von Dreamcatcher
Eine dunkle Gestalt pirschte sich, entlang der Wände und immer wieder hinter Statuen und Rüstungen Deckung suchend, durch die nächtlichen Gänge von Hogwarts. Sie war in einen langen, dunklen Morgenmantel gehüllt lediglich mit einem Handtuch bewaffnet, welches sie fest an ihr Herz presste.
Plötzlich tauchte eine weitere Gestalt aus dem Dunkel auf. Sie war groß, massig und hielt zielstrebig in schlurfenden Schritten auf einen Wandteppich zu. Kurz darauf war sie dahinter verschwunden und die zweite, Handtuch-bestückte Gestalt, die sich angespannt im Schatten einer großen Rüstung gehalten hatte, folgte ihr. Es ging eine steile Wendeltreppe hinunter, tief hinab unter Hogwarts.
Vor einer großen, in die Wand eingelassenen Mamorplatte blieb der Vordermann stehen.
„Blutrache“, grummelte sie und die Platte schob sich knirschend zur Seite und ließ die massige Person hindurch, bevor sie den kurz frei gegebenen Eingang wieder verschloss.
Zitternd verharrte Hermine vor der Geheimtür zum Gemeinschaftsraum der Slytherins. Es war ein Glücksfall gewesen, dass sie Goyle auf den Gängen angetroffen hatte. Was immer er auch um diese Zeit im Schloss verloren hatte, er hatte sie so zu seinem Gemeinschaftsraum geführt.
Die Minuten verstrichen, und Hermine wurde immer unruhiger. Sie musste sich nicht erst lange Gedanken machen, um zu wissen, dass sie gerade im Begriff war, die größte Dummheit ihres Lebens zu machen. Einmal abgesehen jedenfalls von dem Abend, an dem sie sich in das Bad der Vertrauensschüler verirrt hatte.
Schließlich hielt sie es aber nicht mehr länger aus.
„Blutrache“, murmelte sie ebenfalls und kam sich dabei furchtbar lächerlich vor. Die Platte schob sich erneut beiseite. Einen Moment lang schien Hermine das Herz stehen zu bleiben, doch nachdem sie einen flüchtigen Blick in das Innere des Raumes geworfen und sich vergewissert hatte, das niemand mehr auf war, trat sie leise ein.
Die letzte verglimmende Glut im Kamin erhellte den Raum nur spärlich und gerade ausreichend, um zu sehen, wo sie hin trat. Schwere, dunkle Ledersessel waren im Raum verteilt und der steinerne Boden war mit dicken Fellen ausgelegt. Von der Decke hingen silberne Kronleuchter und die heruntergrebrannten Kerzen steckten in den geöffneten Mäulern von silbrigen Schlangen, die sich um sie zu winden schienen.
Ein Schaudern durchfuhr Hermine. Das war garantiert nicht der richtige Ort für sie. Wo nur waren die ... Ihr Blick blieb am anderen Ende des Raumes hängen und sie entdeckte zwei Treppenaufgänge. Aber welcher davon war der zum Jungenschlafsaal?
Wie auf einen Wink entdeckte sie ein paar zertretene Eclairs in einem der beiden Gänge. Bingo. Wieder hatten ihr Dracos Kumpane ungewollt den Weg gewiesen.
So leise, wie es in diesen muksmäusschen stillen vier Wänden nur möglich war, betrat sie den Gang und stieg die sacht ansteigende Treppe hinauf. Ihr war mehr als unheimlich zumute. Zwischendurch stellte sie sich vor, was passieren würde, wenn Marcus Flint oder irgend ein anderer Slytherin das Badezimmer aufsuchen und sie unterwegs hier vorfinden würde. Schon sah sie sich mit ebenso vielen Pestbeulen übersät wie Andrews, der wohl immer noch sein Dasein unter der Fuchtel von Madam Pompfrey fristete.
Es war gar nicht auszumalen. Was stellte sie hier alles aufs Spiel? Punktabzüge? Noch mehr Strafarbeiten? Die Aufmerksamkeit der ganzen Schule, die mit dem Finger auf sie zeigen würde?
Sie biss sich auf die Lippe, verdrängte jegliche Gedanken an Flint und sein fieses Grinsen und ging tapfer weiter. Schließlich erreichte sie die große, schwere Tür zum Schlafsaal der Fünftklässler.
Ihre Hand verharrte keine zwei Milimeter über der Klinke. War es das wirklich wert?
Sie öffnete die Tür. Langsam und leise, so leise, dass ein Geist den Raum hätte betreten können, tat sie ein paar Schritte in den stockfinsteren Raum und schloss die Tür wieder hinter sich.
Sie hatte es bis jetzt nicht gespürt, aber ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals und hämmerte so wild gegen ihre Brust, dass es zu zerspringen drohte. Irgendjemand hier musste von diesem ohrenbetäubende Pochen aufwachen, da war sie sich sicher.
Ihre Knie wurden weich und begannen zu zittern. Plötzlich wurde ihr kalt und sie zog sich den Morgenmantel enger um die Schultern. Es war nicht richtig, sie hatte hier nichts zu suchen. Noch war Zeit genug umzukehren, ohne das jemals jemand erfahren würde, dass sie hier gewesen war.
Doch noch während sie das dachte, huschten ihre Augen über die fünf Betten mit den zugezogenen Vorhängen. Es war wie Rätselraten in einer Muggel-TV Sendung. Unter welcher Tasse befand sich die Prämie?
„Lumos!“, flüsterte sie so leise es ging und leuchtete vorsichtig die nähere Umgebung aus. Während sie auf leisen Sohlen zwischen den Betten umhertapste, untersuchte sie insbesondere die Nachtschränkchen neben den Bettem. Sie war sich sicher, dass sie ihre Inhaber preisgeben würden.
Auf dem ersten Nachtschrank entdeckte sie einen Stapel Bücher, der ohne Frage in die verbotene Abteilung der Bibliothek gehörte. Nein, Draco war nie besonders bücherbegeistert gewesen ...
Auf dem nächsten stand ein Glas mit einer blauen Flüssigkeit, in welcher irgendetwas Gräulich-Weißes schwamm und sie aus blutunterlaufenen Augen anstarrte. Angewidert schlich sie weiter ...
Der nächste Nachtschrank, den sie unter die Lupe nahm, erregte jedoch ihre Aufmerksamkeit: sämtlicher Inhalt war sorgfältig in den Schubladen verstaut. Einzig ein polierter Nimbus 2001 lehnte daran ...
Ich hab dich erwischt, dachte Hermine triumphierend und diesmal schien ihr Herz Saltos zu vollführen. Nein, um keinen Preis konnte sie ... Kehr um, Hermine, bevor du alles auf den Kopf stellst ...
Doch ihre Hände schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben. Vorsichtig tasteten sie sich am Stoff des schweren Vorhanges entlang, fanden die Öffnung und zogen ihn beiseite.
Wenn sie vorher geglaubt hatte, ihr Herz würde jeden Augenblick zerspringen, so fühlte es sich jetzt an, als würde es gänzlich aussetzen.
Da lag er. Die Decke war halb über seine nackte Brust gezogen, das wirre Haar viel ihm locker ins Gesicht. Er schlief.
Leise zog sie den Vorhang hinter sich wieder zu. Eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken und sie versuchte, sich zusammenzunehmen. Kam es ihr nur so vor, oder schwankte sie wie ein Schiff bei hohem Wellengang?
Langsam trat sie an sein Bett und lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen. Schließlich konnte sie nicht mehr widerstehen, streckte die Hand aus und berührte seine glatte, blasse Wange.
Mit einem lauten Schrei fuhr er auf, schlug wild um sich und hätte um ein Haar Hermine erwischt, die erschrocken zurücksprang.
„Was ...“, keuchte er schwer atmend und sah sich hektisch um. „Wer ist da?“
„`tschuldigung“, wisperte Hermine und lauschte angestrengt auf ein Zeichen, dass einer der anderen Jungs von Dracos Schrei wach geworden waren, doch es blieb nach wie vor still.
„Ahh!“, machte Draco als er sie in der Dunkelheit erkannte und zog sich reflexartig die Decke bis ans Kinn. „Was zum Teufel machst du hier?“
„Du hast ...“, begann Hermine mit einem Frosch im Hals, räusperte sich und versuchte es noch einmal klar und deutlich: „du hast dein Handtuch vergessen.“
Er starrte erst sie perplex an, dann das Handtuch in ihrer Hand. Langsam, als kehrte die Erinnerung nur schleichend zurück, griff er danach und sah es sich an. Seine Augen huschten über den goldgestickten Namenszug.
Angespannt wartete Hermine auf das, was kommen würde. Er konnte sie rausschmeißen. Oder bei Snape verpfeifen.
„Oh ...“, murmelte er auf einmal. „Jah ... ich muss es wohl liegen gelassen haben ...“
Verwirrt sah sie ihn an. Sie hatte das nicht erwartet. Warum hatte er ihr gerade diese Antwort gegeben?
Als sie ihn wieder anblickte, wurde ihr peinlich bewusst, dass er sie eingehend musterte. Und um die ganze Situation nur noch schlimmer zu machen, war ihm die Decke wieder vom Oberkörper gerutscht und es kostete sie beinahe ihre ganze Willenskraft, um ihn nicht anzustarren.
„Meine Reaktion heute nachmittag tut mir leid“, murmelte sie ohne nachzudenken. Im Dunkeln gewahrte sie, dass er sie ein wenig erschrocken musterte.
„Nein. Ich hab mich wie ein Trottel aufgeführt. Eigentlich haben wir das nicht nötig, uns dermaßen anzugreifen. Was meinst du?“
Sie nickte atemlos.
Ein kalter Luftzug blies durch das halb geöffnete Fenster und unter Hermines Morgenmantel. Augenblicklich begann sie am ganzen Leib zu schlottern.
„Ist dir kalt?“, fragte Draco. War da etwa eine Spur von Besorgnis in seiner Stimme? Verdammt, er musste das Klappern ihrer Zähne gehört haben.
„E-ein bisschen“, antwortete sie.
„Wenn du willst ...“, sagte er und schlug seine Decke einladend zurück.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf seinen Körper und seine Boxershorts, das einzige, was er am Leib trug.
„Ehem ...“ Das war das einzige, was sie herausbrachte. Wie in Trance starrte sie ihn an, und diesmal war das nur zu offensichtlich. Die Sekunden verstrichen, und er wartete immer noch geduldig auf ihre Reaktion. Hermines Gedanken spielten Haschen. Würde sie tatsächlich zu einem Slytherin ins Bett krabbeln? Zu dem Slytherin?
Ehe sie lange überlegte, ergriff sie die Chance am Schopf. Niemand würde ihr das zutrauen, nicht einmal sie selbst hatte bis jetzt geglaubt, dass sie so etwas drauf hatte. Vielleicht war das auch genau der Grund, weshalb sie es jetzt tat.
Behände schlüpfte sie unter die ihr angebotene Decke, darauf bedacht, einen halben Meter Sicherheitsabstand zu lassen.
Sie bemerkte mit Freude, dass Draco außerordentlich verblüfft war, auch wenn er das zu verbergen versuchte. Er zog sorgsam die Decke über sie beide, wobei er noch ein bisschen näher an sie heranrutschte.
„Danke für das Handtuch“, murmelte er ganz nah an ihrem Ohr und ein Gefühl sagte ihr, dass sie auf der Stelle sterben würde.
„Was ist, wenn Pansy jetzt reinkommt?“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Und wenn schon ...“ murmelte Draco nach einer kurzen Pause zurück.
Hermine wusste nicht, woran es lag, aber wenn er flüsterte, hatte seine Stimme einen wunderbar wohltuenden Klang, der einem unter die Haut ging.
Vorsichtig rutschte sie ein Stück näher an ihn heran, wobei sie tat, als würde sie sich ausstrecken.
„Ich muss bald zurück“, sagte sie wehmütig, als sie daran dachte, was ihre Zimmergenossinnen sagen würde, wenn sie feststellten, dass sie die Nacht woanders verbracht hatte. Oder noch schlimmer, einer der Jungs hier im Schlafsaal würde sie erwischen.
„Nur noch ein bisschen ...“, wisperte er.
Hatte er das wirklich gesagt? Ein schwindelerregendes Gefühl erfasste sie und sie wagte keinen Laut von sich zu geben.
„Wieso?“, hauchte sie in die Stille hinein.
Er wandte ihr den Kopf zu. In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nur schemenhaft erkennen und fragte sich, mit welchem Gesichtsausdruck er sie wohl ansah.
In diesem Moment vernahmen sie dumpfe Stimmen von außen.
„Ich weiß nicht ...“, sagte jemand.
„Komm schon, vielleicht ist es was Ernstes“, erwiderte eine andere, dröhnende Stimme.
„Oh nein“, murmelte Draco, doch in genau diesem Augenblick wurde der Vorhang zur Seite gerissen und zwei hühnenhafte Gestalten erschienen im Mondlicht.
„Draco, was ist hier los?“, fragte Goyle beunruhigt.
„Wir haben dich schreien hören“, setzte Crabbe grunzend hinzu. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. „Das ... das ist doch dieses Schlammbl -“
„Nein, ist es nicht!“, knurrte Draco entschieden und nahm Hermine schnell in eine innige Umarmung, um seinen Kumpanen die Sicht auf ihren Lockenschopf zu nehmen. „Das ist Pansy, ihr Idioten! Und jetzt verzieht euch! Keine Privatsphäre hat man hier ... los doch, macht nen Abgang!“
Die Vorhänge wurden wieder zugezogen und Crabbe und Goyle wollten vor sich hin grummelnd davontraben, doch Draco griff unter sein Kopfkissen und zog seinen Zauberstab hervor. Er flüsterte etwas, das Hermine nicht verstand und schickte den beiden einen unsichtbaren Fluch hinterher. Man hörte ein paar tapsende Geräusche, dann etwas, das klang, als würden zwei Kartoffelsäcke fallen gelassen werden. Dann war es still.
„Was hast du getan?“, fragte Hermine, während sie sich aus Dracos Klammergriff befreite.
„Ach“, meinte er achselzuckend. „Nur ein kleiner Vergessenszauber. Ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen.“
„Wa -? Aber dafür brauchst du eine Genehmigung vom Ministerium!“
„Danke, werd ich mir merken“, sagte er grinsend. „Aber als Sohn gebürtiger Todesser musst du den ein oder anderen verbotenen Zauber schon drauf haben.“
Hermine stieß ein protestierendes Geräusch hervor und strich sich durch die zerzausten Haare. Er war ja so rebellisch. Das genaue Gegenteil von ihr ...
„Wie sieht`s aus?“, sagte Draco nach einer Weile und nestelte am Gürtel ihres Morgenmantels. „Willst du das nicht lieber ausziehen? Ist doch ganz schön warm hier drinnen - findest du nicht?“
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