von ChrissiTine
Die Ruhe und der Sturm
Gute zehn Stunden später schlug James die Augen auf. Die Nachmittagssonne schien ihm mitten ins Gesicht und blendete ihn, aber um das zu ändern hätte er aufstehen müssen, und dazu war er beim besten Willen nicht in der Lage. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so gut gefühlt hatte. Okay, das stimmte nicht wirklich. Das letzte Mal hatte er sich so gut gefühlt, als sie ihn zum letzten Mal hier besucht hatte.
Jedes Mal, wenn er aufwachte und fühlte, dass sie in seinen Armen lag, war das wie der Himmel auf Erden. Das war schon so, seit sie ihre erste Nacht zusammen verbracht hatten. Damals hatte er noch gedacht, dass sie ein unbedeutender One Night Stand war, ein weiterer in der Reihe von unzählig vielen. Aber dieses Gefühl hatte ihm so gut gefallen und der Sex war so fantastisch gewesen, dass aus dem One Night Stand ein Two Night Stand geworden war (wenn es sowas gab). Und aus dem Two Night Stand wurde ein Three Night Stand und ehe er sich versah, waren sie einen Monat lang jede Nacht zusammen gewesen. Dazu kamen noch die Tage, während der sie ihm Amerikas schönste Plätze zeigte und ihr Humor und ihr Lachen und ihre Augen und ... einfach nur sie selbst ... und schon hatte sein Herz ihr gehört. Wer hätte gedacht, dass es so einfach war.
Und es gehörte ihr immer noch. Egal, wie viele nackte Sucherinnen sich ihm auch an den Hals warfen und wie viele dämliche Kollegen mit ihr Wein tranken, sein Herz gehörte ihr. Und er war sich ziemlich sicher, dass er es niemals zurück bekommen würde. Zumindest dann nicht, wenn er etwas zu sagen hatte.
Lächelnd schaute er auf seine Freundin, die sich langsam zu regen begann. Verwirrt blinzelte sie in die Sonne und kniff dann die Augen zusammen, um ihn zu erkennen. Sie schloss die Augen wieder und stöhnte auf.
"Dieser Jetlag wird der schlimmste von allen sein", murmelte sie missmutig.
James strich ihr ihre unordentlichen blonden Haare aus dem Gesicht und küsste sie lächelnd auf die Stirn. "Das tut mir wirklich Leid. Ich hatte eigentlich geplant, zu dir zu kommen, um mich zu entschuldigen, aber die früheste Möglichkeit für mich wäre übermorgen gewesen ..." Sie hatten nicht darüber gesprochen, warum sie so plötzlich hier aufgetaucht war, ohne sich zu melden und obwohl sie gar nichts verabredet hatten. Sobald sie in seiner Wohnung angekommen waren, waren sie ins Schlafzimmer gestolpert und hatten währenddessen versucht, sich die Klamotten vom Leib zu reißen, ohne ihren Kuss zu unterbrechen. Es hatte nicht ganz geklappt, aber alles in allem waren sie recht erfolgreich gewesen. Und danach waren sie beide so erschöpft gewesen, dass sie sofort eingeschlafen waren.
"Du wolltest zu mir?", fragte sie überrascht. Ein herrliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. "Wirklich?"
James nickte. "Natürlich. Dieser Streit war beschissen. Ich konnte das nicht einfach so stehen lassen." Er küsste sie. "Aber ich hab ja anscheinend richtig Glück gehabt, dass ich keinen Portschlüssel und keinen Flug bekommen hab. Sonst würde ich jetzt in New York sein und du hier."
Sie nickte. "Ich weiß, ich hätte anrufen und dir sagen sollen, dass ich komme. Aber als ich zum Flughafen bin, hab ich noch nicht gewusst, ob ich wirklich einen Flug bekomme. Ein Portschlüssel stand außer Frage. Und der nächste Flug ging so schnell, dass ich kaum Zeit hatte, noch rechtzeitig einzuchecken. Ich hätte dich sofort angerufen, wenn ich aus dem Flughafen hier raus gewesen wäre." Sie lächelte. "Aber das war ja dann nicht mehr nötig."
Er grinste. "Nein, das war es nicht." Er zog sie näher zu sich und lehnte mit geschlossenen Augen sein Kinn an ihren Kopf. "Ich bin so froh, dass du da bist", murmelte er schließlich nach ein paar Minuten Stille. "Ich hab dich so vermisst."
Sie küsste seine Brust. "Ich dich auch", erwiderte sie traurig.
James schluckte, bevor er die nächste Frage stellte. Er hasste diese Frage. "Wie lange kannst du bleiben?" Ihre Beziehung hatte immer eine Deadline. Seit dem Tag, an dem sie begonnen hatte, hatte sie die. Sie konnten immer nur in Tagen, im günstigsten Fall vielleicht in Wochen, rechnen. Mehr hatten sie nie zusammen.
"Ich weiß noch nicht", erwiderte sie. "Das kommt drauf an."
"Worauf?", fragte James verwirrt. Normalerweise wusste sie immer ganz genau, wie viel Zeit sie hatten. Bis hin zu den Minuten.
Sie zuckte mit den Schultern. "Auf ein paar Sachen."
Er runzelte verwirrt die Stirn.
"Wie geht es Tia?", wechselte sie das Thema. James ließ es zu. Wenn sie über etwas nicht sprechen wollte, dann konnte er das nicht ändern.
"Gut", erwiderte er deshalb. "Al hat gemeint, das Baby kann jetzt jederzeit kommen, aber Tia glaubt, dass die Kleine sich noch etwas Zeit lässt." Obwohl Tias Bauch mittlerweile so kugelrund war, dass das Baby James' Meinung nach eher früher als später kommen sollte. Sonst würde sie noch platzen. "Wenn das Baby bald kommt, dann kannst du sie ja vielleicht sogar im Krankenhaus besuchen.", fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Julia lächelte verträumt. "Das wäre schön."
Julia hatte sich auf Anhieb mit seiner Familie verstanden. Jeder mochte sie und alle waren glücklich, dass James endlich jemanden gefunden hatte, der ihn glücklich machte. Für die meisten gehörte Julia bereits zur Familie und James war sich ziemlich sicher, dass ihr der Gedanke gefiel. Ihre eigene Familie war seit dem Unfalltod ihrer Mutter vor über zwölf Jahren auseinandergebrochen. Sie verstand sich nicht mehr mit ihren Geschwistern und auch ihren Vater sah sie kaum noch. James hatte noch nie einen von ihnen gesehen und Julia schien es auch nicht eilig zu haben, ihn irgendjemandem vorzustellen. Ihm war das herzlich egal. Wenn es ihr wichtig gewesen wäre, dann hätte er sie natürlich gerne kennen gelernt, aber so ... wenn er Julias Erzählungen glauben konnte, dann verpasste er nicht viel.
"Sie würden sich bestimmt freuen, dich zu sehen.", fügte James hinzu.
Sie nickte. "Und ich freue mich, sie zu sehen." Sie stützte sich auf ihre Arme und beugte sich zu James herunter. "Aber jetzt freu ich erstmal, dich zu sehen.", flüsterte sie und küsste ihn.
James schlang die Arme um sie und zog sie zu sich. Er war im Himmel.
/-/
"Okay, hier sind sie, meine berühmten Eier á la Julia", sagte Julia grinsend und reichte James einen Teller. James musterte das Rührei. Es war, wie er es von ihr gewohnt war - angekokelt und ansonsten ohne Geschmack. Dankend nahm er den Teller entgegen und schnappte sich dann die Gabel, die sie ihm hinhielt.
Er steckte sich einen Happen in den Mund und lächelte anerkennend. "Genau, wie ich sie mag", versicherte er ihr.
Julia schüttelte lachend den Kopf und ließ sich neben ihm auf die Couch fallen. "Du Lügner! Ich weiß, dass meine Eier schrecklich sind. Ich hab wirklich keine Ahnung, warum du immer darauf bestehst, dass ich sie für dich koche."
James zuckte mit den Schultern. Wenn er ihr das erklärte, dann würde er wirklich wie ein Weichei klingen. Als er sie damals, nachdem sie zusammengekommen waren, das erste Mal in Amerika besucht hatte, waren sie so glücklich gewesen, sich endlich wieder zu sehen, dass sie die ganze Zeit, in der er da gewesen war, in ihrer Wohnung und vor allem in ihrem Bett verbracht hatten. Julia hatte davor keine Gelegenheit gehabt, noch etwas einzukaufen und keiner von ihnen wollte sich aus der Wohnung wegbewegen und die wenige kostbare Zeit, die sie zusammen hatten, opfern. Aber Hunger hatten sie trotzdem. Und Julia hatte nur ein paar Eier im Kühlschrank. Also hatte sie ihm die Eier gemacht. Sie hatten nicht geschmeckt, aber sie hatten sie trotzdem gegessen. Und seitdem gehörten sie für James zu einem Besuch bei Julia dazu. Ohne diese Eier fehlte irgendetwas. Erst sie erinnerten ihn wirklich daran, dass er nicht träumte, dass sie wirklich bei ihm war. Also bestand er auf die Eier. Und bisher hatte er sie noch jedes Mal gekriegt.
"Mir schmecken sie", sagte er schulterzuckend und hielt ihr die Gabel hin. Sie schüttelte den Kopf und biss stattdessen von einer Scheibe Toast ab, die sie wohl in seinem Schrank gefunden hatte.
"Übrigens sehr sexy Klamotten", merkte er dann an und musterte sie ausgiebig. Sie trug lediglich eines seiner T-Shirts mit dem Schriftzug der Nationalmannschaft und ihren Slip. "Solltest du öfter anziehen."
Sie schlug ihm spielerisch auf den Arm. "Wir werden sehen", erwiderte sie. Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ihre langen blonden Haare kitzelten ihn auf der nackten Brust, aber er würde den Teufel tun und sich beschweren. Eine Weile saßen sie still da. James aß die Eier auf und lauschte ihren ruhigen Atemzügen und dem Verkehrslärm, den man sehr gedämpft in seiner Wohnung hören konnte. So war es wirklich perfekt. So sollte es immer sein.
"Du hattest Recht", flüsterte Julia schließlich mit ernster Stimme.
"Natürlich", erwiderte James grinsend. "Ich hab immer Recht." Er schaute zu ihr, um zu sehen, ob sie sein Grinsen erwiderte, aber sie sah ihn nur mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck an. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. "Womit hatte ich Recht?"
Sie schluckte und richtete sich auf. "Mit Dan", sagte sie und wandte den Blick ab. "Du hattest Recht mit ihm."
James biss die Zähne zusammen und versuchte die Wut, die in ihm aufstieg, unter Kontrolle zu halten. Natürlich hatte er Recht gehabt mit dem Wichser! Natürlich hatte er mit ihr schlafen wollen! Welcher Mann, der Augen im Kopf hatte, würde das nicht?
Er ballte seine Hände zu Fäusten und atmete stoßweise ein und aus. Er würde nicht ausflippen. Er würde nicht nach Amerika gehen und dem Wichser eine reinhauen. Obwohl er es verdient hatte. Der spinnte wohl, sich einfach an seine Freundin ranmachen zu wollen! Merlin, wie gerne würde er ihn umbringen!
"James?", fragte Julia ihn nach ein paar Minuten vorsichtig, in denen James sich in den wildesten Farben ausgemalt hatte, wie er Dan am schmerzhaftesten kastrieren konnte, bevor er ihn langsam und sehr qualvoll ins Jenseits befördern würde. Sie war so klug, ihn nicht zu berühren.
"Was ist passiert?", fragte er mit mühsam beherrschter Stimme. Wenn sie wirklich mit ihm geschlafen hatte ... aber Julia würde das nicht tun. Sie würde nicht mit Dan ins Bett gehen und dann hierher nach England zu ihm kommen. Das würde sie nicht. Sie würde überhaupt nicht mit diesem Arschloch schlafen. Sie liebte ihn doch!
Julia räusperte sich. "Es war ... es war nach deinem Anruf gestern. Oder vorgestern." Zerstreut schaute sie auf die Uhr, die an James' Wand hing. Es war bereits nach Mitternacht. "Ich war so wütend auf dich. So schrecklich wütend. Und Dan war da. Also hab ich ihn von unserem Streit erzählt. Ich hab ihm gesagt, was für ein Idiot du bist, weil du mir nicht vertraust und dass es völliger Schwachsinn ist, dass er irgendein Interesse an mir hätte, das über unsere Zusammenarbeit hinausgeht." Sie verstummte und schaute ihn kleinlaut an.
"Und?", fragte James schließlich, nachdem sie nicht weiter gesprochen hatte. Er war sich nicht sicher, ob er das wirklich hören wollte. Er war sich nicht sicher, ob er damit fertig werden würde, wenn er erfuhr, dass sie doch mit ihm geschlafen hatte. Er wusste es nicht.
"Und dann hat er mich geküsst.", sagte Julia schließlich so leise, dass er es beinahe nicht verstanden hätte, wenn er sie nicht angesehen und beobachtet hätte, wie sich ihre Lippen bewegten.
Er sprang auf und begann, zornig im Wohnzimmer hin und her zu laufen. Er hatte das wilde Verlangen, auf irgendetwas oder irgendjemanden einzuschlagen. Wie konnte er nur? Wie konnte dieser Mensch einfach seine Julia küssen? Wie konnte er es wagen! Und wie konnte Julia es wagen? Wie konnte sie nur? Sie war die Liebe seines Lebens und sie küsste einfach einen anderen Mann? Er hatte gedacht, dass sie ihn ... dass sie ... und jetzt?
"Ich war so überrascht, dass ich erst gar nicht reagieren konnte", fuhr Julia fort und schaute ihn flehentlich an. "Aber als mir klar geworden ist, was er da getan hat, da hab ich ihn sofort weggeschubst. Es ist nichts passiert, James, wirklich! Ich hab ihm gesagt, dass ich dich liebe und dass aus uns beiden nie etwas werden würde und dann hab ich ihn rausgeschmissen. Es ist wirklich nichts passiert, das musst du mir glauben!"
Tränen standen in ihren Augen. Sie stand auf und ging vorsichtig auf ihn zu. Langsam streckte sie ihre Hand aus und hielt sie James hin. Er konnte sehen, wie sie zitterte. Er schluckte und schloss die Augen. Ihm war, als ob ihm jemand in den Bauch geboxt hätte. Er bekam kaum Luft. Und er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. Er atmete tief durch.
Sie hatte ihn nicht betrogen. Sie hatte das Arschloch aus ihrer Wohnung geschmissen und war zu ihm gekommen.
Langsam hob er seinen Arm und ergriff ihre Hand. Er verschränkte ihre Finger mit seinen. Julia blinzelte ihre Tränen weg. James zog sie zu sich und schloss sie fest in seine Arme. Sie klammerte sich an ihn.
"Es tut mir so Leid", schluchzte sie. "Ich hätte auf dich hören sollen. Du hattest Recht." Er konnte ihre Tränen an seiner nackten Brust spüren. Sanft strich er ihr durch die Haare und küsste sie auf die Stirn. "Ich liebe dich, James. Merlin, ich liebe dich so sehr. Ich will dich nicht verlieren."
James schüttelte den Kopf. "Du verlierst mich nicht." Er räusperte sich. "Und du hast wirklich nicht mit ihm geschlafen?" Er glaubte ihr, wenn sie ihm sagte, dass nichts passiert war. Sie würde ihn nicht anlügen. Aber er musste es hören. Er musste hören, dass nichts passiert war, außer diesem Kuss.
Sie schaute ihn aus geröteten Augen an und schüttelte den Kopf. "Nein. Ich hab nicht mit ihm geschlafen. Ich hätte nie mit ihm geschlafen. Das musst du mir glauben."
Er lächelte sie an. Es war etwas gezwungen, weil die Mordgedanken in seinem Kopf immer noch Amok liefen, aber immerhin etwas. Er küsste sie sanft. "Ich liebe dich auch", flüsterte er als Antwort.
Ein erleichtertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Er konnte spüren, wie die Anspannung ihren Körper verließ und sie regelrecht in seine Arme sank.
Er hasste es, dieses Lächeln wieder von ihrem Gesicht verschwinden zu sehen, aber sie war so ehrlich zu ihm gewesen ... er musste es auch sein. Das hier war so etwas wie ein neuer Anfang für sie beide und es durfte keine Geheimnisse zwischen ihnen geben.
Langsam ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Er räusperte sich und fuhr sich durch seine unordentlichen dunklen Haare. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, aber das klappte nicht sonderlich gut.
"Du hattest auch Recht", sagte er schließlich.
Verwirrt schaute sie ihn an. Wie er es vorausgesehen hatte, verschwand das Lächeln von ihrem Gesicht. Es brauchte ein paar Sekunden, bis ihr klar wurde, worauf er hinauswollte. "Vanessa", flüsterte sie.
So wie er Dan gegenüber misstrauisch gewesen war, war sie es gegenüber Vanessa gewesen. Sie hatte ihre Meinung zwar längst nicht so oft geäußert wie er, aber es war auch so klar gewesen, dass sie der neuen Sucherin nicht vertraute.
Er nickte. "Vor zwei Tagen stand sie bei mir im Umkleideraum. Sie hat mir ein sehr eindeutiges Angebot gemacht." Er würde nichts ins Detail gehen, aber das war auch gar nicht nötig. Sie wusste auch so, was er meinte.
Neue Tränen traten ihr in die Augen. Sie ließ ihren Blick über seinen nackten Oberkörper schweifen, bevor sie ihm wieder in die Augen sah. "Und?", fragte sie mit zitternder Stimme. "Hast du es angenommen?"
Vehement schüttelte er den Kopf. "Nein. Hab ich nicht." Er schloss die Augen, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu müssen, wenn er den nächsten Teil gestand. "Aber ich war nah dran."
Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog und ein paar Schritte zurück trat. Hoffentlich hatte er jetzt nicht alles kaputt gemacht. Hoffentlich würde er sie deswegen nicht verlieren. Aber er konnte ihr das nicht verschweigen. Wenn sie eine Chance haben sollten, dann musste sie es wissen.
"Es hätte mir nichts bedeutet, Julia", flüsterte er und öffnete die Augen langsam wieder. Der verletzte Gesichtsausdruck, mit dem sie ihn ansah, versetzte ihm einen Stich in seinem Herzen. "Es wäre nicht mehr gewesen als ein One Night Stand. Es wäre nur Sex gewesen. Nur deshalb hab ich es überhaupt in Betracht gezogen." Er seufzte. "Verstehst du, du hast mir so gefehlt. Vor dir war ich es gewohnt, Sex zu haben, wann immer ich wollte, egal mit wem. Irgendjemanden hab ich immer gefunden. Und jetzt ... Das mit uns ist mir wichtiger als alles andere. Du bist mir wichtiger als jede andere. Es wäre es nicht wert, mit Vanessa ins Bett zu gehen. Und wärst du nicht so weit weg gewesen, wärst du hier gewesen, hätten wir eine normale Beziehung und keine Fernbeziehung, dann hätte ich wahrscheinlich nicht mal drüber nachgedacht. Und ich hab nicht mit ihr geschlafen, ich hab wirklich nicht mit ihr geschlafen. Und ich werde auch nicht mit ihr schlafen."
Sie schniefte.
"Du hast mir das von Dan erzählt und ich wollte dir das nicht verschweigen." Sie sagte nichts. Sie stand einfach nur da und starrte ihn an, während ihr stumme Tränen über die Wangen liefen. "Julia, bitte ..." Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Schließlich nickte sie kaum merklich und warf sich wieder in seine Arme. Er schloss die Augen und schwor sich dieses Mal, sie nie wieder loszulassen. "Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich."
"Ich weiß", sagte sie mit erstickter Stimme. "Ich weiß, James. Sonst hättest du mir das nicht gesagt. Und sonst hättest du mit ihr geschlafen."
Ja, das hätte er wohl. Nein, das hätte er ganz bestimmt. Vanessa war eine junge sexy Frau, die sich ihm nackt an den Hals geworfen hatte. Wäre Julia nicht gewesen, hätte er keine zwei Sekunden darüber nachgedacht. Aber es gab sie. Und er war unendlich dankbar dafür.
Sie standen lange Zeit einfach nur eng umschlungen in seinem Wohnzimmer und sagten gar nichts. Es war auch gar nicht nötig. Sie hatten sich so viel gesagt, dass sie das alles erstmal verdauen mussten. Aber das wichtigste war, dass sie sich immer noch hatten. Sie waren beide in Versuchung geführt worden, aber ihre Liebe war stärker gewesen. Sie hatten nichts getan, was sie bereuen mussten, sie hatten einander nichts verschwiegen. Es würde alles gut werden.
"James?", fragte sie schließlich leise und löste sich soweit von ihm, dass sie ihm in die Augen schauen konnte. Ihre Tränen waren mittlerweile versiegt. Sie biss sich unsicher auf die Lippe.
"Ja?", fragte er mit einem mulmigen Gefühl. Was kam denn jetzt noch? Hatte sie etwa mit jemand anderem als Dan geschlafen? Aber das war ganz unmöglich. Das wusste er.
"Hast du jemals darüber nachgedacht, etwas an unserer Beziehung zu ändern?"
"Was meinst du?" Was sollte er ändern wollen? War sie etwa nicht glücklich mit ihm?
Sie löste sich von ihm und trat wieder ein paar Schritte zurück. Sie ließ sich auf sein Sofa sinken und strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. "Es ist nur ... hättest du gerne keine Fernbeziehung mehr?"
Er schaute sie entgeistert an. Sie hatte noch nie über dieses Thema gesprochen. Er hätte nie im Leben gedacht, dass sie es jetzt ansprechen würde.
Natürlich hätte er lieber eine normale Beziehung. Natürlich würde er lieber jeden Tag neben ihr aufwachen und einschlafen. Aber wenn sie ihn jetzt bitten würde, zu ihr nach Amerika zu gehen ... Er wusste nicht, was er dann sagen sollte. Er wollte nie wieder ohne sie sein, das stand außer Frage, aber er wollte auch nicht ohne seine Familie sein. Und er konnte nicht einfach so zwischen ihnen wählen.
"Ich ... ähm ... ich weiß nicht ..." Frustriert wandte er den Blick von Julias blauen Augen ab. Hätten sie nicht einfach weiterhin schweigen können? Jetzt hatten sie sich gerade wieder vertragen und schon wieder würden sie streiten.
"Okay ...", sagte sie. Er konnte hören, wie enttäuscht sie war. Er hasste es, sie zu enttäuschen. "Es ist nur ... ich hab in ein paar Tagen ein Vorstellungsgespräch in der hiesigen Zweigstelle meiner Firma. Ich hab meinen Chef vor ein paar Monaten gefragt, ob hier vielleicht eine Stelle frei wäre und jetzt ist eine frei und mein Chef hat gemeint, ich bin eine seiner fähigsten Mitarbeiterinnen und ihm würde kein Grund einfallen, warum ich die Stelle nicht bekommen würde ... also könnte es sein, dass ich vielleicht hierher kommen kann ..."
Ruckartig wandte James seinen Kopf. Entgeistert starrte er seine Freundin an. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Das war doch gar nicht möglich. Er bekam Julia und konnte seine Familie behalten? War das ein Traum?
"Aber ... aber wenn du lieber weiter eine Fernbeziehung haben möchtest, wenn das nicht in Ordnung ist, dass ich hierher ziehe, dann kann ich auch absagen ..." Sie schaute ihn unsicher und unglücklich an. "Ich dachte nur ... ich dachte, dass du auch lieber eine normale Beziehung hättest." Sie zuckte mit den Schultern. Schon wieder traten Tränen in ihre Augen. Er brachte sie heute wohl andauernd zum weinen. Sie stand auf und wischte sich unwirsch die Tränen aus dem Gesicht.
"Julia", rief James schnell, als er sah, dass sie aus dem Zimmer gehen wollte. Schnell eilte er ihr hinterher. Einmal war er zu langsam gewesen und hätte sie fast aus seinem Leben gehen lassen, aber diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen.
"Ist schon in Ordnung, James", erwiderte sie und versuchte eine Leichtigkeit in ihre Stimme zu zwingen, die mehr als falsch klang. "Wenn du zufrieden mit unserer Beziehung bist, so wie sie ist, dann -"
"Willst du mich heiraten?"
TBC...
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A/N:
@DarkJanna: Ich weiß, dass das mit den Cattermoles vielleicht ein bisschen übertrieben ist, aber ich kann mir dennoch vorstellen, dass es nach Harrys Sieg über Voldemort den ein oder anderen Harry in Hogwarts gegeben hat. Und wenn die Familie dem Trio wirklich sehr dankbar ist, warum sollten sie ihre Kinder nicht nach ihnen benennen? Außerdem ist Harry Ronald doch um einiges erstrebenswerter als Albus Severus, oder nicht (ich finde den Namen immer noch schrecklich, welches Kind will schon so heißen?)? Ansonsten vielen Dank für dein Review, ich freu mich, dass du auch bei dieser FF dabei bist, selbst wenn James nicht zu deinen Lieblingen zählt.
@Jeanice: Vielleicht war das mit den Cattermoles wirklich ein bisschen übertrieben, aber wenn es jemanden gibt, der mit dem Namen Albus Severus durch die Zauberwelt rennt, dann ist Harry Ronald doch wirklich nicht so schlimm. Danke für deinen Kommentar.
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