von HannaLuisa
Hi ihr,
mir kam gestern spontan eine Szene, die vor dem letzten Kapitel liegt.
Ich hoffe, der Zeitsprung ist nicht zu schlimm. Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.
Und nun viel Spaß beim Lesen!
Petunia erwachte durch die Stimme des Riesen. Stöhnend zog sie sich die klamme Decke über den Kopf und kniff die Augen zusammen. Lass es vorbei sein, dachte sie. Lass es endlich vorbei sein. Wie gerne läge sie jetzt in ihrem eigenen Bett an einem ganz normalen Morgen. Ohne diese fremde, magische Welt vor Augen, die sie so sehr hasste. Stattdessen lag sie in einer Hütte, mit einer Tür, die ein Riese eingetreten hatte und einem Kind, dem ein Schwanz angezaubert worden war.
Mit einem lauten Knarzen der Bettfedern drehte sich Vernon zu ihr und sie sah, dass er schon eine längere Zeit wach lag. Zärtlich küsste er sie und murmelte: „Sie sind weg.“ Nur langsam schienen die Worte in ihrem Gehirn anzukommen und Sinn zu ergeben. Tatsächlich. Die Stimmen des Kindes und des Riesen waren verstummt. Tränen schossen Petunia in die Augen und diesmal war sie nicht imstande, sie zurückzuhalten. Erleichterung, pure Erleichterung durchflutete sie wie ein Strom heißer Lava. Zugleich empfand sie eine so große Scham ihres Ausbruchs wegen, dass sie den Blick ihres Gatten kaum erwidern konnte. Wut und Angst über das, was Dudley angetan wurde. Dass der Riese ihrem Goldstück Leid angetan hatte, machten das Gefühlschaos perfekt. Dudley hob am Ende des Bettes den Kopf und sah seine weinende Mutter an.
„Es tut gar nicht weh“, versuchte er, sie zu trösten und gerührt schloss sie ihren Sohn in die Arme. Langsam beruhigte sie sich.
Schweigend packten sie ihre Habseligkeiten zusammen. Noch ehe jemand ihn aufhalten konnte, hatte Dudley sich über ein letztes, vergessenes Würstchen des Riesen hergemacht, doch keiner der Eltern reagierte darauf. Erst Dudley durchbrach kurz darauf mit einem Schrei die Stille: „Das Boot! Es ist weg!“ In heller Aufregung rannten Petunia und Vernon nach draußen, nur um festzustellen, dass Dudley vollkommen Recht hatte. Die Ader Vernons schwoll innerhalb weniger Sekunden an und er brüllte: „Da hat dieser verdammte Kerl uns doch das Boot geklaut.“ Er verlor nun komplett die Beherrschung und pfefferte das Gewehr mit dem verbogenen Lauf, die Bananenschalen sowie anderen Müll nacheinander ins Wasser, während er weiter tobte. Petunia fühlte, wie ihre Beine nachgaben und rasch ließ sie sich auf den feuchten Boden sinken. Was nun, dachte sie verzweifelt. Würde der kleine Kerl, der sie am Vortag hergebracht hatte, nach ihnen sehen? Petunia wollte es glauben, doch die Angst, durch die Erschöpfung zusätzlich verstärkt, überwog. Der Alptraum endetet mittlerweile nicht mehr durch das Erwachen, er begann erst dann richtig. Wir hätten es dem Kind einfach sagen können, dachte sie. Oder ihm direkt den Brief lassen, ihn nicht wegnehmen sollen. Dann wären sie jetzt zuhause und Petunia hätte die Abwesenheit des Kindes mit vollem Herzen genießen können. Dudley wäre nicht entstellt worden. Diese ganze sinnlose und kräftezehrende Flucht vor der Magie wäre ihrer Familie erspart geblieben.
Flucht vor der Magie! Ein hohles Lachen drang aus ihrer Kehle. Wie absurd. Doch keiner vermochte ihrem Mann, hatte er sich etwas in den Kopf gesetzt, davon abzubringen. Vernon war fest entschlossen, zu fliehen, sie abzuschütteln und so sehr er seine Frau auch liebte, kein Wort hätte ihn zur Vernunft gebracht. Aber liebte sie nicht auch dies so sehr an ihm? Dass er nicht einer dieser Weichlinge war? Schnaufend saß er neben ihr. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass auch er sich gesetzt hatte. Hoffentlich bekomme ich die Grasflecken da jemals wieder raus, war der erster Gedanke an diesem Morgen, der ihr normal und vertraut erschien. Ihr Kleid war dunkel, doch die hellen Hosen Vernons und Dudleys vertrugen gewiss keine derartigen Flecken, dazu waren sie zu teuer gewesen. Ich werde sie vorbehandeln und eine Weile einweichen, dann habe ich eine Chance. Petunia spürte, wie die geistige Beschäftigung mit Alltagssorgen sie beruhigte. Wäsche. Eine weiße Weste. Die Worte Lilys: „Ja, klar! Hauptsache du hast eine weiße Weste, wie immer!“ Das laute Türenschlagen.
Petunia verdrängte den Gedanken und erhob sich. Sofort sahen die anderen zu ihr auf.
„Ich räume ein bisschen auf“, sagte sie. Penibel faltete sie die Decke im Schlafzimmer, hielt dann inne und überlegte, dass die Feuchtigkeit dadurch kaum besser würde. Sie öffnete weit das Fenster und wollte sie gerade über das Fensterbrett hängen, als ihr die zentimeterdicke Dreckschicht ins Auge fiel. Unmöglich konnte sie darauf die Decke legen. Petunia eilte in den einzigen Raum mit Wasser, nahm einen alten Socken Vernons und ging ins Schlafzimmer zurück. Der Rahmen war sauber gemacht, die Decke gerade fein säuberlich ausgebreitet, als ihr Blick auf das offene Wasser fiel. Ein Punkt, der sich langsam vergrößerte. Der Mann! Er war gekommen um sie zu retten. Erleichtert seufzte sie und doch verharrte Petunia und starrte mit zunehmendem Entsetzen auf das Boot. Es saß niemand darin. Petunia kniff die Augen zusammen, rieb sie, doch nichts änderte sich, als sie erneut hinsah. Überstürzt rannte sie aus der Hütte. Vernon und Dudley saßen noch immer da und Dudley jammerte, er wolle endlich nach Hause. Als Petunia kam, sahen beide sie erwartungsvoll an und mit zitternder Hand deutete sie auf das Wasser. Die Miene Vernons entgleiste, seine Gesichtsfarbe wirkte durch die einsetzende Blässe im ansonsten roten Gesicht wieder einmal wie schlecht gemischtes Himbeereis. Dudley wimmerte. Sacht stieß das Boot an die Klippen und schaukelte unschuldig und einladend. „Dudley“, krächzte Vernon, „du steigst nicht ein. Wer weiß, was für ein Humbug damit getrieben wurde.“ Dudley zögerte. Für einen Augenblick fuhren seine Hände über den dicken Hintern, über die Stelle, an welcher sich der Ringelschwanz befand.
„Ich will jetzt heim“, quengelte er. Petunia warf ihrem Mann einen panischen Blick zu, doch Dudley war schon auf das Boot gestiegen. Mit angehaltenem Atem wartete Petunia auf das erste Anzeichen der Tragödie, die gewiss gleich eintreffen würde. Fuhr das Boot womöglich allein mit ihrem Liebling fort? Sank es? Verschwand es?
Doch bis auf den Teint ihres Lieblings, der vor Ungeduld und aufkommender Wut rot wurde, änderte sich nichts. Was sein Temperament anging, war er eindeutig seines Vaters Sohn. Unbeherrscht brüllte er: „Ich fahre gleich alleine los, jetzt kommt endlich, ich bleibe hier nicht länger!“ Tatsächlich griff er nach den Rudern zu seinen Seiten. Vernon seufzte und kletterte behäbig hinterher und Petunia folgte ihm. Jetzt habe ich die Decke gar nicht zurück aufs Bett gelegt, war der erste Gedanke Petunias, während Vernon schwerfällig begann, zu rudern.
„Ein Kunde von mir arbeitet als Chirurg in einer Privatklinik. Er wird uns schnell einen Termin geben. Wenn du nach Smeltings kommst“, mit stolz geschwellter Brust betrachtete Vernon seinen Sohn, „ist alles wieder in Ordnung.“
„Hm“, murrte Dudley. Er kniete, vermutlich drückte der Schwanz. Das Land war in Sichtweise und Petunia atmete tiefe, beruhigende Züge der Seeluft. Es ist vorbei, dachte sie. Wirklich vorbei. Das Kind war fort, der Riese ebenfalls. Sie würde ihren Alltag zurück bekommen, ihr Haus, ihre Familie. Für ein ganzes Jahr. Nur ein Jahr, dachte sie und eine Spur Widerwille regte sich in ihr ob des Erbes ihrer Schwester. Denk nicht daran, beschwor sie sich. Petunia wandte ihren Blick von der leeren Hütte, dem Festland entgegen.
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