von ChrissiTine
24. Dezember: Lily/Henry
2036
"Stille Nacht, heilige Nacht ..." Fröhlich trällernd kam Henry ins Schlafzimmer.
"Nimm's mir nicht übel, Schatz", sagte Lily, ohne von ihrem Pergament aufzublicken, "aber du kannst überhaupt nicht singen." Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und schrieb in rasendem Tempo ein Pergament voll.
"Na und?", erwiderte Henry, zog sich den Pullover über den Kopf und warf ihn über einen Stuhl. "Es kommt doch nicht auf das Können an. Es kommt darauf an, dass es mir Spaß macht." Als nächstes warf er seine Jeans über den Stuhl und sich neben seine Frau auf das große Bett. Lily, die ihren Mann kannte, hatte wohlweißlich das Tintenfass hochgehoben, damit es nicht umkippte und die weiße Bettwäsche einfärbte.
"Sag das mal deiner Tochter", murmelte Lily. Sie stellte das Tintenfass wieder hin und rieb sich ihren großen Bauch.
Henry streckte den Arm aus und legte seine Hand auf den Bauch seiner Frau. Mit leuchtenden Augen ließ er sie liegen. Er war jedes Mal aufs Neue von den Bewegungen fasziniert, die er im Bauch seiner Frau spürte. Es war kaum zu glauben, dass dort wirklich ihr gemeinsames Kind drin war.
"Und dabei dachte ich, dass Babys Musik mögen."
Lily verdrehte die Augen. "Musik. Nicht Katzengejaule.", widersprach sie und tauchte ihre Feder wieder ins Tintenfass.
"Du verletzt mich tief", verkündete Henry dramatisch. "Erst beleidigst du meine Gesangskünste und dann ist dir so ein dämliches Pergament wichtiger als ich."
"Noch fünf Minuten", erwiderte Lily, ohne die Feder abzusetzen. "Der Artikel muss fertig werden. Ich hab ihn Anthony versprochen. Danach bin ich im Mutterschutz. Dann werde ich keine Feder mehr anrühren."
Henry betrachtete seine Frau zweifelnd. Er konnte sich an keinen Tag in ihrer Ehe erinnern, an dem sie keine Feder in der Hand gehalten hatte. Selbst als sie neununddreißig Grad Fieber gehabt hatte, hatte sie nicht aufgehört zu schreiben.
"Das glaube ich erst, wenn ich es sehe", murmelte er und legte sein Ohr an ihren Bauch. Lily ließ sich davon nicht stören, sie schrieb seelenruhig weiter. Allerdings spürte sie beruhigt, wie ihre Tochter damit aufhörte, sie so kräftig zu treten. Henrys Stimme hatte immer eine sehr beruhigende Wirkung auf sie. Zumindest dann, wenn er nicht sang.
Sie tunkte ihre Feder noch einmal in die Tinte, um den letzten Satz zu schreiben, dann verschloss sie das Fass sorgfältig. Sie las ihren Artikel noch einmal durch, besserte mit ihrem Zauberstab ein paar Fehler aus und stand dann schwerfällig vom Bett auf. Sie öffnete das Fenster und warf dann einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte Anthony heute morgen geschrieben, wann sie ungefähr mit ihrem Artikel fertig sein würde und ihr Chefredakteur hatte ihr versprochen, eine Expresseule zu schicken.
Eine halbe Minute später flatterte ein flinker Steinkauz ins Zimmer, landete auf Lilys Schminktisch und streckte erwartungsvoll sein Beinchen aus. Lily band das zusammengerollte Pergament vorsichtig daran fest und scheuchte ihn dann schnell wieder in die verschneite kalte Nacht hinaus.
Henry hatte dem Ganzen kopfschüttelnd zugeschaut. Sein Blick fiel auf die drei Goldenen Federn im Regal, die Lily als beste Reporterin verliehen bekommen hatte. Stolz schaute er seine ehrgeizige Frau an, die es sich trotz ihrer Schwangerschaft im achten Monat und Weihnachten nicht nehmen ließ, einen Artikel fertig zu schreiben. "Du bist unglaublich", flüsterte er.
Lily schaute ihn lächelnd an und legte sich dann neben ihn auf das Bett. Mit einem glücklichen Seufzer streckte sie sich aus und schloss die Augen.
"Ist alles okay?", erkundigte sich Henry dann besorgt. Jetzt, wo sie mit ihrem Artikel fertig war, war sie wieder zu einem vernünftigen Gespräch fähig. "Tut dein Rücken noch so weh?"
Lily nahm seine Hand, legte sie auf ihren Bauch und verschränkte ihre Finger mit seinen. "Nein. Der Trank von Ted scheint wirklich zu wirken.", erwiderte sie und schlug die Augen wieder auf. Sie lächelte ihn an. "Mach dir keine Sorgen. Uns geht es gut." Mit ihrer freien Hand fuhr sie durch seine Haare.
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert ich sein werde, wenn das Baby endlich da ist.", murmelte Henry. Er hatte sich ein Buch über Schwangerschaft und Geburt durchgelesen und nach den ganzen Horrorszenarien, die darin beschrieben worden waren, panische Angst bekommen, dass irgendetwas schief laufen könnte. Da war ihm auch herzlich egal, dass Lily ihm versichert hatte, dass es in ihrer Familie noch nie Probleme gegeben hatte und alle Beteiligten alle Geburten immer gut überstanden hatten. Sie selbst hatte wenig Angst vor der Geburt, sie konnte es nur nicht mehr erwarten, endlich ihre kleine Tochter im Arm halten zu können. Seit sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, sehnte sie sich nach diesem Moment.
"Ich weiß", erwiderte sie. Er lehnte sich zu ihr und küsste sie.
"Und nächstes Jahr sind wir dann zu dritt." Seine Augen leuchteten auf. "Hey, vielleicht können wir, wenn die Kleine älter ist, Weihnachtslieder im Kanon singen."
Lily richtete sich auf und starrte ihn entsetzt an. "Nur über meine Leiche!"
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A/N: Frohe Weihnachten euch allen!
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