In der Geschichte, sag, wer ist der Bösewicht?", fragt Luna.
"Gibt keinen."
"Es gibt immer einen Bösewicht. Wenn es einen Guten gibt, dann muss es auch einen Bösewicht geben."
"Muss es das." Er vergräbt sein Gesicht irgendwo in seiner Armbeuge, doch Luna weiß, dass er schmunzelt. Sie kann es an seinem Tonfall hören.
Heute ist Fenrir müde und nicht zum Sprechen aufgelegt. Trotzdem beantwortet er ihre Fragen.
"Natürlich. Woher willst du wissen, dass du fröhlich bist, wenn du noch nie geweint hast."
"Ich bin nicht fröhlich."
"Oh. Das ist traurig."
"Nichts."
"Nicht", korrigiert Luna. "Ist es nicht. Man soll immer in ganzen Sätzen antworten. Das mögen die Leute. Sonst müssen sie nachdenken und verstehen nicht, was du sagen willst. "
"Was? Nein. Nein, du Dummkopf. Nichts ist der Bösewicht."
Darüber muss Luna nachdenken. Fenrir betrachtet das Mädchen. Sie sieht nicht gut aus. Hat dunkle Ringe unter den Augen. Nicht viel geschlafen. Und sie kommt trotzdem jeden Tag zu ihm in den Wald. Er hat sich tiefer zurückgezogen. Dieser Halbriese beginnt unangenehm zu werden. Sein Köter wittert ihn, da ist Fenrir sich sicher. Doch bis jetzt kann er es sich nicht leisten, jemanden auf sich aufmerksam zu machen. Selbst ein toter Köter wäre ein Toter zu viel.
Doch so weit er auch läuft, Luna findet ihn. Wäre eine leichte Beute, in diesem Zustand. Er ist stärker geworden, viel stärker. Könnte sie leicht überwältigen. Frisches Blut täte ihm gut. Warum hat er nicht schon früher daran gedacht?
"Es gibt noch den Gmork", sagt er.
"Gmork. Das klingt gruselig."
"Er ist eine Bestie."
"Was ist passiert?"
Fenrir unterdrückt den Impuls sie zu fragen, wie sie auf diese Frage kommt. Normalerweise wollen Leute wissen, wie die Bestie aussieht und dann, wer sie getötet hat und wie. Oder wen die Bestie getötet hat und dann, wer sie getötet hat und wie. Bei solchen dunklen Geschichten sind die Zuhörer oft die Blutrünstigsten.
"Die kalte Königin hat ihm sein Herz gestohlen. Sie hat es in zwei Teile zerrissen und sie versteckt. Eines auf dieser, eines auf der anderen Seite. Wohin er auch geht, er ist niemals daheim."
Luna schlägt die Hände vor den Mund. "Das ist ja furchtbar!"
"Machs nicht so tragisch. Ist doch bloß eine Geschichte. Jetzt fang nicht an zu heulen!", schreit er zornig, ist bei ihr und reißt ihr die Hände vom Gesicht.
Ihre großen, grauen Mädchenaugen schwimmen und starren ihn an. Fenrir fühlt ihren Pulsschlag an den Handgelenken. Er kann den Himmel in ihnen sehen, hinter sich. Ewige Momente starrt er auf das Monster, dass sich in ihren Augen spiegelt. Taumelnd lässt er los.
Er spürt sie neben sich, ihre federleichte Hand auf ihrer Schulter. "Wir müssen das Herz finden", flüstert Luna, kaum hörbar. "Wir müssen sein armes Herz finden und es ganz machen." Die Verzweiflung in ihrer Stimme nimmt ihm die Luft zum atmen.
"Es ist eine Geschichte", sagt er dumpf. „Nur eine Geschichte.“
A/N: Du darfst den Satz gerne zitieren, wenn er dir gefällt. Dafür sind schöne Sätze und Worte da, damit sie genutzt werden. ^^
@all: Vielen Dank an dieser Stelle einmal für eure ganzen Reviews. Auch wenn ich, trotz der kurzen Kapitel, eine Schnecke im Schreiben bin. Verzeiht mir. Ich hoffe, es liest noch jemand mit. ;)
Aber wirklich: Danke für die Reviews und das Lob. Darüber freue ich mich sehr.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
