von DoubleTrouble
Maggie strich Merlina lobend über das braune Gefieder und gab ihr etwas von ihrem Toast zu knabbern. Dann öffnete sie ihren Brief.
Liebe Maggie, stand da in Mums gerader Handschrift.
Wie geht es dir? Hast du dich schon gut in Hogwarts eingelebt? Wir sind alle ganz gespannt, in welches Haus du gekommen bist. Thomas und Sophie haben sogar eine Wette abgeschlossen. Sophie sagt, du bist nach Ravenclaw gekommen und Thomas sagt Hufflepuff. Der Einsatz sind Schokofroschkarten von Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger.
Elizabeth hat uns in den letzten Nächten oft wach gehalten – ich glaube, sie bekommt einen Zahn. Allerdings scheint ihr der Schlafmangel nicht viel auszumachen, sie krabbelt durch das ganze Haus und lutscht mit Vorliebe an Jacobs Eisenbahn herum. Jacob hat einen seiner Wutanfälle gekriegt und Elizabeths Schnuller schrumpfen lassen, sodass er am Ende winzig klein war. Wenigstens gehen Leah und Sophie sich nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit an die Kehle. Rachel sagt, sie wolle jetzt auch lesen und schreiben lernen, aber momentan weiß ich wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Ich überlege, ob wir die Kinder nicht doch in die normale Grundschule schicken sollten. Zwar unterrichte ich Thomas, Sophie und Leah jeden Morgen ein paar Stunden, aber ich muss mich ja auch noch um den Haushalt und um die Kleineren kümmern.
Dad hatte diese Woche mal wieder Ärger mit seiner Kollegin, dieser Kimmkorn. Offenbar ging es darum, dass der Tagesprophet einen großen Artikel über die Aurorenzentrale und Harry Potter bringen will, und Rita Kimmkorn hat sich sofort diesen Artikel geschnappt, mit der Begründung, sie sei schon viel länger beim Tagespropheten und habe den besseren Draht zu Harry Potter. Dabei weiß sie ganz genau, dass Dad diese Reportage wirklich gern schreiben wollte. Aber das ist ja eigentlich nichts neues, diese Frau hat ja immer schon mit Dad konkurriert.
Ich soll dich von Oma Gunhilda und Opa Gerard grüßen. Die beiden waren am Mittwoch zum Tee hier und wollten dann weiter reisen zu Onkel Martin und Tante Hilda. Apropos, wie geht es denn Susan?
Ganz liebe Grüße, auch von Dad und deinen Geschwistern,
Mum
Maggie schluckte und versuchte, den Kloß loszuwerden, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Kendra neben ihr schluchzte leise und wurde von Samara getröstet.
Maggie konnte sie verstehen. Auch sie hatte plötzlich Sehnsucht nach ihren Geschwistern und ihrem Zuhause, nach dem großen Garten und vor allem nach ihren Eltern.
Kendra und Samara standen auf und gingen hinaus. Maggie überlegte, ob sie ihnen folgen sollte, doch Merlina pickte ihr unsanft in den Finger und verlangte nach einem weiteren Stück Toast.
Nach dem Frühstück setzte Maggie sich Merlina auf die Schulter und ging hinaus in die Eingangshalle. Vor der großen Gedenktafel blieb sie einen Moment lang stehen und betrachtete die vielen Namen der Menschen, die im Kampf gegen das Böse gestorben waren. Ihre eigene Familie hatte keine Verluste zu beklagen gehabt. Maggie konnte sich auch gar nicht mehr richtig an diese Zeiten erinnern, immerhin war sie erst fünf Jahre alt gewesen, als Tom Riddle wieder richtig an die Macht kam, und sieben, als Harry Potter und seine Freunde ihn besiegten. Sie wusste nur noch, dass ihre Eltern ständig blass und besorgt aussahen und dass Mum jeden Abend nervös auf Dad wartete, der in London in der Redaktion des Tagespropheten arbeitete. Nach Rachels Geburt im Februar war Dad ganz zuhause geblieben und hatte gekündigt. Doch schon ein paar Monate später war die Schreckenszeit vorbei, Dad bekam seine Arbeit wieder und sie durften wieder außerhalb des Hauses spielen.
Obwohl Dad nie darüber sprach, wusste Maggie, dass er es beim Tagespropheten sehr schwer gehabt haben musste nach der Machtübernahme durch die Todesser. Kurz zuvor hatte er eine Reportage über den damaligen Zaubereiminister Rufus Scrimgeour geschrieben, für die er eigentlich den Jährlichen Journalismuspreis des Zaubereiministeriums bekommen sollte. Doch kurz vor der Preisverleihung übernahmen die Todesser das Zaubereiministerium und Rita Kimmkorn bekam den Preis für ihre verlogene Biographie über Albus Dumbledore. Vieles wusste Maggie von den alten Zeitungsausschnitten, die Dad in einer Mappe in seinem Schreibtisch aufbewahrte, anderes hatte sie sich zusammengereimt.
Merlina knabberte sanft an ihrem Ohrläppchen und brachte sie in die Gegenwart zurück.
„Schon gut“, murmelte Maggie und setzte Merlina auf die andere Schulter, „komm, ich zeig dir meinen Gemeinschaftsraum.“
Im Gemeinschaftsraum der Gryffindors war nicht viel los, die meisten genossen den freien Tag auf dem Schulgelände. Einige der älteren Schüler hockten seufzend und stöhnend da und schrieben Aufsätze und übten komplizierte Verwandlungszauber an Nadelkissen.
Maggie suchte sich einen freien Tisch und holte Pergament und Tinte.
Hallo ihr zuhause,
Mir geht es gut. Stellt euch vor, ich bin nach Gryffindor gekommen! Ich war erst ganz geschockt, aber eigentlich gefällt es mir hier ganz gut. Tut mir Leid für Thomas und Sophie. Jetzt haben sie ja beide verloren.
Der Unterricht ist sehr interessant. In Verwandlung und Zauberkunst habe ich schon Hauspunkte gesammelt! Unser Hauslehrer heißt Professor Longbottom. Er unterrichtet Kräuterkunde und ist sehr freundlich. Außerdem war er mal Auror und ist mit Harry Potter befreundet. Schade, dass Dad nicht den Artikel über die Aurorenzentrale schreiben darf.
Astronomie gefällt mir gar nicht. Das haben wir Donnerstagnacht oben auf dem Astronomieturm und der ist furchtbar hoch. Außerdem ist die Brüstung meiner Meinung nach viel zu niedrig. Aber die Wendeltreppe ist am schlimmsten, durch die Stufen kann man durchgucken und mir ist ganz schlecht geworden. Aber zum Glück hat mir Samara geholfen. Sie ist auch in Gryffindor und scheint ganz nett zu sein.
Susan geht es gut, aber wir sehen uns nicht oft.
Ganz liebe Grüße an euch alle! Ich gehe jetzt noch in die Bibliothek, die ist nämlich wunderschön!
Eure Maggie
Maggie las sich noch einmal durch, was sie geschrieben hatte, dann nickte sie kurz und versiegelte den Brief. Sie band ihn sorgfältig an Merlinas Bein fest und trug sie zum offenstehenden Fenster.
„Mach’s gut“, flüsterte sie und strich ihr noch einmal sanft über das Gefieder, dann ließ sie sie davonfliegen.
„Hi“, sagte jemand hinter ihr. Erschrocken drehte Maggie sich um und blickte in das freundlich lächelnde Gesicht eines großen Jungen mit glatten braunen Haaren und ziemlichen Hautproblemen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher.
„Ich bin Eugene Goodwill“, stellte er sich vor. Jetzt fiel es ihr wieder ein – am ersten Abend hatte Professor Sprout ihn als Schulsprecher vorgestellt. Aber warum sprach er jetzt mit ihr?
„Und wie heißt du?“, fragte Eugene weiter, als Maggie weiterhin schwieg.
„Ähm – Maggie“, sagte sie und wurde rot.
Eugene lächelte immer noch freundlich.
„Und, gefällt es dir hier?“, fragte er.
„Oh, ja, natürlich!“, beeilte Maggie sich zu antworten und kam sich vor wie eine dumme kleine Erstklässlerin.
„Das freut mich“, sagte Eugene. „Wie du vielleicht weißt, bin ich der Schulsprecher, also, wenn du Hilfe brauchst oder einfach jemanden zum Reden, dann komm einfach zu mir, ich helfe dir gerne!“
„Danke“, antwortete Maggie ein wenig verwirrt.
Eugene lächelte ihr noch einmal zu, dann ging er hinüber zu seinen Freunden. Eine Weile beobachtete Maggie ihn. Zwei Dinge fielen ihr besonders auf – er schien unheimlich beliebt zu sein, denn ständig kamen Schüler vorbei und begrüßten ihn oder unterhielten sich kurz mit ihm, und selbst als ein Zweitklässler ihn eine halbe Stunde lang belagerte und seine Freunde genervt die Augen verdrehten, blieb Eugene gleichbleibend freundlich und geduldig. Außerdem konnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, nicht einmal zwei Viertklässler, die sich über seinen Kopf hinweg ein Fangzähniges Frisbee zuspielten. Schließlich stand er auf und konfiszierte das Wurfgerät, aber dennoch hatte Maggie das Gefühl, dass er das nicht aus Rachegefühlen tat, sondern weil es seine Pflicht als Schulsprecher war. Was sie allerdings erstaunte, war die Reaktion der Viertklässler. Anstatt lautstark zu protestieren, händigten sie Eugene lammfromm das Frisbee aus und gingen friedlich ihrer Wege.
Maggie schüttelte verwundert den Kopf, doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie eigentlich in die Bibliothek gehen wollte.
Madam Pince sah misstrauisch von ihrem Pult auf, als Maggie die Tür öffnete.
„Wieso bist du denn nicht draußen?“, fragte sie lauernd.
Maggie lächelte verlegen.
„Es gefällt mir hier so gut“, gab sie zu. „Außerdem wollte ich Sie fragen, ob Sie Bücher über die Schlacht von Hogwarts und die Dunklen Zeiten haben.“
„Aber natürlich!“ Von Madam Pince fiel jegliches Misstrauen ab und sie beeilte sich, Maggie einen großen Bücherstapel zu bringen.
Zufrieden lächelnd sah die Bibliothekarin dabei zu, wie Maggie ein Buch nach dem anderen verschlang und sich kaum losreißen konnte.
„Weißt du“, seufzte sie, als Maggie sich schließlich bedankte und verabschiedete, „in deinem Alter war ich genauso ein Bücherwurm wie du. Du erinnerst mich wirklich an mich selbst.“
Das gab Maggie zu denken, als sie sich auf den Weg nach unten zum Essen machte. Hieß das, dass sie eines Tages genauso enden würde wie Madam Pince – als alte Jungfer in der Schulbibliothek? Doch dann dachte sie an die vielen spannenden Bücher.
Vielleicht, überlegte sie, war das ja gar nicht so übel.
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