von Julia*Jay*Brown
Das erste Mal als sie ihn wirklich wahrnahm- sie konnte sich sehr gut daran erinnern.
Er hatte ihr das Schlossportal nach Pflege Magischer Geschöpfe aufgehalten. Sie hatte aufgesehen und diese Augen. Man könnte sie bei grobem Überblick als grau bezeichnen, aber innerhalb des Sekundenbruchteils, in dem sie ihm ein dankbares Lächeln schenkte, hatte sie bemerkt, dass sie einen Gelbstich hatten.
Sein Lächeln war höflich und er deutete eine Verbeugung an.
Von da an, von dem Moment, in dem seine Hand mit dem auffälligen Silberring vom dunklen Holz der Tür verschwunden war, fielen ihre Augen immer öfter auf seine Gestalt.
Wenn sie Hausaufgaben machte, schien er immer in ihrer Nähe zu sein.
Beim Essen saß er definitiv in ihrem Blickfeld.
Im Unterricht immer vor ihrer Nase.
Oder war es viel mehr, dass sie ihn suchte, um sich beim Schreiben besser entspannen zu können?
Dass sie ihn um sich haben wollte, wenn niemand anderes da war?
Dass sie lieber beobachtete, als gesehen zu werden?
Fiel es ihm gar nicht auf oder war er es gewohnt, angestarrt zu werden?
Sie erhob sich von ihrem einsamen Platz am Hufflepufftisch, ging wie in Trance den gewohnten Sticheleien ihrer Klassenkameraden aus dem Weg, schlängelte sich um die anderen Schüler herum, passte sich an- wie sie es gewohnt war.
Jemand stieß hart mit der Faust gegen ihre Schulter, doch sie ignorierte es. Sie atmete tief durch, machte einen Schritt, bis jemand zweites gegen ihre andere Schulter schlug.
Der Korridor war leer, niemand bemerkte etwas.
Keiner bemerkte die großen blauen Flecken, dass sie humpelte.
Keiner bemerkte die roten Augen.
Keiner bemerkte das Mädchen, das für mehr als drei Stunden hinter einem Wandbehang weinte.
Sie wusste nicht, wie lange sie es noch ertragen könnte. Die Schule lief, die Noten waren über dem Durchschnitt, aber es war niemand hier, der sich um sie kümmerte. Vor langer Zeit hatte sie versucht, zu kämpfen und sich zur Wehr gesetzt, aber es wurde nicht besser, nicht einfacher. Es kostete nur Kraft, also gab sie auf.
Unbemerkt von ihren Mitschülern, selbst von ein paar der Schläger, lebte sie weiter in den Schatten, überlebte die ZAGs und sah sich nun ihrem letzten Jahr gegenüber, freudestrahlend- fast.
Wäre da nicht ein Krieg gewesen.
Wäre da nicht ihre Flucht gewesen, sie rannte davon- sie musste.
Doch sie konnte nicht fern bleiben, nicht bei der finalen Schlacht, in die man sie rief. Der letzte Kampf und die letzte Hoffnung darauf, ihn wiederzusehen.
Der Zauberstab steckte bereit in der Tasche ihrer Jeans.
Die Heiltränke in einem Beutel an ihrem Gürtel.
Die Haare band sie zurück, sodass sie sie nicht behindern konnten.
Die Weste, die sie trug, war weiß.
Doch sie blieb es nicht lange.
Nachdem sie sich ihr Ziel fest vor Augen vorgestellt hatte, nachdem sie appariert war, wurde sie direkt in den Dreck geschleudert. Eine Horde war kurz davor, sie zu überrennen.
Sie befand sich für den Bruchteil einer Sekunde erneut in ihrer Schulzeit, eine Sekunde stand die Zeit still, doch dann sprang sie auf. Sie war nicht gekommen, um zu sterben. Auch nicht, um sich unterkriegen zu lassen.
Sie war gekommen, um sich selbst und ihre Liebe zu verteidigen.
Ohne Zögern ging sie einen Zweikampf mit dem nächsten Todesser ein, der diesen verlor. Keiner war ihr gewachsen, nicht jetzt, da ihr Kampfgeist sich an die Oberfläche hindurchgekämpft hatte.
Schnitte ließen ihre Wange bluten, doch sie bemerkte sie nicht. Wollte sie nicht bemerken.
Fast drehte sie durch, als Voldemort die Kampfpause veranlasste. Der Flügel des Schlosses, nahe des Nordturms, in dem sie Seite an Seite mit Professor Trewlaney gekämpft hatte, leerte sich augenblicklich von Todessern.
Sie hinterließen ein Chaos, das seinesgleichen suchte. Überall lagen Trümmer umher, die Schlossmauer hatte einiges abbekommen, doch mit dem Schwung ihres Zauberstabs, ließ sie es geringer werden. Der Professor verschwand, um ein paar Ressourcen zu sichern und zu besorgen, doch sie machte sich auf den langen Weg in die Große Halle.
Sie strich sich den Schmutz aus dem Gesicht. Dabei blitzte ihr durch den Staub etwas auf dem Boden entgegen. Neugierig wandte sie sich nach links, wo ein weiteres Loch klaffte. Auf einem der da liegenden Mauersteine lag etwas Kleines und Silbernes.
Es war ein Ring, wie sie ihn nur einmal gesehen hatte. Damals aber an der Hand eines jungen Mannes mit grauen Augen und dunklen Haaren.
Ihre Hand umschloss den Ring, doch dann steckte sie ihn in ihre Tasche. Es musste nicht bedeuten, dass er gefallen war.
Die Große Halle war ihr zu voll, doch sie nahm Madame Pomfreys Vorschlag an, sich kurz zu waschen. Eine banale Sache, doch es war beruhigend, nicht mehr voller Blut zu sein.
„Tot“ sagte die Stimme neben Pomfrey. Es war ein Zauberer, der über die Gefundenen befand. Ihr Blick landete auf einem dunklen Haarschopf und sie erkannte ihn sofort.
Der Mann, der ihn trug, legte ihn vorsichtig auf den Boden, sah zu dem Mädchen auf und lächelte fast, als würde er sie erkennen.
Sanft strich sie der Leiche über das Gesicht, nahm seine Hand und zog den Ring aus ihrer Tasche. Er gehörte ihm, nicht ihr.
Eine einzelne Träne rann über ihre Wange, tropfte auf seinen zerschlissenen Umhang.
Noch immer hielt sie seine Hand.
Es war ihr, als würden seine Lider sich bewegen und ein Spalt von gelblichem Grau glänzte zwischen den langen Wimpern hervor.
Seine Stimme war rau: „Bist du ein…Engel?“
Weitere Tränen tropften auf ihn herab, während er seine Augen noch weiter öffnete. Ihre Hände berührten sich noch immer.
„Ich kenn dich“ murmelte er, griff ihre Hand fester. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Wie auch auf ihrem.
Sie gab ihm die Heiltränke, die sie bei sich trug, und als er sich aufsetzte, hielt er noch immer ihre Hand.
Vollkommen unvermutet umarmte er sie. Einfach so. Als wäre das normal.
Ohne darüber nachzudenken, gab sie ihm einen kleinen Kuss auf die verschmierte Wange und half ihm, sich aufzurichten.
Sein Arm schlang sich noch fester um ihre Hüfte, doch die andere Hand wanderte hoch zu ihrem Gesicht, das seinem unglaublich nah war. Er fuhr mit seinem kalten Finger über ihre Lippe, stupste ihre Nase an und legte sie dann um ihre Wange.
Inmitten all dieser Trauer, dem Schmerz, der sterbenden Hoffnung und des Kampfgeistes, küsste er sie, als wäre sie aus hauchdünnem Glas und würde schmelzen, wenn er sie zu viel berührte.
Den letzten Teil der Schlacht standen sie Seite an Seite durch. Die Kraft ihrer Zauber hatte sie mehr als verdoppelt. Die Hand mit dem Ring hielt ihre unentwegt fest.
Aus einem Ring wurden zwei.
Aus einem weißen Shirt wurde ein weißes Kleid.
Und, zu guter Letzt, wurden aus zwei Zauberern erst drei, dann vier.
Sie würde nie mehr aufgeben. Er würde nie mehr befangen sein.
Er nannte sie Engel. Sie nannte ihn Liebe.
Im Grunde hat und braucht das doch jeder, oder?
***
Kommentiert fleißig vor euch hin!
Dankeschön an Bobby Andonov für seine tollen Cover selbstgeschriebenen Songs, auch wenn du keinen Plan hast, dass mich das inspiriert hat :-)
LG und ein schönes Jahr 2015
Jay
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