von HannaLuisa
Das Portal war geöffnet und es zog. Die morgendliche Kälte verursachte einen Schauer, der Ginny über den Rücken lief. Niedergeschlagen betrat sie die Große Halle und verharrte. Harry saß mit mürrischer Miene am Tisch und war in ein Gespräch mit ihrem Bruder vertieft. Auch Ron wirkte verärgert. Hungrig setzte sich Ginny und achtete darauf, Harry nicht ansehen zu müssen. Sie fürchtete seine Blicke. Im Fuchsbau hatte sie sich stets blamiert, wenn er sich ihr zuwandte. Er wird dich für eine dämliche Idiotin halten, Ginny Weasley. Kannst nicht mal vernünftig essen, ohne alles vollzusauen. Harrys Blick fiel auf sie und Ginny verschluckte sich am Kürbissaft. Er sah durch sie hindurch und wandte sich dann Hermine zu. Tränen schossen Ginny in die Augen. Ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt und sie sprang auf. Als sie aus der Halle rannte, stieß sie beinahe Colin um.
Wie kann man nur so unzulänglich sein?, dachte sie und rannte voller Wut und Verzweiflung aus dem Portal. Ginny verlangsamte erst ihre Schritte, als sie schlitternd auf dem taunassen Rasen die Hütte Hagrids sah. Ginnys Lungen brannten, doch nun fühlte sie sich etwas besser. Die Sonne kam hinter den Bäumen des Verbotenen Waldes hervor und blendete sie leicht. Die Tür der Holzhütte öffnete sich und Hagrid lächelte sie an. „Moin Ginny, schön, dich zu sehen“, rief er gut gelaunt und kam auf sie zu. Verlegen strich sich Ginny das Haar zurück und räusperte sich: „Hi“, sagte sie schüchtern.
„Ganz allein unterwegs?“ Aufmerksam sah er Ginny aus käferschwarzen Augen an.
„Ja“, antwortete sie vage und sah sich um. Ein Hahn kam hinter der Hütte hervor und Ginny lächelte. Es erinnerte sie an zuhause. Sie liebte die Hühner. Hagrid folgte ihrem Blick und lächelte. „Hast dich schon eingelebt?“ Unruhe stieg in Ginny auf. Sie wollte allein sein. „Ja“, rief sie, „du, ich muss dann mal...“ Sie spürte, dass ihre Worte gereizt klangen und das Gefühl der Verwirrung wurde stärker. Hagrid warf ihr einen verwunderten Blick zu und Ginny drehte sich um und lief hastig zum Schloss zurück. „Bis demnächst, Ginny“, hörte sie Hagrid noch rufen.
Hähne. Hass stieg in ihr hoch. Ekelhaft waren diese Viecher. Und gefährlich. Sie mussten beseitigt werden. Und das so bald wie möglich. Was wäre es für ein Vergnügen, ihnen langsam die widerlichen Hälse umzudrehen, was für ein Spaß das empörte Schreien abzuwürgen, bis auch der letzte schwächliche Ton erstarb? Sie lachte laut auf. „Ginny, weißt du, in welchen Raum wir jetzt müssen? Ich verlaufe mich irgendwie ständig.“ Ginny zuckte zusammen und fühlte sich für einen kurzen Moment desorientiert.
Colin stand neben ihr und sah sie betrübt an. „Klar, komm“, sagte sie und lächelte ihn an. Ginny wusste, wo das Klassenzimmer war, in dem Zauberkunst gelehrt wurde. Vergnügt lief sie neben ihrem Mitschüler her. Wie schön Hogwarts war. „Ich bin ja so froh, dass ich aufgenommen wurde“, sprudelte Colin hervor und seine Augen glänzten. „Es ist ja so cool hier. Meine Eltern konnten nicht glauben, dass ich ein Zauberer bin. Aber als die Frau vom Jugendamt kam...“ Er unterbrach sich. „Sie war ja gar nicht vom Jugendamt“, korrigierte er dann. Doch Ginny hörte nicht zu. „Und dass ich Harry Potter treffen kann...“ Colin holte tief und begeistert Luft. Ginny verspürte bei der Erwähnung des Namens einen Stich, doch sie ignorierte es. Es gab Wichtigeres als Harry Potter. Colin Creevey stammte von Muggeln ab? Somit war er einer dieser Schlammblüter, die in diesem Schloss nichts zu suchen hatten. Mit grimmiger Miene sah sie ihn an. „Magst du neben mir sitzen? Was ist denn los?“ Colin sah sie besorgt an.
Ginny hielt sich den Kopf. „Mir ist heute so schwindlig“, klagte sie. „Klar können wir neben einander sitzen.“ Colin blieb dicht an ihrer Seite, bereit, sie zu stützen und Ginny lächelte matt. Was für ein seltsamer Tag. „Hoffentlich wirst du nicht krank“, meinte Colin. „So direkt in der ersten Woche wäre das ja echt blöd.“ Professor Flittwick begann zu sprechen und Ginny benötigte all ihre Kraft, um ihm folgen zu können.
Sie übten den Schwebezauber und Colin gelang es noch vor Ginny, seine Feder fliegen zu lassen. Mit vor Freude geröteten Wangen verließen sie das Klassenzimmer. Das muss ich heute Abend unbedingt Tom erzählen, dachte Ginny, während sie zum Mittagessen gingen.
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