von GringottsGoblin
Mit einem Koffer, der neben ihm her schwebte, verließ Harry Grimmauld Place 12 und ging die wenigen Stufen zur Straße hinunter. Dort standen schon Ginny und Ron, beide in ihren Schuluniformen. Ron hatte sogar die dazugehörige Krawatte umgebunden, noch dazu mit einem Knoten, der ihn ausnahmsweise nicht aussehen ließ, als würde er ein Lätzchen tragen. Hermione folgte dicht hinter Harry und zog die Tür zu dem alten Haus hinter sich zu.
„Was ist das hier, eine Verschwörung ?“, grummelte Harry, musste dann aber doch lächeln, als Ginny ihn zu Begrüßung in den Arm nahm. Er streichelte ihr über den Rücken.
„Hallo, Harry. Alles gut ?“, fragte sie.
„Geht so.“, antwortete Harry, als sie sich von ihm löste. So ganz wusste er noch nicht, was er davon halten sollte. Er begrüßte Ron mit einem Handschlag und winkte auch Mr. Weasly zu, der etwas abseits bei seinem Auto stand.
Hermione stellte sich zu Ron und er legte einen Arm um ihre Hüfte. Etwas zu tief, für eine freundschaftliche Umarmung, wie Harry fand.
„Mann, das hätte ich nicht gedacht. Du hast es tatsächlich geschafft.“, sagte Ron zu Hermione.
„Ich wusste, dass sie Harry überreden kann.“, sagte Ginny, grinsend.
„Erpressen trifft es wohl eher.“, entgegnete Harry, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen.
Mr. Weasly klatschte in die Hände. Daraufhin schwebte Harry Koffer in den Kofferraum des Autos, der sich von selbst öffnete und schloss.
„Wir müssen los, wenn ihr den Zug nicht verpassen wollt.“, sagte Mr. Weasly.
Schwer mit ihren Koffern, Kesseln und teilweise Haustieren beladen, drängten sich die jungen Zauberer und Hexen durch die schmalen Gänge des Hogwarts-Express, der soeben seine Türen geöffnet hatte. Es war jedes Jahr das Selbe. Wie jedes Jahr fürchtete Harry, zerdrückt zu werden. Besonders, als ihm in dem schmalen Gang neben den einzelnen Abteilen die Slytherins Crabe, Goyle und Parkinson entgegen kamen. Die beiden Jungs waren alles andere als zierlich.
Das Abteil neben Harry war schon voll, sonst wäre er dahin ausgewichen.
Grunzend und riechend wie ein Schwein und genauso feinfühlig drückte Crabe sich an Harry vorbei. Pansy Parkinson war dich hinter ihm.
„Warte mal.“, zischte sie Crabe zu und sah dann Harry an, der ihr nun direkt gegenüber stand und weder vor noch zurück konnte. So nah wollte er Parkinson nicht sein, und er wollte auch nicht zu ihr hoch schauen müssen, aber da sie größer als er war, ließ sich das nicht vermeiden.
„Die Jungs wollen dir was sagen, Potter.“, sagte Parkinson. Harry war auf das Schlimmste gefasst. Von diesen beiden konnte nichts Gutes kommen.
„Ähm, ja.“, stotterte Goyle, der Harry über Parkinsons Schulter anschielte. „Also, tut mir Leid und so.“
„Mir auch.“, ergänzte Crabe. „Wegen Draco und so. War nicht so gemeint.“
Harry verstand die Welt nicht mehr. Malfoys Schoßhunde entschuldigten sich bei ihm ? Genug Gründe gab es allemal, so wie sie mit Harry umgesprungen waren. Aber das hätte Harry nie erwartet. Selbst jetzt, wo Malfoy verschwunden war.
„Ja, schon recht.“, stammelte Harry voller Überraschung und verdoppelte seine Anstrengungen, an Parkinson und Goyle vorbei zu kommen.
Etwas später hatte Harry endlich ein freies Abteil gefunden und zwängte sich hinein. Ron, Hermione und Ginny folgten ihm kurz darauf. Ron setzte sich neben Harry, während die Mädchen gegenüber Platz nahmen. Ginny zog die Abteiltür und den Vorhang daran zu.
„Phu, ich hasse das Gedränge.“, sagte Hermione. Harry müsste lächeln.
„Crabe und Goyle haben sich gerade bei mir entschuldigt.“, teilte Harry den anderen mit. Er konnte es noch immer nicht glauben.
„Sie haben den Verstand verloren.“, entgegnete Ron trocken.
Ginny zuckte mit den Schultern. „Naja, der Hydra wurde der Kopf abgeschlagen. Vielleicht werden sie jetzt Musterschüler.“
Alle vier mussten lachen. Es dauerte nicht allzu lange, bis der Zug sich nach einem langen Pfiff in Bewegung setzte. Kaum war er angefahren, zog Hermione ein Blatt Pergament und eine Feder aus der Tasche ihrer Uniform. Sie schlug die Beine übereinander, legte das Pergament auf ihren Schoß und schrieb etwas, das sie dann unterstrich.
„Also, wir wissen ja alle, was uns bevor steht. Also lasst uns nochmal zusammenfassen, was wir über die Horcruxe bisher wissen.“
Im Wesentlichen war es Harry, der erzählte, was er im letzten Schuljahr erfahren und erlebt hatte. Natürlich wussten die drei schon alles, denn Harry hatte Ron und Hermione am Ende des letzten Schuljahrs alles erzählt und die wiederum hatten Ginny alles berichtet.
Hermione machte sich Notizen, als wäre sie im Unterricht.
„Also fassen wir mal zusammen.“, sagte Hermione nach einiger Zeit. „Wir wissen, dass You-Know-Who sechs Horcruxe hat, alles unter der Annahme, dass Professor Dumbledore mit seinen Vermutungen Recht hat. Zwei davon sind zerstört: Das Tagebuch und der Ring.“
Immer wenn das Tagebuch erwähnt wurde, war Ginny etwas betreten. Nur Dank Harry hatte sie ihr erstes Schuljahr damals überlebt.
„Bleiben also vier. Darunter ist das Schloss, von dem Harry eine Nachbildung hat. Und höchstwahrscheinlich ist der Kelch aus der einen Erinnerung ein Horcrux und seine Schlange auch. Abzüglich dieser drei gibt es also nur noch einen, von denen wir nicht wissen, was und wo es ist. Vom Schloss, Kelch und der Schlange fehlt uns halt nur noch der Ort. Wobei die Schlange ganz sicher bei You-Know-Who selbst ist. Und wir wissen, dass man die Horcruxe mit Basiliskengift zerstören kann. Es fehlt also nur noch ein wertvoller Gegenstand von Gryffindor oder Ravenclaw.“
Alle nickten. Gute Aussichten waren das trotzdem nicht gerade. All das hatte Harry schon vor Dumbledores Tod gewusst.
„Wobei R.A.B. das Schloss zerstört haben dürfte.“, gab Ginny zu bedenken. „Jedenfalls hat er ja geschrieben, dass er das wollte.“
Hermione brummte nachdenklich. „Nach allem, was wir wissen, könnte R.A.B. genauso gut eine sie sein. Und wir wissen nicht, ob das Schloss wirklich zerstört ist. Besser, wir nehmen erst einmal das Schlechtere an.“
Ginny widersprach: „Dann könnte es passieren, dass wir Zeit damit verschwenden, ein Phantom zu jagen. Außerdem will mir nicht in den Kopf, warum ein Schwarzmagier sich gegen seinen Meister stellen sollte. Keiner, der bei Verstand ist und am Leben hängt, würde das tun.“
Ron sah seine Schwester an. „Hä ?“, fragte er.
„Naja, R.A.B. hat ja den Dunklen Fürsten angeschrieben. So nennen ihn nur seine Gefolgsleute.“
Harry nickte. Das war ihm auch schon aufgefallen. Aber irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass ein Death Eater sich gegen Voldemort wenden und gleichzeitig den Diebstahl des Horcruxes zugeben würde. Vielleicht war es nur R.A.B.s Sinn für Humor, sich über Voldemort lustig zu machen. Wahrlich ein sehr gefährlicher Humor, wenn man bedachte, dass die meisten Zauberer sich siebzehn Jahre später immer noch nicht trauten, seinen Namen auszusprechen. R.A.B. musste entweder außerordentlich mutig sein, oder so mächtig, dass er nichts zu befürchten hatte, oder er war einfach wahnsinnig.
„Also wenn R.A.B. in die geheime Höhle eindringen und den Horcrux klauen konnte, besteht doch kein Zweifel, dass er auch in der Lage war, ihn zu zerstören. Na gut, betrachten wir das Schloss also als zerstört.“, beschloss Hermione. Ginny atmete hörbar aus, sagte aber nichts dazu.
„Dann bleiben noch drei.“, schlussfolgerte Ron. Hermione nickte.
„Genau. Sammeln wir mal alle Orte, die wir uns als Verstecke vorstellen können.“, schlug sie vor.
„Oh, bitte ! Wir haben die ganzen letzten Wochen nicht anderes gemacht.“, beschwerte Ron sich und klang ernsthaft genervt.
„Aber nicht mit Harry und Ginny zusammen.“, bestand Hermione und sah Harry auffordernd an. Natürlich hatte Harry sich schon seine eigenen Gedanken gemacht, allerdings ohne Ergebnis.
„Ich habe keine Ahnung.“, gab Harry zu.
„Auf dem Grund des Ozeans.“, warf Ron beiläufig ein. Hermione verdrehte die Augen.
„Ron, bitte ! Ginny ?“, sagte sie.
„Ich würde mal sagen, dass wenn wir Glück haben, ein bis zwei Horcruxe in Hogwarts sein könnten und vielleicht einer in dem alten Haus aus You-Know-Whos Erinnerungen, die Harry gesehen hat.“, überlegte Ginny.
Hermione schrieb etwas auf. „Ich denke, mit Hogwarts sind wir uns einig. Wir werden also zuerst das ganze Schloss durchsuchen, von oben bis unten. Wir sind ja jetzt alle alt genug um uns frei bewegen zu können.“
„Ohne zu wissen, wonach wir suchen. Falls wir tatsächlich den letzten Horcrux finden, gehen wir einfach daran vorbei.“, spottete Ron.
„Ronald !“, zischte Hermione und sah ihn warnend an. Harry konnte seine Vorbehalte aber verstehen. Wie sollten sie die Horcruxe erkennen ?
Hermione fuhr fort: „Ich habe mir überlegt, dass wir vielleicht danach fragen sollten, ob wir Dumbledores Pensieve benutzen dürfen. Vielleicht finden wir noch etwas in den Erinnerungen.“
„Gute Idee.“, fand Ginny. „Und vielleicht hatte er ja auch noch Notizen oder so.“
Harry sah kurz aus dem Fenster. Der Zug hatte London schon verlassen. Sie durchquerten im Moment ein altes Industriegebiet in einem Vorort mit halb verfallenen Hallen und einigen alten Waggons, die auf Abstellgeleisen Rost ansetzten.
„Glaube ich nicht. Aber versuchen können wir es.“, stimmte Harry zu. Er ließ Hermiones Eifer gern auf sich abfärben. Vielleicht kamen sie zu viert wirklich voran, wenngleich Harry sicher war, dass der Orden des Phönix das Schloss schon mehrmals auf den Kopf gestellt hatte. Und dennoch fühlte er sich während der Zugfahrt seinem Ziel näher, als während all der Wochen in Grimmauld Place 12.
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