von käfer
Auch hier gab es die Probleme, dass aus normalen Satzzeichen plötzlich komische Zeichenketten wurden, was in der Vorschau aber nicht zu sehen war. Deshalb jetzt der nächste Versuch.
Vogelgesang hat mich geweckt. Er erinnert mich an die beiden Kanarienvögel, die Patrick mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich sehe sie wieder mit verrenkten Köpfchen im Käfig liegen und fühle Trauer aufsteigen.
Draußen herrscht ohrenschmerzend fröhlicher Lärm. Mit den Vögeln um die Wette musiziert ein Blasorchester; Männerstimmen schmettern einen Marsch. Es ist kein dumpfer Kriegsgesang, eher etwas Lockeres zum Springen. Unter meinem Fenster spielen kichernd ein paar Mädchen.
Mir tut das Herz weh.
Vielleicht ist das hier doch das Paradies? Aber wie finde ich dann Patricks Seele? Und warum gibt es einen Friedhof?
Ich gehöre nicht hierher.
Mein Magen knurrt. Wie gegen meinen Willen wasche ich mich und fahre mit dem Kamm durchs Haar, ehe ich nach unten gehe. Ich habe beschlossen, geradewegs zu den Klippen zu laufen und hinunterzuspringen, diesmal wirklich den Kopf voran. Dennoch finde ich mich in der Gaststube wieder.
An den Tischen sitzen lauter Pärchen; essen, schwatzen und lachen miteinander. Nur an einem einzigen Tisch hocken zwei Männer ohne weibliche Begleitung; sie lachen, winken mir zu und zeigen auf die beiden leeren Stühle ihnen gegenüber. Ich tue so, als hätte ich das nicht bemerkt und quetsche mich allein in die entfernteste Ecke, obwohl meine Füße zu den Männern laufen wollen.
Was ist das für ein Zauber, der hier in der Luft liegt? Warum tut man immer etwas anderes, als man eigentlich will?
„Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich!“ Vor mir steht eine dralle Frau in einem mit roten, gelben und blauen Blumen gemusterten Kleid. Sie stellt mir ein Tablett mit Essen hin: ein Breiteller, auf den mit Zimt eine Blüte gemalt ist, eine Schüssel mit Obststücken, obenauf liegen ein paar Gänseblümchen, etwas, das sowohl Brot als auch Kuchen sein könnte und einen Keramikbecher mit einem blumig-würzigen Kräutertee.
Plötzlich überläuft es mich heiß und kalt: „Ich kann das alles nicht bezahlen. Ich habe gar kein Geld bei mir. Ich…“
„Bezahlen? Geld? Was ist das?“
Will die mich veräppeln?
„Ich habe wirklich nichts bei mir, was ich Ihnen geben könne als Bezahlung für das Essen und die Übernachtung.“
„Du musst mir nichts geben, Fremde von hinter dem Tor. Du machst dich nützlich für die Gemeinschaft und es ist gut.“
Herrscht hier der Kommunismus, von dem ich einmal in einem Roman gelesen habe? Ist meine Seele durch ein Versehen in meinem Körper geblieben? Denn es ist unbestritten immer noch mein eigener Körper, in dem ich stecke. Ich hatte eine kleine Narbe an der linken Hand, wo ich mal mit dem Messer abgerutscht bin, und die ist nach wie vor da.
Die beiden Männer lachen und winken mich zu ihnen herüber. Es ist merkwürdig. Ein Teil von mir will mit Freuden aufspringen und hinübergehen, der andere Teil wehrt sich dagegen.
Ein Mann betritt die Schankstube, sieht sich um und steuert auf mich zu. Er trägt ein blau-rot kariertes Hemd und Arbeitshosen. „Du bist die Fremde von hinter dem Tor?“, fragt er im Ton einer Feststellung. „Komm mit, der Rat erwartet dich.“
Ich folge ihm ohne ein Wort zu sagen.
Der Rat tagt unter der Linde und besteht aus fünf Frauen und fünf Männern, die auf den Steinen sitzen, sowie einem Wesen, das so von Zweigen, Stroh und Blumen bedeckt ist, dass ich weder Alter noch Geschlecht erkennen kann. Im Gegensatz zu den Zuschauern tragen die Ratsleute nur einfarbige Kleidungsstücke.
Ich habe ein endloses Palaver befürchtet, aber sie fragen mich nur, wie ich heiße und woher ich komme.
„Das ist hinter dem Tor, nicht wahr?“
„Das Tor öffnet sich nur alle drei Jahre, wenn wir Erntefest feiern.“
Sie sprechen abwechselnd, keiner sagt mehr als einen Satz.
„Du kannst dich entscheiden, ob du hierbleiben oder woanders hingehen willst.“
Da ist sie wieder, die Unentschlossenheit, dieser innere Widerstand, etwas zu tun. Was ist besser? Hierbleiben? Weggehen? Woher soll ich das wissen? Weggehen? Hier sind Klippen! „Ich bleibe hier.“
„Gut.“
„Was kannst du nützliches schaffen?“
Jetzt habe ich ein Problem. Bis ich schwanger wurde, habe ich Zaubererkindern Privatunterricht gegeben, ihnen lesen, schreiben und rechnen beigebracht. Ich zucke mit den Schultern. „Ich kann euren Kindern lesen, schreiben und rechnen beibringen.“
Sie starren mich an, alle – Rat und Zuschauer.
Das älteste Ratsmitglied, ein Mann mit schlohweißen Haaren und einem Gesicht voller Lachfalten, fragt: „Was ist das?“
Ich schnappe nach Luft. Die Leute schauen mich erwartungsvoll an. Sie wissen es wirklich nicht. Ich muss es ganz einfach erklären.
„Schreiben ist: gesprochenes Wort aufzeichnen, um es aufzuheben, damit nichts vergessen wird. Lesen ist das Gegenteil, man entziffert aufgeschriebenes und macht es wieder zum gesprochenen Wort. Und rechnen ist … ist zusammenzählen.“
„Wir müssen keine Wörter aufheben und zusammenzählen lernen unsere Kinder auch so. Wir brauchen das nicht.“
„Sag etwas anderes.“
„Ich könnte auf eure Kinder aufpassen, während ihr arbeitet.“
Mir schwebt so ein Kindergarten nach deutschem Vorbild vor, wie er bei den Muggeln immer beliebter wird.
„Das ist unnütz.“
„Kannst du gar nichts machen?“ Das klingt ein wenig vorwurfsvoll.
„Da, wo ich herkomme, ist Schreiben, Lesen und Rechnen ganz wichtig. Die Eltern haben mir Geld dafür gegeben, dass ich es ihren Kindern beigebracht habe. Das Geld habe ich gegen die Dinge eingetauscht, die ich brauchte.“
„Wir tauschen die Dinge direkt.“
Es ist zum Verzweifeln. „Zählt doch bitte auf, was ihr braucht und ich sage euch, ob ich das kann.“
Ich möchte eigentlich erklären, dass sie sich mit mir keine Mühe geben sollen, weil ich sowieso bei erstbester Gelegenheit von der Klippe springe, aber eine eigenartige Kraft verschließt meinen Mund.
„Kannst du schmieden?“ „Holz bearbeiten?“
„Kannst du mit der Sense umgehen?“ „Dreschen?“
„Kannst du Schafe scheren?“ „Wolle spinnen?“ „Socken stricken?“ „Weben?“
„Kleider nähen?“
Endlich etwas, auf das ich nicht ganz kategorisch mit „Nein“ antworten muss. „Neue Kleider anfertigen kann ich nicht, aber kaputte wieder ganz machen.“
Gemeinschaftliches Aufatmen. Der Älteste fragt: „Wer ist dafür?“
Alle zehn Ratsleute heben die Hand, das verborgene Wesen rührt sich nicht.
„Sasu wird dir alles zeigen.“
Ein altes Weiblein löst sich aus der Menge.
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