von HannaLuisa
„Lieber Tom, ich bin so froh, mich diesem Tagebuch anvertrauen zu können. Es ist wie ein Freund, den ich in der Tasche trage. Du verstehst mich immer. Meine Brüder verstehen mich nie und auch sonst fühle ich mich einsam und mir ist oft schwindlig.“
Die Tinte verschwand Sekunden nach dem letzten Wort und erschöpft und ausgelaugt wartete Ginny darauf, dass neue Worte in einer fremden und doch vertrauten Schrift erscheinen würden.
„Liebe Ginny, meine Aufgabe ist es, Freund desjenigen zu sein, der mir schreibt. Ich bin das Ergebnis eines wunderbaren Zauberers, der mich zum Trost anderer erschuf, sollte er sterben. Jedoch bist du nach einer Generation die erste deiner Familie, die mich auf eurem Dachboden entdeckte.“
Dachboden. Ginny las das Wort und Verwirrung überkam sie. Hatte sie das Tagebuch tatsächlich auf dem Dachboden gefunden? Und wie konnte Tom das wissen. Sie konnte sich nicht daran erinnern. Ihre Mutter hatte ihr den Stapel alter Schulbücher gegeben und inmitten dessen war dieser Schatz gewesen, der jetzt auf ihrem Schoß lag. Doch was kümmerte es sie, die Hauptsache war doch, dass sie sich gefunden hatten!
„Dass du einsam bist, tut mir sehr Leid. Immerhin hast du mich und ich werde immer bei dir sein, solange du willst. Und nun möchte ich dir etwas zeigen, dass dir Trost spenden wird. Vertraust du mir?“ Ginnys Herz begann vor Freude und Aufregung schneller zu schlagen. Was für ein Glück sie hatte, einen Freund wie Tom gefunden zu haben.
„JA“, schrieb sie mit großen Buchstaben. Der Schwindel und der Kummer waren vergessen, sie fühlte sich beinahe euphorisch. Der Blick fiel auf die Uhr. Es war erst 20 Uhr und außer ihr befand sich niemand im Schlafsaal. Um sie herum wurde es plötzlich dunkel und Ginny ließ sich zurück auf ihr Kissen sinken. Nur kurz die Augen schließen, dachte sie.
Sekunden später war sie erfüllt von Energie und setzte sich auf. Sie griff nach ihrem Zauberstab und klopfte sich aufgeregt damit auf den Kopf. Der Desillusionierungszauber gelang auf Anhieb perfekt.
Darin unterscheiden sich eben die Schlammblüter von denen wahren Blutes, dachte sie und ein selbstgefälliges Lächeln veränderte ihre zuvor müden Gesichtszüge. Lediglich der Abdruck der Bettdecke zeigte, dass dort jemand saß. Ihr Körper war sogar für sie selbst nicht zu erkennen. Erregt sprang sie auf und schloss sorgfältig die Vorhänge ihres Himmelbettes. Nach dieser anstrengenden Woche stand ihr der Sinn nach einem vergnüglichen Abenteuer. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers und betrat die Wendeltreppe. Hermine lief an ihr vorbei und hastig drückte sich Ginny gegen die Wand. Der Drang, das Schlammblut anzugreifen, die Treppe hinunter zu stoßen ergriff sie, doch Ginny widerstand. Die Zeit würde kommen, in dem Schloss Hogwarts von allem Schmutzigen gesäubert würde.
Mit großen, energischen Schritten durchquerte sie den Gemeinschaftsraum. Spöttisch lächelte sie beim Anblick ihrer Mitschüler, diesen Gutmenschen, die keinerlei Zaubererehre verspürten. Wie edel dagegen die Slytherins waren. Bei ihnen zählte echter Zaubererstolz noch etwas. Wie gut, dass der große Salazar Slytherin vorausschauend genug war, dass diesem Treiben nun ein Ende bereitet werden konnte. Der Basilisk würde gründlich arbeiten, Hogwarts würde effektiv von allem befreit, was nicht hierher gehörte.
Ein leises Miauen riss Ginny aus den Gedanken. Dann lachte sie leise und hämisch. Bald bist du dran, mal sehen, wie der Squib das aufnehmen wird. Leise ging sie durch die Gänge. Vorbei am Büro Professor Lockharts. Sie konnte Harrys Stimme hören, verstand jedoch nichts. Die Toilette der Maulenden Myrte war so verlassen wie eh und je. Scheinbar erwies sie sich noch im Tode als so anstrengend wie zu ihren Lebzeiten. Ginny kniete nieder und sah die kleine Schlange aufmerksam an. Die Tür zur Mädchentoilette ging lauter zu als Ginny erwartet hatte und der Geist Myrtes erschien aus einer Kabine.
„Ist da wer?“ fragte sie in ihrer weinerlichen Stimme, doch mit einem Hauch Misstrauen. Ginny sah mit kaltem Blick zu ihr auf.
Muffliato, dachte sie und wartete darauf, dass der Geist, der nun nichts mehr hören würde, verschwand. Nach einer Weile schien Myrte zu beschließen, sich das Geräusch eingebildet zu haben und schwebte durch die Tür in ihre Lieblingskabine zurück. Du warst vielleicht die erste Tote, doch du wirst nicht die letzte bleiben. Jetzt werden wir sehen. Jetzt werden wir erfahren...
Erneut wandte Ginny sich dem Wasserrohr zu und fokussierte die Schlange. „Öffne!“ befahl sie. Ein heiseres Zischen entwich ihrer Kehle und eine breite Öffnung tat sich auf. Es war alles so wie früher. Triumphierend stieg sie in das Rohr und stieß sich ab. 50 Jahre waren vergangen. Es wurde Zeit, den Basilisken aus seinem steinernen Gefängnis zu befreien. Der unterirdische Tunnel wandte sich dahin, während Ginny nur ihre Schritte und den hastigen Atem wahrnahm.
Die Statue Salazar Slytherins erschien in ihrem Blickfeld. Erneut zischte Ginny und der König der Schlangen erschien. Rasch versah Ginny ihn mit einer Augenbinde. Der Basilisk witterte die verdorbene Luft, welche das Schloss aufgrund der vielen Schlammblüter ausströmte.
„Komm zu mir… Lass mich dich töten...“ , zischte es hasserfüllt.
„Bald“, murmelte Ginny zufrieden und wandte sich um. „Bald wirst du tun, wozu du bestimmt bist.“ Vorerst musste sich jedoch um die verdammten Hähne gekümmert werden.
Das Portal stand noch offen und aus der Ferne konnte sie Hagrid erkennen, der in den verbotenen Wald ging. Ob dieses Monster noch lebt, welches mir so einen hervorragenden Grund gab, Hagrid die Schuld für die Angriffe zu geben? Ginny war geneigt, es zu glauben. Das konnte nur nützlich sein. Die Tür des Stalls knarrte laut und die Vorfreude verzerrte die kindlichen Züge des Mädchens. Die Hühner raschelten. Ginny hob mit ruhiger Hand den Zauberstab. Der Fluch war rasch gesprochen und mit verdrehten Hälsen ließ Ginny sie zurück. Hocherfreut hüpfte sie die Hang hinan und schlich dann leise durch die Gänge. Es widerstrebte ihr, den Weg zum Gryffindor Turm einzuschlagen. Was für eine Ironie: Der Erbe Slytherins getarnt im Hause des verhassten Gryffindors. Ginny kicherte leise. Dann verharrte sie stocksteif und lauschte. Schritte näherten sich. Es war Harry, der vom Nachsitzen zurückkehrte. Begierig beobachtete sie, wie der Junge durch das Porträt kletterte und folgte ihm, noch ehe die fette Dame ihre Anwesenheit spürte. Eine Ruhe von gespannter Berechnung erfülle ihr Innerstes.
Müdigkeit stieg in ihr auf und immer langsamer stieg sie die Stufen der Wendeltreppe empor. Ein Zitteranfall überkam sie und mit bebender Hand öffnete sie die Tür zu ihrem Schlafsaal. Benommen starrte sie auf ihre Brust. Entsetzen überflutete sie wie eine eiskalte Woge. Einige Hühnerfedern waren auf ihrem Umgang und ein heftiger Schwindel ließ sie taumeln. Ginny stürzte und stieß sich heftig das Knie an einem Bettpfosten.
Schlafen, dachte sie. Schlafen. Dann wurde es schwarz um sie.
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