von ChrissiTine
21. Dezember: U für UNEHRLICHKEIT
„Entschuldige, dass ich so spät komme, ich hab noch meinen Aufsatz für Zauberkunst fertig schreiben müssen. Nicki wollte ihren eigentlich auch schreiben, aber die war überhaupt nicht zu finden. Und dann musste ich dich noch suchen. Wollten wir uns nicht im Raum der Wünsche treffen?"
Louis schaute von dem Quidditchmagazin auf, das er in dem spärlich beleuchteten Geheimgang mit Hilfe seines Zauberstabs gelesen hatte. Er hielt Annie seine Hand hin, die sie sofort ergriff, und zog sie zu sich auf das Kissen, das er kleingezaubert und aus dem Gryffindorturm hatte mitgehen lassen. Kalter Stein war auf Dauer überraschenderweise nicht sehr bequem. „Ja, wollten wir, aber der Raum war leider schon besetzt und du weißt doch, er kann immer nur für eine Sache genutzt werden."
„Schade", murmelte Annie enttäuscht und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Dort ist es viel gemütlicher."
„Wenn's dir hilft, dann hänge ich demnächst eine Liste aus, damit jeder sich eintragen kann", erwiderte Louis pampig.
Annie richtete sich auf und schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. „Alles okay? Es tut mir Leid, dass du warten musstest, ich hab die Zeit vergessen-"
„Ist schon gut", unterbrach Louis sie, aber er wusste selbst, dass es nicht ehrlich klang. „So ist das eben, wenn wir uns heimlich treffen, wir müssen nehmen, was wir kriegen können."
„Darum geht's?", fragte sie und verdrehte die Augen. „Ich dachte, dir machen diese Heimlichkeiten Spaß."
„Für ein paar Wochen vielleicht, aber das mit uns geht jetzt seit vier Monaten. Und wir haben doch eigentlich keinen Grund dafür, oder? Es ist nicht wie bei Vic und Ted. Die wollten ungestört sein und haben das deshalb den halben Sommer unter Verschluss gehalten, aber das Problem haben wir nicht. Nicht in Hogwarts." Zur allgemeinen Überraschung hatte Ted Victoire letzten September auf dem Bahnhof geküsst. Auch wenn immer alle gescherzt hatte, dass sie mal heiraten würden, weil Victoire sich als kleines Mädchen mit all den Hochzeiten um sie herum darauf fixiert hatte, hatte doch keiner geglaubt, dass aus den beiden wirklich mal ein Paar werden würde.
Und als Annie, nachdem sie sich endlich geküsst hatten nach Monaten, in denen sich das bereits angebahnt hatte, ihm vorgeschlagen hatte, erstmal niemandem etwas von ihnen zu erzählen, damit sie sehen konnten, wohin das Ganze führen würde, hatte er sich nichts dabei gedacht. Eine heimliche Affäre klang ganz verlockend im Hogwartstrott, ganz besonders jetzt, wo sie in der sechsten Klasse waren und die Lehrer noch mehr Arbeit als vor den ZAGs vor ihnen auftürmten. Und es machte auch Spaß, sich heimlich in dunklen Ecken und Geheimgängen zu küssen, ohne dass jemand davon wusste. Aber mittlerweile war er diese Heimlichtuerei leid.
Sie hatten nichts zu verbergen. Annie war Dominiques beste Freundin, seine ganze Familie hatte sie gern. Und vier Monate war schon eine lange Zeit in ihrem Alter. Seine letzte Freundin hatte ihn nach drei Monaten sitzen lassen, ohne eine Erklärung. Später hatte sie ihm unter Tränen erzählt, dass die Clique von Mädchen, zu denen sie unbedingt hatte gehören wollen, ihr gesagt hatte, sie müsse unbedingt mit ihm Schluss machen, sonst würde sie nicht aufgenommen. Und er würde nicht zu ihrem Image passen. Dabei war nur eines der anderen Mädchen in ihn verknallt. (Was er aber nie erwidern würde, weil er diese oberflächliche blöde Kuh nicht ausstehen konnte.)
Er hatte sich ein paar Mal mit anderen Mädchen getroffen, aber gefunkt hatte es nie. Erst zwischen Annie und ihm. Was sie beide mehr als überrascht hatte. Annie war bereits seit der ersten Klasse mit Dominique befreundet und Louis hatte sie zwar gemocht, aber auch nicht weiter beachtet, weil er seine eigenen Freunde hatte. Aber im letzten Sommer hatte Dominique viel obsessiver als sonst Quidditch trainiert, weil sie gehofft hatte, die Kapitänin zu werden, und hatte oft vergessen, dass Annie zu Besuch kommen würde. Und so hatte Louis sich viel mit ihr unterhalten, weil Victoire ihre ganze Freizeit bei Ted verbracht hatte. Und er war überrascht gewesen, was für einen guten Sinn für Humor sie hatte und wie sarkastisch sie sein konnte und wie viel Spaß es machte, mit ihr zusammen zu sein. Dominique hatte eine sehr einnehmende Persönlichkeit und es war kein Wunder, dass sie Annie häufig überschattete.
Annie hatte sich erst sicher sein wollen, dass das zwischen ihnen etwas Ernstes war, bevor besonders Dominique davon erfuhr. Sie hatte sich immer lustig gemacht über die ganzen Mädchen, die in Louis verknallt waren, was in ihrem Schlafsaal mindestens drei waren. (Das war sein Veela-Anteil, dafür konnte er nichts, okay? Und es war ja nicht so, als ob er diese ganzen Mädchen ermutigte. Wenn er sich mit ihnen getroffen und kein Interesse an einer weiteren Verabredung hatte, hatte er ihnen das immer klar gesagt. Und dass Natalie auch im selben Schlafsaal schlief, das war wirklich nicht sein Fehler. Sie hatte ihn verlassen, nicht umgekehrt, und er würde den Teufel tun und jemanden zurückzunehmen, der ihn so eiskalt hatte fallen lassen können. Dass sie das jetzt bereute, was nicht seine Schuld.) Und Annie als seine Freundin würde es bestimmt auch nicht leicht haben als die Freundin von dem Jungen, den die Hälfte der Mädchen haben wollten.
Aber dieses Versteckspiel machte es auch nicht besser. Er wollte beim Essen neben ihr sitzen können. Im Gemeinschaftsraum auf einem Sofa mit ihr zusammen lernen, nicht mit einem Tisch zwischen ihnen, während er so tun musste, als ob sie ihn nicht wirklich interessierte.
Er kannte seine Zwillingsschwester, je länger sie vor ihr verheimlichten, dass sie zusammen waren, desto mehr würde Dominique an die Decke gehen. Schlimm genug, dass Victoire sie vor zwei Wochen gesehen hatte, wie sie aus dem Raum der Wünsche gekommen waren und ihnen keine glaubwürde Ausrede eingefallen war. Glücklicherweise wusste sie, wann sie sich einmischen musste und wann es besser für sie war, sich herauszuhalten (außerdem hatten sie beide Erpressungsmaterial durch ihre verheimlichten Beziehungen, also waren sie in einer Pattsituation und sie waren nicht so blöd, als Erstes zu petzen). Aber Dominique würde ernsthaft verletzt sein, auch wenn das beide nicht beabsichtigten. Sie war empfindlicher, als man glaubte, wenn man nur ihre harte Schale kannte.
Und um ehrlich zu sein, wollte Louis es einfach hinter sich bringen und dieses Damoklesschwert, das mittlerweile dauernd über ihm zu schweben schien, endlich loswerden.
„Ich will einfach nicht, dass es alle wissen", sagte Annie schließlich leise. „Die anderen Mädchen werden wütend sein, weil du dank mir nicht mehr zu haben bist und Nicki …"
„Du weißt, dass wir Nickis Reaktion nicht ändern werden, egal, wann wir es ihr sagen", gab Louis zu bedenken.
„Dann ist das doch auch kein Grund, es ihr sofort zu sagen. Wir können einen guten Moment abpassen und-"
„Aber es wird nie einen guten Moment geben. Sie wird immer sauer sein und je länger wir warten, desto schlimmer wird es! Wann willst du es ihr denn sagen? An unserem Jahrestag? Nach unserer Hochzeit? Wie lange willst du damit davonkommen?"
Annie schaute ihn mit großen Augen an. „Du denkst, dass das so lange zwischen uns halten wird?", fragte sie. Ein großes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und Louis konnte gar nicht anders, als es zu erwidern, auch wenn er das eigentlich gar nicht hatte sagen wollen.
„Ich weiß nicht. Vielleicht." Er schluckte. „Aber … du willst doch nicht Schluss machen. Und ich auch nicht." Sie schüttelte den Kopf. „Und ich hab langsam die Schnauze voll, mich immer im Halbdunkeln zu treffen und mir Ausreden für die halbe Welt auszudenken, wo ich so lange war."
Annie seufzte und lehnte den Kopf wieder an seine Schulter. Er hielt immer noch ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Ich weiß. Ich will's ja eigentlich auch nicht verstecken. Aber … ich hab einfach Angst, okay? Nicki ist meine beste Freundin und ich will nicht, dass sie … dass sie …"
„Hey", erwiderte er und küsste sie auf die Stirn. „Du kennst doch Nicki. Sie ist launisch und sie explodiert leicht, aber sie wird sich daran gewöhnen und sie wird sich für uns freuen." Er hoffte nur, dass Annie sich nicht von ihm trennen wollte. Er wusste, dass er gegen seine Schwester keine Chance hatte, sollte diese Annie vor die Wahl stellen. Ganz egal, wie sehr sie sich auch mochten, eine sechsjährige Freundschaft war mehr wert, als eine viermonatige Beziehung. So sollte es auch sein. Doch er hoffte, dass die Beziehung noch lange hielt und wollte so ein wunderbares Mädchen wie Annie nicht verlieren, nur weil seine Schwester zu wütend war, um ihnen zu verzeihen.
„Ich hoffe es", erwiderte Annie unsicher. Sie schluckte und atmete dann tief durch. „Okay, pass auf. Wir haben diese Woche in Alte Runen einen schweren Test, aber danach sagen wir's ihr. Dieses Wochenende noch. Vielleicht nach dem Quidditchtraining, dann hat sie nicht mehr genug Energie, um sich aufzuregen."
Er lachte. „Okay. Gut. Wobei ich nicht glaube, dass das was hilft, du hast doch auch gesehen, wie oft sie sich mit Davies nach dem Training gestritten hat." Annie zuckte mit den Schultern. „Sie streitet sich immer mit Steven, das hat nichts zu sagen, das weißt du."
„Stimmt. Okay, also dieses Wochenende." Dann hatte diese Lügerei endlich ein Ende.
Natürlich kam es dann ganz anders. Einen Tag, bevor sie es Dominique sagen konnten, platzte die in den Raum der Wünsche, als Louis und Annie schon nicht mehr alle Klamotten anhatten, mit denen sie gekommen waren. Und er hatte Recht gehabt, Dominique war sowohl wütend, als auch enttäuscht und verletzt und wenn sie sich so fühlte, dann konnte sie so laut schreien, dass selbst die Maulende Myrthe schnellstens das Weite suchte. Sogar Steven Davies, der zufällig vorbeikam, machte sofort wieder kehrt.
Aber er hatte auch Recht gehabt damit, dass Dominique sich irgendwann beruhigte und die Beziehung akzeptierte und sich für sie freute. Und wenn er gezwungen wer zu sagen, wer am meisten unter ihrer Trennung nach ihrem Schulabschluss zu leiden hatte, als Louis die Welt sehen wollte und Annie nicht, da würde er ohne zu zögern sagen, dass es Dominique war.
TBC…
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