von G_we@sleygirl
Es war Nacht. Vollmond. Aus diesem Grund konnte ich nicht schlafen. Alle Beschenkten konnten in Vollmondnächten nicht schlafen. Es war nicht nur so, dass wir nicht einschlafen konnten, wir verspürten nicht mal das Verlangen nach Schlaf. Das war sozusagen Huldigung und Opfer für das endlose Universum, dem „Nowhere“. In Vollmondnächten sollten wir Beschenkten daran denken, dass es zu jeder Zeit vorbei sein könnte. Irgendwann werden wir aufhören zu existieren, ob Unsterblichkeit hin oder her. Mein Leben wurde nur um Jahrhunderte verlängert, doch auch ich werde früher oder später werde im Nowhere verschwinden. Das war die Konsequenz, wenn man ein Beschenkter wurde.
Ich konnte mir nicht vorstellen wie es sein sollte von einem Moment zum nächsten einfach zu verschwinden, immerhin habe ich so viel Zeit hinter mir. Gerade das machte mir Angst. Seit Jahrhunderten lebte ich mit der Sorge, dass jeder Auftrag, jeder Tag, jeder Atemzug der Letzte sein könnte. Immer mehr wünschte ich mir, es würde einfach passieren, denn ich war mir sicher, dass die Angst davor schlimmer war, als das wirkliche Geschehen.
Vollkommen in Gedanken vertieft saß ich am Fenster und starrte nach draußen, ohne etwas zu sehen. Der Vollmond, der mir vor Ewigkeiten wie ein Freund vorkam, wurde immer mehr zum Verräter. Er hielt mich in trübsinnigen Gedanken gefangen, ohne Aussicht auf Entfliehen.
Plötzlich nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Waldrand wahr, doch als ich genauer hinsah, war nichts zu erkennen. Einen Augenblick dachte ich einen Hirsch und einen Hund gesehen zu haben, doch das war nur Einbildung gewesen.
Wahrscheinlich war ich bereits dabei durch zu drehen. Wenn ich doch nur an Vollmondnächten Gesellschaft hätte. Vor hundertfünfzig Jahren hatte ich eine Freundin, die mit mir zusammen die Aufgaben erledigte und mir an schlaflosen Nächten beigestanden hatte. Doch dann hatte das Nowhere sie geholt. Ich werde nie vergessen, wie das ausgesehen hatte. Sie schien wie in Nebel gehüllt und immer mehr darin zu verschmelzen, als würde sie selber zu Nebel. Das hatte nur eine Minute oder so gedauert, doch es schien wie die längste meines Lebens gewesen zu sein, denn sie war meine beste Freundin. Seit dem hielt ich immer Abstand zu anderen Beschenkten oder zu Menschen.
Nach einiger Zeit, vielleicht Minuten oder auch Stunden, schleiften meine Gedanken zu dem heutigen Geschehnissen zurück. Zum Alte Runen Unterricht beispielsweise. Ich ließ nochmal Revue passieren, wie James Lily von hinten mit Papierkügelchen beworfen hatte, damit sie ihn wahrnahm. Wie sie ihn darauf zur Schnecke gemacht hatte und er nur wie ein Honigkuchenpferd gegrinst hatte. Unwillkürlich zuckten meine Mundwinkel. Die beiden waren echt ne Marke. James, der Lily hinterher tigerte und Lily, die ihn zu ignorieren versuchte. Ich fragte mich, wie es wäre, wenn die beiden ein Paar wären.
Unerwarteterweise gab mir mein Unterbewusstsein einen Stups. Augenblicklich war ich hellwach. Bestand darin meine Aufgabe?
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel