Unbekannte Vergangenheit - Vergangenheit und Gegenwart - Teil 2
von ChrissiTine
Vergangenheit und Gegenwart, Teil 2
Remus und Sally folgten mit einigem Abstand. Remus war sich nicht sicher, ob er auch zu Sarahs Mutter gehen sollte. Sie war schließlich schwer krank, er wollte sie nicht aufregen oder ähnliches. Er hatte ja absolut keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Er wollte nur für seine Tochter da sein, nur deswegen war er hier.
"Es bedeutet ihr viel, dass du hier bist.", sagte Sally nach einer Weile, in der sie die Stufen zu dem Haus erklommen hatten. "Sie hat sich lange einen Vater gewünscht, genau wie eine Mutter. Wenigstens der eine Wunsch ist in Erfüllung gegangen." Es hatte ihr immer das Herz zerrissen, wenn sie gesehen hatte, wie sehr Rebecca ihre Eltern gefehlt hatten. Sie und Ben hatten sich immer bemüht, für sie da zu sein, wenn sie ein Problem hatte, das sie nicht mit ihrer Großmutter besprechen konnte. Rebecca war die Tochter, die Sally sich immer gewünscht hatte. Die Schwester, die Sam nie gehabt hatte. Das Kind, das ihr und Ben immer verwehrt worden war, da sie nach Sams Geburt so starke Blutungen gehabt hatte, dass ihre Gebärmutter entfernt werden musste, damit sie nicht starb. Die Ärzte hatten es beinahe nicht geschafft, sie zu retten. Sarah hatte leider nicht so viel Glück gehabt.
Remus seufzte. "Ich wünschte, das wäre er schon eher. Aber Sarah hat nie etwas gesagt und dann war sie plötzlich weg, ich dachte, sie sei gestorben, weil nie wieder irgendeine Nachricht kam. Sie hätte das nie gemacht. Es war die einzige Möglichkeit. Jetzt weiß ich, wie das alles wirklich war." Er schluckte.
Sally nickte. "Es ist schade, wie das zwischen dir und Sarah gelaufen ist. Ich weiß zwar nicht genau, was vorgefallen ist, aber ihr habt immer als das Traumpaar gegolten, zusammen mit Lily und James." Die ganze Schule hatte in den letzten Wochen vor ihrem Abschluss nur von diesen zwei Paaren geredet, die auf dem Maiball zusammen gekommen waren. Auch wenn sie sich für die vier wirklich freute, hatte Sally dieses ganze Gerede am Ende wirklich nicht mehr hören können. Es hatte weitaus wichtigere Dinge in der Welt gegeben.
"Aber die zwei hatten auch nicht sehr viel Glück. Wurden von Voldemort ermordet.", sagte Remus bitter.
"Was?!" Sally sah ihn erstaunt an. "Das ist doch ein Scherz, oder? Potter und Evans? Das kann doch nicht sein!" Wieso wusste sie nichts davon? Wieso hatte ihr das niemand gesagt? Wieso hatten die Zeitungen davon nichts berichtet?
Aber es hatte so viele Tote gegeben, so unglaublich viele, dass die amerikanischen Zeitungen sich nicht die Mühe gemacht hatten, jeden einzelnen Tod namentlich abzudrucken. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Voldemort keine Gefahr auf diesem Kontinent dargestellt hatte und das Interesse hierzulande ziemlich klein gewesen war. Sie konnte sich nur daran erinnern, die Schlagzeile gelesen zu haben, dass Voldemort in die Knie gezwungen wurde, aber ihre Wehen hatten eingesetzt, bevor sie den Artikel hatte lesen können und nach der Geburt hatte sie wirklich keinen Kopf mehr für den schwarzmagischen Zauberer gehabt. Das war ein großer Fehler gewesen. Aber Sarah hatte auch nichts gesagt...
Remus nickte. "Leider doch. Hier scheint man wirklich nicht viel aus England mitbekommen zu haben."
"Anscheinend nicht mal das Geringste.", erwiderte Sally. "Das letzte, was ich gehört habe, bevor ich zu Ben hierher gekommen bin, war, dass Lily und James sich verstecken mussten. Aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich das alles nicht mehr wirklich mitverfolgt, ich wollte nur noch zu meinem Mann nach Amerika und weg von dem ganzen Krieg.", gestand sie.
Anfangs war sie sich bei dieser Entscheidung unglaublich feige vorgekommen, schließlich war sie niemals diejenige gewesen, die irgendwelchen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen war, aber sie war auch nie jemand gewesen, der einfach so sein Leben auf's Spiel gesetzt hätte. Ihre Eltern waren jung bei einer Explosion in der Muggelwelt gestorben und sie hatte großen Respekt vor dem Tod. Und als sie dann schließlich Ben, einen jungen Amerikaner, bei einer Fortbildung kennen gelernt und ein Jobangebot in den Vereinigten Staaten bekommen hatte, hatte sie in England nichts mehr gehalten. Ihre Familie war tot, ihre große Liebe auf einem anderen Kontinent, es hatte nichts mehr gegeben, was sie noch in England gehalten hätte. Und diese Entscheidung, die sie damals getroffen hatte, hatte sie nie bereut. Ihre Familie war das Kostbarste auf der ganzen Welt.
Remus nickte. Wer weiß, wenn er diese Möglichkeit gehabt hätte, vielleicht wäre er auch ausgewandert. Aber für Werwölfe war das damals keine Möglichkeit gewesen. Sarah war wegen ihm in Großbritannien geblieben, wegen ihm und ihrer besten Freundin Lily, die auch nicht so einfach aus dem Land verschwinden konnte, zum einen, weil James dieser Flucht nie im Leben zugestimmt hätte - denn er war niemand, der vor einer solchen Herausforderung einfach abgehauen wäre - und zum anderen, weil sie nirgendwo sicher gewesen wären. Voldemort hatte Harry gewollt und er hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn auch zu kriegen, egal, wo sie sich verstecken würden, ob in London oder Timbuktu.
"Ich kann dich gut verstehen, Sally.", erwiderte er. "Wenn die Umstände anders gewesen wären, ich wäre mit Sarah auch am liebsten so weit wie möglich vor dem Krieg geflohen. Ich hab nie gewollt, dass ihr irgendetwas zustößt." Und letztendlich war es doch seine Schuld gewesen. Sarah war gestorben, weil sie von ihm schwanger gewesen war, weil sie sein Kind bekommen hatte, weil er so dämlich gewesen war, nicht richtig zu verhüten. Er hatte sie in Gefahr gebracht und er würde sich das nie verzeihen.
Sally seufzte. "Was passiert ist, ist passiert. Du kannst es nicht mehr rückgängig machen, Remus." Tröstend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Es war offensichtlich für sie, dass er nicht vom Krieg sprach, sondern besonders davon, dass Sarah bei der Geburt ihres Kindes gestorben war. "Sarah hat sich sehr auf Becky gefreut, Remus. Sie war dein letztes Geschenk für Sarah, hat sie mir einmal erzählt. Sie war dankbar dafür, dass du sie nicht ganz alleine gelassen hast. Auch wenn du ihr unglaublich gefehlt hast." Sie schluckte, als sie sich an die Momente mit ihrer verstorbenen Freundin erinnerte. "Ich glaube, die Schwangerschaft war das Einzige, was ihr die Kraft gegeben hat, überhaupt noch weiterleben zu wollen, Remus. Rebecca hat Sarah damals gerettet."
Remus starrte Sally stumm an. Es schien ihm unmöglich zu sein, irgendetwas zu sagen. Er blinzelte und wandte den Blick schließlich von ihr ab. Das Thema Sarah ging ihm wohl immer noch sehr nahe.
/-/
Während Remus und Sally mehr oder weniger in Erinnerungen schwelgten, stieg Rebecca bereits die Stufen zum Schlafzimmer ihrer Grandma hoch. Sam war ihr dicht auf den Fersen. Vor der Zimmertür stoppte sie plötzlich, er konnte gerade noch verhindern, in sie hineinzurennen.
Mit Tränen in den Augen schaute Rebecca auf die Tür. Langsam hob sie die Hand, um anzuklopfen. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwarten würde. Und ob sie überhaupt sehen wollte, was in diesem Zimmer auf sie wartete. Aber sie war den ganzen Weg hierher geflogen, zusammen mit Sam und Remus, um ihre Großmutter zumindest noch einmal zu sehen, sollte es zu schlecht um sie stehen. Sie konnte jetzt unmöglich einen Rückzieher machen. Sie war sich sicher, dass sie das sonst bereuen würde.
Sie schluckte, als sie ein schwaches "Herein" hörte. Jetzt war es zu spät, um umzukehren. Hilfesuchend drehte sie sich zu Sam, der hinter ihr stand. Er nickte ihr aufmunternd zu, aber ihr fehlte immer noch der Mut, um dieses Zimmer zu betreten. Es war wirklich armselig, da hatten alle ihre Freunde Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie so schnell wie möglich hierher zu bringen und jetzt war sie zu feige, um ihre sterbende Großmutter ein letztes Mal zu sehen.
Sam streckte schließlich die Hand aus, als er ihr Zögern bemerkte, und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er sie plötzlich in seine Arme zog und fest an sich drückte. "Du schaffst das schon, Becky.", murmelte er ihr überzeugt zu. "Du schaffst das."
Rebecca nickte und versuchte krampfhaft, ihre Tränen zu unterdrücken. Nach einigen Sekunden löste sie sich schließlich von ihrem besten Freund und öffnete dann so leise wie möglich die Tür. Wie erstarrt blieb sie erneut stehen. Der Anblick, der sich ihr bot, war erschreckend: Ihre Großmutter lag in ihrem Bett und war weißer als ein Laken. Sie war unglaublich dünn geworden, man konnte beinahe alle Knochen sehen und sie schien unglaublich müde zu sein.
Rebecca wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber sie wusste, dass es das auf jeden Fall nicht gewesen war. Ihre Großmutter war eine starke, stabile Frau, die nichts so leicht aus der Ruhe bringen konnte. Sicher, Rebecca hatte in den letzten Jahren bemerkt, dass das Alter auch an ihr Spuren hinterließ. Ihr Blut war nicht durch und durch magisch, ihr Vater, Rebeccas Urgroßvater, war ein Muggel gewesen und deshalb hatte von Anfang an festgestanden, dass ihre Großmutter sicher nicht älter als hundert werden würde. Neunzig wäre schon ein erschwingliches Alter für sie gewesen. Aber sie war doch noch nicht mal achtzig! Rebecca hätte nie geglaubt, dass sie sich so früh von ihr würde verabschieden müssen.
"Grandma", brachte sie schließlich mit zitternder Stimme heraus und kam langsam näher. Das alles kam ihr so unwirklich vor. Als sie gegangen war, war noch alles in Ordnung gewesen und jetzt ... jetzt stand sie vor den Scherben, die sie zurückgelassen hatte. Ihre Großmutter war alles, was sie hatte und das wurde ihr nun genommen.
Mrs Sanford blickte ihre Enkelin schwach lächelnd an. "Becky, Liebes. Du hättest nicht kommen müssen.", sagte sie sehr leise. Sie schien keine Kraft mehr zu haben. Diese starke Frau war so schwach geworden, wie Rebecca sie nie hatte erleben wollen.
"Natürlich hätte ich das, Grandma!", widersprach Rebecca sofort und setzte sich auf den Stuhl, der am Bett stand. Was hatte ihre Grandma denn gedacht, was sie tun würde? In England auf eine Nachricht von ihrem Tod warten und einfach so weitermachen wie immer? Wie könnte sie das tun? Sie hätte es sich nie verziehen, ihre Großmutter nicht noch einmal zu sehen. Selbst wenn sie sie so sehen musste, schwach und krank. Aber Rebecca hätte es nicht ertragen, wenn sie ihrer Großmutter zum letzten Mal in die Augen gesehen hätte, als diese voller Angst um sie gewesen waren. Angst um sie, weil sie einfach gehen und nach ihrem Vater suchen musste.
Eine Krankenschwester befand sich im Zimmer. Sie kümmerte sich um die kranke Frau. Weil sie selbst nicht da gewesen war, um für Mrs Sanford zu sorgen. Becky schluckte und kämpfte wieder gegen die Tränen, als sie Mrs Sanfords knochige Hand nahm. Sie war kalt. Die sonst immer so warme Hand fühlte sich an wie ein Eisklumpen.
"Dein Leben spielt sich nicht mehr hier ab. Du hast jetzt ein neues Leben, ein Leben ohne mich.", sagte Mrs Sanford. Rebecca schaute sie verwundert an und öffnete den Mund. Das war doch überhaupt nicht wahr! Nur weil sie jetzt in England wohnte, dort Freunde hatte, einen Vater und eine Arbeit, hieß das doch noch lange nicht, dass sie ihr Leben jetzt ohne ihre Großmutter lebte! Aber dann versuchte sie sich zu erinnern, wann sie Mrs Sanford das letzte Mal angerufen hatte. Ohne bestimmten Grund, einfach nur, um ihre Stimme zu hören. Sam genauso. Und ihr wurde klar, dass ihre Grandma absolut Recht hatte. Oh Merlin, war sie egoistisch! So schrecklich egoistisch. Sie hatte nur noch an sich gedacht, alles andere war ihr völlig egal gewesen. "Du musst dich nicht entschuldigen, Liebling. Es ist nur normal. Deine Mutter war auch so. Du bist erwachsen geworden. Und das ist gut so.", versuchte Mrs Sanford ihre Enkelin zu beruhigen. Sie drückte ganz schwach Beckys Hand.
"Ich wollte dich nicht im Stich lassen.", erwiderte Rebecca betroffen. Eine einzelne Träne konnte sie nicht zurückhalten. Was hatte sie nur angerichtet?
"Das hast du nicht.", lächelte Mrs Sanford. "Bestimmt nicht. Mir tut es Leid, dass ich dir jetzt so weh tue." Sie wirkte so unglaublich klein und hilflos. Schrecklich hilflos. Und nach allem, was Rebecca ihr zugemutet hatte, nach allem Schmerz, den sie ihr bereitet hatte, nach allem, was passiert war, fühlte sich ihre Großmutter jetzt noch schuldig, weil das Unvermeidliche passierte. Das hatte sie nicht gewollt. Wirklich nicht.
"Schon in Ordnung", murmelte Rebecca beschämt. Sie wusste nicht, was sie darauf sonst erwidern sollte. Natürlich tat ihr ihre Großmutter weh, indem sie starb, aber dafür konnte sie schließlich nichts und Rebecca wollte ihr keine Schuldgefühle einreden. Mrs Sanford trug schließlich keine Schuld. Es war nur Rebeccas Schuld. Sie hätte niemals gehen dürfen.
"Ist es nicht.", erwiderte Mrs Sanford entschieden. Rebecca seufzte. Sie kannte sie viel zu gut. "Ist es nicht, und das weißt du." Ihre Großmutter hob eine Hand und strich ihr zärtlich über die Wange. "Und es ist auch nicht deine Schuld, Becky. Egal, was du dir da jetzt einredest, es ist nicht deine Schuld. Ganz bestimmt nicht. Es war unvermeidlich, dass ich irgendwann sterbe, das hätte niemand verhindern können, selbst du nicht." Mrs Sanford verstummte schwer atmend.
Rebecca legte ihre andere Hand auch noch auf die ihrer Großmutter. "Darüber solltest du nicht nachdenken, Grandma. Du solltest dich lieber darauf konzentrieren, schnell wieder gesund zu werden.", schlug sie vor. Es war offensichtlich, dass sie dieses Gespräch anstrengte.
"Ich werde nicht wieder gesund, Becky.", widersprach sie. "Dazu ist es zu spät."
Rebecca schaute sie aus wässrigen Augen an. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Das hier konnte doch nicht das Ende sein. Das ging einfach nicht!
"Aber ... aber ..." Hilfesuchend schaute sie zu Sam, der im Türrahmen stehen geblieben war, als moralische Unterstützung. Auch er schien mit den Tränen zu kämpfen. Aber er zuckte nur mit den Schultern. Er wusste genauso wenig, was sie tun oder sagen sollte. "Ich sollte vielleicht mal nach meinem Dad sehen.", sagte sie schließlich, weil ihr nichts anderes einfiel. Sie hielt es nicht mehr im Zimmer aus, mit dem Gedanken daran, dass dies das letzte Mal war. Dass sie nie wieder mit ihrer Großmutter würde sprechen können. Sie nie wieder würde lachen sehen können. Nie wieder Geschichten von ihrer Mutter erfahren würde.
"Dein Vater ist hier?" Mrs Sanford schaute die beiden jungen Erwachsenen erstaunt an. "Er hat dich begleitet?" Interesse blitzte in ihren stumpfen Augen auf, die einmal so strahlend gewesen waren.
Rebecca nickte. "Ja. Er ist unten mit Mrs Cunning. Sie sind wohl zusammen zur Schule gegangen, wenn ich das richtig verstanden habe." Sie hatte dem Gespräch ihres Vaters und Sams Mutter nicht viel Beachtung geschenkt, aber so viel hatte sie auch noch mitbekommen. Und wenn sie es sich recht überlegte, ihre Großmutter hatte erwähnt, dass Mrs Cunning und ihre Mutter sich aus der Schule kannten. Wieso hatte sie nur nicht früher daran gedacht?
Mrs Sanford nickte. "Das hätte ich mir denken können. Sally kannte Sarah ja auch noch aus der Schule.", sprach sie aus, was Rebecca gedacht hatte. Sie machte eine Pause, weil ihr das Sprechen zunehmend schwerer fiel. Kurze Zeit später versuchte sie es erneut. "Meinst du, du könntest ihn kurz hoch bitten?", versuchte sie es schließlich. "Bevor ich sterbe, würde ich deinen Vater gerne noch kennen lernen."
"Grandma ...", fing Rebecca an. Sie wünschte sich, ihre Großmutter würde zuversichtlicher sein. Sie wünschte sich, dass sie sich nicht einfach mit der Tatsache abfand, sondern kämpfte. Aber sie wusste wahrscheinlich auch nicht erst seit gestern, wie es um sie stand. Und sie wusste wahrscheinlich ebenfalls, dass es keinen Sinn mehr hatte, zu kämpfen. Sie hatte ihr Leben gelebt und sie würde nichts bereuen. Zumindest hoffte Rebecca das. Sie wünschte sich, dass ihre Großmutter wenigstens in Frieden würde sterben können, wenn schon nicht mehr.
"Bitte", unterbrach Mrs Sanford sie. Schweren Herzens nickte Rebecca und verließ das Schlafzimmer ihrer Großmutter. Kurz darauf kam sie wieder, gefolgt von Remus, der sehr unbehaglich dreinblickte. Sally stand im Flur und wartete. Sam entschloss sich, sich zu seiner Mutter zu gesellen und die Familie alleine zu lassen. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.
"Guten Abend", sagte Remus unsicher. Was sollte er zu der Mutter seiner Jugendliebe schon groß sagen? Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihre Tochter geschwängert und dann alleine gelassen habe?
"Sie sind also Sarahs große Liebe.", stellte Mrs Sanford lächelnd fest und schaute ihn prüfend an. Remus schluckte, als er ihren Blick spürte. War er eine Enttäuschung für Sarahs Mutter?
"Ja.", seufzte er schließlich. "Es tut mir Leid, dass alles so gekommen ist. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen.", sagte er schließlich und kam etwas näher. Ganz entfernt ähnelte diese Frau der Frau, die er einmal auf einem Foto bei Sarah gesehen hatte. Er hatte bedauert, sie niemals kennen gelernt zu haben, aber sie war schon vor ihrem Schulabschluss nach Amerika gezogen. Und vielleicht war es besser, dass sie ihn nicht gekannt hatte. Er war alles andere als ein Traumschwiegersohn.
"Es hatte alles seine Richtigkeit.", erwiderte Mrs Sanford leise. "Alles ist so gekommen, wie es kommen musste. Ich bin froh, dass Becky endlich ihren Vater gefunden hat." Sie machte eine Pause. "Sie ist nicht mehr alleine auf der Welt, wenn ich jetzt sterbe." Remus warf seiner Tochter einen unsicheren Blick zu. Jetzt hatte er wirklich keine Ahnung mehr, was er sagen sollte. Aber vielleicht hatte Mrs Sanford Recht und es war Schicksal. Früher hatte er immer geglaubt, dass alles aus einem bestimmten Grund passierte. Vielleicht war es wirklich so. "Wir haben uns schon einmal gesehen, nicht wahr? Sie waren dieser unscheinbare nette Junge am Bahnhof, oder?", sagte sie dann plötzlich nach einigen Minuten Stille.
Remus nickte, überrascht, dass sie sich noch erinnerte. Er war damals doch erst zwölf gewesen. Es war so lange her...
"Ja, das war ich." Er lächelte leicht. "Und Sie waren diese nette Frau, die mir vorgeschlagen hat, mich nach Hause zu bringen, sollten meine Eltern nicht mehr auftauchen."
Auch Mrs Sanford lächelte. Zumindest versuchte sie es. "Ja. Aber ehrlich gesagt hätte ich nicht geglaubt, dass dieser kleine Junge Beckys Vater ist, obwohl ich mich immer gefragt habe, wo ich diese Augen schon einmal gesehen hatte ... abgesehen von dem Foto, das Sarah von Ihnen hatte."
"Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht.", sagte er, bevor er sich bremsen konnte. Er wollte nicht, dass Sarahs Mutter von ihm enttäuscht war. Nicht, nachdem sie 22 Jahre lang sein Kind großgezogen hatte.
Mrs Sanford schüttelte kaum merklich den Kopf, "Nein. Warum sollte ich? Ich bin froh, dass Sie meine Tochter so glücklich gemacht haben. Auch wenn die Geschichte zwischen Ihnen Beiden ein trauriges Ende genommen hat. Sie war glücklich. Und das ist alles, was ich wissen muss."
"Ja, darüber bin ich auch froh.", murmelte Remus. Sie hatte Recht. Sarah und er hatten das Beste aus der kurzen Zeit gemacht, die ihnen geschenkt worden war. Selbst wenn er sich Vorwürfe machte, weil sie gestorben war, er bereute es nicht, mit ihr zusammen gewesen zu sein. Sie hatte ihm damals Hoffnung geschenkt, sie hatte dafür gesorgt, dass er sich wie ein Mensch fühlte und nicht wie ein Monster. Ohne sie hätte er den Krieg damals nicht so gut überstanden. Ohne sie hätte er nie so glücklich mit Dora sein können. Sarah selbst war ein Geschenk gewesen und sie hatte ihm auch noch Rebecca geschenkt. "Ich sollte besser wieder gehen.", sagte er dann laut. "Sie wollen sicher mit Becky alleine sein." Er ging wieder zur Tür. Seine Tochter würde die Zeit mit ihrer Großmutter brauchen. Viel war ihnen zusammen leider nicht mehr vergönnt.
"Danke", flüsterte Becky ihm zu und lächelte traurig. Remus nahm kurz ihre Hand und drückte sie aufmunternd. Er wünschte wirklich, er könnte mehr für sie tun, aber das war eine Situation, die sie alle einmal durchstehen mussten. Keiner lebte ewig. Und auch wenn sie jetzt schwach aussah, Remus war sich sicher, dass Rebecca es schaffen würde. Immerhin hatte sie seine Gene und er hatte in seinem Leben schon mehr geschafft als er je für möglich gehalten hätte.
Mrs Sanford entging diese kleine Geste nicht. Sie lächelte zufrieden. Rebecca würde nicht alleine sein.
TBC...
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Ich bin nicht so blöd, mitten im Winter in Edinburgh eine unbeheizte Wohnung zu mieten.
Joanne K. Rowling