Er erinnert sich nicht an seine Eltern, weder an seinen Vater noch an seine Mutter, ab er erinnert sich an das Haus. Denn er sieht es jeden Nacht in seinen Träumen.
Ein Einfamilienhaus, in schalem Gelb gestrichen, freistehend mit einem Hof und einem Garten. Die Vorderfront wird von einer großen Tanne verdeckt, deren Zweige schon damit begonnen haben, sich in die oberste Dachrinne zu bohren. Sie schützt das Haus vor Blicken neugieriger Spaziergänger, doch sie hält auch die Sonne ab. In die Zimmern, deren Fenster zur Straßenseite lagen, fällt nur das grünlich matte, nadelgefilterte Baumlicht.
Rechts neben dem Haus stellt ein altes Holztor aus überkreuzt vernagelten Latten die Pforte auf das Grundstück dar. Eingerahmt von zwei grauen, brusthohen Betonpfeilern geht es in einen wackeligen, morschen Zaun über, welcher einmal das gesamte Gelände umschloss.
Links neben dem Haus gibt es noch ein weiteres, kleineres Tor, welches zu eigentlichen Haustür führt. Doch diesen Weg benutzt niemand. Jeder, Bewohner oder Besucher, nimmt den längeren Weg durch das große Tor, über den Hof an den schmalen Rosenbeeten vorbei, um die Ecke, über die Veranda durch die meist unverschlossene Küchentür in die Küche.
Der Veranda gegenüber befindet sich der Garten. Abgetrennt vom Hof durch eine Mauer. Als kleines Kind schien sie ihm unüberwindbar, heute würde sie ihm wohl kaum bis zur Brust reichen. Den Weg zum Garten eröffnet ein altes, morsches Tor aus dunklem, verwittertem Holz. Das Paradies seiner Kindheit, in welchem er die letzten, glücklichen Stunden seines Lebens verbrachte und in welchen auch die kalte Königin kam, um sein Herz zu stehlen.
Es war ein Abend im Herbst, er spielte in seinem Garten und das Buch, das verfluchte Buch lag auf der Schaukel. Der Wind wiegte es hin und her, wie sein eigenes Kind, wissend, dass bald etwas schreckliches daraus hervorkommen würde.
Seine Mutter hatte an jenem Abend schon oft nach ihm gerufen, aber er er war zu beschäftigt sie zu hören. Zu wichtig seine Aufgabe. Die Schildkröte musste er finden, die große weise Schildkröte, die sich unter der Wiese eingegraben hatte, als das Nichts in ihrem Land die Macht übernahm. Doch sie war wohl eingeschlafen und Fenrir wollte sie unbedingt wecken. Denn wer sonst sollte dem Jungen helfen das Land zu retten? Fenrir träumte schon lange davon, einmal der Held zu sein.
Die kalte Königin erschien mit dem Mond. Er sah sie an, sieht sie immer noch in seinen Träumen, und sie war ruhig und sanft. Sie redete mit ihm, streichelte ihm über den Kopf, kraulte ihn, prüfte sein Fleisch und Fenrir gefiel das.
Er konnte seine Mutter hören, die etwas rief. Seinen Vater, der das Tor aufstieß und etwas brüllte. Und schließlich hörte er die entsetzten Schreie.
Alles versankt im Chaos und zurück blieb das Rot und das Mondlicht und schließlich der Schmerz. Der scharfe Schmerz, der bleibt, als die kalte Königin ihm das Herz raubt und es mitnimmt, dahin, wo er es nicht finden kann.
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