von Saoirse
REMUS
Remus war wieder in das Lager appariert. Er hatte mittlerweile das Gefühl, dass es der einzige Ort war, an dem er sich halbwegs gewollt fühlte. Die Vorwürfe der anderen Ordensmitglieder, die ihn mit diesem seltsamen Blick angesehen hatten… Mitleidig… Als wäre ihnen klar, dass Remus bald nicht mehr dem Orden angehören würde und sich voll und ganz dem Rudel verschreiben würde.
„Remus, was für eine Überraschung“, stellte Greyback fest, „Du hattest doch noch einen ganzen Tag Zeit, um dich mit deiner kleinen Aurorin zu paaren.“ Greyback grinste ihn an. Remus war klar, dass Greyback nur darauf gewartet hatte, dass er freiwillig zu den Werwölfen zurückkehrte.
„Ich war nicht bei ihr“, erklärte Remus scharf. Er wollte Greyback nichts von seiner privaten Angelegenheit erzählen. Das war eine Sache, die Greyback nichts anging. Er sollte nicht erfahren, dass Remus Tonks‘ Hoffnungen erneut zerstört hatte.
Greyback bedachte Remus mit einem wissenden Blick, „Lass mich raten… Du hast gemerkt, dass du nun hierher gehörst?“ fragte er.
Remus schwieg und sah Greyback nur in die kalten, dunklen Augen.
„Du solltest wissen, Remus, dass wir jeden Werwolf hier willkommen heißen, der sich bewusst dazu entscheidet, unserem Rudel zu dienen. Du bist zwar noch immer der rangniedrigste Werwolf hier, aber ich bin bereit, dir ein wenig entgegen zu kommen. Du musst nicht mehr draußen schlafen und auch nicht mehr die Duschen und Toiletten säubern. Du musst auch nicht mit auf die Jagd, sondern kannst vorerst hier das Lager überwachen, während wir anderen jagen gehen“, Greyback grinste Remus an.
„Was muss ich dafür machen?“ fragte Remus kalt. Ihm war klar, dass Greyback nicht ohne Gegenleistung so großzügig war.
„Du wirst den Jungen Unterricht geben. Du wirst ihnen beibringen, wie man kämpft und sich verteidigt. Ich rate dir, deine Aufgabe ernst zu nehmen… Du willst doch bestimmt nicht noch mal Schuld am Tod eines Jungen sein“, Greyback beobachtete Remus‘ Regungen ganz genau.
„Was genau soll ich ihnen beibringen? Ich kann ihnen doch nicht beibringen, wie man mit einem Zauberstab kämpft, wenn wir gar keine zur Verfügung haben“, stellte Remus fest.
„Das ist kein Problem… Am Anfang genügen Zweige im Wald für die Übungen. In ein paar Monaten werden uns richtige Zauberstäbe von Ollivander geliefert. Denke daran, dass ich uns gute und mächtige Verbündete ausgewählt habe… Es ist erst einmal wichtig, dass sie die gängigen Zauber kennen lernen...“
„Ich halte ehrlich gesagt nicht viel davon“, erwiderte Remus.
Greyback sah ihn wütend an, „Willst du mein großzügiges Angebot etwa ablehnen?“ schnarrte er verärgert.
„Nein, ich will es nicht ablehnen. Ich mache mir nur Sorgen um die Jungen… Wenn ich ihnen beibringe, im Wald mit unechten Mitteln zu kämpfen, wird es unter Umständen schwierig, sie mit Zauberstäben zu unterrichten. Ein einfacher Stock im Wald zeigt keine Wirkung. Bei einem Zauberstab sieht es anders aus. Ich kann die Jungen gerne mit Stöcken unterrichten, aber erhoff dir nicht zu viel daraus. Ich an deiner Stelle würde lieber warten, bis die Todesser die versprochenen Zauberstäbe liefern. Spätestens dann siehst du auch, welcher der Jungen magische Fähigkeiten hat“, Remus war es zuwider, dass er die jungen Werwölfe in zwei Kategorien aufteilte und damit über ihre Fähigkeiten urteilte. Außerdem wurde ihm bewusst, dass er sich nun tatsächlich dem Rudel verschrieb. Er wollte sich nicht mehr gegen Greyback wehren...
„Da hast du nicht ganz unrecht“, überlegte Greyback laut, „Es wäre ja schade, wenn deine Bemühungen für Junge eingesetzt werden, die es eigentlich gar nicht wert sind… Du beginnst die Ausbildung der Jungen, sobald wir die Zauberstäbe haben.“
Remus biss sich auf die Lippe… Eine Sache war noch offen, die ihn belastete… „Fenrir, wie ist das mit den Paarungen? Ich will keine Paarung vollziehen…“
Greybacks Miene verfinsterte sich. Wahrscheinlich hatte Remus zu viel verlangt, „Es zeigt mir, dass deine Loyalität dem Rudel gilt, wenn du dich mit unseren Werwölfinnen paarst“, Greyback legte eine dramatische Pause ein, „Allerdings ist dies im Moment nicht nötig. Du bist der Schwächste im Rudel. Es ist nicht gut, wenn deine Gene weiter verbreitet werden. Die meisten Weibchen werden schnell trächtig. Garou war ein Sonderfall. Im Moment musst du dich nicht paaren, aber ich schließe nicht aus, dass es irgendwann passieren wird. Genauso sieht es bei der Jagd aus…“
„Ich weiß nun, dass Tonks und ich nicht zusammen gehören. Ich bin ein Tier und ich habe sie einfach nicht verdient. Ich weiß, dass es nicht richtig ist und es unnatürlich ist, dass ich sie liebe, aber ich tue es noch. Lass mir Zeit, dass ich über sie hinweg komme“, Remus blinzelte einige Tränen weg. Diese Erkenntnis auszusprechen hatte ihn sehr viel Kraft gekostet.
„Remus, ich bin beeindruckt, dass du nun akzeptiert hast, was du bist. Dass du ein Werwolf bist bedeutet aber nicht, dass du weniger wert bist… Es ist ein besonderes Privileg. Du vereinigst menschliche Aspekte und tierische Aspekte. Du hast eine ganz spezielle Verbundenheit zu deinen Grundbedürfnissen. Ich dachte, du hättest das in der Zeit gemerkt, in der du gehungert hast. Du hast recht, was deine Aurorin angeht… Du bist dir deiner Bedürfnisse auf einer ganz anderen Ebene bewusst. Sie kann da nicht mithalten. Du bist der Kleinen überlegen und deshalb ist es besser, wenn du sie so schnell es geht, vergisst. Du verschwendest deine Ressourcen an sie“, Greyback lächelte Remus an. Zum ersten Mal war so etwas wie Verständnis in seinem Blick, „Glaube mir, du wirst hier jemanden finden, der zu dir passt und deiner kleinen Aurorin wird es genauso gehen.“
LOUISA
Louisa langweilte sich mittlerweile im Grimmauldplace. Absolut nichts passierte dort. Außerdem hatte sie langsam keine Essensvorräte mehr. Dumbledore hatte sie anfangs mit Essen versorgt, aber mittlerweile wurden seine kurzen Besuche immer weniger. Genau, wie Louisas Lebensmittel. Der Hauself, der hin und wieder auftaute, sah Louisa mit kritischem Blick an. Aber sie sprach überhaupt nicht mit ihm. Er war ihr irgendwie unheimlich. Der Hauself murmelte ein paar Worte, dass es eine Schande war, dass sie hier war. Doch Louisa störte sich nicht daran. Sie hatte im Rudel schon genug Ablehnung erfahren, weil sie so weit unten im Rang stand.
Sie beschloss, ein wenig durch London zu schlendern und dort einige Lebensmittel zu klauen. Eigentlich hatte Dumbledore ihr nahe gelegt, das Haus nicht zu verlassen, doch sie hatte im Prinzip ihr gesamtes Leben im Freien verbracht und fühlte sich von den Wänden des Hauses eingeengt. Sie hatte viel durch die Fenster beobachtet… Hatte Autos durch die Straßen fahren sehen und beobachtet, dass die Menschen in London einander eigentlich überhaupt nicht beachteten. Sie liefen aneinander vorbei und wirkten unfreundlich. Es war nicht so, wie in dem Werwolfslager, in dem jeder jeden kannte. Außerdem machte sie die Beleuchtung neugierig, die sie überall an den Häusern sah. Sie konnte sich schon überhaupt nicht mehr an das Weihnachtsfest bei ihren Eltern erinnern.
Louisa hatte sich ihre Schuhe angezogen und schloss die Haustür hinter sich. Sie überlegte, in welche Richtung sie laufen sollte. Sie konnte nicht lesen, weil sich nie jemand die Mühe gemacht hatte, es ihr beizubringen. Aber sie hatte einen guten Orientierungssinn und würde sich mit Sicherheit zurechtfinden…
TONKS
Heute war ein Auror wegen Krankheit ausgefallen, der eigentlich in der Londoner Innenstadt patroulieren sollte. Da in Hogsmeade vier Auroren stationiert waren, wurde Tonks abgezogen und von Kingsley dazu aufgefordert, den Posten des ausgefallenen Aurors zu übernehmen. Tonks lief gerade durch den St. James‘s Park und war wieder einmal mit ihren Gedanken ganz woanders. Sie sah die Pelikane nach Fischen tauchen. Sie hatte die Tiere so fixiert, dass sie nicht darauf achtete, wo sie hinlief. Sie stoppte erst, als sie in einen Landstreicher hineinlief, der anscheinend auch mit seinen Gedanken nicht bei der Sache war.
„DU?!“ rief Tonks wütend, als sie erkannte, wer der Landstreicher war.
„Hallo“, erwiderte Louisa schüchtern. Sie traute sich nicht, Tonks anzusehen. Es war schon ein recht großer Zufall, dass sie sich in einer überlaufenen Stadt, wie London begegnet waren.
Die beiden schwiegen sich lange an und Tonks hätte Louisa am liebsten mit ihren Blicken durchbohrt.
„Gut, dass wir uns treffen… Ich wollte dir etwas erzählen“, Louisa war irgendwie erleichtert, dass sie nun doch aufklären konnte, dass sie sich nicht mit Remus gepaart hatte.
„Du hast schon genug Schaden angerichtet“, rief Tonks wütend, „Reicht es dir nicht, dass du mir meinen Freund ausgespannt hast?“
„Ich wusste nicht, wer du bist…“, erklärte Louisa zögernd.
„Und wenn du es gewusst hättest, dann hättest du verheimlicht, dass du mit Remus geschlafen hast?“ fragte Tonks zynisch.
„Nein, es war ganz anders. Remus hat mich nicht freiwillig als Partnerin ausgewählt. Wir waren nur Freunde und sind von Fenrir als Partner füreinander ausgesucht worden“, Louisa sah Tonks hilflos an, „Du musst mir glauben. Remus und ich haben uns weder geküsst noch gepaart. Du hast mir damals deinen vollen Namen gesagt… Nymphadora. Remus hat aber immer nur von dir als ‚Tonks‘ oder ‚Dora‘ gesprochen. Deswegen wusste ich nicht, dass du seine Freundin warst. Es tut mir so leid“, entschuldigte sich Louisa.
„Und das soll ich dir glauben?“ fragte Tonks verärgert.
„Du würdest es besser tun, wenn dir Remus wirklich etwas bedeutet. Er liebt dich. Ihm kam auch nie der Gedanke, dich zu betrügen“, sagte Louisa ernst, „Er hat sogar einen unbre…“
Weiter kam Louisa nicht. Ein grüner Lichtstrahl war auf sie geschossen worden. Sie sackte leblos zusammen und hielt sich mit ihrer letzten Kraft an Tonks‘ Kleidung fest, bevor ihr Körper zu Boden fiel. Sie hatte es nicht geschafft… Sie hatte Tonks nicht über den unbrechbaren Schwur aufklären können…
Vielleicht wäre sie nicht nach draußen gegangen, hätte sie Remus‘ Brief erhalten…
„Hallo Nymphadora“, sagte Greyback mit hämischen Grinsen. Er stieg über Louisas Leiche und näherte sich Tonks‘ Gesicht. Sie konnte seinen Atem nach Fleisch riechen. Er hatte seinen Zauberstab gezogen und hielt ihn Tonks‘ unter das Kinn.
„Wieso hast du sie getötet?“ fragte Tonks fassungslos. Sie gab zwar Louisa die Schuld daran, dass Remus in das Rudel abgedriftet war, aber das hätte sie ihr nicht gewünscht.
„Sie hat das Rudel betrogen. So Sachen passieren Werwölfen, die das Rudel hintergehen. Du solltest dir überlegen, ob dein Remus nicht irgendwann das gleiche Schicksal erleidet“, Greyback sah sie belustigt an, als Tonks‘ Gesichtsausdruck sich änderte und zu besorgt und angespannt wechselte.
Tonks umfasste nun auch ihren eigenen Zauberstab, allerdings hatte sie keine Möglichkeit, ihn gegen Greyback zu richten, weil er ihr viel zu nah stand.
„Lass Remus in Ruhe“, zischte sie ihm zu.
„Wie niedlich… Ein kleines Mädchen versucht, einen Werwolf zu schützen…“, spottete Greyback, „ich dachte, dich interessiert vielleicht, wie er sich im Rudel macht?“
Tonks wusste, dass sie sich nicht darauf einlassen sollte, denn egal, was Greyback sagen würde, Tonks würde sich dadurch unglücklich machen. Wenn sich Remus schlecht im Rudel machte, würde es bedeuten, dass Greyback ihn irgendwann tötete. Wenn er sich im Rudel etabliert hätte, bedeutete das, dass Remus‘ menschliche Seite schwächer wurde und er sich seinen tierischen Instinkten hergab.
„Ich will es nicht wissen“, sagte Tonks mit Tränen in den Augen.
„Schade, ich hätte dir gerne erzählt, was ich aus deinem Liebsten gemacht habe“, stellte Greyback mit einem Lächeln fest, „Du willst es dir wirklich nicht anders überlegen?“
Tonks schüttelte den Kopf.
Greyback senkte den Zauberstab. Er warf einen Blick auf Louisas toten Körper, „Ich werde sie mitnehmen… Als Beispiel dafür, was mit Werwölfen passiert, die sich vom Rudel lossagen.“
Er bückte sich, um Louisas Leichnam aufzuheben.
„Warte“, unterbrach Tonks ihn. Greyback verharrte in der Bewegung.
„Hast du es dir etwa doch anders überlegt?“ fragte Greyback.
„Ja“, sagte Tonks. Sie wollte so viel von Remus wissen, wie es ging. Auch, wenn es bedeutete, dass sie sich dadurch selbst verletzte.
„Mhm… Remus ist gestern zu uns zurückgekehrt… Einen Tag vorher, als verabredet. Er ist nun dafür zuständig, die Jungen auszubilden“, Greyback brach ab. Er hob Louisas Körper auf und disapparierte mit ihm.
Eigentlich hätte Tonks den Vorfall melden müssen, aber sie war wie erstarrt vor Angst. Nach Greybacks Aussage war Remus nun wohl ein fester Bestandteil des Rudels. Das bedeutete, dass er nun tatsächlich seinen tierischen Instinkten unterlag. Eigentlich hätte sie Greyback verhaften sollen. Vor allem nachdem, was er Louisa angetan hatte. Als sie ihre Gedanken sortiert hatte, sackte sie zusammen und begann zu weinen...
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