von DoubleTrouble
Die Wochen auf Hogwarts vergingen für Sam wie im Flug. Bald war sie mit den drei großen blonden Jungen Gabriel, Millard und Jonathan so gut befreundet wie mit sonst keinem der Gryffindors. Sie verbrachten fast jede freie Minute zusammen auf den Ländereien, diskutierten stundenlang über Quidditch, machten ihre Hausaufgaben in der Bibliothek und quälten sich gemeinsam durch so manche anstrengende Unterrichtsstunden. Erst abends, wenn Sam dann im Bett lag und ein Buch aus der Bibliothek las, wechselte sie ein paar Worte mit Catherine, Kendra und Maggie. Shannon war meistens stumm, wenn sie überhaupt schon im Schlafsaal war.
Verwandlung bei Professor Bagley war mit Abstand das schlimmste Fach für Sam. Mit dem was sie nach der ersten Stunde gesagt hatte, hatte sie Recht behalten. Und es war noch schlimmer geworden. Professor Bagley schien sie regelrecht zu hassen. Sobald sie auch nur ein Wort zu den Jungs sagte, machte er sie sofort nieder, und irgendwann bekam sie keinen anständigen Verwandlungszauber mehr hin, während er in der Nähe war. Dabei brachte sie im Gemeinschaftsraum ganz passable Ergebnisse zustande. In Zauberkunst versagte sie nach wie vor, wobei sie es immer noch nicht über sich gebracht hatte Maggie oder wenigstens Jonathan um Hilfe zu bitten. Und Geschichte der Zauberei hatte sie beschlossen einfach gänzlich zu ignorieren. Doch es gab auch Fächer, die ihr mehr Spaß bereiteten, wie zum Beispiel Kräuterkunde bei Professor Longbottom, der ihnen in der Einzelstunde am Freitagvormittag über seine Erlebnisse mit Harry Potter in seiner Schulzeit erzählte, während sie gespannt lauschend an ihren Beeten saßen und Pflanzen düngten. Selbst der Unterricht des verschlagenen Professor Seaver war so spannend und interessant, dass man einfach Gefallen daran finden musste. Und Astronomie auf dem höchsten Turm in windigen sternklaren Nächten war sofort ihr Lieblingsfach geworden. Schon jetzt kannte sie fast jedes Sternbild auswendig.
Oh, und dann gab es natürlich noch Zaubertränke...
„Sam, mach hinne! Wir sind spät dran!“, drängte Jonathan.
„Was ist denn mit dir los? Vermisst du Patterson, oder was?“, sagte Sam und versuchte mit den Jungen Schritt zu halten, während sie ihr Brötchen frühstückte. Gabriel und Millard fingen an zu glucksen und Sam kassierte von Jonathan einen Schubs, der sie fast gegen die raue Wand des Kerkergangs prallen ließ.
„Ja, ich hab's auch nicht sonderlich eilig da runter zu kommen und mich mit diesen Idioten rumzuschlagen!“, grinste Gabriel und zog Sam am Umhang mit sich.
„Dafür machst du aber ganz schön Tempo!“, maulte Sam, die ihrer Morgenmuffligkeit an diesem Dienstag wieder alle Ehre machte.
Sie bogen um eine Ecke und sahen gleich die Horde von Slytherins, die bereits vor der Tür des Zaubertränkekerkers bereitstand. Jonathan und Gabriel seufzten im Einklang. Millard warf einen Blick auf seine Armbanduhr und meinte lediglich: „Wir haben ja noch fünf Minuten!“
Gabriel stieß Jonathan an und sagte verwegen grinsend: „Das hast du jetzt von deiner Hetzerei! Fünf Minuten mit deinem Slytherin-Liebling!“
Dann duckte er sich schnell weg, damit er ihn nicht mit dem Ellenbogen erwischte.
Sam hatte Patterson zwischen den Slytherins schnell ausgemacht. Er lehnte an der Wand und quatschte mit Melanie. Wie immer. Sam spürte ein leichtes Ziehen im Magen und Schuldgefühle krochen in ihr hoch. Sie hatte seit ihrer Ankunft in Hogwarts und der Häuserwahl nicht mehr mit Melanie gesprochen. Es war einfach keine Gelegenheit dazu gewesen. Außerhalb von Zaubertränke hatte sie Melanie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie so viel Spaß mit den Jungs gehabt, dass sie nicht mehr an Melanie gedacht hatte.
Ein großer schwarzhaariger Junge kam zu Patterson und lenkte ihn von Melanie ab. Sam ging sofort auf sie zu und stellte sich dicht hinter sie.
„Hey Mel!“, sagte sie laut.
Melanie drehte sich erschrocken um. Sam grinste sie an. Als sie sie erkannte weiteten sich ihre Pupillen entsetzt. Einen Augenblick später hatte Melanie sie am Ärmel gepackt und sie in eine dunkle Nische einen Schritt neben ihnen gezogen.
„Was, bei Merlins Unterhose-?“, sagte Sam verdutzt, doch Melanie fuhr ihr dazwischen: „Bist du verrückt geworden?“
Sam fiel der Mund auf und sie starrte ihrer Freundin vollkommen perplex ins Gesicht.
„Du kannst mich doch nicht einfach auf dem Gang anquatschen!“, zischte Melanie.
Sam schüttelte verwirrt den Kopf, fing sich wieder und sagte: „Siehst du doch! - Hör mal, ich versteh ja, wenn du sauer bist, weil ich so lange nicht mit dir geredet hab - “
„Darum geht es überhaupt nicht!“, unterbrach sie Melanie und verschränkte die Arme.
„Worum denn dann?“, fragte Sam verständnislos.
„Ich bin jetzt eine Slytherin und du eine Gryffindor!“, antwortete Melanie leise.
„Na und? Wir sind immer noch Freunde! Was soll dieses Versteckspiel?“, erwiderte Sam.
Melanie lehnte sich aus der Nische heraus und sah sich vorsichtig um, dann sah sie Sam wieder an.
„Nein, das geht jetzt nicht mehr. Slytherins und Gryffindors können keine Freunde sein. Wir können nicht mehr auf dem Gang reden und so was alles“, erklärte Melanie kopfschüttelnd. „Tut mir leid, Sam, aber Niven wird komisch, wenn er uns zusammen sieht. Klar sind wir Freundinnen, es ist aber ein ungeschriebenes Gesetz, dass es nicht so sein darf.“
Sam musterte Melanie einen Moment, schlug die Hand vor den Mund und fing an zu glucksen.
„Das ist nicht dein ernst! Hat Patterson dir diesen Blödsinn erzählt?“, kicherte sie.
„Wir müssen rein. Ich schreib dir!“, sagte Melanie rasch und verschwand schnell aus der Nische. Sie hatte Sam vermutlich gar nicht richtig verstanden.
„Mel, jetzt warte doch mal!“, prustete Sam. „Echt jetzt?“
Sie schaute ihr hinterher und fuhr sich durchs Haar, dann fiel ihr ein, dass sie jetzt eigentlich auch im Kerker sein sollte und rannte schnell hinein. Die Szene, die sich drinnen abspielte, war nicht besser, als die, die sie gerade mit Melanie erlebt hatte. Jonathan stand kaum eine Handbreit entfernt von Patterson und starrte mit verschränkten Armen und wütendem Blick auf den kleinen blassen Jungen hinab. Gabriel und Millard flankierten ihn und hatten ihre Zauberstäbe schon gezückt. Patterson sah mit unergründlichem Gesichtsausdruck an Jonathan auf und hatte ebenfalls zwei Freunde hinter sich stehen. Im Kerker war es vollkommen ruhig. Patrick und Roger standen langsam auf und stellten sich zu den Jungs. Auch Sam ging zu ihnen hinüber, verkniff sich aber die Frage, was eigentlich los war, und bemerkte überrascht, dass auch Shannon herüber kam. Der Rest der Mädchen blieb mit bangen Blicken an ihren Tischen. Die Clique der vier Slytherinmädchen, angeführt von dem Mädchen mit den blonden Engelslocken, stand mit hochmütigen Gesichtsausdrücken in der Nähe und beobachteten, wie sich Jonathan und Patterson taxierten.
„Ein kleiner Zwerg wie du sollte lieber nicht so große Töne spucken, Patterson!“, spie Jonathan plötzlich aus.
„Und du glaubst, ein aufgeblasener Gryffindor wie du kann mir Vorschriften machen, Knaggs?“, hauchte Patterson. Sam lief ein Schauer über den Rücken, als er anfing zu sprechen. Seine Stimme war so leise und ruhig. Geradezu zum Fürchten.
„Du weißt nicht, worauf du dich einlässt!“, knurrte Jonathan.
„Ich bezweifle, dass du weißt, was du hier ins Rollen bringst!“, sagte Patterson leise, dennoch hörte man seine Worte bis in den letzten Winkel des Kerkers.
Sam warf einen Blick zu Melanie, die entgeistert zwischen den beiden Jungen hin und her schaute.
'Tu etwas!', bedeutete sie ihr stumm. Melanie hob verzweifelt die Schultern. Sie sahen beide schon kommen, dass sich die beiden Parteien gleich angriffen. Melanie trat einen Schritt vor, legte Patterson die Hand auf den Arm und murmelte: „Lass uns damit aufhören...“
Doch Patterson brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Slytherins und Gryffindors warfen sich gegenseitig die bösesten Blicke zu, zu denen sie fähig waren und jeder der Schüler hatte seinen Zauberstab umklammert, auch wenn sie noch nicht mal dazu in der Lage waren einen Fluch auszusprechen.
„Wie du willst, Patterson. Von dieser Minute an, wirst du keine ruhige Minute mehr haben!“, versprach Jonathan mit einem gemeinen Lächeln.
„Ich werde dir die Schule zur Hölle machen!“, sagte Patterson und seine dunkelblauen Augen blitzten böse auf.
Gabriel trat einen Schritt vor und verschränkte ebenfalls die Arme.
„Ihr wollt alle Krieg? Könnt ihr haben!“, drohte er und warf einen Blick in die Runde, ob sich nicht doch jemand zurückziehen wollte. Da trat das blonde Slytherinmädchen vor, stemmte die Arme in die Hüften, warf ihre Locken schwungvoll über die Schulter zurück und lächelte: „Wir sind keine Feiglinge! Wir nehmen eure Kriegserklärung an!“
„Schön!“, fauchte Roger.
„Gut!“, zischte eine Slytherin mit rotem Bob.
Sie standen sich gegenüber und knurrten und stierten sich an wie Piraten, die kurz davor waren ihre Schiffe zu entern. Plötzlich ging die Tür zu Professor Melvilles Büro auf und der junge Lehrer trat mit einem Stapel Schachteln in den Armen, der ihm die Sicht nahm, in den Kerker.
„Setzt euch doch bitte, dann beginnen wir mit dem Unterricht!“, sagte er und manövrierte auf seinen Tisch zu. Die Schüler zerstreuten sich schnell und schauten sich von ihren Plätzen aus giftig an. Vermutlich wäre jedem anderen Lehrer aufgefallen, dass etwas Seltsames vorgefallen sein musste, wenn die Klasse derartig ruhig war. Doch es war Professor Melvilles erstes Jahr im Amt und er schien lediglich froh zu sein, dass sie so brav seinen Unterricht verfolgten. Er wies sie an, sich eine Schachtel mit Zaubertrankzutaten von seinem Tisch zu holen, und dann begannen sie damit, einen einfachen Vergesslichkeitstrank zu brauen.
Sam stieß Jonathan an, der viel zu sehr damit beschäftigt war, sich mit Patterson böse anzustarren als zu arbeiten.
„Wie ist denn das überhaupt passiert?“, wollte sie wissen.
„Ach, Patterson, dieser Mistkerl!“, wetterte Jonathan. Doch offensichtlich war er nicht in der Lage darüber zu sprechen, denn er wandte sich wieder von ihr ab und versuchte sich offenbar daran Patterson mit seinem Blick zu töten. Stattdessen erbarmte sich Millard Sam aufzuklären.
„Wir haben uns eigentlich nur darüber schlapp gelacht, dass die Slytherins alle so schlecht in Zaubertränke sind. Ich meine, du hast ja gesehen, was die in der letzten Stunde fabriziert haben, naja, abgesehen von Wescott...“, erzählte Millard. „Und dann hat Patterson sich eingemischt und wollte wissen, was so lustig ist. Gabriel hat ihm gesagt, sie würden schon eher alle Gift produzieren, als einen ordentlichen Zaubertrank, und Patterson hat erwidert, vielleicht wäre das ja Absicht. Jonathan hat natürlich nachgehakt, darauf hat Patterson gemeint, das wäre eine gute Möglichkeit um nervende Gryffindors loszuwerden, die zu viele Fragen stellen. Ich hab nicht gehört, was er und Jonathan noch geredet haben, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war Gabriel zurückzuhalten, damit er nicht auf Patterson losgeht. Naja, und dann hat Patterson gesagt, Jonathan sollte lieber aufpassen, dass nicht irgend so ein verunglückter Trank über seinem Frühstück ausrutscht... den Rest hast du ja dann mitbekommen...“
Sam fiel vor Empörung der Mund auf.
„Das kann er doch unmöglich ernst gemeint haben!“, sagte sie.
„Tja, selbst wenn nicht, sollte er sein Maul nicht so weit aufreißen...“, murmelte Millard. „Ich denke nicht, dass sie ein Gift hinbekommen, das uns wirklich schaden würde, aber wir sollten trotzdem erst mal auf der Hut sein.“
Als die Gryffindors schließlich in der Großen Halle saßen und ihr Mittagessen zu sich nahmen, achteten sie penibel darauf keinen Slytherin in die Nähe ihres Mahls zu lassen. Nicht dass sie wirklich glaubten, Patterson oder einer der anderen Erstklässler hätte den Mumm sein Versprechen wirklich wahr zu machen, doch es war besser vorsichtig zu sein bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten.
Sam hatte freien Blick auf den Haustisch der Hufflepuffs. Sie winkte Serena zu, die mit ihrem ganzen Jahrgang am Tisch saß und lachte und redete. Wie es schien, hatte sie sich gut eingelebt. Allgemein sah es so aus, als passten die Hufflepuff-Erstklässler sehr gut zusammen. Wo immer man sie sah, liefen sie in einer großen Gruppe herum und man traf kaum einen von ihnen allein. Zudem hatte Hufflepuff bereits jetzt die wenigsten Hauspunkte im Kampf um den Hauspokal. Schuld daran waren, wie Sam wusste, der rotlockige Max Brassington und der dunkelhäutige Owen Jenkins, ein Unruhestifter-Duo, das bereits jetzt den legendären Weasley-Zwillingen Konkurrenz machte. Sam hatte den abgesperrten Quadratmeter Sumpf in einem der Korridore gesehen über dem ein Schild angebracht worden war und Professor Flitwick hatte ihnen die Geschichte dazu erzählt, als Millard danach gefragt hatte.
Serena kam vom Hufflepuff-Tisch herübergehüpft und ließ sich strahlend neben Sam nieder.
„Hallo Cousinchen!“, grüßte sie fröhlich.
„Hey, Serena! Wie geht's dir?“, sagte Sam und umarmte sie. „Du hast ja schon ganz schön viele Freunde gefunden!“
„Tja, und du bist jetzt also in Gryffindor! Junge, Junge, Sam, mich hat's echt umgehauen!“, sagte Serena bewundernd und sah am Gryffindor-Tisch auf und ab. „Bist jetzt mit den großen Jungs unterwegs?“
„Im wahrsten Sinne des Wortes!“, kicherte Sam. „Wie gefällt dir der Unterricht?“
„Ich finde es super! Mann, oh Mann, Mum hat echt einiges verschwiegen, als sie von Hogwarts erzählt hat! Ich bin total gut in Zaubertränke! Und Professor Seaver ist ja wohl richtig klasse! Ich meine, wir haben Verteidigung gegen die dunklen Künste bei einem echten Auror! Gibt es was Besseres?“, erzählte Serena begeistert.
„Ja, Professor Seaver ist wirklich gut“, nickte Sam.
„Nur in Verwandlung bin ich richtig schlecht...“, murmelte Serena niedergeschlagen.
„Ich auch“, sagte Sam und fing an zu lachen. „Professor Bagley hasst mich. Hab's mir in der ersten Stunde mit ihm verscherzt!“
„Er macht mir totale Angst. Ich kann mich gar nicht konzentrieren, wenn er so durch die Reihen schleicht“, sagte sie niedergeschlagen.
„Geht mir nicht anders“, seufzte Sam.
„Hey, weißt du was?“, rief Serena und schlug ihr vor Übermut hart auf den Arm.
„Au!“, sagte Sam und rieb sich die schmerzende Stelle. „Nein, was denn?“
„Alexis!“, rief Serena und ihre Stimme überschlug sich fast.
Sam blickte sie verdutzt an.
„Ja, Alexis ist dein Bruder?“, sagte Sam langsam.
Serena schlug ihr nochmal auf den Arm.
„Das weiß ich!“, lachte sie. „Nein! Er hat gezaubert! Und zwar so richtig! Mum hat mir einen Brief geschickt! Du kennst doch Porter und seine Clique, die ihn immer ärgern?“
Sam nickte.
„Letztes Mal hat er sie einfach weggestoßen und zwar mit Magie! Er hat sie alle umgehauen! Sie sind einfach liegengeblieben. Mum musste sie mit einem Zauber aufwecken. War echt übel!“, erzählte Serena belustigt. „Das heißt, er kommt ganz sicher nach Hogwarts! Ich freu mich ja schon so!“
„Serena, kommst du? Professor Seaver wartet nicht gern!“, rief ein stämmiger schwarzhaariger Hufflepuff ihrer Cousine zu.
„Bin gleich da, Forest!“, rief Serena. „Also, ich muss los! Wir sehen uns!“
Serena küsste Sam auf die Wange und rannte zu der große Gruppe aus Hufflepuffs, die bereits wartete um mit ihr zum Unterricht zu gehen.
Erst am Abend kehrte Sam nach einem langen Ausflug mit Gabriel, Millard und Jonathan von den Ländereien zurück in den Gemeinschaftsraum. Sie war kaum eingetreten, da kam auch schon Maggie auf sie zu.
„Du hast eine Eule!“, sagte sie lächelnd und zeigte auf einen kleinen Steinkauz auf dem Fensterbrett.
„Nella!“, sagte Sam erstaunt und ging auf Melanies Eule zu. Sie nahm ihr den Brief ab und setzte sich gleich ans offene Fenster um ihn zu lesen.
Liebe Sam, schrieb Melanie,
nachdem was in der Zaubertrankstunde passiert ist, weißt du, wieso wir uns nicht mehr treffen können. Ich würde gerne mit dir reden. Ich vermisse dich sehr. Komm heute Nacht ins Pokalzimmer, das ist nie abgeschlossen.
Alles Liebe,
deine Mel
Sie schaute über die Ländereien. Der Sonnenuntergang war wunderschön. Die glühend rote Scheibe versank in den Wipfeln der Tannen des Verbotenen Waldes. Draußen bellte ein Hund. Dann öffnete sich die Tür der kleinen Hütte, in der der Wildhüter von Hogwarts lebte, und der bärtige Riese trat heraus, gefolgt von einem großen schwarzen Hund. Sam beobachtete wie er eine Armbrust schulterte und dann auf den Wald zu stapfte. Sie seufzte sehnsüchtig. Vielleicht würde sich ja Melanie dazu überreden lassen einmal mit ihr in den Wald zu gehen.
„Sam? Kommst du zu uns?“
Sam sah auf. Gabriel war plötzlich neben ihr aufgetaucht und sah sie mit seinen glitzernden hellblauen Augen an.
„Klar!“, antwortete sie und ließ sich von ihm hochziehen.
Sie setzte sich auf ein Sofa neben Gabriel und Jonathan und warf Melanies Brief in hohem Bogen in das Feuer das im Kamin prasselte. Immerhin sollte niemand erfahren, dass sie vorhatte, sich nachts raus zu schleichen. Millard saß zu ihren Füßen, lehnte am Polster und las in einem dicken Buch auf seinen Knien. Sam stupste ihn leicht mit dem Fuß an.
„Was machst du, Millard?“, fragte sie neugierig. Im selben Moment fing Jonathan an zu glucksen.
„Er versucht, Haushaltszauber zu lernen!“, antwortete er ihr.
„Was, jetzt schon?“, kicherte Sam.
Millard nickte abwesend.
„Du weißt aber, dass wir außerhalb der Schule nicht zaubern dürfen, bis wir volljährig sind?“, erwähnte sie nebenbei. Millard klappte das Buch mit einem lauten Knall zu, der die anderen im Gemeinschaftsraum zusammenzucken ließ und sah sie entgeistert an.
„Und das konnte mir keiner von euch vorher sagen?!“, rief er.
„Entschuldige!“, lachte Sam und wuschelte durch sein ohnehin immer strubbeliges Haar.
„Vielleicht solltest du was anderes lernen!“, schlug Gabriel vor.
„Was denn?“, wollte Millard wissen.
„Was Nützliches!“, antwortete Jonathan.
„Und Haushaltszauber sind nicht nützlich?“, entgegnete Millard.
„Nö“, sagte Sam.
„Stimmt, hast du mal in Sams Tasche gesehen? Es sind erst ein paar Wochen und da drin herrscht Chaos!“, feixte Gabriel.
„Warum guckst du denn überhaupt in meine Tasche?“, fragte Sam aufgebracht.
„Ich hab das Zaubertränkebuch im Unterricht gebraucht!“, antwortete Gabriel arglos.
„Nimm deine Bücher doch selber mit!“, sagte Sam und streckte ihm die Zunge raus.
„Abgesehen von Zaubertränke, Astronomie und Verteidigung hast du doch auch nie eins dabei!“, konterte Gabriel.
Es dauerte eine ganze Weile bis sich der Gemeinschaftsraum leerte. Die Mädchen verließen den Gemeinschaftsraum recht bald. Die Jungen gingen etwas später in die Schlafsäle. Kurz vor elf waren nur noch einige ältere Schüler im Gemeinschaftsraum. Erst als die Standuhr viertel nach elf schlug waren alle weg. Sam stand auf und lauschte. Es war vollkommen ruhig. Jetzt konnte sie sich unbemerkt hinaus schleichen. Sie musste nur aufpassen, dass kein Lehrer sie erwischte. Leise ging sie auf das Portraitloch zu, dann hörte sie ein Knacken. Erschrocken blieb sie stehen und drehte sich um. Es war niemand zu erkennen. Wahrscheinlich war es ein Scheit im Feuer gewesen. Doch dann hörte sie es wieder, diesmal war es mehr ein Scharren. Einen Moment später kam ein riesiger silberner Kater hinter einem Sofa hervor.
„Silver!“, stöhnte Sam und nahm ihn auf den Arm. „Du hast hier nichts verloren!“
Sie trug ihn hinüber zu der Wendeltreppe, die zu den Jungenschlafsälen führte und setzte ihn dort ab.
„Und jetzt geh zurück zu Millard, damit ich endlich von hier verschwinden kann!“, flüsterte sie dem Kater zu. „Husch! Geh schon!“
„Verschwinden? Was hast du denn vor?“, sagte eine Stimme.
Sam erschrak und wirbelte herum. Ihr Blick fiel auf ein paar Füße am Ende der Treppe zu den Mädchenschlafsälen. Sie sah langsam daran auf. Maggie stand vor ihr.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel