von käfer
Dass Maggie eine besondere Begabung für Zaubertränke hat, wundert inzwischen keinen mehr. Aber auch Lyzette entdeckt, dass sie etwas ungewöhnliches kann...
Henry Wilde
„In den vergangenen Stunden habt ihr gelernt, wie man bei der Untersuchung unbekannter Substanzen vorgeht. Heute sollt ihr dazu einen praktischen Test absolvieren.
In den Kästen vor euch befinden sich drei Flüssigkeiten, drei pulverförmige Substanzen und drei Schalen mit getrockneten und zerkleinerten Kräutern.
Untersucht diese Dinge, schreibt alles auf, was ihr herausfinden könnt und wie ihr dabei vorgeht.“
Henry ließ die Kästen aufspringen und postierte sich auf dem Podium, um die Klasse zu beobachten. Dabei dachte er an seinen alten Lehrer. Es war Severus Snape gewesen, der diesen Test entwickelt hatte, um besondere Begabungen für Tränkekunde schon in unteren Klassenstufen zu erkennen. Henry war seinerzeit einer von Snapes Testkandidaten und später eine Art Meisterschüler gewesen und der Professor hatte ihm das Wesen dieses Tests erklärt: man nahm einfache, ungefährliche Substanzen, Lebensmittel oder Kräuter, die sich ähnelten und beobachtete, wie die Schüler an die Sache herangingen und ob sie die Substanzen erkannten und unterscheiden konnten.
Nun war Henry sehr gespannt, ob seine Schüler Rote-Beete-, Rotkohl- und Traubensaft erkennen und Puder- von Traubenzucker unterscheiden konnten. Seine Augen huschten in der Klasse herum, blieben bei Maggie Duncan und Ike Zachary öfter hängen als bei den anderen. Ike neigte dazu, Unfug zu machen und Maggie erinnerte Henry mehr denn je an Severus Snape. Genau wie er war sie völlig in die Arbeit vertieft und hatte sich leicht vorgebeugt, so dass nur die Nasenspitze aus einem Vorhang von Haaren hervorlugte. Maggie Duncan hatte glänzendes, rabenschwarzes Haar, so musste es Snape in seiner Jugend auch gehabt haben. Wenn er doch nur wüsste…! Henry hatte die Direktorin noch einmal nach Maggies Herkunft gefragt. Professor Lupins Antwort darauf war so ausweichend gewesen, dass er annahm, dass sie etwas wusste, es ihm aber nicht sagen wollte. Er würde Maggie selbst fragen, gleich nach der Stunde.
Nachdenklich fiel Henrys Blick auf Maggies Hände. Sie war gerade dabei, die Kräuter zu untersuchen und rieb das Basilikum zwischen ihren Fingern. Genau so waren Snapes Finger auch gewesen, flink, beweglich, mit viel Gefühl für das, was sich dazwischen befand. Tast- und Geruchssinn mussten besonders ausgeprägt sein, wenn man es in der Tränkekunde zu etwas bringen wollte. Maggie konnte feinste Nuancen erschnuppern, das hatte Wilde längst herausgefunden. Und wenn er so ihre Finger anschaute,…
In diesem Augenblick wurde Henry aus seinen Gedanken gerissen, Ike hatte einen Schrei ausgestoßen und war aufgesprungen. Auf seinem Platz lag die Flasche mit der Nummer zwei, Rotkohlsaft ergoss sich über Bücher und Pergament und färbte den Puderzucker rot. Mit seinem Zauberstab begrenzte Henry den Schaden, dann holte er Zachary nach vorn. „Stellen Sie sich hier neben den Tisch von Miss Duncan und schauen Sie sich an, wie man Ordnung hält am Arbeitsplatz!“
Ike schob trotzig die Unterlippe vor, Maggie wurde rot. Henry zog die Brauen hoch. Er hatte so leise gesprochen, dass Maggie das eigentlich nicht hätte hören dürfen. Auch Snape hatte über ein unglaubliches Hörvermögen verfügt, sehr zum Leidwesen der Schüler, denn er hatte auch das leiseste Flüstern in der letzten Bankreihe noch so deutlich gehört, als würde er danebenstehen.
Zum vielleicht hundertsten Male rechnete Wilde nach. Nein, es konnte nicht sein. Severus Snape war ungefähr zu der Zeit gestorben, als Maggie Duncan gezeugt worden sein musste, sie konnte nicht seine Tochter sein. Aber woher kam die Ähnlichkeit dann? Voller Ungeduld beobachtete Henry, wie die Kinder werkelten; er brannte darauf, Maggie zu fragen.
Endlich wurde es Zeit, die Stunde zu beenden. Rasch sammelte Henry die Pergamente ein. Vom Arbeitsstil her hatte bestenfalls noch Lyzette Hamilton Talent für die Tränkebrauerei, aber wirkliche Begabung fand er nur bei Maggie.
„Miss Duncan, würden Sie bitte noch einen Moment dableiben?“ – So, jetzt aber nicht den Mut verlieren!
Henry Wilde wartete, bis alle das Labor verlassen hatten und wappnete sich. Dennoch geriet er ins Stocken. „Miss Duncan, Maggie, ähm, ich frage mich…“
Maggie sah ihren Lehrer an. „Ja, Professor?“
„Vielleicht… Ach, kommen Sie mit in mein Büro, bei einer Tasse Tee redet es sich leichter.“
Verwundert folgte Maggie Professor Wilde und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.
„Wissen Sie, ich war selbst hier Schüler. In den ersten vier Jahren hatten wir damals einen sehr alten Lehrer, er ist dann auch in Rente gegangen…“
Wilde wusste nicht mehr weiter und nippte an seinem Tee, die Augen auf Maggie gerichtet.
Maggie wurde rot und sagte: „Ich weiß, wir haben ein bisschen nachgeforscht. Sie hatten noch bei Severus Snape Unterricht.“
Wilde nickte. „Wissen Sie, wie Snape aussah?“
Maggie grinste gequält. „Schauen sie mir ins Gesicht, dann wissen Sie es. Severus Snape war mein Ururgroßvater.“
Henry Wilde schnappte nach Luft. „Tatsächlich? Ich wusste gar nicht, dass Snape Kinder hatte, davon steht nichts in seiner Biographie.“
„Er hat nie etwas von seinem Sohn erfahren. Unehelich, die Folge einer einzigen Nacht, verstehen Sie? Meine Ururgroßmutter hat ihm geschrieben, aber den Brief zurückbekommen und aufgehoben, sonst wüssten wir es auch nicht.“
„Ihre Ururgroßmutter war…?“
„Muggel“, antwortete Maggie dumpf, „wir sind alle Muggel, bis auf eine Tante und mich. Aber nur ich habe diesen Riesenzinken von Nase und die furchtbaren Haare geerbt.“
Henry konnte nicht anders, er fasste Maggie ans Kinn und hob ihr Gesicht. „Aber Sie haben Ausstrahlung, Persönlichkeit, eine Aura.“
„Was nützt die tollste Aura, wenn alle über mich lästern und mich hässlich finden!“
Wilde dachte lange nach, ehe er antwortete: „Wer Sie hässlich findet, sieht nur die äußere Hülle, die zugegeben nicht dem Schönheitsideal dieser Zeit entspricht. Man muss sich aber die Mühe machen, Ihnen in die Augen zu schauen, die enthüllen Ihre Seele. Wie bei Ihrem Vorfahren.“
Henry setzte sich auf die Armlehne von Maggies Stuhl. „Professor Snape war schon ziemlich alt, als ich als kleiner Erstklässler hierherkam. Die Großen haben uns Schauergeschichten erzählt, wie gemein und streng und hartherzig er sei. Auf den ersten Blick schien das zu stimmen, er sah mit seinen weißen Haaren und den funkelnden schwarzen Augen irgendwie unheimlich aus und lächelte nie. Streng war er wirklich, er forderte Disziplin, Ordnung und Fleiß von uns und er konnte ziemlich hart sein, wenn einer sich nicht bemühte. Die meisten haben ihn den `kalten Geist´ genannt, kaum einer hat erkannt, was für ein guter Lehrer er eigentlich war.
Für mich sah das, was die anderen als Kälte und Härte bezeichneten, mehr wie Trauer aus, wie großer Schmerz, und ich weiß längst, dass ich damit recht hatte.“
Maggie flüsterte: „Ich weiß. Ich habe die Biographie gekauft. Er hat sein Leben lang dieser Lily Evans nachgetrauert, wollte sterben und durfte doch nicht. Das muss furchtbar gewesen sein für ihn.“
Stille senkte sich über Wildes Büro. Regungslos saßen Lehrer und Schülerin da, bis Wilde halblaut, mehr zu sich selbst als zu Maggie sagte: „Wer weiß, was geworden wäre, wenn Professor Snape von seinem Kind erfahren hätte.“
Maggie sagte härter als beabsichtigt: „Ich hasse Sätze mit ´hätte´!“
Wilde lächelte plötzlich wieder. „Noch etwas, das Sie mit Severus Snape gemeinsam haben.“
Nun lächelte auch Maggie wieder.
Maggie
fühlte sich unsicher. Einerseits war Zaubertränke ihr Lieblingsfach; das Stehen am Kessel war für sie eher Entspannung als Belastung. Andererseits wusste sie seit dem Gespräch in Henry Wildes Büro nicht so recht, woran sie mit dem jungen Professor war. Er beobachtete sie beinahe ununterbrochen, lächelte ihr zu, wann immer ihre Blicke sich trafen und schließlich gab er ihr – völlig ungewöhnlich für Hogwarts – Einzelunterricht. Dabei machte er immer Sprüche wie „Wahre Schönheit kommt von innen“, „Selbstbewusstsein strahlt nach außen“, „Lassen Sie sich nicht verbiegen, bleiben Sie immer Sie selbst, dass ist am besten für Ihre Seele.“
Maggie wusste nicht, worauf das Ganze hinauslaufen sollte. In der Zeitung hatte sie von Lehrern gelesen, die sich an Schülerinnen „vergriffen“ hatten, sollte Wilde etwa so etwas beabsichtigen? Das traute sie ihm eigentlich nicht zu, im Grunde genommen war „Sir Henry“ ihr sympathisch…
Einmal, als Maggie zu einer Stunde Einzelunterricht ins Labor kam, wartete dort die Schulleiterin auf sie. Was sollte das nun wieder? Glaubte Professor Lupin etwa, Wilde wäre auch „so einer“? Nicht einmal ein privates, vertrauliches Gespräch hatte es in diesen Übungsstunden gegeben, Maggie lernte „nur“ die hohe Kunst der Tränkezubereitung und –Analyse.
Maggie grüßte die Direktorin und wollte ihr Werkzeug auspacken. „Lassen Sie das stecken, Sie werden heute nicht üben.“
Maggie sah die Schulleiterin verwundert an. „Professor Lupin, es ist nicht…. Professor Wilde bringt mir nur Handwerkliches bei, wir stellen wirklich nur Tränke her.“
Zu Maggies Verwunderung lächelte Lydia Lupin und schüttelte den Kopf. „Ich weiß, Sie lesen sehr eifrig den Tagespropheten, aber Professor Wilde macht so etwas garantiert nicht.“ Lächelnd fuhr sie fort: „Professor Wilde möchte Ihnen etwas zeigen, das sich außerhalb der Schule befindet. Ich vertraue ihm genug, um Sie zu bitten, mit ihm zu gehen.“
Jetzt verstand Maggie gar nichts mehr.
„Holen Sie Ihren Umhang und klopfen Sie dann bei Professor Wilde an die Bürotür.“
Völlig sprachlos ging Maggie in ihr Zimmer, um sich anzuziehen. Lyzette war nicht da, deshalb hinterließ Maggie ihr einen Zettel – für den Fall der Fälle.
„Kommen Sie!“ Mehr sagte Professor Wilde nicht. Er führte Maggie vor das Schultor, draußen fasste er sie am fest am Arm und drehte sich auf der Stelle. Maggie war es, als würde sie durch eine feurige Röhre gezogen, wobei sie sich mehrmals um die eigene Achse drehte. Als sie gerade dachte, dass sie das nicht länger aushalten könnte, landete sie hart auf dem Boden. Nachdem die letzten Feuerkreise vor ihren Augen verschwunden waren, bemerkte sie, dass Wilde lächelnd neben ihr stand. Maggie fragte schüchtern: „Sind wir jetzt appariert?“
Wilde bejahte und bedeutete ihr, zu folgen. Neugierig ging sie hinter ihm her über einen Feldweg. Sie erreichten ein kleines Dorf, es bestand nur aus ein paar Bauernhöfen, einigen verstreuten Cottages und einem Dorfplatz mit Schule, Laden, Kirche und Friedhof. Dorthin führte Wilde sie.
Am Eingang stand eine alte Frau und bot Gartenblumen zum Verkauf an. Wilde erstand ein paar Astern und betrat den Friedhof. „Keine Angst“, beruhigte er Maggie, „ich möchte Ihnen wirklich nur etwas zeigen.“ Unsicher folgte Maggie ihrem Lehrer.
Zielstrebig, kaum nach links und rechts schauend, ging Wilde nach hinten, wo Maggie eine ganze Reihe alter Gräber erkennen konnte. Schließlich wandte er sich nach rechts und blieb stehen. „Hier ist es.“ Wilde bückte sich, nahm einen Strauß verwelkter Dahlien aus einer Vase und stellte die Astern hinein, dann trat er ein wenig beiseite.
Mit großen Augen las Maggie die Inschrift. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie stand am Grab von Severus Snape, ihrem Ururgroßvater.
Maggie fiel auf, dass Severus Snape keine drei Wochen nach seiner Frau gestorben war. Über Mary Louise Snape wusste sie nichts, in dem grauen Buch stand fast nichts über sie. An einen einzigen Satz konnte Maggie sich erinnern: Snape hatte über seine Frau gesagt: „Mary Louise ist mir eine gute Freundin und Partnerin.“
Sollte er tatsächlich sein Leben lang um Lily Evans getrauert haben? In dem Moment, in dem Maggie sich die Frage stellte, wusste sie, dass es so gewesen war.
Das Grab war gepflegt und Maggie fragte sich, wer das wohl tat. Ob Mary Louise Snape noch Verwandte hatte? Oder war es Henry Wilde, der sich um das Grab seines Lehrmeisters kümmerte?
Maggie erinnerte sich, dass sie ein bisschen Geld in der Tasche hatte und tastete nach den Münzen. Muggelgeld, gut. Ohne auf Professor Wilde zu achten, ging Maggie zurück zum Tor. Die alte Frau stand noch dort mit ihren Blumen. „Ich möchte die einzelne rote Rose“, sagte Maggie und ignorierte die fragenden Blicke der Alten. Sie bezahlte, bedankte sich und schritt wieder zurück zum Grab. Dabei spürte sie, dass die Blumenverkäuferin ihr folgte. Bildete Maggie sich das nur ein? Sie ging langsamer, die Präsenz kam nicht näher. Vorsichtig drehte Maggie sich um. Tatsächlich, die Frau war ihr gefolgt und drückte sich jetzt hinter den Stamm einer alten Kastanie. Maggie schüttelte den Kopf und ging weiter. Mochte die Tratschtante ruhig sehen, was sie tat und auf wessen Grab sie die Rose legte.
Es rauschte in Maggies Ohren, sie nahm kaum etwas von ihrer Umgebung wahr. Wie lange sie so gestanden hatte, wusste sie nicht, aber sie spürte es, als Henry Wilde neben sie trat.
„Severus Snape hat nie etwas nur halb getan. Er setzte sich ganz für eine Sache ein oder gar nicht. Nur deshalb konnte er als Spion für Dumbledore arbeiten, ohne von Voldemort entdeckt zu werden. Aber dafür hat er sein Ich so verbiegen müssen, dass er als gebrochener Mann aus dem Kampf zurückkam.“
Maggie wusste das, aber sie schwieg.
Leise sprach Wilde weiter: „Sie, Maggie, Sie sind wie er, Sie gleichen ihm in vielen Dingen. Snape war es egal, was andere über ihn dachten, es war ihm nicht wichtig. Und Ihnen sollte es auch nicht wichtig sein. Persönlichkeit zeigt sich nicht darin, jede Mode mitzumachen und die eigene Meinung nach den anderen zu richten, sondern darin, auch gegen den Strom zu schwimmen. Dafür muss man stark sein. Und Sie sind stark.“
Maggie ließ die Worte in sich nachklingen. Plötzlich hörte sie einen melodischen Gesang. Es schien von überall her zu kommen und erst nach einer Weile begriff Maggie, dass die Melodie in ihrem Kopf klang. Etwas strömte durch ihre Adern, pulsierte in ihrem Herzen, durchdrang ihre Seele.
Von dem Tag an scherte Maggie sich nicht mehr darum, dass die anderen über ihr Äußeres lästerten. Sie zeigte keinerlei Regung, wenn Alice Benson ihr prophezeite, dass ein so hässlicher Vogel wie Maggie nie einen Mann bekäme. Dafür warf sie Alice bei passender Gelegenheit an den Kopf, dass wohl jeder Mann Reißaus nehmen würde, der sich Alice mehr als einen Meter näherte.
In ihre Lieblingskleider gehüllt, fühlte Maggie sich wie unter einer Schutzhaube geborgen. Niemand konnte sie verletzen. Es dauerte ein Weilchen, aber es wirkte. Irgendwann hörten die Mädchen auf, Maggie zu verspotten, und suchten sich ein anderes Opfer.
Maggie und Lyzette
Maggie hatte es sich auf ihrem Bett bequem gemacht und las „Die unendliche Geschichte“, als Lyzette atemlos ins Zimmer gestürmt kam. Aufgeregt rief sie: „Du, ich habe es wieder getan!“
„Was?“, fragte Maggie geistesabwesend und blätterte um.
„Na, du weißt schon, andere Leute beeinflussen.“
„Wen?“, fragte Maggie und kehrte schlagartig aus Phantasien zurück.
„Alice Benson. Sie wollte Roger und Steve von der Couch vertreiben.“
„Ich weiß schon, warum ich so selten im Gemeinschaftsraum sitze“, grummelte Maggie, „aber erzähle weiter.“
„Also, Alice wollte Roger und Steve hochjagen“, erzählte Lyzette, „da habe ich Roger angeschaut und mir gewünscht, dass er sitzen bleibt und etwas zu Alice sagt. Und dann habe ich Alice angestarrt und mir gewünscht, dass sie sich daran erinnert, dass sie nach dem Sport erst mal duschen sollte.“
„Und das hat funktioniert?“, fragte Maggie neugierig.
„Ja“, sagte Lyzette leise, „es hat geklappt. Roger hat die Arme verschränkt und gesagt ´Du hast den Platz nicht gemietet. Ich saß zuerst hier.´ Danach hat Alice sich umgedreht und zu ihrem Dackelchen gesagt, dass sie duschen gehen wolle. Genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.“
„Krass!“, entfuhr es Maggie.
„Mir ist das unheimlich. Ich schaue jemanden an und wünsche mir, was er machen soll und schon tut er das.“ Lyzette machte eine Pause. „Du hattest mir doch versprochen….“
„Habe ich“, seufzte Maggie. „Also los, lass uns gleich anfangen.“
Lyzette setzte sich Maggie gegenüber. Maggie richtete ihren Blick auf Lyzettes Augen und wartete, was passieren würde. Aber es geschah nichts. Schließlich wurde es Maggie langweilig, sie vergaß Lyzette und das Experiment und überlegte sich stattdessen, dass sie ja die Schuluniform aus- und das dunkelblaue Baumwollkleid anziehen könnte. Maggie stand auf, ging zu ihrem Schrank und holte das Kleid heraus. In dem Augenblick stieß Lyzette einen Schrei aus. „Da! Das ist es! Genau das solltest du machen!“
„Was?“, fragte Maggie irritiert.
„Ich habe mir vorgestellt, dass du aufstehst und genau dieses Kleid aus dem Schrank holst. Los, sag schon, was hast du gespürt?“
„Gar nichts“, antwortete Maggie und fürchtete sich ein bisschen. „Mir ist langweilig geworden und ich habe mir überlegt, dass ich mich umziehen könnte. Das ist echt gruslig.“
Lyzette sagte nachdenklich: „Aber Longbottom schien damals etwas gemerkt zu haben. Was ist das, was ich da kann? Ob ich mal mit dem Pharao darüber rede?“
„Lieber nicht“, antwortete Maggie entschieden. „Wer weiß, was sie mit dir machen, wenn die Lehrer erst Bescheid wissen. Besser, wir finden alleine heraus, was das für eine Fähigkeit ist.“
„Aber wie?“, fragte Lyzette. „Ich habe schon in der Bibliothek gesucht, aber wenn man nicht weiß, wonach man sucht…“
„Warte mal, mir fällt da etwas ein.“ Maggie sprang auf, holte „Der Schein trog“ vom Regal und blätterte hastig darin. „Hier! Hör zu!
´Severus Snape beherrschte wie kaum ein zweiter die Künste der Legilimentik und Okklumentik. Er konnte, meist ohne dass sie es mitbekamen, in die Hirne anderer Menschen eindringen und ihnen Informationen entlocken. Andererseits hatte er die Fähigkeit, seinen eigenen Geist so zu verschließen, dass es nicht einmal dem Dunklen Lord Voldemort, der selbst ein Meister auf diesem Gebiet war, gelang, in Snapes Hirn einzudringen…´
Vielleicht ist das, was du da mehr oder weniger unbewusst machst, so etwas wie Legilimentik. Snape hat auch nur durch Zufall entdeckt, dass er eine Begabung dafür hatte.“
Lyzette schüttelte den Kopf. „Wieso kann ich das und nicht du? Du stammst doch von Severus Snape ab.“
Maggie zuckte mit den Schultern. „Severus Snape war sicher nicht der einzige, der diese Künste beherrschte und ich es muss nicht zwangsläufig auch können, nur weil er es konnte. Ich habe bestimmt nicht alles von ihm geerbt.“
In den nächsten Tagen brachten Maggie und Lyzette Stunden damit zu, in der Bibliothek nach Literatur über Legilimentik und Okklumentik zu suchen. Die Ausbeute in der für Schüler zugänglichen Abteilung war mager; sie fanden gerade mal die Begriffsbestimmungen und jede Menge rechtlicher Regelungen. Das, was Lyzette so spontan konnte, war Legili-Suggestion, galt als Höhere Magie, die nur nach intensiver Übung erlernt werden konnte und war in der Ausübung rechtlich sehr eingeschränkt.
Der Rest der Bücher befand sich in der Verbotenen Abteilung. Maggie und Lyzette sahen sich an: ihr Entschluss stand fest. Aber – wie sollten sie in die Verbotene Abteilung hineinkommen? Einen Lehrer wollten sie auf keinen Fall fragen und die älteren Schüler, die den geheimen Zugang kannten, verrieten nichts. Also schlichen die Freundinnen öfter denn je bei Nacht durch die Schule.
Es war bei weitem nicht so, dass nach der so genannten Sperrstunde Ruhe war im Hause. Besonders die älteren Schüler machten sich einen Sport daraus, spät abends durch die Gänge zu schleichen. In so mancher Nische steckten küssende Pärchen, im verlassenen Nordflügel fanden Modellbesenrennen statt. Natürlich wussten die Lehrer davon und gingen Streife; wer erwischt wurde, bekam empfindliche Strafen aufgebrummt und trug sich den Spott seiner Kameraden ein. Maggie spürte es jedoch rechtzeitig, wenn jemand kam. Außerdem war Lyzette auf einen Tarnzauber gestoßen. Unter dem Desillusionierungs-Zauber verschmolz man mit seiner Umgebung; und wenn man ihn in einer besonderen Art ausführte und sich gegenseitig damit belegte, konnte man den jeweils anderen noch sehen. So blieben die Mädchen unentdeckt.
An einem stürmischen Abend Anfang November schlichen Maggie und Lyzette im zweiten Stock herum und gerieten in jenen Gang mit der gesperrten Mädchentoilette. Plötzlich fasste Maggie Lyzette am Arm und raunte: „Hier ist jemand, ich glaube, in dem gesperrten Klo.“
Sie drückten sich an der gegenüberliegenden Wand entlang. Auf der Höhe der Tür blieb Maggie stehen und lauschte. „Das ist doch Henry Wilde, der da drin ist!“, flüsterte sie in Lyzettes Ohr und trat einen Schritt näher an die Tür. Jetzt konnte sie jedes Wort verstehen. Wilde schien Selbstgespräche zu führen. „… komm, komm, komm, du Geist, du ewiges Wesen, komm zu mir, sprich mit mir, diene mir…“ Maggie hielt die Luft an. Wilde rief einen Geist! Gab es außer dem alten Schulleiter noch andere Geister, die den Häschern entgangen waren? „… komm, komm, komm zu mir, Myrte, zeige dich!“
Maggie spähte durchs Schlüsselloch. Mist! Wilde stand mit dem Rücken zur Tür und verdeckte die Sicht. Aber Maggie konnte die Stimme eines Mädchens hören, sie beklagte sich, wie gemein die anderen Geister zu ihr waren.
Plötzlich spürte Maggie eine Präsenz am Ende des Ganges. Jack Longbottom näherte sich. Ohne ein Geräusch zu machen, sprang Maggie hinüber zu Lyzette und drückte sie an die Wand. Lyzette verstand und erstarrte. Longbottom eilte vorüber, den Zauberstab als Laterne benutzend. Maggies Herz klopfte so laut, dass sie meinte, Longbottom müsste es hören. Was, wenn der verhasste Professor die Stimmen aus der Mädchentoilette hörte und nachsah?
Aber Longbottom ging vorüber, ohne nach rechts und links zu schauen, er schien es sehr eilig zu haben.
Nachdem wieder Ruhe war auf dem Gang, liefen Maggie und Lyzette weiter. Die Flure von Hogwarts waren nie ganz finster, ein paar Notlampen brannten immer. Deren dämmriges Licht genügte den Mädchen, sie konnten beide wie Katzen bei Nacht sehen.
Die Schuluhr schlug Mitternacht. Überall in den Treppenhäusern und Klassenzimmern tauchten Scharen von Hauselfen auf und begannen aufzuräumen und zu putzen. Jede Kolonne hatte einen Anführer, der Putzzeug verteilte und Türen öffnete. Eine solche Kolonne marschierte, bewaffnet mit Staubwedeln, Eimern und Lappen gerade auf eine Wand eine Etage über der Bibliothek zu. Der Anführer der Kolonne schob einen Wandteppich beiseite, dahinter flammte Licht auf, eine Wendeltreppe führte in die Tiefe. Auf leisen Sohlen folgten Maggie und Lyzette den Hauselfen – und fanden sich in der Verbotenen Abteilung wieder. Allerdings wimmelte es dort von putzenden Hauselfen, so stiegen die Mädchen wieder nach oben und gingen in ihr Zimmer zurück. Auf dem Weg in den Slytherin-Gemeinschaftsraum begegnete ihnen Professor Wilde. Lyzette stupste Maggie an und wies auf den nassen Saum seines Umhanges.
Wie nach jeder erfolgreichen Nachtwanderung befreiten sich die Freundinnen gegenseitig vom Desillusionierungs-Zauber. „Gib mir fünf!“, forderte Maggie munter und Lyzette klatschte ab.
„War das ein erfolgreicher Abend!“ Maggie rieb sich die Hände. „Wir wissen nicht nur, wie wir in die Verbotene Abteilung hineinkommen, sondern auch, wie man Geister ruft. Da können wir den alten Direktor rufen und ausfragen, wann es uns passt!“
Lyzette schaute verständnislos. „Woher hast du das mit dem Geisterruf?“
„Wilde war doch in der gesperrten Mädchentoilette“, antwortete Maggie, „er hat einen Geist namens Myrte gerufen, ein Mädchen. Hast du das nicht gehört?“
„Kein Wort“, gab Lyzette zu. „Du hörst aber auch die Flöhe husten.“
Maggie zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls wissen wir jetzt, wie das geht und können es auch probieren.“
„Aber erst untersuchen wir die Verbotene Abteilung!“
Es zeigte sich, dass in der Verbotenen Abteilung nicht nur Schwarzmagische Bücher aufbewahrt wurden, sondern auch viele „normale“. Maggie und Lyzette besuchten die Verbotene Abteilung viele Male und lernten so manches Interessante, was nicht zum Unterrichtsstoff gehörte. Sie lasen alles, was es über Legilimentik und Okklumentik zu lesen gab, und übten in ihrem Zimmer.
So mancher Lehrer wunderte sich über die enormen Fortschritte der beiden muggelstämmigen Mädchen. Der eine oder andere machte sich so seineGedanken, aber nie sagte einer etwas.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel