgeon klapperte aufgeregt mit dem Schnabel.
Ron stürmte ans Fenster und riss es ungestüm auf. Der kleine Kauz schwebte in den Raum und zwitscherte munter drauflos. Ron fing ihn ein und nahm ihm einen kleinen Zettel von dem Bein, das Pigwidgeon ihm in freudiger Erwartung einer Belohnung hinstreckte. Mit zitternden Händen entfaltete Ron den kleinen Fetzen Papier und las. Dann sah er irritiert auf.
„Was ist?“, fragten Ginny und Hermine wie aus einem Munde.
Ron reichte ihnen mit hilfloser Mine das Papier.
„Was soll das denn?“, setzte er noch hinzu und schüttelte den Kopf.
Hermine nahm den Zettel und warf einen kurzen Blick darauf. Dann begann sie laut zu lachen.
„Was denn, Ron, verstehst du es etwa nicht?“, fragte sie hämisch.
Rons Augen verengten sich zu Schlitzen, er sah sie ärgerlich an.
„Wer soll denn das verstehen… 2P1G, p8m?“, sagte er streitsüchtig.
Jetzt begann auch Ginny zu lachen.
„Ja, Ron“, rief sie amüsiert. „Du bist wohl der einzige hier, der es nicht versteht!“
„Na schön“, entgegnete er aufgebracht, „dann sag du mir doch, was es bedeutet, he?“
„Es bedeutet, dass Harry uns am Grimmauldplatz Nummer 12 erwartet“, sagte Ginny geradeheraus.
Schamesröte stieg ihm ins Gesicht.
„Na ja…“, sagte er verlegen, „jetzt wo du es sagst, verstehe ich es auch.“
Er sah noch einmal auf den Papierfetzen. Er zog die Brauen zusammen und überlegte angestrengt. Dann grinste er sie breit an und setze hinzu: „Acht Uhr Abends, nicht wahr?“
Hermine nickte.
„Ja, brillant“, sagte sie bissig.
Ron funkelte sie böse an und holte zum Gegenschlag aus.
„Lass gut sein, Ron“, beschwichtigte Ginny und feixte ihm ins Gesicht.
Ron verstand, sein Ärger zerfloss. Er zuckte die Schultern und ließ sich in einen Sessel fallen.



Voll freudiger Erwartung fieberten sie dem Abend entgegen. Als es dämmerte packten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Sie bezahlten ihre Unterkunft und machten sich auf den Weg zum Grimmauldplatz Nummer 12. Als sie in die Winkelgasse traten, sagte Hermine leise: „Von hier können wir apparieren!“
Sie reichten sich die Hände und fanden sich einen Moment später vor dem alten hässlichen Haus der Familie Black wieder. Geradewegs gingen sie darauf zu und klopften beherzt an die große dunkle Eingangstür.
Sie warteten gespannt.
Nichts.
„Und wenn wir uns getäuscht haben?“, flüsterte Ron zaghaft.
Hermine schüttelte den Kopf.
„Wir haben uns nicht getäuscht!“, sagte sie energisch.
„Lass uns noch mal klopfen!“, forderte Ron.
„Nein!“
Endlich öffnete sich die Tür einen Spalt weit und ein struppiger schwarzer Haarschopf erschien, grüne Augen schauten ihnen aus einem blassen und schmalen Gesicht entgegen. Der Mund darin verzog sich zu einem frohen Lächeln, als er sie erkannte.
Die Tür wurde ganz aufgestoßen.
„Kommt rein!“, sagte Harry mit belegter Stimme.
Ginny umarmte ihn herzlich und küsste ihn innig.
Etwas verlegen traten Hermine und Ron ein. Als Ginny von Harry abließ, lächelten sie sich befreit an. Endlich lagen auch sie sich in den Armen. Ihr Wiedersehen war trotz aller Besorgnis herzlich.
„Kommt, ich hoffe ihr habt großen Hunger“, sagte Harry lachend und setzte voller Stolz hinzu: „Ich habe gekocht!“
„Na das mag ja was werden“, raunte Ron hinter vorgehaltener Hand den anderen zu.
„He, das hab ich gehört!“, rief Harry und schob sie in Richtung Küche.
Der Abend war freudig. Gemeinsam genossen sie das Essen und ihr Zusammensein. Sie waren ausgelassen und laut. Aber es war trotzdem anders als sonst. Die Unbeschwertheit, die Offenheit, mit der sie sonst immer miteinander umgegangen waren war verschwunden. Sie war Ungewissheit und Unsicherheit gewichen. Sie redeten viel und doch sagten sie einander nichts. Ein jeder war unentschlossen und vorsichtig. Alle spürten sie es, doch keiner wollte es ansprechen. Also ignorierten sie es stillschweigend.
Bis spät saßen sie beieinander in der trostlosen Küche am Kamin und starrten schweigend in das Feuer. Ginny schmiegte sich an Harry. Ron und Hermine hatten Plätze möglichst weit voneinander entfernt gewählt. Sie vermieden es sich anzusehen und wechselten nur wenn es unbedingt sein musste ein Wort miteinander. Harry registrierte das unterkühlte Verhältnis zwischen beiden mit einem Stirnrunzeln. Was hatte sich geändert in den wenigen Wochen, die er nicht bei ihnen in Hogwarts war?
„Hast du gefunden, was du gesucht hast, Harry?“, fragte Hermine nach einiger Zeit.
Harry wandte den Kopf und sah ihr in die Augen.
„Ja und nein“, sagte er leise.
„Wie denn nun?“, fragte Ron ungeduldig.
Harry lächelte.
„Ich habe das Medaillon gefunden.“
„Wo?“, riefen drei Stimmen wie eine.
„Gar nicht weit weg, es war hier im Haus versteckt. Ich glaube, Sirius' Bruder hat es damals aus der Höhle geholt.“
„Sirius' Bruder?“, fragte Hermine und senkte nachdenklich den Kopf. „Sein Name war Regulus, nicht wahr?
Harry nickte und fügte leise hinzu: „Reglus Alphard Black.“
Ron riss Augen und Mund auf.
„R.A.B., kann das sein?“, fragte er aufgeregt.
„Ja, alles deutet daraufhin“, antwortete Harry.
„Und was wissen wir über Regulus Black?“, Ron lehnte sich bequem zurück.
Harry erhob sich und trat an den Kamin.
„Regulus Black war der ganze Stolz seiner Familie, ganz besonders seiner Mutter. Er war der perfekte Sohn. Nicht wie Sirius. Regulus hat Regeln und Gesetze immer respektiert, genau befolgt. Er hat sich Voldemort und seinen Todessern angeschlossen. Und doch schien er zerrissen zwischen seiner Erziehung, belastet mit Vorurteilen allem gegenüber was nicht reinblütig war und seinem gesunden Menschenverstand. Dieser Verstand sagte ihm, dass es nicht Recht sein kann, dass es zutiefst grausam und menschenverachtend ist, was Voldemort da tat…“
„Meinst du?“, fragte Ron skeptisch.
Harry wandte sich wieder zu ihnen um.
„Na ja, er hatte wohl Schuldgefühle, schreckte vor den Gräueltaten, die von ihm abverlangt wurden zurück. Er hat das Medaillon gestohlen und diesen Brief hinterlassen. Erinnert ihr euch?“
Die Zeilen auf dem Papier aus dem falschen Medaillon hatten sich tief in Harrys Gedächtnis eingebrannt. Er kannte sie auswendig, kein Wort hatte er vergessen. Er starrte zu Boden und sagte sie leise vor sich hin:
„An den Dunklen Lord
Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor Du dies liest,
aber ich will, dass Du weißt, dass ich es war,
der Dein Geheimnis entdeckt hat.
Ich habe den echten Horcrux gestohlen und ich will
ihn zerstören, sobald ich kann.
Ich sehe dem Tod entgegen in der Hoffnung,
dass Du, wenn Du Deinen Meister findest,
erneut sterblich sein wirst.
R.A.B.“
Er sah wieder auf. Die Freunde sahen ihn schweigend an. Ihre Augen glänzten vor Anspannung, ihre Wangen glühten vor Aufregung.
„Demnach muss Regulus Black diesen Hocrux zerstört haben“, sagte Hermine.
„Ja, ich hoffe es!“
„Ist es ihm wie Dumbledore ergangen, hat er sich tödlich verletzt dabei?“, fragte Hermine leise.
Ron sah Hermine forschend von der Seite her an.
„Ich glaube es nicht. Ich denke, er wurde von Voldemort umgebracht, als dieser merkte, dass ihm Regulus entglitt“, schloss Harry.
Hermine senkte das Haupt. Sie dachte mit einem mal an Severus' Worte, dass er dafür sterben müsste, wenn Voldemort auch nur den leisesten Verdacht hegte, dass er ihm untreu würde.
Auf sehr schmerzliche Weise hatte Voldemort ihn spüren lassen was ihn erwartete, wenn es denn wirklich so wäre.
Für einen flüchtigen Moment überwältigte sie die Angst. Ihre Züge spiegelten diese Gefühle deutlich wider. Sie schaute misstrauisch auf.
Harry hatte sie aufmerksam beobachtet. Er sah Hermine genauso überrascht an wie Ron es eben noch getan hatte. Woher wusste sie, dass sich Dumbledore verletzt hatte, als der Marvolos Ring zerstört hatte? Harry hatte es ihnen nie erzählt.
Fragend zog er die Brauen hoch und sah ihr in die Augen.
Hermine senkte den Blick und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie verschloss ihre Gefühle wieder tief in ihrem Inneren.
„Gehen wir schlafen“, sagte Harry schließlich.
Müde erhoben sie sich und zogen sich in ihre Zimmer zurück. Ermattet sanken sie in die Betten. Trotz der Müdigkeit, die sie überfiel, fanden sie in dieser Nacht nur schwer zur Ruhe. Harrys Worte hallten in ihren Gedanken nach. Erst weit nach Mitternacht fielen sie einer nach dem anderen in einen tiefen Schlaf.



Hermine wälzte sich unruhig herum. Ihre Gedanken kreisten um Severus. Sie dachte an das kalte dunkle Verließ, in dem er jetzt gefangen war. Trostlosigkeit breitete sich in ihr aus und wieder schlich sich die Furcht um ihn in ihr Herz. Die Dunkelheit machte ihr mit einem Mal Angst.
Da fuhr sie hoch und riss die Augen auf. Hellhörig starrte sie in das Dunkel. Ihr Atem ging stoßweise. Ein Gefühl der Vertrautheit hatte sie überfallen, so als wäre er ganz nah bei ihr. Es war so überwältigend, dass sie sich voller Zweifel umsah und die Laken neben sich fühlte.
Nein, es konnte nicht sein.
Sie war allein.
'Ein Traum', dachte sie finster. Sie schüttelte den Kopf und drehte sich auf die Seite.
Sie sah auf die Uhr, es war früher Morgen. Durch die schmutzigen Fensterscheiben kündigte sich schwerfällig das Tageslicht an. Es würde wieder einer dieser kalten grauen Nebeltage werden.
Hermine warf die Decken zurück und kleidete sich fröstelnd an. Dann griff sie in ihren Umhang und zog den Dolch und Dumbledores Phiole hervor. Sie betrachtete sie gedankenvoll, dann steckte sie beides ein und öffnete vorsichtig die Tür. Ganz leise schlich sie durch das Haus, um Mrs. Blacks Portrait keinen Anlass zu geben, mit ihrem ohrenbetäubenden Gezeter über die unwürdigen Bewohner ihres Hauses anzuheben.
Endlich war sie in der Küche. Es war dunkel und ungemütlich. Hermine fachte Feuer im Kamin an. Dann räumte sie die Überreste des Essens vom vergangenen Abend weg. Sie setzte Wasser auf und bereitete Kaffe und Tee. Im Vorratsschrank fand sie Brot, Marmelade, Butter, Schinken und Eier.
Sie zauberte ein Frühstück und setzte sich dann an den Tisch. Sie stützte die Ellbogen auf und stützte das Kinn mit den Händen. Nachdenklich starrte sie in die wärmenden Flammen, die im Kamin munter emporzüngelten.
Ein lauter Knall ließ sie zusammenfahren. Ron war neben ihr appariert.
„Mensch, genau das, was ich jetzt brauche“, sagte er gähnend.
„Hat dich der Kaffeeduft aufgeweckt, was?“, sagte Hermine mit einem leisen Lächeln und sah ihm flüchtig in die Augen.
Er sah in ihr trauriges Gesicht und setzte sich neben sie.
„Ja“, er wusste nichts anderes zu sagen. Er wusste, dass Hermine mit ihm reden wollte, doch es war ihm unangenehm. Er wollte nichts von ihr und Snape wissen. Er konnte es einfach nicht fassen. Eigentlich wollte er es verdrängen. Hermine sollte so sein wie früher. Es würde ihn auch nicht stören, wenn sie wieder besserwisserisch und schulmeisterhaft wäre. Aber sie wäre immerhin ihre Hermine. Jetzt war sie still, traurig und schwermütig, immer in Gedanken versunken und bei jeder Gelegenheit auffahrend. Er mochte das nicht. Alles wäre ihm lieber gewesen, nur nicht das.
Ron schielte aus den Augenwinkeln zu ihr hin und goss sich Kaffee ein.
Hermine wusste genau, was in seinem Kopf vorging.
„Kannst du mich nicht wenigstens ein bisschen verstehen?“, fragte sie leise.
Ron setzte die Kanne unsanft ab und starrte in seine Tasse.
„Ich will es nicht, Hermine“, sagte er dann tonlos. Sie schwiegen lange Zeit. Dann sah er ihr in die Augen.
„Ich hatte gedacht, dass wir zwei…“, begann er zaghaft und brach ab.
Hermine sah ihn aufmerksam an. Dann schloss sie für einen Moment die Augen. Es fiel ihr unendlich schwer, das zu sagen, aber sie wusste, dass sie es sagen musste.
„Ich habe es auch gedacht, zuerst. Aber…“, sie stockte.
„Ja?“, fragte Ron ängstlich hoffend.
„Ich mag dich sehr, Ron“, fuhr sie fort. „Aber es ist nicht mehr… Es tut mir leid“, flüsterte sie und legte die Hand auf seinen Arm.
Ihre Worte fuhren ihm ins Herz. Unangenehm berührt zog er den Arm zurück. Er sah ihr in die Augen und sagte mit empörter Stimme: „Ich brauche dein Mitleid nicht!“
„Es war auch nicht so gemeint“, erwiderte Hermine verärgert.
„Aber warum gerade er? Es hätte von mir aus jeder sein können, aber doch nicht Snape!“
Ron sah sie herausfordernd an. Er wollte mit ihr streiten.
Doch Hermine ging nicht darauf ein.
„Ich glaube, das ist etwas, das wir nicht lenken können“, sagte sie nur und erhob sich. Sie ging zum Herd und goss sich Tee in ihre Tasse.
Ron starrte ihr nach.
„Ich verstehe dich nicht“, sagte er resigniert und griff zum Besteck.
In diesem Moment begann ein Schreien im Haus. Ron und Hermine hoben die Köpfe und lauschten. Mrs. Black schmetterte laut die übelsten Schimpftiraden durch die Halle. Hermine trat zur Tür, da stürmten Harry und Ginny schallend lachend in die Küche.
„Was'n los?“, fragte Ron mit vollem Mund und sah ihnen entgeistert entgegen.
Harry ließ sich grinsend auf den Stuhl neben ihn fallen. Als er zu Atem gekommen war, sagte er: „Ginny hat der ehrenwerten Mrs. Black einen Schnurrbart angehext.“
Harry und Ginny prusteten wieder los.
„Na, ja, dann hat unser Besuch dich wenigstens aus deinen trüben Gedanken gerissen“, sagte Ron trocken.
Harry stutzte, er wurde ernst und sah von Ron zu Hermine und wieder zu Ron. Ihre Minen blieben verschlossen. Wieder hatte er das Gefühl, dass die beiden sich voneinander entfernt hatten.
„Also gut, ihr seid sicherlich nicht gekommen, um mich aus meinen trüben Gedanken zu reißen, oder? Was hat euch denn nun wirklich bewogen, mir hierher in mein trautes Heim zu folgen?“, begann Harry endlich und sah sie diesmal reihum an.
„Wir haben einen weiteren Horcrux!“, rief Ron mit feuerroten Wangen.
Harry starrte ihn ungläubig an.
Hermine holte den Dolch hervor. Sie legte ihn vorsichtig vor sich auf den Tisch. Harrys Blick folgte ihren Händen und blieb dann an der kleinen Waffe hängen. Die lange schmale Klinge, die an ihrem Schaft in die Form eines Rabenkopfes überging.
Er streckte die Hand aus und hob ihn auf. Kalt und schwer lag das Metall in seiner Hand. Harry sah auf und noch bevor er einen Ton sagen konnte, hatte Hermine seine Frage schon beantwortet: „In ihm ist noch ein Seelenstück Voldemorts verborgen.“
Ihre Stimme war ruhig und beherrscht.
„Wo habt ihr ihn gefunden?“, fragte er ehrfurchtsvoll.
Hermine lächelte leicht und sagte mit rauer Stimme: „Da ist nichts geheimnisvolles, Harry.“
Sie setzte sich und tat sich einen Löffel Zucker in den Tee und rührte langsam um. Sie bemerkte Ginnys und Rons ungeduldiges Zappeln. Langsam legte sie den Löffel weg. Sie tat zwei Schlucke und stellte die Tasse sanft auf den Tisch zurück.
„Dieser Horcrux ist der letzte gewesen. Seine Opfer sind die gewesen, die Voldemort für lange Zeit seiner Kraft beraubt haben…“, sie hielt inne und sah Harry still in die Augen. Er hing begierig an ihren Lippen und sah sie mit leuchtenden Augen an. Aber als sie ihn jetzt so ansah stutzte er und mit einem Mal verstand er, was ihre Worte ihm zu sagen versuchten.
„Nein!“
Erschüttert fuhr er zurück, der Dolch entglitt seinen Händen und fiel klirrend zu Boden.
Hermine erhob sich ruhig und hob ihn wieder auf.
Mit großen Augen starrte er sie an.
„Das kann nicht wahr sein!“, die Stimme wollte ihm versagen. Er sah in die Runde. Angespannt hielten sie den Atem an.
„Woher…?“
„Er war im Besitz von Severus Snape“, sagte Hermine gefasst.
Es traf ihn wie ein Schlag. Einen Moment konnte er vor Verbitterung an nichts anderes als an Rache an dem von ihm zutiefst gehassten Menschen denken.
„Wie… ist er…“, er brachte keinen Ton mehr hervor.
„Setz dich“, sagte Hermine leise.
Harry gehorchte stumm. Mechanisch rückte er den Stuhl heran und nahm wieder Platz. Fast flüsternd erzählte Hermine ihm von dem Abend, an dem Severus Snape seine Eltern vor dem Verrat an ihnen gewarnt hatte. Von der Nacht, in der sie dennoch den Tod durch Voldemorts Hand gefunden hatten. Und diesmal offenbarte sie auch Severus Snapes Gefühle.
Stille als sie geendet hatte.
Bestürzung bei Ron und Ginny.
Harry atmete schwer. Hasserfüllt stierte er die kleine Waffe an.
„Wer hat dir das erzählt?“, mühevoll beherrschte er seinen Zorn.
„Severus Snape.“
Harry sprang auf, der Stuhl fiel krachend zu Boden. Die Hände zu Fäusten geballt stand er zitternd vor ihr.
„Wo…?“
„Er ist nach Hogwarts zurückgekehrt…“, unterbrach ihn Hermine.
Harry fuhr sich durchs Haar und schüttelte den Kopf. Das war zuviel! Wütend schritt er auf und ab.
„Zurück… in Hogwarts?“, rief er ihr zu.
„Schwer verletzt…“
Harry lachte böse auf und funkelte sie an.
„Geschieht ihm recht!“, sagte er gehässig.
„…um dir im Auftrag von Dumbledore dies zu überbringen“, fuhr Hermine fort und zog die Phiole mit Dumbledores Erinnerungen aus der Tasche.
„Was ist das?“, fragte er unwirsch und trat näher.
„Es sind Erinnerungen!“
„Wem gehören sie?“
Hermine schwieg und sah ihm in die Augen.
„Es sind Albus Dumbledores Erinnerungen“, sagte sie dann leise und warf Ron und Ginny einen kurzen Blick zu. Ginny verstand und zog den widerstrebenden Ron hinter sich her. Sie verließen leise den Raum und ließen sie allein.
Harry sah ihnen lange nach. Schließlich wandte er sich zu ihr um und sah sie misstrauisch an. Dann besann er sich anders.
„Ich will es nicht!“, sagte er trotzig und zog die Hand zurück, die er schon danach ausgestreckt hatte, um sie zu nehmen.
Hermine lachte wütend auf und hob ihm das Fläschchen entgegen.
„Deswegen wurden Menschen verletzt, getötet und verraten!“
Und sie stellte die Phiole hart auf den Tisch.
„Ja“, schrie er sie an, „das weiß ich, Hermine. Tut er dir leid, der Mörder?“
„Nein, leid nicht…“, Hermine konnte sich nur mit Mühe beherrschen.
Harry sah sie misstrauisch an.
„Hast du ihm geholfen?“, fragte er feindselig.
Hermine schwieg.
„Antworte mir!“, seine Stimme war mit einem Mal bedrohlich.
„Ja, ich habe ihm geholfen“, rief sie gereizt und fügte noch leise hinzu: „Ich habe ihm das Leben gerettet!“ Sie sah zu ihm auf.
Ungläubig starrte er sie an. Dann beugte er sich zu ihr hinunter. Ihre Gesichter berührten sich fast. „Du hast was?“ Seine Stimme klang unheilverkündend.
„Du hast richtig gehört! Und ich werde mit dir nie wieder darüber sprechen!“
Sie stieß ihn unsanft von sich und sprang auf. Sie wandte sich von ihm ab und trat ans Fenster.
Harry klappte der Unterkiefer herab. Er fasste sich aber genau so schnell wieder. Er schloss den Mund. Er zwang sich zur Ruhe. Lange sagte er nichts.
„Woher weißt du, dass es nicht eine List ist?“, fragte er schließlich.
„Vertrauen, Harry!“ Sie drehte sich zu ihm um.
Er brauste auf: „Snape vertrauen? Niemals!“
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Langsam wandte er den Kopf und begegnete ihrem Blick. Ihre Augen funkelten ihn an.
„Weshalb ergreifst du überhaupt Partei für ihn?“, fragte er nachdrücklich und musterte sie forschend.
Hermine schwieg und senkte beschämt die Lider.
„Das würdest du nicht verstehen“, flüsterte sie nach einiger Zeit. Blut schoss ihr in die Wangen.
Und ob Harry verstand. Jetzt erkannte er, weshalb ihr Verhältnis zu Ron so anders war. Er starrte sie entsetzt an. Er konnte es nicht glauben! Er schüttelte den Kopf.
„NEIN!“, rief er empört. „DAS verstehe ich nicht!“
Er holte tief Luft.
„Warum? Wie konntest du nur…“, Zorn und Erregung erstickten ihm die Stimme. „Wie… wie konntest du dich ihm an den Hals werfen? …Snape!“
Er sah sie zutiefst verächtlich an. Er fand keine Worte, um auszudrücken, was er für das empfand, was sie getan hatte.
„Du solltest mich nicht über den Stab brechen, Harry“, entgegnete Hermine erbittert. Sie atmete tief ein und kämpfte die Erregung nieder. Niemand hatte das Recht über ihr Leben zu urteilen.
„Wenn du Snape nicht vertraust, dann wenigstens Dumbledore. In seinem Auftrag ist Snape nach Hogwarts zurückgekommen, von Voldemort schwer verletzt, einzig, um dir diese Phiole zukommen zu lassen“, sagte sie beherrscht.
„Na und?“, es berührte ihn nicht. Er hasste Snape mehr als alles andere auf der Welt. Wäre er doch gestorben.
„Severus hat dir nie nach dem Leben getrachtet!“
„SEVERUS“, er sagte es betont höhnisch und fuhr dann ärgerlich fort: „Du hast es wohl vergessen? Er hat die Prophezeiung an Voldemort weitergegeben und damit den Stein ins Rollen gebracht. Alles Furchtbare, was in den Jahren danach geschehen ist hat er zu verantworten!“
Harrys Stimme bebete vor Wut, nur mühsam zwang er sich zur Ruhe.
Hermine schwieg, er hatte Recht, Severus hatte die Prophezeiung weitergegeben ohne sie ganz gehört zu haben. Doch was Voldemort hineininterpretiert hatte, das musste er sich nicht vorwerfen lassen.
„Du machst es dir zu leicht“, sagte sie leise.
Harry starrte sie zweifelnd an und entgegnete ihr mit unterdrücktem Zorn: „Was willst du noch? Dumbledore hat Snape vertraut, Hermine! So sehr wie keinem anderen. Alles hat ihm Dumbledore entgegengebracht: Vertrauen, Anerkennung, Respekt! Immer wieder! Er hat sein Leben in seine Hände gegeben. Und was hat er getan?“
Er hielt seine Stimme mit Mühe im Zaum.
Hermine sah Harry offen in die Augen.
„Du weißt…“, begann sie mit zitternder Stimme, „du weißt selbst, wie es sich anfühlt, seinen einzigen Vertrauten, Mentor, Fürsprecher, ja vielleicht sogar seinen einzig wahren Freund zu verlieren. Und um wieviel schlimmer muss es sein, wenn man einen solchen Menschen selbst richten soll! Mit eigenen Händen! Wie würdest du dich fühlen, für immer mit einer solchen Schuld zu leben? Eine Schuld, die zu tragen der einzige Mensch, der dich je verstand aufgebürdet hat?“
„Er hat ihn verraten! Mich verraten, meine Familie!“, schrie ihr Harry wütend ins Gesicht. „Wie konntest du nur…“
Hermine wandte sich ab.
„Was weißt du schon, Harry Potter“, flüsterte sie und dann drehte sie sich wieder um und sah ihm in die Augen.
„Es war der Plan von Albus Dumbledore, ganz allein er hat entschieden. Über sein Leben und über das von Severus Snape. Dumbledore verlangt das größte Opfer, das ein Mensch überhaupt geben kann. Er gibt dieses Opfer freiwillig, Severus Snape nicht! Du weißt es genau..., Hagrid hat beide belauscht, damals im Wald… Snape hat abgelehnt, es zu tun. Sie haben gestritten. Und Dumbledore fleht ihn darum an. Du selbst hast es gehört, damals! Er hat nicht um sein Leben gebeten, nein, er bat um seinen Tod!“
Harry schwieg stur.
„Wie schwer würde es dir fallen, eine solche Tat zu begehen?“, fragte ihn Hermine unerbittlich und setzte traurig hinzu: „Ein solches Opfer ist größer als der Tod!“
„Einen Menschen zu töten…? Niemals!“, sagte Harry unnachgiebig.
„Was willst du? Du weißt genau, auf seiner Flucht hat er niemanden angegriffen. Er versucht sogar zu verhindern, dass du selbst zu einem Unverzeihlichen Fluch greifst. Er verhindert, dass du von anderen Todessern angegriffen wirst. Kein einziges Mal greift er selbst jemanden an. Selbst als du schutzlos ohne Zauberstab am Boden lagst! Du hast es uns erzählt!“, sie hielt kurz inne. „Hast du dich nie gefragt, weshalb?“
Starr sah er Hermine in die Augen und schwieg hartnäckig. Hermine wartete auf eine Antwort, doch er gab ihr keine.
Aufgewühlt fuhr sie fort: „Dass Dumbledore dein Leben in Snapes Hände gelegt hat, war ein bedeutender Beweis seines Vertrauens. Dumbledore kann nicht nachprüfen, ob Severus Snape treu zu ihm steht, wenn er nicht mehr ist. Es ist ihm auch nicht wichtig, er weiß, dass es so ist. Er wusste es immer!“
„Er hat ihn verraten!“, entgegnete Harry unnachgiebig. Er wollte nicht vernünftig sein, verschloss seinen Verstand vor ihren Argumenten.
Hermine wandte sich aufgebracht um, ging schnellen Schrittes durch den Raum und öffnete die Tür. Sie hielt inne und sagte leise ohne sich nach ihm umzudrehen: „Wenn es dich beruhigt, Severus Snape sitzt in Askaban. Sie, denen ich…, denen wir am meisten vertraut haben, haben ihn verraten!“
„Dann hat er am eigenen Leib erfahren, wie es ist…“, sagte Harry starrköpfig.
Hermine wandte sich um und sah Harry in die Augen und sagte still: „Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen, Harry. Niemand kann sie dir abnehmen. Severus Snape hat die Hand gereicht, wir sollten sie nicht wegschlagen!“
Damit ließ sie ihn allein.


Wütend sah er ihr nach.
Wollte sie nicht verstehen…?
Wie konnte sie sich mit einem solchen Menschen einlassen?
Er verachtete sie darum und doch schätzte er sie als treue Freundin. Nie würde sie ihn und Ron absichtlich in Gefahr bringen. Viele Male schon hatte sie ihnen mit ihrem scharfen Verstand aus höchster Gefahr geholfen.
Er fuhr sich verzweifelt durchs Haar und seufzte auf.
Aber das konnte er ihr nie verzeihen.
Er wollte es nicht!


Grollend ging er im Zimmer auf und ab. Er dachte angestrengt nach. Ganz tief in seinem Inneren meldete sich eine leise Stimme, die ihm sagte, dass Hermines Worte der Wahrheit entsprachen.
Starrköpfig verschloss er seinen Sinn. Doch diese Stimme wurde immer lauter, hämmerte unablässig in seinem Kopf, sie spülte seine Zweifel unerbittlich an die Oberfläche.
Harry hatte in den vergangen Wochen unzählige Male über diesen schicksalsträchtigen Abend nachgedacht. Hatte sich beständig gefragt, weshalb Snape ihn nicht getötet oder mitgenommen hatte. Wie leicht wäre es für ihn gewesen. Aber er hatte es nicht einmal versucht! Stattdessen wehrte er die Angriffe der anderen auf ihn ab, schützte ihn.
Harry blieb am Fenster stehen. Sein Spiegelbild sah ihm aus den schmutzigen Scheiben entgegen, blass und zweifelnd. Leise aufseufzend schüttelte er den Kopf und schloss die Augen. Vor seinem inneren Auge spielte sich ab, was er schon tausendmal in seinen Träumen wiedergesehen hatte.
Als er Snape einen Feigling genannt hatte, fiel dessen Selbstbeherrschung wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Noch nie hatte Harry ihn so unbeherrscht erlebt. Verschwunden die kühle Fassade aus Ironie und Hohn. Und wieder hörte er seine bitteren Worte: „Feigling hast du mich genannt, Potter? Dein Vater hat mich angegriffen, wenn sie vier gegen einen waren, wie würdest du ihn wohl nennen? NENN MICH NICHT FEIGLING!“
Snape war zutiefst getroffen, war angreifbar geworden. Nie hätte er dies jemals zugegeben. Harry sah sein erschüttertes Gesicht und zum ersten Mal dachte er nicht daran, dass es hasserfüllt gewesen sein könnte, sondern vielleicht tiefen Schmerz und Verzweiflung ausdrückte. Er war unsicher, wusste nicht, was er von sich halten soll, wusste nicht, ob er das Richtige getan hatte.
Er war nicht feige! Das wusste Harry, wenn er auch nie gutheißen würde, was geschehen war. Er würde seinen Hass auf Snape nie ablegen können.
Sein Blick fiel auf die Phiole, die Hermine ihm dagelassen hatte. Er ging zum Tisch und griff zögernd danach. Schließlich brach er die Versiegelung und öffnete sie vorsichtig.
Kaum dass er das Siegel gebrochen hatte, erglühte das Behältnis. Es wurde mit einem Mal so heiß, dass Harry es mit einem leisen Aufschrei fallenließ.
Mit einem leisen Splittern zerbarst das Glas. Silberne Nebelschwaden stiegen auf und wirbelten wild um Harry. Sie hüllten ihn ganz ein. Harry hatte das unangenehme Gefühl in die Tiefe gezogen zu werden.
Um ihn herum war es dunkel und still.
Harry riss die Augen auf und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Eine Weile geschah nichts. Dann sah er einen kleinen Lichtpunkt vor sich. Immer größer wurde er, sandte helle Strahlen aus. Das Licht blendete Harry. Schützend hielt er die Hand vor die Augen.
Mit wild klopfendem Herzen hörte er die vertraute Stimme.
„Hat Severus es geschafft dir die Phiole zu überreichen, Harry? Ich wusste, er würde mich nicht enttäuschen!“
Harry ließ die Hand sinken. Albus Dumbledore stand vor ihm.
„Professor…“, stammelte er.
Dumbledore sah ihm gütig in die Augen.
„Was möchtest du mich fragen, Harry?“
„Sie sind tot, nicht wahr?“
Dumbledore lächelte.
„Der Körper ist vergangen…“
Harry sah ihm erstaunt in die Augen.
„Oh Harry, es gibt so viel, das du und ich nie begreifen können, ganz egal, wieviele Jahre wir gesehen haben werden! Wie sagte deine Freundin Hermine einmal zu meinem alten Freund Alastor: Sie müssten doch selbst genau wissen, dass es in unserer Welt noch etwas anderes gibt als die augenscheinliche, diese all so offenkundige Gewissheit!“
„Dann sind Sie zurückgekommen?“, fragte Harry hoffnungsvoll.
Der alte Mann schüttelte weise den Kopf.
„Du solltest noch einmal über Hermines Worte nachdenken! Den Tod kann man nicht überlisten.“
Harry senkte das Haupt und schwieg peinlich berührt.
„Ich habe Severus gebeten, dir diese Erinnerungen zu überbringen, wenn ich gestorben bin.“
Harry zog schmerzlich die Brauen zusammen.
„Warum haben Sie mir nicht gestattet, Ihnen beizustehen, damals, oben auf dem Astronomieturm?“, fragte er leise.
„Es war mein Wunsch“, sagte Dumbledore nur.
Hermines Worte klangen in Harrys Ohren nach.
„Ich habe nach Severus geschickt, damit er diesen Wunsch erfüllen konnte. Die Umstände waren denkbar günstig.“
„Umstände…? Günstig…? Aber warum…?“ Harrys Stimme erstarb.
„Nur so konnte Severus das Vertrauen von Voldemort zurückgewinnen. Er sollte voll und ganz von seiner Ergebenheit überzeugt sein.“
„Und Snape hat Ihren Wunsch nur zu gerne erfüllt!“, sagte Harry wütend.
„Oh nein, da tust du ihm Unrecht. Ich habe ihn dazu gezwungen“, sagte er nachdrücklich und suchte Harrys Blick. Dann setzte er hinzu: „Es war um deiner und seiner Sicherheit willen.“
Harry wich zurück.
„Ich habe das nie gewollt!“, rief er erzürnt.
Wieder lächelte Dumbledore.
„Das habe ich immer gewusst.“
„So stehe ich jetzt in Snapes Schuld!“, Harry war fassungslos.
Dumbledore wiegte das Haupt.
„Nein“, sagte er nur und sah ihm frei in die Augen. „Was hättest du getan, wenn ich dich eingeweiht hätte?“
Harry senkte den Blick. Alles hätte er daran gesetzt, dass es nicht geschah und hätte er dafür sterben müssen.
„Siehst du“, sagte Dumbledore, als hätte Harry es zu ihm gesagt, „weil du leben musst, bin ich gestorben. Es ist mir nicht schwer gefallen.“
Harry schwieg bedrückt.
„Ich weiß, dass du Severus Snape… nun wie soll ich mich ausdrücken… nie besonders gemocht hast, Harry“, begann Dumbledore. „Und ich weiß, dass es dir Severus nie leicht gemacht hat. Ja, er hat schon eine Art, die einem zur Weißglut bringen kann.“ Dumbledore lachte leise vor sich hin.
„Das ist aber stark untertrieben“, sagte Harry grimmig.
„Ich habe Severus vertraut, immer. Hat er dir je seine Hilfe versagt? Hat er dich jemals in Gefahr gebracht oder verletzt?“
Dumbledores blaue Augen blitzten auf als er ihm ernst in die Augen sah.
Harry schüttelte leise den Kopf.
„Nein“, flüsterte er. Es ist wahr, Snape hatte ihnen Hauspunkte abgezogen wo immer er konnte und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt oder ihnen Strafarbeiten aufgehalst, aber wenn es darauf ankam hatte er ihnen beigestanden.
„Es fällt schwer, nicht wahr?“
Harry nickte stumm.
„Ich möchte Severus nicht als selbstlos darstellen, das ist er wahrlich nicht. Er hat bedeutende Fehler gemacht, er ist egoistisch und hart. Seinen Hass auf deinen Vater und Sirius wird er wohl nie ablegen können. Und doch ist er kein böser Mensch, Harry!“
„Er ist Schuld am Tod meiner Eltern!“, sagte Harry trotzig.
„Nicht ganz. Aber er hat dafür bezahlt.“
Harry sah Dumbledore verständnislos in die Augen.
„Ich habe dir nie erzählt, weshalb mein Vertrauen zu Severus so unerschütterlich war und es immer noch ist. Ich möchte dich an einigen meiner Erinnerungen teilhaben lassen“, er hielt inne und sah in Harrys erstaunte Augen. Dann setzte er noch bewegt hinzu: „Und ich möchte dich bitten, einem alten Mann zu vergeben.“
Er trat auf Harry zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ein eisig kalter Schauer überlief Harry und einen Augenblick später fand er sich in Dumbledores Büro wieder.
Es war fast so wie immer. Harry sah sich um. Der Raum war gespickt mit den wunderlichsten Instrumenten, die auf ihren Tischen vor sich hin surrten. Am Schreibtisch saß ein jüngerer Albus Dumbledore und war in ein Buch vertieft, als es heftig an die Tür klopfte.
Dumbledore sah auf.
„Komm herein, Severus!“, rief er.
Ein junger Severus Snape stürmte in das Büro des Schulleiters und blieb ungeduldig vor seinem Schreibtisch stehen.
Dumbledore sah ihm ruhig in die Augen.
„Was ist geschehen, Severus?“
„Professor Dumbledore, ich…“, nur mit Mühe hielt Snape die Erregung im Zaum, doch in seiner Stimme war sie deutlich zu vernehmen.
„Ja…?“
„Ich war bei James und Lily Potter!“
Harry sperrte den Mund auf.
Dumbledore schwieg.
Snape kämpfte mit sich.
„Ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort ist nicht mehr sicher! Er wird sie verraten! Sie sollten fortgehen…!“
Dumbledore erhob sich und ging um den Tisch herum auf Snape zu. Beschwichtigend legte er ihm die Hand auf die Schulter.
„Sie sind sicher, einer ihrer besten Freunde ist ihr Geheinmiswahrer. Nie wird er zum Verräter an seinen Freunden.“
Snape schüttelte leise den Kopf.
„Oh nein, er ist schwach, er wird sie verraten! Ich bitte Sie, gehen Sie zu ihnen, vielleicht werden sie ja Ihren Worten mehr Gehör schenken…“, verbittert brach er ab.
Dumbledore sah Snape lange an und sagte schließlich: „Du solltest lernen, den Menschen dein Vertrauen zu schenken, Severus!“


Harry war bestürzt. Doch bevor er über das Gesehene nachdenken konnte spürte er Dumbledores Hand auf seiner Schulter und fand sich augenblicklich auf der Treppe zum Nordturm wieder. Eiligen Schrittes stieg Dumbledore vor ihm die Stufen empor.
„Oh nein“, murmelte er immer wieder leise vor sich hin.


Harry folgte ihm mit fliegenden Pulsen. Aufregung erfasste ihn, er meinte sein Herz wollte zerspringen.


Endlich traten sie ins Freie. Der Wind schlug ihnen ins Gesicht, warm und sanft.
Und da sah er ihn, Snape. Mit wehendem Umhang stand er an der Brustwehr. Den Kopf in den Nacken gelegt starrte er in den sternenübersäten Himmel.
Schließlich erstieg er die oberste Zinne und trat ohne Zögern ganz nach vorn.
„Severus!“, sagte Dumbledore leise und eindringlich.
Snape schwankte.
„Sie werden mich nicht aufhalten!“, sagte er gequält und schrie in die Dunkelheit: „Sie sind meinetwegen gestorben!“
Dumbledore schüttelte den Kopf und erwiderte ruhig: „Nein, nicht deinetwegen sind sie gestorben!“
„Aber ich habe es nicht verhindert“, rief er mit bebender Stimme gegen den Wind. „Ich hätte ihn töten können!“
„Damit hättest du dich selbst in Gefahr gebracht.“
„Ich hätte es auf mich genommen! Ich habe größte Schuld auf mich geladen…“
„Severus, bitte…“, Dumbledore trat auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus.
„Keinen Schritt weiter!“ Snape erzitterte, die Stimme versagte ihm.
„Dein Opfer wird ihren Tod nicht ungeschehen machen!“, mahnte Dumbledore.
„Aber sühnen…!“, rief Snape, er trat nach vorn und stürzte in die Tiefe.
Dumbledore sprang vor, streckte seine Hand aus und rief ihm donnernd nach: „Exciperio praecipitatum!“

Erschüttert stürzte Harry vor und spähte nach unten.
Snape stand wohlbehalten am Fuße des Turmes. Er stieß die Faust in die Luft und mit einem gequälten Aufschrei sank er zu Boden.
„Gehen wir“, sagte Dumbledores sanfte Stimme und er führte Harry wieder in sein Büro.


Harry sah sich um. Es war dunkel und kühl. Vor dem Schreibtisch des Schulleiters saß Snape. Sein Gesicht war blass, seine Züge hart und eingefallen, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen.
„Ich stehe in Ihrer Schuld, Professor“, sagte er mit rauer Stimme.
Dumbledore trat aus dem Schatten und kam zu Snape. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte leise: „Ich möchte, dass du verstehst, was ich getan habe, Severus.“
„Ich verstehe es“, erwiderte Snape kaum hörbar und senkte das Haupt. „Was muss ich tun?“
„Das was du bisher getan hast. Sei mein Auge und mein Ohr in den Reihen von Voldemort.“
„Er ist fort, seine Macht ist gebrochen!“
Dumbledore lächelte flüchtig.
„Es ist nur eine Frage der Zeit…“, er brach ab und wandte sich um.
Snape hob den Kopf und sah ihm nach.
„Ich möchte, dass du hier in Hogwarts bleibst, Severus. Professor Slughorn möchte seine Stellung als Zaubertränkelehrer aufgeben und in den wohlverdienten Ruhestand treten. Du wirst diese Stelle übernehmen. Er gab mir die wärmsten Empfehlungen.“
Snape antwortete nicht. Er starrte stur geradeaus.
Dumbledore fuhr fort: „Die Schuld, in der du bei mir stehst, werde ich zu gegebener Zeit von dir einfordern. Du sollst sie ohne Zögern einlösen. Wirst du mir das versprechen, Severus?“
Snape schloss für einen Moment die Augen und atmete hörbar ein. Dann erhob er sich langsam und sah Dumbledore in die Augen. Sein Blick war dunkel, glühend und unergründlich.
„Ich verspreche es“, sagte er leise.
Dumbledore nickte ernst.


Dunkelheit breitete sich aus. Harry war wieder allein mit Dumbledore, der in einem strahlenden Lichtkranz vor ihm stand.
Harry fehlten die Worte, zu aufgewühlt war er durch das eben Gesehene. Die Gedanken stürzten auf ihn ein. Fassungslos schüttelte er den Kopf.
Dumbledore ließ ihm Zeit sich zu sammeln.
„Sie haben ihm nicht geglaubt…“, flüsterte Harry betroffen.
„Ich war im Irrtum als ich annahm, dass Sirius der Geheinmiswahrer deiner Eltern sein würde. Sirius wäre lieber gestorben als sie zu verraten, aber Peter…“, Dumbledore sah Harry schmerzlich in die Augen und fuhr fort: „Severus hat es gewusst und er hat ihm misstraut. Aber ich habe meine Ohren und meinen Geist vor seinen Worten verschlossen. Das war mein größter Fehler.“
Harry legte die Hand über die Augen.
„Die Schuld, die ich auf mich geladen habe, ist mindestens genau so groß wie die von Severus Snape“, sagte Dumbledore leise.
Harry ließ die Hand sinken und sah ihm stumm ins Gesicht.
„Hermine hatte Recht, Snapes Opfer war größer war als der Tod!“, sagte er gequält und setzte flüsternd hinzu: „Er muss mit dieser Schuld leben, verachtet, gehasst…“
Dumbledore erwiderte still und traurig seinen Blick.


Es wurde dunkel, Dumbledore verschwand. Harry schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken. Er hatte das Gefühl, dass er stürzte.
Als er die Augen wieder öffnete stand er noch immer in der dunklen ungemütlichen Küche.
Das Feuer knisterte im Kamin. Er spürte seine Wärme kaum. Der Wind rüttelte am Fenster. Er fröstelte.
Sein Blick fiel auf die Phiole, die auf den kalten Steinfliesen zerschellt war. Sie stand unversehrt vor ihm. Ihr silberner Inhalt waberte sanft. Harry beugte sich hinab und nahm sie auf. Er verschloss sie sorgfältig und steckte sie ein.
Dann konnte er nicht mehr. Seine Selbstbeherrschung zerbrach, wütend holte er aus und wischte mit einem Schwung das Geschirr vom Tisch. Scheppernd zerschellte es am Boden. Die Scherben rutschten durch den ganzen Raum, so kraftvoll war der Stoß.
Voller Verzweiflung schlug Harry mit beiden Fäusten auf den Tisch. Er atmete heftig, schloss die Augen und schrie gequält auf. Er sank auf einen Stuhl, legte den Kopf auf die Arme.
Er musste nachdenken.
Zerrissen zwischen Mitleid und Hass stöhnte er schwer auf.
Dumbledore hatte sich geirrt! Er war nicht unfehlbar.
Harry grollte ihm.
Er hatte sich aus der Verantwortung gestohlen!
Gerade jetzt hätten sie ihn so gebraucht, sein Wissen, seine mystische Kraft!
Wer kannte Voldemorts Geheimnis so gut wie Dumbledore?
Ein Gedanke drängte sich Harry auf. Wütend schüttelte er ihn ab.
Wer außer Dumbledore hatte die magische Kraft Voldemort zu widerstehen?
Wer außer Dumbledore kannte die dunkle Seite der Magie so gut wie Voldemort selbst?
So sehr sich Harry dagegen wehrte, er musste sich eingestehen, dass ihm nur ein einziger Mensch in den Sinn kam, in dessen Macht es stand, ihnen beizustehen, Voldemort zu bezwingen. Snape!
Das Bild, das er sich all die Jahre von ihm gemalt hatte, verschwamm mit einem Mal. Er war im Irrtum gewesen, immer. Wie konnte er sich so täuschen lassen!
Nein, er hatte es sich selbst eingeredet, beharrlich und immer wieder.
Wütend stöhnte er auf und erhob sich.
Grübelnd ging er auf und ab. Am Fenster blieb er stehen und sah in die graue Welt.
Hermines Worte drängten sich ihm auf.
Snape vertrauen?
Ihm die Hand reichen?
Zweifelnd schüttelte er den Kopf, doch er wusste es, sie brauchten Snape. Sie brauchten sein Wissen um Voldemort und seine dunkle Kraft.
Nachdenklich sah er den Schneeflocken nach, die sanft zur Erde schwebten.
„Ich vergebe dir, alter Mann“, flüsterte er der kalten Welt entgegen.
Er hatte seine Entscheidung getroffen.


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