von Seamus ODonnell
Untitled
Endlich frei?
Zwei Tage. Es ist zwei Tage her, dass ich Voldemort besiegt habe. Wieso fühle ich mich nicht frei?
Mit diesen Gedanken im Kopf ging Harry durch das große Tor und verließ das Gelände von Hogwarts. Er wollte an diesem Morgen eine Weile alleine sein, um seine Gedanken zu ordnen. Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt und noch war alles ruhig Gestern Morgen hatten einige Ereignisse seine Erleichterung über das Ende des Krieges ausgelöscht und ihn in tiefste Verzweiflung gestürzt.
Am gestrigen Morgen
Harry kam in die große Halle und sah all seine Freunde beisammen am Gryffindortisch. Ron folgte ihm auf den Fersen. Ginny stieß Fred, der neben ihr saß in die Seite, woraufhin dieser nur widerwillig den Platz räumte. Ron versuchte sich auf den nun freien Platz neben Ginny zu setzen, als diese ihm einen Blick zuwarf, den er eigentlich nur von seiner Mutter kannte, wenn er etwas angestellt hatte. Fast schon violett war sein Gesicht, als er sich endlich neben Hermine setzte.
„Guten Morgen, du Langschläfer“ flüsterte sie ihm lächelnd ins Ohr
„Morgen Hermine, gut geschlafen?“ wollte er von ihr wissen.
„Natürlich, aber sicher nicht so lange wie ihr beiden. Bei Harry kann ich es ja noch verstehen, aber bei dir?“ spottete sie. Ron schaute sie mit einem verwirrten Blick an und da verstand er, dass Hermine in ihn verliebt war. Er lief wieder knallrot an und verlegen betrachtete er seine Hände. Er wusste einfach nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Währenddessen setzte sich Harry neben Ginny. Sie strahlte über das ganze Gesicht und er wusste, dass er endlich ein fast normales Leben führen konnte.
„Was hast Du jetzt eigentlich vor, Harry?“, wollte Ginny von ihm wissen.
„Ich hab keine Ahnung. Ohne Abschluss kann ich ja wohl schlecht Auror werden. Aber zuerst will ich endlich mal ohne Angst vor weiteren Todesfällen in meinem Umfeld leben.“
„Dafür hast du ja gesorgt.“
Mit einem warmen Lächeln schaute Ginny in seine Augen.
„Bei Merlin, wie habe ich das vermisst.“ Dieser Gedanke schoss durch seinen Kopf und sein Herz fing an schneller zu schlagen. Das Biest in seiner Brust regte sich wieder und der Gedanke an die gemeinsame Zeit erfüllte ihn mit Glücksgefühlen. Wie hypnotisiert fixierte er ihre warmen braunen Augen und seine Lippen näherten sich langsam ihren und ohne auf jemanden anderen außer auf Ginny zu achten, versuchte er sie zu küssen.
Ginny zog ihren Kopf zurück und sagte: „Harry Potter, nur weil du den dunklen Lord besiegt hast, brauchst du nicht zu glauben, dass mit einem simplen Kuss alles vergessen ist, was du mir angetan hast. Fast ein ganzes Jahr lang hatte ich Angst um Dich und plötzlich tauchst Du auf und meinst nun, dass Du, als Held, Dir nehmen darfst, was Du willst. So haben wir nicht gewettet. Du musst dir schon etwas Besseres einfallen lassen.“
Dieser Schreck riss Harry aus dem tranceähnlichen Zustand. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, dem man sein Lieblingsspielzeug gestohlen hatte. Er schüttelte seinen Kopf, wie ein Hund es machen würde, wenn er eine Ladung Wasser abbekommen hätte. Hermine hatte das Ganze mit angehört und musste sich sehr zurückhalten, um nicht laut loszulachen.
„Was soll ich denn machen, Ginny? Du weißt ganz genau, dass ich Dich schützen wollte, deshalb musste ich unsere Beziehung beenden. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn Riddle Dich benutzt oder gar getötet hätte. Wenn Du das nicht verstehst, dann kann ich Dir nicht helfen. Ich liebe Dich; Ich werde Dich immer lieben und das letzte Jahr war härter für mich, als du dir vorstellen kannst. Was genau passiert ist, werde ich Dir irgendwann unter vier Augen erzählen.“
Nach diesem Disput stand Harry auf und ließ die anderen in der großen Halle zurück. Er hörte nicht auf die Rufe von Ron, Ginny und Hermine; sein Ziel war es alleine zu sein, denn Ginnys Äußerungen hatten ihn sehr tief getroffen.
Er achtete nicht darauf, wohin er ging und nach einer halben Stunde schreckte er auf. Er hörte jemanden erbärmlich schluchzen, die Worte der Person waren kaum verständlich.
„Lily, es tut mir leid. Ich habe versagt und nun ist dein Sohn tot. Dabei habe ich geschworen ihn zu beschützen.“
Harry sah sich um und erkannte nun, dass er sich an der Heulenden Hütte befand. Er hörte genauer hin, konnte jedoch die Stimme nicht identifizieren. Somit blieb ihm nichts anderes übrig als um die Hütte herumzugehen. An der Rückseite sah er eine Gestalt. Sie hockte am Boden und verbarg ihr Gesicht in den Händen und schien bitterlich zu weinen.  Harry näherte sich vorsichtig und legte der Person eine Hand auf die Schulter und fragte: „Kann ich Ihnen helfen?“
Die Person zuckte zusammen, hob ihren Kopf und drehte sich zu ihm um. Nun erkannte Harry wer dort war. Es war Severus Snape. Mit vor Schock geweiteten Augen betrachtete dieser Harry und er fing an zu stottern.
„Ha.. Harry? Du lebst? Bei Merlin, ich dachte, Du wärst tot. Wie ist das möglich?“
Harry antwortete nicht weniger geschockt: „Professor Snape! Sie leben auch noch. Merlin sei Dank. Kommen Sie, wir gehen zurück zum Schloss.“ Irgendetwas war mit Snape passiert. Das war offensichtlich. Es schien fast so, als ob die Maske, die dieser Mann all die Jahre aufgesetzt und die emotionale Mauer, die er um sich aufgebaut hatte, verschwunden war.
In Snape aber keimte etwas Hoffnung auf. ?Wenn Harry überlebt hat, besteht vielleicht auch noch eine Zukunft für mich.' Dieser Gedanke sollte nun für ihn zu seinem persönlichen Mantra werden.Snape ergriff die ihm gereichte Hand und Harry zog ihn hoch. Sein ehemaliger Lehrer stand sehr wackelig auf den Beinen, daher musste Harry ihn den ganzen Weg zurück stützen, denn die Erniedrigung eines Leviacorpus Zaubers wollte Harry dem völlig entkräfteten Lehrer nicht antun. Auf dem ganzen Weg ins Schloss schwiegen die beiden; die Anstrengung war für beide einfach zu groß. Am Ende ihrer Kräfte erreichten sie das Eingangsportal. Kaum waren sie über die Schwelle ins Innere von Hogwarts getreten, kam Professor McGonagal herbei gerannt. In ihrem Schlepptau befanden sich Miss Pomfrey und Professor Sprout. Alle drei wirkten wegen des tot geglaubten Snapes verängstigt. Als Harry dies bemerkte, beruhigte er die drei. Kurz nach dem letzten Gefecht, hatte Harry allen überlebenden Mitgliedern des Ordens erzählt, was Snape für Dumbledore getan hatte, und was mit ihm passiert war. Umso schockierender war die Tatsache, dass Professor Snape doch noch am Leben war.
„Keine Angst. Professor Snape hat den Angriff durch Voldemorts Schlange doch überlebt. Riddle hat etwas Wichtiges vergessen. In seiner Ãœberheblichkeit dachte er, Snape wäre tot und er hat nicht kontrolliert, ob dem wirklich so ist. Und so, wie ich Professor Snape kenne, hatte er für den Fall schon vorgesorgt. Trotzdem wäre es besser, wenn er auf die Krankenstation gebracht wird.
Mit einem müden, jedoch erstaunlicherweise freundlichen Lächeln, sah Snape in Harrys Gesicht und flüsterte erschöpft: „Danke, Harry. Danke für alles.“
„Sie müssen sich nicht bei mir bedanken, sondern ich mich bei Ihnen. Ohne ihre Hilfe hätte ich es nicht geschafft. Irgendwann werde ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen“ erwiderte Harry.
Gemeinsam gingen die fünf hoch ins Reich von Poppy Pomfrey, wo Professor Snape gründlich untersucht wurde. Als Harry gehen wollte, sagte Snape mit sanfter Stimme: „Harry bitte bleib noch einen Moment bei mir. Ich denke, ich muss dir etwas erklären.“
Es war äußerst ungewöhnlich, dass Severus Snape so freundlich gegenüber Harry sich verhielt, daher näherte sich Harry vorsichtig dem Bett, auf dem sein Tränkemeister lag und betrachtete kurz das fahle Gesicht. Es fiel ihm auf, dass dieser abweisende Ausdruck aus Snapes Gesicht verschwunden war und Harry erkannte nun, wie verletzlich dieser Mensch, der vor ihm lag doch war. Diese Feststellung erstaunte ihn, da er mit so etwas nicht gerechnet hatte. Leise fing Snape an zu sprechen.
„Harry, ich weiß, dass Du meine Gedanken gesehen hast. Leider hatte ich keine Gelegenheit Dir zu erklären, wieso ich mich so schlecht Dir gegenüber verhalten habe. Wie Du bereits weißt, habe ich deine Mutter geliebt, und als Du dann hier eintrafst, konnte ich es einfach nicht ertragen, in deiner Nähe zu sein. Alles an dir erinnerte mich an Lily, vor allem deine Augen und ... und ...“
In diesem Moment versagte Snapes Stimme und Harry setzte sich zu ihm. Mit einem traurigen Blick sah Severus zu ihm auf und Tränen flossen seine Wangen herab.
„Professor Snape, ich weiß was Sie sagen wollen. Und ich verstehe nun Ihr Verhalten. Ich glaube, ich würde genauso handeln wie Sie, wenn ich in Ihrer Situation gewesen wäre. Sie brauchen sich keine Vorwürfe wegen irgendetwas zu machen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich kenne keinen Menschen, der sich in solche Gefahr begeben hat wie Sie und dafür bewundere ich Sie. Der Mut, den Sie dafür aufgebracht haben, reicht dafür aus um alle Gryffindors damit auszufüllen. Eigentlich sollten Sie der Hauslehrer von Gryffindor sein,“ entgegnete Harry mit einem offenen Lächeln.
Professor McGonagal stand an der Tür und lauschte dem Gespräch und als sie die letzten Worte hörte, musste sie schlucken. Schmerzhaft hatte sich ein Kloß in ihrem Hals festgesetzt und es fiel ihr schwer, ihre Gefühle zu unterdrücken. So offen hatte sie Harry und Snape noch nie reden hören. Normalerweise verbargen beide ihre Gefühle und sprachen so gut wie nie darüber. Auch sie erkannte nun, wie ähnlich die beiden gestrickt waren. Beide hatten viel verloren; die Opfer, die die beiden gebracht hatten wogen so schwer und verbanden die beiden in dem Moment auf eine Art, die niemand erklären konnte.
Die Hauslehrerin von räusperte sich und sagte: „Mr. Potter, ich glaube, es wäre besser, wenn Sie in den Gryffindorturm zurückkehren und dort auf mich warten würden. Ich möchte mit ihnen ausführlicher sprechen.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren erhob sich Harry und verließ die Krankenstation. Er trottete mit hängenden Schultern, die schwermütigen Gedanken kehrten wieder und verdrängten das Gefühl der Freundschaft oder Zusammengehörigkeit mit Snape - dies konnte Harry nicht genau sagen- durch die menschenleeren Gänge zurück in den Gemeinschaftsraum, um dort auf McGonagal zu warten. Immer wieder musste er Trümmern, die noch herumlagen, ausweichen und sah hin und wieder Blutflecken. Dort angekommen sah er, das ein Feuer im Kamin prasselte und er setzte sich in einen der bequemen Sessel und starrte ins Leere. Wie sollte er Ginny nur begreiflich machen, dass alles was er ihr angetan hatte, nur ihrem Schutz dienen sollte. Seine Gefühle für sie waren noch immer die gleichen wie am Tage von Dumbledores Beerdigung, nur waren sie viel intensiver. Fast verursachten sie bei ihm Ãœbelkeit, so stark waren sie. Seine Liebe für Ginny war das stärkste Gefühl, dass er jemals empfunden hatte und er wollte ihr diese Liebe schenken. Doch sie hatte nichts Besseres zu tun als ihm eine Abfuhr zu erteilen. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf schwirrten, betrat Minerva McGonagal den Raum. Unbemerkt von Harry näherte sie sich dem Kamin und fand ihren ehemaligen Schüler in Gedanken versunken vor. Seinen Gesichtsausdruck erkannte sie sofort wieder. Den gleichen hatte er auch damals; als Sirius getötet wurde und auch ein Jahr später, als Dumbledores lebloser Körper am Fuße des Astronomieturmes lag, wirkte Harrys Gesicht, genauso wie jetzt, versteinert. Sachte rüttelte sie ihn und erschrocken richtete sich Harry auf.
Da sie wusste, dass in Harrys Fall nur eine persönliche Ansprache zu ihm durchdringen würde, fragte Minerva Harry in einem sehr persönlichen, fast schon intimen Tonfall: „Harry, was bedrückt dich?“
„Was soll ich Ihnen sagen? Ich glaube nicht, dass ich bereit bin all meine Gefühle hier vor Ihnen auszubreiten.“
„Unsinn, Harry. Reden hilft immer. Auch Albus hatte das immer gesagt und in dem Punkt bin ich vollkommen seiner Meinung. Nun raus mit der Sprache.“
„Ich ... ich fühle mich so leer und ausgebrannt. Normalerweise sollte ich nicht hier sein und doch habe ich mal wieder überlebt. Vielleicht ist es zu früh um das zu sagen, aber ich glaube ich brauche eine Auszeit, um mir Bewusst zu werden, was ich nun machen will. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass Professor Snape noch lebt. So langsam wird mir alles zuviel. Eine Sache weiß ich aber schon jetzt, und ich bitte sie, das, was ich Ihnen jetzt anvertraue, für sich zu behalten. Ich möchte Ginny Weasley heiraten, doch gestern Morgen hat sie mir eine Abfuhr erteilt und ich bin mir nicht sicher, ob sie es auch will.“
Bei diesen Worten floss eine einzelne Träne an Harrys linker Wange herab und er schaute bewusst zur Seite. Welchen Eindruck würde er denn hinterlassen; er, der große Held, sitzt hier und weint wie ein kleines Mädchen.
„Schau mich an, Harry.“
Er reagierte nicht auf die Aufforderung und starrte weiter in den Kamin.
„Dann halt nicht, aber hör mir wenigstens zu. Ich glaube, Du nimmst dir das Ganze zu sehr zu Herzen. Ich kenne Ms. Weasley nun schon seit sechs Jahren und in der ganzen Zeit war sie nie so glücklich, wie in der Zeit in der sie mit Dir zusammen war. Während des letzten Jahres wirkte sie bedrückt und ich konnte die Angst um dich in ihren Augen sehen. Trotzdem hat sie nicht aufgegeben, genauso wie Du es in den ganzen Jahren getan hast. Gerade jetzt, wo die größte Gefahr für unsere Welt vorbei ist, müssen wir alle mit dieser neuen Situation zurechtkommen. Deshalb empfehle ich Dir es erneut zu versuchen und zwar so lange, wie es nötig ist. Das schuldest Du ihr und Dir selbst. Finde dein Glück, obwohl ich, denke dass Du es schon längst gefunden hast, und es halte fest. Vertrau auf deine größte Stärke und Du wirst sehen, dass sich alles finden wird.“
„Und was passiert, wenn sich nichts finden wird? Dann stehe ich wieder alleine da. Genauso Ahnungslos wie vor acht Jahren und darauf kann ich sehr gerne verzichten. Ich habe von Geheimnissen und Heimlichtuerei die Nase gestrichen voll. All das, was Professor Dumbledore mir verschwiegen hat, hat dazu geführt, dass so viele Menschen sterben mussten, nach Askaban gebracht wurden oder sonstige Schicksale erlitten haben. Endlich, so habe ich eigentlich gedacht, habe ich die Möglichkeit, ein einigermaßen ruhiges Leben zu führen und endlich etwas zu finden, was mein ganzes Leben gefehlt hat. Und dann kommt es mal wieder anders. Danke, aber nein danke. Es reicht wirklich.“ Die Enttäuschung und Wut, die sich den ganzen gestrigen Tag angesammelt hatten, machten sich mit diesen Worten Luft.
Was die beiden nicht mitbekommen hatten, war die Tatsache, dass sich Ginny vom Mädchenschlafsaal leise die Treppe herunter geschlichen hatte. Auf  halbem Wege war sie stehen geblieben, da sie Harrys Stimme gehört hatte. Die letzten Sätze sorgten dafür, dass ihr Atem stockte. Diese Offenbarung traf Ginny mitten ins Herz. Was eigentlich als Scherz gemeint war, hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Sie musste hart gegen die Tränen ankämpfen, die in ihr aufstiegen. Sie hätte es eigentlich wissen müssen, dass Harry alles aufgegeben hätte, was Ihm etwas bedeutete, um Ihr und allen anderen ein besseres und sichereres Leben zu ermöglichen. Die Verluste, die er erlitten hatte, lagen noch immer schwer auf seiner Seele und es war ihm bisher keine Zeit vergönnt gewesen, damit zurecht zu kommen. Ginny gab sich einen Ruck und setzte ihren Weg zum Gemeinschaftsraum fort. Vor dem Kamin sah sie Professor McGonagal und Harry sitzen. Sanft räusperte sie sich und Minerva drehte ihren Kopf in ihre Richtung. Mit einem Kopfnicken deutete die Lehrerin, dass Ginny näher kommen sollte. Ohne nachdenken zu müssen setzte sie sich Harry gegenüber und sanft nahm sie seine Hände und mit betretener Miene flüsterte sie leise: „Es tut mir schrecklich leid, Harry. Ich dachte, Du würdest den Scherz verstehen. Ich habe einen Moment nicht nachgedacht.“
„Ach Ginny, wenn Du wüsstest, was wir in den letzten Monaten durchgemacht haben. Doch bitte versteh mich, dass ich noch nicht darüber reden will. Das soll aber nicht heißen, dass Du nie erfahren wirst, was alles geschehen ist. Den Schluss kennst Du ja schon. Gib mir bitte nur etwas Zeit.“
Ohne ein Wort zu sagen flogen Ginnys Arme um seinen Hals und er wurde fast von ihr erdrückt.
„Pass auf. Du zerquetschst mi...“
Ginny küsste ihn stürmisch und schnitt ihm somit das Wort ab. Instinktiv erwiderte Harry ihren Kuss und er nahm wieder den Duft nach Blumen, der von ihr ausging, wahr.
Amüsiert betrachtete Professor McGonagal das Schauspiel und zog sich, ohne ein Wort zu verlieren, zurück. Sie wollte die beiden, die fast ein ganzes Jahr gelitten hatten nicht stören. Die ganze Szene erinnerte sie an zwei Personen, die vor mehr als 20 Jahren an der gleichen Stelle gesessen und sich nach einem doch heftigen Streit fast auf die gleiche Art versöhnt hatten. Lily und James, ihr habt einen Sohn, der so einzigartig ist und all eure besten Eigenschaften in sich trägt. Bei dem Gedanken musste sich McGonagal eine Träne wegwischen.
Kurz danach verließen Harry und Ginny den Gemeinschaftsraum und gingen zum See um dort den Sonnenaufgang zu beobachten. Für eine Stunde saßen die zwei dort und schwiegen einfach, die Nähe zueinander genießend. Es war wie früher; ohne Worte zu wechseln verständigten sie sich untereinander; eine Fähigkeit, die aus tiefstem Vertrauen und größter Liebe erwachsen war. Als die beiden sich wieder erhoben, stand die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel und für Harry schien es, als ob mit dem neuen Tag auch ein neues Leben anfangen würde. Gemeinsam schlenderten die zwei Verliebten Händchen haltend den Weg zum Schloss hinauf um endlich zu frühstücken. Zwischendurch blieben sie immer wieder stehen, um sich zu küssen. Noch immer sprach keiner ein Wort, es war einfach nicht notwendig.
Als sie dann endlich in die große Halle eintraten, sahen sie die ganze Weasley Familie, Hermine, Remus und Tonks an einem Tisch sitzen. Die ganze Gruppe schien heftig zu diskutieren. Gemütlich näherte sich das Paar dem Tisch und konnte nun hören, um was sich das Gespräch drehte. Alle schienen in heller Aufruhr, weil Harry und Ginny verschwunden waren und keiner wusste, wo sie abgeblieben waren. Harry musste darüber lachen und sorgte so dafür, dass alle anderen sich umdrehten.
Molly Weasley stand ruckartig auf und hatte einen Gesichtsausdruck, der eine Todesfee hätte tot umfallen lassen können.
„GINEVRA MOLLY WEASLEY, WAS FÄLLT DIR EIN UNS SO ZU ERSCHRECKEN: DEIN BETT IST LEER UND DU BIST VERSCHWUNDEN. WIR ALLE HABEN UNS SORGEN UM DICH GEMACHT. DAS GLEICHE GILT AUCH FÃœR DICH, HARRY. WISST IHR DENN NICHT; DASS DA DRAUSSEN NOCH IMMER TODESSER RUMLAUFEN? WO HABT IHR ZWEI EIGENTLICH GE...“
Sie verstummte mitten im Satz, als sie sah, wie die zwei Teenager vor ihr standen. Immer noch Händchen haltend versuchten Harry und Ginny nicht zu lachen. Mrs. Weasley entspannte sich sichtlich und kam auf die beiden zugestürmt und umarmte das Paar in ihrer bekannten und zeitweise doch schmerzhaften Art.
„Wieso habt ihr nicht gesagt, dass ihr euch versöhnt habt? Ich freue mich ja so für euch.“
Ginny und Harry erröteten sichtbar und verlegen schauten sie auf den Boden.
Harry erwiderte: „Das Ganze hat sich gerade erst ergeben und bevor wir etwas sagen konnten, wurden wir mit Vorwürfen überschüttet. Außerdem haben wir uns nicht nur versöhnt, sondern sind wieder zusammen.“
Ginny hob nun den Kopf und, um den Beweis zu erbringen, küsste sie Harry, der diesen Kuss nur zu gerne zurückgab. Ron und Hermine betrachteten das Schauspiel und während Hermine lächelte, machte Ron ein finsteres Gesicht. Mit einem kräftigen Stoß in seine Seite machte Hermine ihn darauf aufmerksam, dass er sich zurückhalten sollte, als Ron sich zu erheben versuchte, um dazwischen zu gehen. Ron setzte sich wieder hin und schmollte.
Harry indes merkte, wie sein Magen knurrte. Gestern hatte er alle Mahlzeiten ausfallen lassen. Er setzte sich neben Hermine an den Tisch und bediente sich an den Speisen. Sein Teller war gefüllt mit Eiern, Speck und Würstchen und als er mit der ersten Portion fertig war erzählte er den anderen, was heute Morgen passiert war.
Ron und Hermine blickten Harry erstaunt an und beide fragten gleichzeitig: „Was? Das ist doch nicht möglich.“ Hermine fuhr fort: „Snape muss doch tot sein. Wir haben doch alle gesehen, wie Nagini ihn gebissen hat und die Wunden an seinem Hals waren tödlich.“ Ginny grinste verschmitzt und erwiderte: „Ihr habt Snape unterschätzt. Nicht umsonst war er in Slytherin. Dort hat er gelernt, für jede Situation Vorsorge zu treffen. Es würde mich wundern, wenn er dies nicht auch vor zwei Tagen gemacht hat.“
Harry drehte sich zu Ginny und sagte: „Entweder hast Du Legilimentik bei mir angewandt oder Du hast mir die Worte geklaut. Aber Du hast vollkommen Recht. Wir haben Snape wirklich nicht richtig eingeschätzt. Bitte hängt die Sache mit Snape nicht an die große Glocke. Ich habe das Gefühl, dass er seine Ruhe braucht.“
Seine Freunde versprachen es, denn sie wussten, dass sie ihrem Lehrer viel zu verdanken hatten. Während des restlichen Frühstücks drehten sich ihre Gespräche über die Zukunft. Hermine, Ron und Harry wurde es bewusst, dass sie keinen Abschluss hatten und sie somit ihre angestrebten Berufe nie ergreifen könnten. Während dieser Diskussion warf Ron Harry immer wieder einen finsteren Blick zu. Als Harry das bemerkte, fragte er sich, was mit Ron los war. So kannte er seinen besten Freund eigentlich nicht. Doch da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ron verhielt sich wegen Ginny so komisch. „Oh je, da muss ich wohl etwas erklären.“ Diesen Gedanken drängte Harry erstmal zur Seite, denn er wollte nun etwas erledigen, was er eigentlich schon gestern vorgehabt hatte.
„Ginny, wenn Du dazu Lust hast, kannst Du mich begleiten. Gestern hatte ich einfach nicht die Kraft dazu, das zu machen, was ich mir eigentlich vorgenommen hatte.“
„Was hast du denn vor?“
„Lass Dich doch einfach überraschen. Aber zuerst sollte ich Deine Eltern fragen, ob ich Dich für eine kurze Weile entführen darf. Warte bitte hier, ich bin gleich zurück.“
Harry stand auf und ging zu Mr. und Mrs. Weasley.
„Mrs. und Mr. Weasley, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ginny das Grab meiner Eltern besuche? Ich möchte mich von ihnen verabschieden und es würde mir helfen, wenn Ginny dabei wäre.“
Mr. Weasley antwortete: „Das ist wirklich eine schöne Idee, aber ich glaube, dass es besser wäre zu warten. Wie Du bestimmt ahnst, gibt es noch einige Todesser, die noch nicht gefasst worden sind und die könnten vielleicht etwas sauer sein, dass Du ihren Meister besiegt hast.“
„Mr. Weasley, ich werde gut auf Ginny aufpassen und wenn Sie es wollen, werde ich einige Mitglieder vom Orden fragen, ob sie uns als Schutz begleiten.“
Mrs. Weasley ging dazwischen und sagte: „Oh, nein. Meine Tochter wird sich nicht so einfach da draußen in Gefahr begeben. Die Verletzung von George ist schon schlimm genug.“
„Molly, Liebling. Wir können Ginny nicht auf ewig beschützen. Außerdem ist unsere Tochter fast erwachsen. Ich denke, es wird langsam Zeit diese Tatsache zu akzeptieren. Und Du musst zugeben, dass Harry einen guten Einfluss auf sie hat. Harry, von mir aus kannst Du Ginny mitnehmen. Aber frag Tonks und Remus, ob sie als Schutz mitkommen. Und erst, wenn sie zustimmen darfst du mit ihr nach Godric's Hollow.  Ich glaube Molly wird auch nichts dagegen haben.“
Während des Gespräches war Tonks dazu gestoßen und hatte die Hälfte gehört. Als Harry sich umdrehte, stand sie direkt hinter ihm. Erstaunt darüber, verschlug es Harry die Sprache und Tonks wusste sofort, dass sie die Initiative ergreifen musste. Sie fiel ihm um den Hals und umarmte ihn. Nach einer Weile ließ sie ihn los und schaute sich den Paten ihres Sohnes genau an. In seinen Augen sah sie immer noch die Trauer, die, wie Wolken, den smaragdgrünen Glanz trübte, obwohl sie gleichzeitig merkte, dass Harry viel befreiter war, als gestern Morgen. Sie wusste sofort, dass Harry etwas erledigen musste. Etwas, das keinen Aufschub haben durfte.
„Harry, was ist los mit dir? Ich sehe es dir an, dass du etwas vorhast.“
„Weißt du Tonks, ich möchte nach Godric's Hollow. Ich muss dort noch etwas erledigen. Würdest Du und Remus mich dorthin begleiten?“
„Natürlich. Da hättest Du gar nicht erst fragen müssen.“
„Wo ist eigentlich Remus?“
„Der sollte eigentlich gleich kommen. Er kümmert sich gerade um den kleinen Ted.“
„Wer kümmert sich dann um Ted, wenn Ihr mit mir kommt?“
„Meine Mutter ist auch hier und sie wird liebend gerne diese Aufgabe übernehmen. Sie ist total vernarrt in den Kleinen. Ah, ja. Da hinten kommt Remus,“ sagte Tonks und deutete auf den Eingang. Harry drehte sich um und erleichtert sah er, dass Remus unversehrt war. Er ging ihm entgegen und wurde immer schneller, je näher er Remus kam. Mit großer Erleichterung fielen Harry und Remus sich in die Arme.
Remus sagte: „Mensch Harry. Verdammt gute Leistung, die Du abgeliefert hast. Mach das aber nicht noch mal, hörst du? Sonst ziehe ich Dir die Ohren lang.“
Harry erwiderte mit einem kleinen Lächeln: „Weißt Du Remus, Ärger hatte ich bis jetzt genug. Daher brauchst Du dir keine Sorgen zu machen. Aber eine Bitte habe ich an Dich. Würdest Du und Tonks Ginny und mich nach Godric's Hollow begleiten? Eine Aufgabe habe ich noch zu erledigen.“
„Sicher, Harry. Aber lass Tonks und mich erstmal was Essen. Wie wäre es, wenn wir uns in einer halben Stunde am Eingang treffen. In der Zwischenzeit kannst Du ja noch mit deiner Freundin noch etwas spazieren gehen.“
„Also gut, dann treffen wir uns in einer halben Stunde am Eingang.“
Auf dem Weg zurück zu Ginny stellte sich auf einmal Ron in den Weg.
„Harry, Du hattest mir versprochen, meine Schwester in Ruhe zu lassen. Und jetzt seid ihr wieder ein Paar. Du weißt ganz genau, dass ich nicht möchte, dass ihr wehgetan wird. Deshalb wäre es besser, wenn Du sie in Ruhe lässt.“
„Was hast Du denn für ein Problem, Ron? Du kennst mich jetzt seit fast sieben Jahren und Du weißt auch, dass ich Ginny nie absichtlich verletzen würde. Alles was ich getan habe, diente nur ihrem Schutz. Außerdem ist es Ginnys Entscheidung, ob sie mit mir zusammen sein will und nicht Deine. Wenn Du das nicht verstehst, dann kann ich Dir auch nicht helfen.“
Wütend drängte er Ron aus dem Weg und ließ diesen verblüfft zurück. So hatte Ron Harry bisher noch nie reden gehört und fragte sich nun, ob es richtig war, was er gerade getan hatte.
Hermine hatte den Streit zwischen den beiden gesehen und kam mit einem wütenden Ausdruck auf Ron zu.
„Ron, was hast Du gerade getan? Du bist einfach unmöglich. Ich dachte, Du hättest verstanden, dass Ginny und Harry füreinander bestimmt sind. Wenn Du dich in ihre Beziehung einmischst, dann wirst Du beide verlieren,“ zischte sie leise.
Nun stand Ron wie ein begossener Pudel da, während Hermine energisch davonging.
Unterdessen hatten Harry und Ginny die Halle verlassen und gingen in Richtung der peitschenden Weide, um endlich wieder Zeit für sich zu finden. Noch ahnten die beiden nicht, was heute noch passieren sollte.
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