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Das Geheimnis der sieben Siegel - Der Beginn einer neuen Ära - Strafe muss sein

von DoubleTrouble

Als Sam am nächsten Morgen erwachte, bekam sie fast Kopfschmerzen, wenn sie an die Ereignisse des letzten Tages dachte. Sie hatte Maggie in Kräuterkunde Drachenmist ins Gesicht geschleudert, war frech zu Professor Longbottom gewesen und hatte sich damit Nachsitzen eingehandelt. Dann hatte sie das Halloweenfestessen verpasst, weil sie die weinende Maggie aus Myrtes Klo hatte abholen müssen und hatte sich wieder mit ihr gestritten, bis dieser seltsame Vermummte aufgetaucht war und sie mitbekommen hatten, wie er einen der älteren Schüler weitab der Großen Halle bedroht hatte. Tja, und dann hatte sie gemerkt, dass Maggie in Wahrheit überhaupt nicht so blöd war, wie sie gedacht hatte. Sie hatte sich entschuldigt, die wahrscheinlich schwerste Entschuldigung ihres bisherigen Lebens über die Lippen gebracht, und plötzlich hatten sie sich miteinander vertragen. Es war, als wäre ein Wirbelsturm durch ihren Kopf gerauscht und hätte ihr mit einem Mal Klarheit verschafft.
Sam stieg aus dem Bett und bemerkte, dass sie die letzte im Schlafsaal war. Die anderen Mädchen waren wohl schon beim Frühstück. Sie schlüpfte rasch in ihre Kleider und ging sich waschen. Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Die Gesichter der anderen Mädchen, als sie Maggie und sie so einträchtig zusammen auf dem Bett hatten sitzen sehen, waren einfach grandios gewesen. Zwar hatte sie immer noch ein schlechtes Gewissen, weil sie so gemein zu Maggie gewesen war, doch wenigstens hatte sie jetzt die Gelegenheit alles wieder gut zu machen.
Als sie zurück in den Schlafsaal kam, saß eben diese wartend auf dem Bett. Sie sah ein wenig unsicher zu Sam, als würde sie überlegen, ob sie sich gestern nur einen Spaß mit ihr erlaubt hatte und sie heute wieder fies zu ihr war.
„Guten Morgen!“, flötete Sam und lächelte sie breit an.
„Guten Morgen...“, entgegnete Maggie und fing an ihre Hände zu kneten.
„Was?“, grinste Sam und warf ihr Waschzeug aufs Bett. „Dachtest du, ich war gestern betrunken?“
„Ich - also, du - Quatsch, natürlich nicht!“, stammelte Maggie und fuhr sich durchs Haar. Sam fing an zu glucksen und zog ihren Schulumhang an.
„Lass uns zum Frühstück gehen. Ich fall gleich um vor Hunger!“, rettete Sam die peinliche Situation und streckte ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Maggie ergriff sie lächelnd und ließ sich von ihr aufziehen. Dann machten sie sich auf den Weg nach unten.

„Das mit gestern...“, setzte Sam an, als sie die Große Halle betraten und auf den Gryffindortisch zusteuerten. „Also das war... das war wirklich...“
Maggie sah sie verschmitzt von der Seite an und meinte schlicht: „Hör auf mit den Entschuldigungen, Sam. Du hast es einmal über dich gebracht, das war schon mehr, als man von dir erwarten konnte.“
„Danke!“, sagte Sam mit einer Grimasse aus Erleichterung und Schmollen. Maggie pikste sie kichernd in die Seite. Sam sah die blonden Jungen in der Mitte des Tisches sitzen und winkte ihnen zu, als sie zu ihnen herübersahen.
„Komm, wir setzen uns zu Gabriel, Millard und Jonathan!“, sagte Sam und zog Maggie an der Hand mit sich.
„Meinst du wirklich?“, meinte Maggie und folgte ihr widerstrebend. Sam nickte heftig und setzte sich mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ neben Gabriel auf die Bank. Die Jungen bemerkten Maggie mit großen Augen und tauschten erstaunte Blicke.
„Seid ihr - habt ihr - ?“, stammelte Millard perplex.
„Uns vertragen? Ja!“, nahm Sam ihm die Worte aus dem Mund und schenkte ihnen heißen Tee ein, während Maggie sich ein Brötchen mit Marmelade bestrich. Jonathan fing plötzlich an zu strahlen, stand auf und umarmte sie beide von hinten. Die Mädchen fingen an zu lachen und der große Blonde ließ sich neben Maggie nieder.
„Aber - aber wieso denn auf einmal?“, sagte Jonathan überrascht und konnte sich nicht entscheiden, wen von beiden er angrinsen sollte.
„Manchmal hat man einfach keine Wahl!“, feixte Sam und butterte sich ihr Brot. Sie und Maggie hatten am Abend zuvor beschlossen, erst mal niemandem von ihrer seltsamen Beobachtung zu erzählen, bis sie wussten, was dahintersteckte.
Nach dem Frühstück stand erst mal eine Stunde Geschichte der Zauberei auf dem Plan. Sam erkannte, dass es jetzt, da sie mit Maggie während der Stunde in der letzten Reihe gedämpft plaudern konnte, gar nicht mehr so öde war. Das war die beste Geschichtsstunde, die sie bisher erlebt hatte.
Gleich darauf bekam ihre gute Laune allerdings einen kräftigen Dämpfer. Die Doppelstunde Verwandlung bei Professor Bagley war wieder der blanke Horror. Obwohl der Feldwebel, wie Millard und Sam ihn mittlerweile heimlich getauft hatten, an diesem Morgen nicht wie sonst unheilvoll durch die Reihen schlich, sondern sie von seinem Platz aus anschnauzte, bekam es Sam nicht im geringsten hin, ihren Pinsel in einen Bleistift zu verwandeln.
Niedergeschlagen stapfte sie mit Maggie zu den Gewächshäusern hinunter.
„Jetzt sei doch nicht so mürrisch! Ich helfe dir in Verwandlung, wenn du magst!“, sagte Maggie aufmunternd und legte ihr den Arm um die Schultern.
„Das bringt doch nichts! Es liegt an Bagley! Wenn er dabei ist, kann ich mich auf keinen Zauber konzentrieren!“, jammerte Sam und stieß die Tür zum Gewächshaus auf. Maggie seufzte und strich ihr trostspendend über den Rücken. Sie traten ein und sahen sich sogleich einem vollkommen perplex dreinsehenden Professor Longbottom gegenüber.
„Morgen, Professor...“, murrte Sam im Vorbeigehen.
„Guten Morgen, Sir!“, sagte Maggie hingegen freundlich und ließ sich dann neben Sam an einem Beet nieder, wo sie Salbeisetzlinge einpflanzen sollten. Die Mädchen mussten beide grinsen, als der junge Professor sie mit leicht geneigtem Kopf an die Tür gelehnt beobachtete und wartete, dass der Rest der Klasse eintraf. Und auch dort gab es überraschte Gesichter. Vor allem Serena klappte der Mund weit auf, als sie die beiden zusammen plaudernd auf der Erde knien sah.

„Hast du gesehen, wie hoch meine Feder geflogen ist?“, sagte Maggie begeistert. Sam ließ sich auf die Bank plumpsen und zog die Kanne mit dem Kürbissaft zu sich her.
„Danke, dass du mir geholfen hast, meine Feder überhaupt zum Schweben zu bringen“, lächelte sie. Maggie winkte gelassen ab.
„Dafür sind Freunde da, oder nicht?“
Sams Lächeln wurde gequält.
„Schon... aber so fies wie ich zu dir war, hab ich das eigentlich überhaupt nicht verdient...“, seufzte Sam. Maggie stieß sie leicht an und kicherte dann: „Diese neue, einsichtige Sam gefällt mir irgendwie!“
Sam streckte ihr frech die Zunge raus und entgegnete: „Naja, das hier ist auch Sam und nicht Samara.“
Maggie brach in heiteres Glucksen aus, doch bevor sie etwas erwidern konnte, rauschte eine der Schulschleiereulen über den Tisch und landete direkt vor ihnen.
„Na, wohin willst du denn?“, sagte Maggie zu der Eule und besah sich den Umschlag an ihrem Bein. „Hey, Sam, die ist für dich!“
„Was? Wer sollte mir denn schreiben?“, sagte Sam überrascht und band den Brief los. „Mum hätte doch sicher Philo...mena... geschickt...“
Als ihr Blick auf den Umschlag fiel, wurde sie immer langsamer. Sie stöhnte auf, noch bevor sie ihn aufriss und das Pergament herausnahm. Ihr schwante Übles. Unter ein paar kurzen Sätzen prangte der schwungvolle Schriftzug von Professor Longbottom.
"Was? Was ist?", drängte Maggie. Sam warf ihr das Blatt hin und raufte sich das Haar. Maggie nahm den Brief vom Tisch und las ihn mit gedämpfter Stimme: „Sehr geehrte Miss Banister, Ihre Strafarbeit wird heute Nacht um neun Uhr beginnen. Mr Filch wird Sie zur Sperrstunde vor Ihrem Gemeinschaftsraum abholen. Mit freundlichen Grüßen, Professor Neville Longbottom... Oh... daran hatte ich gar nicht mehr gedacht...“
Sam zog ihr das Pergament aus den Händen, rollte es zusammen und stopfte es in ihren vollen Kelch.
„Los, sag es!“, forderte Sam.
„Was soll ich sagen?“, fragte Maggie verwirrt.
„Daran bist du selbst schuld, Sam. Du verdienst, was du bekommst. Da musst du eben durch“, zählte Sam gestikulierend auf. Maggie zuckte mit den Schultern.
„Naja, vielleicht solltest du das nächste Mal erst über die Konsequenzen nachdenken, bevor du so etwas tust“, meinte Maggie nüchtern. Sam verdrehte die Augen und schob ihren Kelch von sich weg.
„Mr Filch wird Sie zur Sperrstunde vor ihrem Gemeinschaftsraum abholen“, zitierte Sam aus dem Kopf. „Bestimmt darf ich die ganze Nacht die Bettpfannen im Krankenflügel polieren oder die Gänge schrubben!“
„Es gibt mit Sicherheit Schlimmeres, als Bettpfannen zu schrubben“, sagte Maggie.
„Ach, ja? Was denn zum Beispiel?“, wollte Sam mürrisch wissen.
„Zum Beispiel Drachenmist im Gesicht zu haben!“, antwortete Maggie augenzwinkernd. Sam zog eine Schnute.
„Wie lange muss ich mir das noch anhören? Nur aus Neugier...“, fragte sie betreten.
„Oh, ich weiß nicht. Vielleicht hör ich damit auf, wenn wir unsere ZAGs haben“, entgegnete Maggie frech.
Sie standen auf, schulterten ihre Taschen und machten sich auf den Weg zur Bibliothek, wo sie den Aufsatz für Professor Binns schreiben wollten.
„Vielleicht musst du ja gar nicht putzen“, sagte Maggie zuversichtlich.
„Gut, ich hasse putzen!“, brummte Sam.
„Vielleicht holt er dich ja nur ab und bringt dich zu Professor Longbottom in eines der Gewächshäuser“, vermutete Maggie, als sie die Bibliothek betraten.
„Ganz toll! Dann lässt er mich zur Strafe wahrscheinlich im Drachenmist wühlen, bis ich den Gestank nie wieder loswerde!“, beschwerte sich Sam und trottete lustlos hinter Maggie her. Die blieb schmunzelnd an einem der Bücherregale stehen und zog zielsicher einen dicken Lederband heraus. Sam vermutete, dass Maggie die meiste Zeit außerhalb des Unterrichts hier verbracht hatte und sich deshalb genau in Madam Pinces Reich auskannte.
„Das gönnst du mir, oder?“, sagte Sam niedergeschlagen.
„Nein, aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich es nicht gutheißen würde!“, sagte Maggie spitz und verschwand eine Regalreihe weiter in Richtung der Tische. Sam fuhr sich durchs Haar und schüttelte den Kopf. Sie hatte ja Recht. Niedergeschlagen schlurfte sie ihr hinterher und ließ sich neben sie auf einen Stuhl der Schreibtische fallen.
„Hallo Magdalene!“, grüßte Madam Pince, Hogwarts‘ Bibliothekarin, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raubvogel hatte, ungewohnt freundlich, als sie Maggie erkannte.
„Guten Tag, Madam Pince!“, grüßte Maggie fröhlich zurück und schenkte ihr ein Lächeln.
„Sag bloß, du hast dich mit dieser Schreckschraube angefreundet!“, staunte Sam, als Madam Pince hinter einer weiteren Regalreihe verschwand.
„So schrecklich ist sie gar nicht!“, erwiderte Maggie beleidigt und schlug das Buch auf, um mit dem Aufsatz zu beginnen.

Am Abend war es dann soweit. Sam verließ mit bangem Blick auf Maggie den Gemeinschaftsraum, eingewickelt in ihrem warmen Winterumhang. Maggie hatte ihr die ganzen Stunden davor aufmunternd zugesprochen und sogar versprochen zu warten, bis sie wieder zurückkam. Sam hatte freundlich abgelehnt. Nur weil sie ihre Strafe absitzen musste, sollte Maggie nicht um ihren Schlaf kommen, ob nun am nächsten Tag Samstag war oder nicht.
Vor dem Portrait der Fetten Dame drehte sich Sam im Kreis und sah ständig den Gang auf und ab. Filch ließ auf sich warten. Sie raffte ihren Umhang enger um sich. Obwohl es im Schloss nicht kalt war, jagte ihr das Grauen vor ihrer Strafarbeit kalte Schauer über den Rücken. Was sich Professor Longbottom wohl für sie ausgedacht hatte?
Plötzlich stand Filch vor ihr. So jäh und lautlos, als wäre er eben aus dem Boden gewachsen. Sam erschrak und wich instinktiv einen Schritt zurück, was Filch ein fieses Grinsen ins Gesicht malte.
„Na, schon Muffensausen, Banister?“, schnarrte er vergnügt. Sam machte eine Bewegung zwischen Nicken und Kopfschütteln. Filch bleckte seine gelblichen Zähne und das, was offensichtlich ein schadenfrohes Grinsen war, wurde auf seinem Gesicht zu einer starren Grimasse. Er forderte sie mit einem Winken auf, ihm zu folgen und machte sich auf den Weg die Treppen hinunter. Sam blieb ein paar Schritte hinter ihm und folgte ihm mit Abstand. Seine staubgraue dürre Katze strich ihm beim Laufen immer wieder um die Beine. Er selbst ging auf seinen knorrigen Gehstock gebeugt, sein Atem rasselte vor Anstrengung.
„Schlaf nicht ein, Mädchen! Ich will nicht den ganzen Abend mit dir vertrödeln!“, murrte er, während sie die Eingangshalle durchquerten. Sam holte ein paar Schritte auf und betrachtete den alten Hausmeister im flackernden Fackellicht.
Seine grauen Haare fielen in dünnen, wirren Strähnen über seine Ohren und rollten sich auf seinem graugemusterten dicken Strickschal auf. Er wirkte angeschlagen. Seine Nase war rot und geschwollen und seiner kratzigen Stimme nach zu urteilen, war er wohl erkältet, was ihm vermutlich diese miese Laune bescherte. Sam hätte beinahe Mitleid mit ihm bekommen, wenn er nicht die Fiesheit in Person gewesen wäre.
Filch zog das Schlossportal auf und zündete die Laterne an, die er mit sich herum schleppte. Sie gingen die sanft abfallende Wiese hinunter. Um sie herum war bereits alles stockdunkel. Es war beinahe Neumond und nur noch eine schmale Sichel leuchtete über dem Eulereiturm des Schlosses am Himmel. Der zittrige Lichtfleck von Filchs Laterne beleuchtete das nasse Gras und verursachte ein mulmiges Gefühl in Sams Magengegend, auch wenn sie nichts Unheimlicheres als Filch entdecken konnte.
Sie wollte schon in Richtung der Gewächshäuser abbiegen, weil sie erwartet hatte, dass der grantige Hausmeister sie dorthin zu Professor Longbottom bringen würde, doch der alte Mann lief stur geradeaus.
„Wo bringen Sie mich hin?“, fragte Sam unsicher. Vielleicht hatte sich Filch ja nur im Weg vertan?
„Zu Hagrid“, antwortete Filch knapp, schaffte es aber seine gesamte Unfreundlichkeit in die wenigen Worte zu packen.
„Nicht zu Professor Longbottom?“, wollte Sam erstaunt wissen.
„Wieso sollte der Professor seine Zeit mit dir verschwenden, Mädchen? Hast du erwartet, du darfst die ganze Nacht seelenruhig durch die Gewächshäuser laufen und Pflänzchen gießen?“, sagte Filch brummig. Die quadratischen Lichtflecke in der Dunkelheit wurden immer größer und Sam konnte schon die kleine Hütte des Wildhüters und Professors für Pflege magischer Geschöpfe erkennen.
„Pah, da hast du dich aber gewaltig geschnitten!“, sagte Filch gehässig und stellte die Laterne vor Hagrids Tür ab. Er hob den Arm und klopfte dreimal dagegen. Dann fügte er mit einem widerlich bösartigen Lächeln und unheilvollem Ton hinzu: „Heute Nacht geht es in den Verbotenen Wald!“
Von drinnen kam ein donnerndes Bellen und schwere Schritte wurden laut.
„Ehrlich? Ich darf in den Wald?“, fragte Sam begeistert und strahlte den Hausmeister an. Der blickte entgeistert zurück und wollte etwas sagen, doch schon wurde die Tür aufgerissen und der riesige bärtige Wildhüter schaute heraus. Ihm folgte pfeilschnell ein großer schwarzer Hund, der sich auf Sam stürzte, sie ins Gras drückte und anfing ihr Gesicht abzulecken. Sam blieb lachend liegen und kraulte ihm die Ohren. Hagrid, der vom Hausmeister ebenfalls nicht angetan schien, wandte sich mit mürrischem Gesichtsausdruck zu ihm um.
„Filch, du Trannase, wieso kommst ‘n so spät? Neville hat gesagt, ihr seid um viertel nach neun da! Jetzt is' halb zehn!“, knurrte Hagrid ihn an. Filch murmelte in beleidigtem Ton ein paar Worte, die sich ganz nach 'Peeves' anhörten.
„Nu', komm mir nich' immer mit diesem Poltergeist! Das is' wohl deine Standardausrede!“, maulte Hagrid ihn an. Sam genoss es, wie der Halbriese den schmächtigen Hausmeister zusammenstauchte. „Kannst dich verzieh ‘n. Ich bring die Kleine dann schon allein ins Schloss zurück!“
„Ach ja, und wie? Soll ich dir einen Sack für ihre Überreste dalassen?“, fragte Filch mit einem gemeinen Lachen. Er wollte Sam augenscheinlich Angst einjagen, doch sie gab nichts auf sein Gerede. Sie hatte schon viel zu lange darauf gewartet endlich einmal den Verbotenen Wald zu erkunden.
„Hör auf! Der Witz ist uralt!“, fuhr Hagrid Filch an. „Das is' nur 'nen Routinerundgang. Da wird nie nix passieren! Un' jetzt mach dich vom Acker und schrubb deine Gänge, oder was du sonst immer machst!“
Filch wandte sich mürrisch von ihm ab, hob seine Laterne auf und machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg zurück zum Schloss.
„Fang! Nu' is' aber ma' gut!“, rief Hagrid seinem Saurüden zu, der nach wie vor über Sam stand und auf ihren Umhang sabberte. Der Hund sprang sofort von ihr weg und fing an aufgeregt auf der Stelle zu tänzeln. Hagrid war mit zwei gewaltigen Schritten bei Sam und hob sie schwungvoll auf die Beine.
„Du bis' also der Übeltäter?“, fragte Hagrid freundlich.
„Ich bin Sam“, antwortete sie.
„Mein Name is' Hagrid. Kannst ruhig du zu mir sagen“, stellte sich der Halbriese vor. Er ging zu seiner Tür, griff um die Ecke und holte eine Armbrust heraus. Dann schloss er seine Hütte ab und sah milde lächelnd auf Sam herab. „Professor Longbottom hat mir dich zur Bestrafung als Helferin für heute Abend gege'm. Wir machen nur einen Routinegang durch den Wald um nachzuschau'n ob alles in Ordnung is'. Mach dir also keine Sorgen, dir kann nichts passieren, wenn Fang un' ich dabei sin'.“
„Oh, ich mach mir keine Sorgen!“, sagte Sam aufgeregt und spürte schon ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Endlich würde sie den Verbotenen Wald sehen! Hagrid zog die Augenbrauen hoch und musterte sie belustigt.
„Also, dann ma' los! Ha'm sowieso schon zu viel Zeit mit diesem vermaledeiten Hausmeister verplempert!“, sagte Hagrid voll Tatendrang und machte sich, Sam und Fang auf seinen Fersen, auf zum Waldrand. Kaum hatten sie die ersten Baumreihen durchquert, wurde es auch schon schwarz um sie herum. Hagrid zog, zu Sams Verwunderung, einen rosa Regenschirm aus seiner Tasche, den er mit einem Schlenker an der Spitze zum Leuchten brachte. Sam wollte schon fragen, was er da tat, da fing Hagrid an zu reden.
„Weißte, eigentlich is' die Strafe gar nich' so übel!“, sagte Hagrid, während sie einen schmalen Pfad entlang gingen.
‚Diese Strafe ist absolut großartig!‘, dachte Sam und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ich denk ma', Neville hat sich daran erinnert, dass er selber ma' bei mir seine Strafarbeit absitzen musste“, erzählte Hagrid weiter. Fang sprang bellend voraus und schnüffelte hier und da mal an einem der Sträucher.
„Professor Longbottom musste schon mal dieselbe Strafarbeit machen?“, fragte Sam verdutzt.
„Ja, war damals auch in der ersten Klasse, so wie du jetzt“, fuhr Hagrid fort. „Ha'm damals ein verletztes Einhorn gesucht, weil Du-weißt-schon-wer hier im Wald rumgeschlichen is' und sie getötet hat, um an ihr Blut zu komm'. Wussten wir damals aber nicht, sonst hätten die Kinners wohl nicht mit rein gemusst. Harry hat's mir dann später erzählt. Ha'm 'nen Höllenschreck damals bekomm' die vier.“
„Die vier?“, hakte Sam nach und sprang über eine knorrige Wurzel.
„Harry Potter, Hermine Granger, Neville Longbottom und Draco Malfoy“, nickte Hagrid und sah sie aus dem Augenwinkel an. Sam gluckste vergnügt. Solche Märchen aus dem Nähkästchen konnte man wohl nur in Hogwarts über den berühmten Harry Potter und seine Gefährten erfahren.
„Was haben die denn angestellt, dass sie Strafarbeiten bekommen haben?“, fragte Sam neugierig.
„Oh, naja, eigentlich war ich mit dran schuld“, gab Hagrid verlegen zu und hob einen Ast hoch, damit Sam darunter durchgehen konnte. „Ich hatte damals - bisschen unerlaubt - mein Drachenbaby Norberta un' Harry und Hermine ha'm sich bereit erklärt, die kleine wegzubring'n damit sie nach Rumänien ins Reservat geschafft werden kann. Jed'nfalls hat Malfoy, der sich mit Harry ständig in den Haar'n lag, das spitz gekriegt' und hat gepetzt. Nu' ja, Neville hat das mitgekriegt un' wollt die zwei warn', bloß wurden sie dann alle vier von Professor McGonagall, der früheren Verwandlungslehrerin erwischt. Tja, un' dann ha'm se alle 'ne Strafarbeit bekomm', weil se nachts im Schloss rumgeschlich'n sin'. Im Grunde dasselbe wie bei dir jetzt.“
Sam, die Hagrid aufmerksam zugehört hatte und dabei versucht hatte, nicht im Gestrüpp hängen zu bleiben, fing lauthals an zu lachen. Hagrid zwinkerte ihr verschmitzt zu und gluckste leise. Sie waren bereits tief in den Wald hinein gegangen. Hagrid sah sich immer wieder um, aber es schien alles in bester Ordnung zu sein. Als Sam schließlich mit dem Umhangsaum in einer Brombeerhecke hängen blieb, mussten sie anhalten, damit sie sich befreien konnte.
„Schätze, Neville hat die Strafarbeit damals halb so wild gefunden. Ist nämlich das Einzige, was er den Schülern aufbrummt, wenn sie was angestellt ha'm. Kommt aber nur selten vor. Das letzte Mal hatt' ich einen letztes Jahr nach Weihnachten. Hatte 'n Klo mit nem Weasleykracher gesprengt und den ganzen dritten Stock unter Wasser gesetzt“, sagte Hagrid und konnte ein heiseres Lachen nicht zurückhalten, solange Sam vergebens versuchte sich aus dem Gestrüpp zu befreien, ohne ihren Umhang in Mitleidenschaft zu ziehen. Irgendwann wurde es ihr aber doch zu dumm und sie riss mit aller Kraft an ihrem Umhang, der mit einem lauten Ratschen zerriss und den kläglich verhedderten Saumfetzen in den Dornen zurückließ. Sam reckte den Kopf in die Höhe und marschierte schnurstracks an Hagrid vorbei, ohne seinen amüsierten Gesichtsausdruck zu beachten.
„Was hast'n du eigentlich ausgefressen, dass ich dich heute mitneh'm muss?“, fragte Hagrid neugierig. Sam steckte verlegen schmunzelnd die Hände in die Taschen und ein leichter Hauch rosa breitete sich auf ihren Wangen aus.
„Hab jemanden im Kräuterkundeunterricht Drachenmist ins Gesicht geworfen...“, sagte sie schulterzuckend.
„Das is' aber nich sonderlich nett!“, tadelte Hagrid sie. „Wieso hast'n das gemacht?“
„Ach, da war dieses Mädchen...“, seufzte Sam und ihr wurde ganz warm, wenn sie daran dachte, dass Maggie ihr verziehen hatte. Sie lag jetzt sicher schon schlafend in ihrem Himmelbett. „Wir haben uns gestritten und seitdem ist sie mir nur noch auf die Nerven gegangen. Naja, und in Kräuterkunde ist es irgendwie mit mir durchgegangen, als ich mit ihr arbeiten musste, und dann hab ich ihr den Mist einfach ins Gesicht geschleudert.“
„Un' dann?“, wollte Hagrid wissen, während er ihr über einen umgestürzten Baumstumpf half.
„Ist sie heulend weggerannt und Professor Longbottom hat mich zum Nachsitzen verdonnert, weil ich auch noch frech zu ihm war“, erklärte Sam. Hagrid grunzte. Sam wusste, dass er sich ein Lachen verkneifen musste, weil er ihr nicht zeigen wollte, dass er das Ganze ein wenig lustiger fand als Maggie und der junge Kräuterkundeprofessor.
„Bist ja nich' gerade zimperlich, hm?“, sagte Hagrid. Sam schüttelte lächelnd den Kopf. „Haste dich wenigstens entschuldigt?“
„Ja, aber erst am Abend...“, sagte Sam.
„Und?“, drängte Hagrid. Sie waren inzwischen so tief in den Wald vorgedrungen, dass er sich durch immer enger gewachsene Bäume quetschen musste, zwischen denen Sam sich mühelos hindurchschlängelte.
„Jetzt ist sie meine Freundin“, sagte Sam schlicht. Hagrid sah sie, eingeklemmt zwischen zwei Bäumen, ungläubig an.
„Einfach so?“, wollte er wissen.
„Natürlich nicht einfach so!“, antwortete Sam leicht verärgert. Es hatte ja immerhin eine ganze Menge passieren müssen, dass sie und Maggie zueinander gefunden hatten.
„Was'n dann passiert?“, fragte Hagrid. Mit einem Knacksen brach der dünnere Baum, zwischen denen er steckte, ab und er kam frei.
„Das verrate ich nicht! Das ist unser Geheimnis, okay?“, sagte Sam trotzig und folgte ihm weiter durch den Wald. Allerdings nicht mehr ganz so redselig wie zuvor.
Nach einer Weile kamen sie wieder in lichteres Gebiet, wo ein schmaler Bach sich seinen Weg durch das Geflecht aus Sträuchern, Moos und Bäumen bahnte. Hagrid erklärte ihr gerade die Notwendigkeit der Routinepatrouillen im Wald, als Fang nervös zu fiepen begann und der Halbriese urplötzlich verstummte. Er hob seine Armbrust und zielte in die Dunkelheit des Waldes hinein. Sam, die sich bisher fasziniert im Wald umgesehen hatte, blieb hinter ihm stehen und spitzte die Ohren. Sie verstand zuerst nicht, was Hagrid und Fang aufgeschreckt hatte, doch dann merkte sie, dass der Boden unter ihren Füßen leicht vibrierte. Kurz darauf konnte auch sie hören, was Hagrid und der große Saurüde wohl schon seit geraumer Zeit vernommen hatten. Ein tiefes Grollen in der Ferne, das zu einem immer lauteren Donnern anschwoll. Irgendwo im Wald knackten Zweige, als hätte man sie zertreten, und dann fiel ihr wie Schuppen von den Augen, was sie da hörte. Es waren Hufschläge! Kaum war sie zu ihrer Erkenntnis gelangt, hörte sie auch schon etwas aus dem Gebüsch brechen. Kurz darauf donnerte auch schon eine ganze Herde an ihnen vorbei. Sam hatte zuerst gedacht, es würden vielleicht Einhörner sein, doch was sie dann erblickte, verschlug ihr den Atem. Es waren gewaltige Gestalten, die Oberkörper von Menschen, die Leiber von Pferden. Sie hatte gelesen, dass in der Schlacht von Hogwarts Zentauren mitgekämpft hatten, doch ihr war nicht bewusst gewesen, dass diese Wesen tatsächlich noch in den Wäldern um Hogwarts lebten.
„Hey! Passt doch ma' auf! Hier sin' noch andere unterwegs!“, brüllte Hagrid gegen das Getöse an, als die Zentauren so haarscharf an ihnen vorbeisprangen, dass sie sie beinahe umstießen. Dann war die Herde auch schon vorbeigezogen. Einen kurzen Augenblick später war nochmal ein vereinzelter Hufschlag zu hören und ein eindrucksvoller Zentaur mit kastanienbraunem Körper und brünettem Haar tauchte zwischen den Bäumen auf. Sam starrte ihn mit unverhohlenem Interesse an. Sein Oberkörper war muskulös und um seine Brust hingen ein Bogen und ein Pfeilköcher.
„Guten Abend, Hagrid!“, grüßte der Zentaur.
„'n Abend, Magorian!“, erwiderte Hagrid und ließ die Armbrust sinken. „Läuft alles gut?“
„Alles in bester Ordnung“, nickte der Zentaur und schritt langsam auf sie zu. „Du bist früh dran heute Nacht.“
Der Zentaur warf einen Blick durch das lichte Blätterdach zum Himmel.
„Liegt dran, dass ich heute Begleitung hab“, sagte Hagrid und patschte Sam so kräftig auf die Schulter, dass sie im weichen, moosigen Boden einsank. Magorian bemerkte Sam mit wachem Interesse und kam noch etwas näher.
„Einen guten Abend auch dir, kleine Lady. Du bist eine Schülerin aus dem Schloss, nicht wahr?“, fragte Magorian recht freundlich. Sam nickte verunsichert. Dann straffte sie ihre Schultern und stellte sich vor: „Ich heiße Sam.“
„Nun, denn, guten Abend, Sam. Ich bin Magorian, Häuptling der Zentaurenherde“, sagte das Wesen und streckte Sam die große, raue Hand einladend entgegen. Sam ergriff sie zögernd und fügte dann noch hinzu: „Und ich bin bestimmt keine Lady!“
Magorian schmunzelte, richtete sich auf und blickte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck wieder in den Himmel.
„Ein Hauch von Schicksal umgibt dich, Sam“, sagte Magorian mit vielsagendem Blick. Sam blinzelte verdutzt und wusste nicht, ob sie lachen sollte. Sie beschloss es sein zu lassen, denn der Zentaur könnte sich dadurch womöglich beleidigt fühlen.
„Ein - was, bitte?“, wollte sie immer noch irritiert wissen.
Doch der Zentaur beachtete sie nicht, blickte weiter gen Himmel und sagte mehr zu sich selbst: „Sollte es denn wirklich schon so weit sein? Haben wir die Zeichen der Sterne nicht vielleicht falsch gedeutet?“
„Was redet er denn da?“, flüsterte Sam Hagrid verwundert zu.
„Ach, scher dich nicht drum!“, winkte Hagrid ab und sagte dann laut zu Magorian: „Verschon' uns mit diesem Sterndeutergesülze! Ihr wollt ja doch nix verraten, also lass und damit in Ruh'!“
Magorian senkte den Kopf erneut und musterte Sam eine ganze Weile. Sie war sich nicht sicher, ob er Hagrid nicht gehört hatte, oder ihn nur aus Anstand ignorierte. Doch dann entgegnete er doch noch: „Wir schworen einen Eid, Hagrid!“
„Ja, ja! Wir wollen 's auch gar nich' wissen! Wir geh'n, Sam!“, sagte Hagrid verdrossen und wandte sich zum Gehen.
„Verrate mir, wieso du im Wald bist, kleine Lady!“, hielt Magorian Sam zurück. Sam grinste erneut verlegen und meinte knapp: „Ich hab meine Freundin mit Drachenmist beworfen.“
„Ach, deshalb im Sternbild Draconis... Interessant, das hat wahrscheinlich keiner von uns vermutet...“, schien der Zentaur zu schlussfolgern und sah ein weiteres Mal in dem Himmel. „Scheint, als hätte eine neue Ära begonnen, ohne dass die Zentauren es rechtzeitig bemerkt haben...“
Sam sah ihn zweifelnd an. Sie verstand kein Wort von dem, was er da von sich gab.
„Auf Wiedersehen, Sam. Du und deine Freunde seid uns hier immer willkommen“, verabschiedete sich Magorian, ohne den wartenden Hagrid eines Blickes zu würdigen.
„Echt jetzt?“, sagte Sam und ihr fiel vor Verdutzen der Mund auf. Magorian wandte sich bedächtig um und hob die Hand für einen letzten Abschiedsgruß. Sam starrte ihm hinterher, nicht wissend, was sie denken sollte. Dann riss Hagrid sie aus ihren Gedanken.
„Nu' komm! Ich muss dich zurückbringen, bevor Neville denkt, Aragogs Kinder hätten dich verputzt!“, rief er und stapfte voraus. Sam machte einen kleinen Hüpfer und rannte ihm hinterher. Einen Augenblick lang hatte sie die Frage auf den Lippen, wer Aragog war, doch die Begegnung mit dem Zentauren hatte sie viel zu sehr aus der Bahn geworfen.
„Was hat der denn da geschwafelt?“, fragte sie stattdessen verstört. Hagrid winkte erneut verdrossen ab.
„Wirres Geschwätz! Diesen Zentauren brauchst gar nich' erst zuhör'n, wird sowieso keiner schlau draus!“, sagte Hagrid abfällig und stapfte auf die Baumgrenze zu. „Gucken stundenlang in die Sterne und mein' sie werden klug draus. Völliger Blödsinn, wenn du mich fragst. Manchmal komm' die mir vor, als wollten die uns Menschen nur verarschen. Dabei wiss'n se wahrscheinlich auch nich' mehr als wir!“
Damit schien das Thema für Hagrid beendet zu sein. Sie kamen aus dem Wald heraus und er führte sie ohne Umwege zum Schloss. Er zog das Schlossportal auf und auf einmal schlug er sich mit Wucht gegen die Stirn. Sam ging hinein und sah ihn mit großen Augen an.
„Jetzt hab ich doch glatt vergessen, Filch zu sag'n, dass er dich wieder in den Gemeinschaftsraum bringen muss!“, sagte er und fuhr sich durch den struppigen Bart. „Muss nämlich noch zum See runter und da nach dem Rechten sehen.“
„Kein Problem, ich schaff es auch allein nach oben!“, sagte Sam. Hagrid sah sie nachdenklich an.
„Un' wenn sie dich erwischen?“, überlegte er laut.
„Dann kann ich doch sagen, dass ich eine Strafarbeit hatte. Sie können ja dann bei Professor Longbottom nachfragen und zu dem werden sie mich sowieso bringen“, meinte Sam. „Was soll schon passieren? Das Schloss ist sicher!“
Das schien Hagrid einzuleuchten. Er nickte zustimmend und verabschiedete sich fröhlich von ihr. Sam durchquerte leichtfüßig die Eingangshalle und stieg die Marmortreppe hinauf. Als sie auf den Absatz sprang und in den nächsten Korridor einbiegen wollte, ließ ein Rascheln sie zusammenfahren und zur Salzsäule erstarren. Mit einem Mal bekam sie ein mulmiges Gefühl. Sie dachte an den Vorfall an Halloween. Jetzt war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob sie Hagrid eben nicht frei von der Leber weg belogen hatte. Jedenfalls verflüchtigte sich das Gefühl von Sicherheit auf der Stelle und ihr Herz pochte stark gegen ihren Brustkorb. Dieses ungute Gefühl hatte sie nicht mal im Wald verspürt.
Sie hörte unregelmäßige Schritte näher kommen. Es waren schwere Schritte. Sie wurden immer lauter. Kamen immer näher. Sam bekam endlich die Kontrolle über ihren erstarrten Körper zurück und sprang in den Schatten einer hässlichen Marmorbüste. Glücklicherweise war es in dem Korridor so dunkel, dass man sie ohne weiteres in der Dunkelheit nicht erkennen würde. Sie drückte sich so fest an die Säule der Büste, dass sie förmlich mit ihr verschmolz. Dann kam der nächtliche Wanderer an ihr vorbei. Sam wagte kaum zu atmen. Und dann erkannte sie ihn. Es war Professor Bagley! Und er hinkte!
Sie schaffte es gerade noch ihren überraschten Aufschrei zu unterdrücken und sich damit zu verraten. Bagley humpelte an ihr vorbei, etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd, und verschwand im nächsten Gang. Sam schaute ihm mit offenem Mund hinterher. Der Bedrohte hatte den Vermummten gestern Abend verletzt und er hatte gehinkt, als er aus dem leerstehenden Klassenzimmer gekommen war. Jetzt war offensichtlich, wer es gewesen sein musste. Es war Bagley, wie sie vermutet hatte.
Sam kam aus dem Schatten, blickte sich auf dem Korridor um, und als niemand zu sehen war, rannte sie los.
Das musste sie unbedingt Maggie erzählen!
Sie schaffte es in unglaublich kurzer Zeit zum Portrait der Fetten Dame und war auf dem Weg nicht einmal falsch abgebogen. Getroffen hatte sie auch niemanden mehr. Allerdings hatte sie einige Minuten lang große Mühe in ihren Gemeinschaftsraum zu kommen, da die Fette Dame friedlich in ihrem Rahmen vor sich hin schnarchte. Erst als sie „SEMPER FIDELIS!“ direkt in ihr Ohr schrie, schreckte sie aus dem Schlaf und ließ sie ein. Sam polterte die drei Treppen zum Schlafsaal lautstark nach oben, nicht darauf achtend, ob sie jemanden aufweckte, und stürmte in den Mädchenschlafsaal. Sie nahm sich nicht mal die Zeit ihren warmen Umhang abzulegen, sondern stürzte sofort auf Maggies Bett zu und riss die Vorhänge auf. Ohne Maggies friedlichen Gesichtsausdruck zu würdigen, ließ sie sich auf ihrer Matratze nieder und fing an sie zu rütteln.
„Maggie! Maggie, wach auf! Das musst du dir anhören!“, flüsterte Sam eindringlich, aber leise genug, dass Shannon, Kendra und Catherine nicht aufwachten. Maggie gähnte verstört, rieb sich die Augen und setzte sich mit zerwuschelten braunen Locken auf.
„Was? Wer? Du meine Güte, Sam! Bist du grade erst zurückgekommen?“, nuschelte Maggie verschlafen.
„Ja, bin ich! Und ich hab was gesehen! Das glaubst du nicht!“, sagte Sam leise und sah sie mit fiebrigem Blick an. Maggie blinzelte und neigte leicht den Kopf.
„Und das kann nicht bis zum Frühstück warten?“, murmelte Maggie müde.
„Ganz bestimmt nicht! Du wirst schon sehen!“, sagte Sam und rutschte aufgeregt näher zu ihr. Maggie runzelte die Stirn und schaute sie prüfend an.
„Du siehst ein bisschen irre aus, ist dir das bewusst?“, sagte sie nüchtern.
„Ist doch egal! Jetzt hör doch endlich zu!“, schnaubte Sam.
„Na, dann erzähl doch endlich, wenn du mich schon aufweckst!“, entgegnete Maggie.
Die Mädchen grinsten sich an, Sam legte ihren Umhang ab und fing dann in leisem Ton an, Maggie von ihrem Abend zu erzählen. Maggie legte sich wieder auf ihr Kissen, sah sie aber aufmerksam an, während sie redete.
„...und dann war da dieser Zentaurenhäuptling, der mich mit seinem seltsamen Voodoo-Sternen-Geschwafel vollgequatscht hat! Ich hab überhaupt nicht verstanden, worauf er eigentlich hinaus wollte! Aber Hagrid hat gemeint, die würden sowieso nur Schwachsinn reden. Trotzdem war er mir irgendwie unheimlich... Und als wir dann wieder ins Schloss zurückgekommen sind...“
Maggies Augen wurden immer größer, als Sam erzählte, was sie auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum gesehen hatte, genauso wie ihr Mund immer weiter auffiel.
„Der Vermummte war also Bagley? Bist du dir da sicher? Meinst du er hat das wirklich getan?“, fragte Maggie schließlich perplex, als Sam geendet hatte.
„Er ist gehumpelt!“, beteuerte Sam und nickte so heftig, dass sie beinahe vom Bett fiel und Maggie durchgeschüttelt wurde. „Ich hab dir doch gesagt, es kann nur Bagley sein!“


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