von DoubleTrouble
„Verschwinden? Was hast du denn vor?“, fragte Maggie. Stirnrunzelnd sah sie Samara an, die ertappt zusammenfuhr.
„Was? Wer? Ich?“, stammelte sie. „Ich hab nicht – Ich wollte nur - “
Samaras Gesicht wurde verschlossen.
Maggie verschränkte die Arme und schaute sie ernst an. „Wir dürfen doch nachts nicht rausgehen!“
„Dann tu’s doch nicht!“, antwortete Samara patzig und streckte ihr die Zunge heraus.
„Was?“ Einen Moment lang war Maggie verwirrt. „Aber ich will doch nicht - “
Dann sah sie, wie Samara spöttisch grinste. „Warum bist du dann hier unten?“
„Weil ich mein Buch vergessen habe, und dann hab ich dich gehört“, antwortete Maggie zerstreut.
„Du hättest ja rufen können, dass ich dir das Buch mitbringe“, sagte Samara.
Ja, wenn ich Samara oder Catherine wäre, dann hätte ich das vielleicht gemacht, überlegte Maggie und nagte an ihrer Unterlippe. Um von diesem Thema wegzukommen, sagte sie rasch und ungewollt heftig: „Gib doch einfach zu, dass du rausgehen wolltest!“
„Ja, vielleicht wollte ich das!“, erwiderte Samara genauso heftig. „Aber ich wüsste nicht, was dich das angeht!“
„Was mich das angeht? Wenn du erwischt wirst, verlieren wir Hauspunkte!“, antwortete Maggie.
Samara lachte bitter auf. „Als ob mir Bagley nicht schon genug Punkte abziehen würde!“
Maggie schüttelte heftig den Kopf. „Das ist doch was ganz anderes! Bei Bagley verlierst du Punkte, weil er dich nicht leiden kann, und weil du den Stoff nicht kannst, aber wenn du nachts im Schloss rumschleichst, verlierst du Punkte, weil du gegen die Schulregeln verstößt!“
Samara lehnte sich an das Fensterbrett und holte tief Luft.
„Es ist nur ein Verstoß, wenn ich dabei entdeckt werde!“
„Und das wirst du!“, konterte Maggie scharf. „Du findest ja nicht mal tagsüber ohne Umwege in die Große Halle, wie willst du es da ungesehen - wo auch immer hin schaffen?“
Samaras Wangen liefen knallrot an. Maggie hätte die Worte am liebsten zurückgenommen, aber nun standen sie zwischen ihnen im Raum.
„Ich finde sehr wohl von hier ins Pokalzimmer!“, rief Samara und biss sich gleich darauf auf die Zunge.
„Was willst du denn im Pokalzimmer?“, fragte Maggie erstaunt. „Mitten in der Nacht?“
„Oh, keine Ahnung, vielleicht finde ich es ja schön, wie die Pokale im Mondlicht glitzern!“, rief Samara laut und schlug mit der flachen Hand auf das Fensterbrett.
Auf der Treppe zu den Mädchenschlafsälen wurden Schritte laut und eine ungehaltene Stimme rief: „Könnt ihr mal ruhig sein? Wir versuchen hier zu schlafen!“
„Kümmert euch doch um euern eignen Kram!“, rief Samara wütend zurück. Mehr zu sich selbst murmelte sie: „Ich wollte mich doch mit jemandem treffen…“
Wütend sah sie auf die Uhr. „Aber dafür ist es sowieso schon zu spät.“
„Wie, und ihr könnt euch nicht tagsüber treffen?“, fragte Maggie verständnislos.
„Nein, zufälligerweise nicht!“, rief Samara. „Aber DU würdest das sowieso nicht verstehen.“
Maggie schüttelte den Kopf. „Nein, da hast du recht. Mit Leuten, die ich nur nachts treffen darf, würde ich mich gar nicht abgeben wollen.“
Samara schnaubte spöttisch.
„Da hast du's! Ich wette, du würdest selbst deine besten Freunde verraten, nur weil du Schiss hättest, dass dir ein popeliger Lehrer ein paar dämliche Hauspunkte abzieht!“
Maggie holte tief Luft und sah Samara geschockt an. Die redete sich offenbar gerade erst warm.
„Ich glaube, der Hut muss bei dir einen Fehler gemacht haben! Du hast ganz sicher nichts in Gryffindor verloren! Am besten fragst du morgen nach, ob du nach Hufflepuff darfst! Oder verpetz mich doch das nächste Mal gleich, wenn ich mich rausschleiche! Viel besser als ein Slytherin bist du doch auch nicht! Vielleicht kannst du ja mit jemandem tauschen?!“
Samara lieĂź sich auf das Sofa fallen und starrte wĂĽtend an die gegenĂĽberliegende Wand.
Maggie stand still da und spürte, wie ein Giftpfeil nach dem anderen sie traf, dann drehte sie sich schweigend um und ging langsam nach oben. Sie versuchte angestrengt, die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen stiegen.
Sie hörte, wie Samara ihr wütend nachrief: „Siehst du! Jetzt läufst du auch noch davon wie ein feiges Huhn!“, doch sie drehte sich nicht um. Sie wollte sich nur noch in ihrem Bett verkriechen und nichts mehr hören und sehen.
Leise öffnete Maggie die Tür zum Schlafsaal und ging auf Zehenspitzen hinüber zu ihrem Bett.
Catherine regte sich und hob verschlafen den Kopf.
„Ich will nicht aufstehen!“, klagte sie. „Ich träum doch grad so schön…“
Dann drehte sie sich zur Seite und schlief weiter.
Maggie zog die Vorhänge um ihr Bett herum zu und rollte sich unter der Bettdecke zu einer Kugel zusammen. Sie versuchte, einzuschlafen und nicht zu weinen, doch es half nichts. Die Tränen kamen und tropften auf ihr Kopfkissen. Wie konnte Samara nur so gemeine Dinge sagen! Natürlich, sie hatte sich auch gefragt, warum der Sprechende Hut sie ausgerechnet nach Gryffindor gesteckt hatte, aber das ging Samara doch nichts an! Und dann zu behaupten, sie sei nicht besser als ein Slytherin, war wirklich der Gipfel der Gemeinheit.
Maggie schniefte leise. Sie stritt sich nicht gerne mit anderen. Mit ihren Geschwistern war das etwas anderes, mit denen konnte sie sich wunderbar streiten und wieder vertragen, aber mit Samara? Was, wenn Samara morgen immer noch sauer auf sie war? Wenn sie ihr die kalte Schulter zeigte? Und nun schliefen sie auch noch nebeneinander… Vielleicht könnte sie das Bett mit Catherine tauschen?
Maggie rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke ihres Himmelbetts. Nur ganz schwach schien das Mondlicht durch den Spalt zwischen ihren Vorhängen und warf einen schmalen Streifen weißen Lichts auf den roten Baldachin.
Sie atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Ob sie sich vielleicht entschuldigen sollte? Aber wofür? Samara hatte mit dem Streit angefangen, nicht sie. Oder? Vielleicht hätte sie das mit Bagley nicht sagen sollen. Oder dass Samara sich nicht im Schloss zurechtfand. Das war ungerecht gewesen, schließlich war es ihr am Anfang auch nicht gerade leicht gefallen, bei all den sich bewegenden Treppen und Porträts und Rüstungen und Statuen die Orientierung nicht zu verlieren. Aber trotzdem, dass Samara sie beschuldigt hatte, für ein paar lächerliche Hauspunkte selbst ihre Freunde zu verraten, das war entschieden zu viel gewesen. Nein, nein, sie musste sich nicht entschuldigen. Samara schon.
Maggie drehte sich wieder auf den Bauch und knautschte ihr Kopfkissen zusammen. Was bildete die sich eigentlich ein? Glaubte sie, bloß weil sie so blöd war, nachts noch im Schloss herumzurennen, hatte sie das Recht, alle anderen, die diese Schnapsidee nicht automatisch gut fanden, zu beleidigen?
Nun hatte sich Maggies Verletztheit endgĂĽltig in Wut umgewandelt, aber besser fĂĽhlte sie sich dadurch auch nicht.
Sie war so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie gar nicht hörte, wie Samara hereinkam.
Am nächsten Morgen blickte Maggie als erstes zu Samara hinüber. Irgendwie hatte sich ihre ganze Wut im Schlaf verflüchtigt und sie hoffte, dass auch Samara den Streit von gestern einfach vergessen konnte.
Samara setzte sich auf und fuhr sich schlaftrunken durch die verstrubbelten Haare. Dann fiel ihr Blick auf Maggie, die sie ein wenig unsicher ansah, und sofort verfinsterte sich ihr Gesicht.
„Morgen, Sam!“, rief Kendra fröhlich und hüpfte aus dem Bett.
Samara knurrte nur etwas unverständliches, sammelte ihre Sachen vom Boden auf und verschwand so schnell in Bad wie noch nie.
Mit betretenem Gesicht zog Maggie sich an. Samara war immer noch sauer. Und es sah nicht so aus, als wäre sie zu einer Entschuldigung bereit.
Professor Bagley machte alles nur noch schlimmer. Maggie hatte zu ihrer Überraschung bemerkt, dass ihr Verwandlung wenig Probleme bereitete und zusammen mit Zauberkunst zu ihren besten Fächern gehörte. Heute hatte sie es tatsächlich geschafft, einen Taschenspiegel in eine Untertasse zu verwandeln. Stolz betrachtete sie ihr Werk. Professor Bagley lobte sie in den höchsten Tönen.
„Jetzt sehen Sie sich das an, was Miss Mayhew hier zustande gebracht hat!“, sagte er und hielt die Untertasse hoch. „Beachten Sie das Muster! Die Feinheiten! Ganz hervorragend! Zehn Punkte für Gryffindor!“
Gabriel pfiff anerkennend durch die Zähne. Maggie wurde rot und senkte den Kopf, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich ein breites Lächeln auf ihr Gesicht stahl.
„Ruhe, Mr Bellamy!“, raunzte Professor Bagley. „Sie alle sollten sich mal ein Beispiel an Miss Mayhew nehmen! Vor allem Sie, Miss Banister! Ihre Arbeit ist schon wieder ungenügend!“ Abfällig schnaubend nahm er ihren Taschenspiegel in die Hand, der immer noch genauso aussah wie am Anfang der Stunde.
Maggie schluckte hart, als Samara ihr einen giftigen Blick zuwarf.
Jonathan stieĂź sie an und lenkte sie ab.
„Wie machst du das denn?“, fragte er flüsternd. Maggie wandte sich zu ihm und versuchte ihm zu helfen.
Nach der Stunde, als sie auf dem Weg zu Zauberkunst waren, tippte sie jemand an. Es war Patrick Reilly, der rothaarige Ire, mit dem Maggie bisher noch nie gesprochen hatte.
„Du bist echt gut in Verwandlung“, sagte er bewundernd.
„Ach, du bist aber auch wirklich gut“, sagte Maggie verlegen abwehrend. „Und zwar nicht nur in Verwandlung.“
Patrick lachte nur und machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich lerne eben viel“, sagte er. „Obwohl Streber gar nicht beliebt sind.“
Maggie lächelte unbehaglich. Sie fürchtete, dass sie genau zu diesen unbeliebten Strebern gehören könnte, obwohl sie nicht so viel lernte wie Patrick.
Maggie hatte bisher überhaupt keine Schulerfahrung. Mum hatte sie und ihre Geschwister in den wesentlichen Dingen zuhause unterrichtet und Dad hatte ihnen alles über die magische Welt erzählt. Maggie hatte so etwas wie Mobbing noch nie am eigenen Leib erfahren. Aber sie wusste, dass ihr Cousin Jeremiah in seiner Grundschule gehänselt wurde, nur, weil er eine Brille trug und ein kleines Mathematik-Genie war. Unwillkürlich wanderte ihre Hand zu der Kette an ihrem Hals, die sie Tag und Nacht trug. Der metallene blau lackierte Anhänger stellte eine Taube mit offenen Flügeln dar, die den Kopf nach links zum Herzen neigte. Ihr Onkel John, der Bruder ihrer Mutter, hatte ihr die Kette vor einem Jahr aus einem Kloster in Frankreich mitgebracht. Maggie liebte die Kette und glaubte, dass sie auch eine Art von Magie enthielt, obwohl ihr Onkel ein Muggel und auch die Kette nichtmagischen Ursprungs war. Aber dennoch, wenn Maggie die Kette berührte, fühlte sie sich beruhigt, so, als wäre ihre Familie bei ihr und würde auf sie aufpassen, und sie wusste, dass ihr nichts passieren konnte. Häufig spielte sie gedankenverloren einfach daran herum und träumte vor sich hin.
So wie jetzt.
„Maggie?“ Nur verschwommen drang Patricks Stimme zu ihr durch.
„Was?“ Maggie schreckte hoch. „Hast du was gesagt?“
Patrick musterte sie stirnrunzelnd. „Hast du mir nicht zugehört?“
„Ehrlich gesagt, nein“, gab Maggie zu und strich sich eine dunkelbraune Locke aus dem Gesicht.
„Ich hab gefragt, ob du weißt, wann wir in Zauberkunst endlich richtig Sachen fliegen lassen“, wiederholte Patrick geduldig.
„Nein“, antwortete Maggie, „woher soll ich das wissen?“
KopfschĂĽttelnd nahm sie ihren Platz im Zauberkunstklassenzimmer ein und kritzelte gedankenverloren auf ihrem Pergament herum.
Samara und die blonden Jungen kamen herein.
„Nehmen Sie sich ein Beispiel an Miss Mayhew!“, äffte Samara Professor Bagley nach. Die Jungen lachten. „Echt, ich dachte, ich muss kotzen…“
Maggie schaute auf und ihr Blick traf sich für einen kurzen Moment mit Samaras, dann senkte sie wieder den Kopf auf ihr Pergament. Ihre zitternde Hand konnte das Pochen ihres Herzens nicht verbergen. Nervös spielte sie mit ihrer Kette herum, doch diesmal half es nicht. Der Zauber blieb aus.
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