von Marisol
Seine Finger berührten die kühle, glatte Oberfläche des Spiegels und er wusste, dass er sich nicht in seinen Tiefen verlieren durfte, aber es war zu spät.
Sein eigenes Spiegelbild verblasste wie Nebel in der frühen Morgensonne und die schmale Gestalt einer Frau erschien, so plötzlich, dass es ihn überrascht hätte, hätte er nicht gewusst, was der Spiegel bewirkte.
Ihr langes, rotes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern und auf ihrem blassen Gesicht zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab.
Es war eine Lüge, er wusste es, alles war eine Lüge, und er war kein Narr. Und doch trat er einen Schritt näher an den Spiegel, in der irrationalen Hoffnung, den Duft ihrer Haare einatmen zu können.
Ihre sanften, grünen Augen ruhten auf seinem Gesicht, während sie ihn anlächelte, und er konnte nichts weiter tun, als sie anzustarren, ihren Anblick in sich aufzusaugen.
Ein unsichtbares Gewicht schien seinen Brustkorb zusammenzupressen und wäre er in der Lage gewesen, zu sprechen, dann wäre seine Stimme dünn und brüchig wie ein Stück Pergament gewesen.
Lily… unsicher, ob er ihren Namen wirklich gesagt hatte, oder ob er nur in seinen wild kreisenden Gedanken gefangen war, presste er vorsichtig eine Handfläche an die Stelle, an der ihr Gesicht gewesen wäre.
Sie nickte, immer noch lächelnd, und ein trauriger Ausdruck huschte über ihr schönes Gesicht.
„Es ist nicht deine Schuld…“, flüsterte sie leise, so als wüsste sie genau, wie schwer es ihm fiel, die Bürde jeden Tages zu tragen und unter der Last jeder Nacht weiterzuatmen.
„Vergib dir selbst. So, wie ich dir vergeben habe.“
Er wollte ihr sagen, dass er es nicht konnte, es nie können würde, aber gleichzeitig spürte er, wie ihre sanft gesprochenen Worte und der Ausdruck in ihren Augen ihn erlösten, die Schuld von seiner betäubten Seele nahmen.
*~*~*~*
Er hätte nicht sagen können, wie lange er vor dem Spiegel gestanden hatte, als er eine andere, vertraute Stimme hörte, die seinen Namen rief.
„Der Spiegel Nehergeb“, hörte er Dumbledore sagen und spürte gleichzeitig, wie eine Hand sich schwer auf seine Schulter legte.
Er wusste, was kommen würde, aber er drehte sich nicht um.
Er würde den Ausdruck in Dumbledores gütigen Augen nicht ertragen können, ebenso wenig wie seine Worte, von denen er wusste, dass sie den Schmerz in seinem Inneren wieder auflodern lassen würden.
„Seltsam, dass wir immer nach einem Weg suchen, um unsere verzweifeltsten Wünsche wahr werden zu lassen, selbst wenn es nur für einen Augenblick ist.“
Dumbledore wartete nicht auf eine Antwort, und selbst wenn doch, hätte er nicht gewusst, was er hätte erwidern sollen.
Die Hand des Schulleiters umklammerte seine Schulter ein wenig fester, und für einen Augenblick erschien es ihm, als wüsste Dumbledore genau, was er im Spiegel gesehen hatte.
„Eine tröstende Illusion ist manchmal wie eine Decke, die sich schützend und wärmend um uns ausbreitet, uns obwohl wir wissen, dass es nur eine Illusion ist, geben wir uns ihr hin.“
Obwohl etwas in seinem Inneren dagegen ankämpfte, drehte er sich doch langsam zu Dumbledore um und begegnete seinem Blick.
Durch das Fenster spendete de Mond geizig sein silbriges Licht und er konnte sehen, dass ein trauriges Lächeln die Lippen des alten Mannes umspielte, als sie einander in die Augen sahen.
„Aber gerade das Bedürfnis nach etwas Wärme und Liebe ist doch das, was uns menschlich macht… nicht wahr?“
Er senkte den Kopf, unfähig, Dumbledores Blick länger standzuhalten.
Für einen sehr langen Moment war es still, bis er den anderen Mann leise sagen hörte:
„Gute Nacht… Severus.“
Und während er durch die dunklen Gänge des Schlosses ging, lautlos wie ein Schatten, spürte er wieder das vertraute Gefühl der Leere, die sich allmählich in ihm ausbreitete.
In seinem Bett starrte er noch lange blicklos an die Decke… nicht ahnend, dass er nicht der einzige war, der in dieser Nacht der Versuchung des Spiegels Nehegeb erlegen war, nicht ahnend, dass Dumbledore nicht nur ihn darauf hingewiesen hatte, dass der Spiegel nur eine Illusion zeigte…. Und erst recht nicht ahnend, dass Harry Potter, der alles in sich vereinte, was er, Severus, gleichzeitig hasste und liebte, das gleiche Bild sah, wenn er in den Spiegel schaute.
Lily.
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