von ChrissiTine
Head over Feet
1. Juli 2042
Roxanne Weasley war sprachlos. Absolut sprachlos.
Sie stand hinter der offenen Kasse, hielt ein paar Galleonen in der Hand, die sie eigentlich hatte einsortieren wollen und starrte mit offenem Mund auf die Tür des Scherzartikelladens. Für einen Moment war sie davon überzeugt, einen ihrer Tagtraumzauber abbekommen zu haben. Der Mann, der gerade eben hereingekommen war, konnte einfach nicht real sein. Das war absolut unmöglich.
Sie hatte noch nie einen solchen Mann gesehen. So groß, so braunhaarig, so grünäugig, so muskulös. Nicht mal ihre wildesten Fantasien hatten sich so ein fantastisches Exemplar von Mann vorgestellt. Okay, seine Nase war nicht ganz symmetrisch und seine Ohrläppchen waren eine Spur zu groß für ihren Geschmack, aber ansonsten ... Dieser Mann konnte einfach nicht wahr sein.
Sie starrte ihn so lange wie ein totaler Idiot an, bis er vor ihr stand und sie fragte, ob sie noch einen hellblauen Knuddelmuff hatten. Roxanne konnte sich im Nachhinein nicht mehr daran erinnern, wie lange sie so dagestanden und ihn angestarrt hatte, bis sie sich endlich aus ihrer Trance gelöst hatte. Auf jeden Fall hatte es viel zu lange gedauert. Als sie es schließlich geschafft hatte, sich von seinen grünen Augen zu lösen und zu dem großen Käfig zu schauen, in dem mindestens ein duzend Minimuffs herumtollten, gab sie eine wahnsinnig intelligente Antwort.
"Sind denn keine mehr da?" Ihre Augen suchten den Käfig nach blauer Farbe ab, aber sie konnte nur rosa, grün und violett entdecken.
"Nein", erwiderte der Mann mit einem wahnsinnig süßen schiefen Grinsen. "Sonst hätte ich Sie ja nicht gefragt."
Roxanne schloss die Augen und versetzte sich einen imaginären Tritt in den Hintern. Das war ja wohl klar gewesen. Sie atmete ein paar Mal tief durch, bevor sie die Augen wieder aufmachte und ihr Gehirn dazu zwang, völlig normal zu funktionieren.
"Dann fürchte ich, dass die blauen alle ausverkauft sind. Würden Sie auch einen roten nehmen?", fragte sie hoffnungsvoll.
Der Mann schüttelte den Kopf. "Der Sohn einer Kollegin hat Geburtstag und seine Mutter hat mir gesagt, dass der Junge sich unbedingt einen blauen Minimuff wünscht. Ich kann da unmöglich mit einem roten aufkreuzen.", erklärte er mit einem strahlenden Lächeln, von dem Roxanne das Gefühl hatte, blind zu werden. Unauffällig klammerte sie sich mit einer Hand am Tresen fest, um nicht umzufallen. "Wann kriegen Sie denn wieder blaue?"
Roxanne schaute ihn bedauernd an. Es tat ihr schrecklich Leid, ihn enttäuschen zu müssen. Sie wollte nicht, dass das Lächeln von seinem Gesicht verschwand. "Ich fürchte, das dauert noch mindestens sechs Wochen. Wir züchten die Tiere selbst und es gab erst vor kurzem einen großen Wurf. Leider waren nur sehr wenige blaue dabei." Mittlerweile konnte sie sich wieder daran erinnern, dass sie den letzten blauen Minimuff gestern Abend an einen kleinen Jungen verkauft hatte. Er hatte ihr sein ganzes Taschengeld gegeben und den Minimuff beinahe erdrückt, nachdem er ihn in die Hand gesetzt bekommen hatte. Jetzt wünschte sie sich, dass der blöde Junge nie aufgetaucht wäre.
Der Mann schaute sie enttäuscht an. "Verdammt! Der Geburtstag ist schon nächste Woche." Er fuhr sich mit seiner Hand durch die wunderschönen braunen Haare. Was er wohl für ein Shampoo benutzte, um sie so zum Glänzen zu bringen? "Ich wusste, ich hätte das nicht so lange vor mir herschieben dürfen. Jetzt kann ich mich auf dem Geburtstag nicht mehr blicken lassen."
Normalerweise hätte Roxanne ihm jetzt schonungslos gesagt, dass er dann eben Pech hatte und sich mit einem anderen Minimuff zufrieden geben sollte, aber bei ihm brachte sie das einfach nicht über die Lippen. Stattdessen überraschte sie sich selbst mit dem, was sie sagte. "Ich kenne einen Züchter in Frankreich, der eine ziemlich große Auswahl hat. Seine Tiere haben kein so schönes Fell wie unsere, aber vielleicht hat er ja noch einen blauen. Wenn Sie wollen, könnte ich ihn fragen. Mit einer Expresseule könnte ich den Minimuff Anfang nächster Woche bekommen."
Sie wurde beinahe ohnmächtig, als sie das Lächeln sah, das sich jetzt auf seinem Gesicht ausbreitete. Es war sogar noch schöner als das vorige. Geschockt starrte sie ihn an, als er um den Tresen herumeilte und ihr einen Kuss auf die Wange drückte.
"Vielen Dank!", sagte er glücklich. "Sie sind ein Engel! Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll." Er ergriff ihre Hand und drückte sie überschwänglich. "Vielleicht kann ich Sie irgendwann zum Essen einladen."
Roxanne war schon wieder sprachlos. Sie konnte nur zustimmend nicken, als er ihr sagte, dass er am Montag wieder vorbeikommen würde, um den Minimuff dann hoffentlich abholen zu können.
Sie starrte ihm hinterher, als er den Laden verließ und erwachte erst aus ihrer Trance, als ein kleines Mädchen sie am T-Shirt zog und ihr eine Packung Nasenblutnugat unter die Nase hielt, die sie kaufen wollte.
I had no choice but to hear you
You stated your case time and again
I thought about it
Der Minimuff kam etwa eine Stunde bevor der Mann wieder im Laden auftauchte. Roxanne hatte ihn mit allen erdenklichen Pflegemitteln behandelt, damit er so schön aussah wie die Minimuffs, die sie verkauften. Sie hatte zwar Erfolg damit gehabt, aber dem Tier hatte das gar nicht gefallen und er hatte sie mehrmals gebissen. Außerdem hatte sie auch noch die Kommentare von Hugo und Lucy über sich ergehen lassen müssen, denen ihr so übertriebener Kundenservice sehr merkwürdig vorgekommen war. Den Rest der Zeit versuchte sie sich darauf vorzubereiten, nicht wie eine totale Idiotin rüberzukommen. Sie war auch überzeugt gewesen, das ganz gut hingekriegt zu haben, aber sie hatte vergessen, wie gut der Mann aussah.
Allerdings war sie stolz darauf zu sagen, dass sie nur fünf Sekunden sprachlos gewesen war und ihr Mund überhaupt nicht offen gestanden hatte. Das war definitiv schon eine Verbesserung.
"Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen danken soll", sagte er glücklich, als er den Minimuff in den Händen hielt und ihn aufmerksam betrachtete. "Ich hätte den kleinen Knirps ungern an seinem Geburtstag enttäuscht." Vorsichtig verfrachtete er das Tier in den Käfig, der im Preis mitinbegriffen war und den Roxanne jetzt für ihn aufhielt. Er drückte ihr viel mehr Galleonen in die Hand, als sie verlangt hatte und weigerte sich, auch nur einen Knut als Rückgeld anzunehmen. "Das ist es mir wert, glauben Sie mir", versicherte er ihr und beugte sich über den Tresen. Sein Lächeln wurde verschmitzt. "Außerdem hab ich Ihnen doch noch ein Essen versprochen."
Roxanne lächelte. Die Vorstellung, mit ihm Essen zu gehen, was verlockend. Sie hatte noch nie einen Mann kennen gelernt, auf den ihr Körper so reagierte wie auf ihn. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlen würde, mit ihm zu schlafen, weil sie dann wahrscheinlich wirklich ohnmächtig werden würde. Aber so fantastisch es sich auch anfühlte, sie konnte nicht mit ihm essen gehen. Er wollte sie nur aus Verpflichtung und Dankbarkeit einladen und das wollte sie auf keinen Fall. Außerdem fühlte sie sich auch etwas unbehaglich, weil sie ihren Körper so wenig unter Kontrolle hatte und sie sich ständig anstrengen musste, damit sie sich nicht vollkommen zur Idiotin machte. So würde sie einen Abend mit ihm nie genießen können.
Aus diesem Grund zwang sie ein Lächeln auf ihr Gesicht und schüttelte den Kopf. "Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber es ist nicht nötig. Ich hab nur meine Arbeit gemacht. Wenn sich der Junge über den Minimuff freut, dann bin ich vollauf zufrieden."
Der Mann beugte sich noch etwas weiter vor. "Ach kommen Sie schon", sagte er bittend. Roxanne musste den Blick abwenden, um nicht in seinen grünen Augen zu versinken. "Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie mit mir Essen gehen."
Roxanne schluckte. Sie hätte wirklich gerne zugesagt. Aber sie hatte sich entschieden und er würde sie nicht umstimmen können. Entschlossen schüttelte sie den Kopf. "Ich fühle mich sehr geschmeichelt. Aber nein."
Der Mann seufzte und richtete sich wieder auf. "Wie Sie meinen. Ich gebe Ihnen trotzdem meine Karte mit meiner Adresse, falls Sie es sich doch anders überlegen." Er legte eine Visitenkarte auf den Tisch, ergriff den Käfig mit dem Minimuff, lächelte ihr noch einmal zu und verließ dann den Laden.
Roxanne griff nach der Karte.
Oliver Sprouce. Rennbesenforschung.
Oliver. Roxanne lächelte verträumt. Was für ein schöner Name.
/-/
Das nächste Mal kam er am Freitag. Er erzählte ihr, wie begeistert der Sohn seiner Kollegin gewesen war und schenkte ihr zum Dank ein paar Schokofrösche. Er fragte Roxanne noch einmal, ob sie mit ihm Essen gehen würde, aber sie blieb standhaft. Ihr Körper spielte immer noch verrückt, wenn sie ihn sah. Und ihr war klar, dass aus ihm und ihr nichts werden würde. Bisher war aus ihren Beziehungen noch nie was geworden, warum sollte es also dieses Mal anders sein?
Also lehnte sie wieder ab, nahm die Schokofrösche aber dankend an.
/-/
Sie hatte gedacht, dass es damit zu Ende sein würde. Er hatte sie zweimal eingeladen, sie hatte abgelehnt, er hatte sich mit Schokolade für ihre Hilfe bedankt und fertig. Die Männer, die sie bisher gekannt hatten, hatten sich nicht mal so sehr bemüht. Schokolade hatte sie noch von keinem bekommen. Lucy hatte das eine oder andere Mal abentteuerliche Geschichten darüber erzählt, was die Männer alles angestellt hatten, um eine Verabredung mit ihr zu bekommen. Allerdings war Roxanne davon überzeugt, dass die Gesichten zumindest sehr übertrieben, wenn nicht sogar völlig frei erfunden waren. Lucy sah zwar sehr gut aus, aber sie war beiweitem keine Victoire oder gar Tante Fleur. Und mehr als einmal hatte sie außerdem beobachtet, wie die forsche Lucy den ersten Schritt getan hatte.
Aber Roxanne hatte sich getäuscht. In der Woche darauf kam Oliver wieder in den Laden. Er wollte ein paar Kanarienkremschnitten für eine Feier in seiner Firma haben. Er kaufte mehrere Kartons und lud sie schon wieder zum Essen ein. Roxanne blieb standhaft. Auch wenn es schwer fiel. Sehr schwer.
/-/
Beim nächsten Mal wollte er ein paar spezielle Schreibfedern, die auch grafische Zeichnungen anfertigen konnten. Und er fragte sie schon wieder, ob sie mit ihm ausgehen wollte.
Mittlerweile fiel es Roxanne mehr als schwer, sich noch von dem Argument zu überzeugen, dass er sie nur aus Dankbarkeit einlud, weil sie ihm den Minimuff besorgt hatte und er sich dazu verpflichtet fühlte.
Aber dennoch ... sie behielt gern die Kontrolle. Und bei ihm hatte sie das Gefühl, gar keine Kontrolle zu haben und das machte ihr Angst. Das wollte sie nicht.
Also sagte sie wieder nein.
/-/
Als sie ihn das nächste Mal eine Woche später sah, sagte sie zu. Sie hatte gar nicht mehr damit gerechnet, dass er noch einmal auftauchen würde. Sie hatte geglaubt, dass er es endlich aufgegeben hatte, sie einzuladen und nicht mehr in den Laden kommen würde.
Aber als sie nach einem freien Vormittag das Geschäft betrat, sah sie ihn bei den singenden Luftballons stehen. Er unterhielt sich mit ihrer Cousine Lucy, die so offensichtlich mit ihm flirtete, dass Roxanne ihr am liebsten eine reingehauen hätte - und sie hielt eigentlich herzlich wenig von Gewalt. Sie beobachtete, wie Lucy seinen Arm berührte und so schrecklich mädchenhaft kicherte, dass sich Roxannes Magen umdrehte.
Sie musste die Augen schließen und mehrmals tief durchatmen, bis sie ihre Wut wieder unter Kontrolle hatte. Und in diesem Moment wusste sie, dass sie zusagen würde, sollte Oliver sie noch einmal fragen und Lucy nicht abschleppen. Sie würde den Gedanken nicht ertragen können, dass er mit einer anderen Frau aß, eine andere Frau berührte. Scheiß drauf, dass sie nicht die Kontrolle hatte. Das würde sie schon noch hinkriegen. Irgendwann musste man sich schließlich an dieses gute Aussehen gewöhnt haben. Und dann würde ihr Gehirn auch wieder richtig funktionieren.
"Roxy, da bist du ja!", rief Lucy und riss Roxanne aus ihren Gedanken. Roxanne ballte eine Hand zur Faust, drehte sich um und lächelte die beiden an. "Der nette Mann hier wollte sich von dir beraten lassen, welcher von den Luftballons am besten für eine Party im Garten geeignet ist." Lucy lächelte Oliver zu, bevor sie einen Schritt zurück trat und Roxanne auffordernd anschaute.
Oliver kam auf sie zu und deutete auf die Luftballons. "Ich wollte zum Geburtstag meiner Mutter eine kleine Party im Garten meiner Eltern veranstalten und ich hab beim letzten Mal diese lustigen Luftballons hier gesehen. Ich dachte, die sind vielleicht eine ganz nette Idee."
Roxanne nickte. Sie hatte keine Ahnung, was er gerade gesagt hatte. Sie starrte in seine Augen. "Hätten Sie nächsten Freitag Zeit?", fragte sie unvermittelt, bevor sie es sich wieder ausreden konnte.
Oliver runzelte verwirrt die Stirn. "Ja. Wieso fragen Sie?", wollte er misstrauisch wissen.
Roxanne seufzte. Sie hasste es, über ihren Schatten springen zu müssen. Aber vielleicht würde er sie sonst gar nicht mehr fragen. Und so bekam sie sogar doch ein bisschen Kontrolle in dieser Situation, obwohl ihr Herz schon wieder total verrückt spielte und sie sich sehr anstrengen musste, um ihre Gedanken zu ordnen.
"Wenn Sie noch mit mir Essen gehen wollen ... ich hätte nächsten Freitag Zeit und wenn Sie wollen ... dann ... also ... ich ..."
Oliver schaute sie überrascht an. "Wirklich?", fragte er erfreut. "Sie würden mit mir Essen gehen?" Roxanne biss sich auf die Lippe und nickte.
"Gern. Ich würde sehr gern mit Ihnen Essen gehen."
Am liebsten hätte sie einen kleinen Luftsprung gemacht.
You treat me like I'm a princess
I'm not used to liking that
You ask how my day was
Roxanne war überrascht, wie sehr ihr der Abend mit Oliver gefallen hatte. Er hatte sie abgeholt und war mit ihr in ein stilvolles Muggelrestaurant gegangen. Es war romantisch und trotzdem gemütlich gewesen, das Essen hatte hervorragend geschmeckt und sie hatte sich überraschend entspannt mit Oliver unterhalten können. Er hatte sie zum Lachen gebracht und seinerseits gelacht, wenn sie Geschichten über ihre Familie erzählt hatte. Er hatte nicht nachgebohrt, wie sie es gewöhnt war, wenn es um ihren berühmten Onkel Harry ging. Er hatte nicht wissen wollen, ob all die Sachen stimmten, die man über ihn in der Zeitung lesen konnte. Stattdessen hatte er sie ausgefragt über ihre Arbeit im Scherzartikelladen und alles ganz genau wissen wollen. Roxanne war völlig perplex gewesen wegen seines Interesses, aber sie hatte ihm bereitwillig seine Fragen beantwortet.
Irgendwann war sie heiser gewesen vom vielen Erzählen.
"Okay, jetzt aber genug von mir", lachte sie schließlich und griff nach ihrem Weinglas. Der Kellner hatte es mittlerweile schon zum fünften Mal aufgefüllt und sie fühlte sich etwas angeheitert. "Ich hab fast die ganze Zeit nur von mir geredet. Ich muss Sie ja schrecklich langweilen."
Oliver schüttelte entschieden den Kopf. "Ganz im Gegenteil. Ich finde das alles wahnsinnig faszinierend. Seit ich Sie zum ersten Mal gesehen hab, wollte ich wissen, was in Ihrem Kopf vorgeht."
Roxanne wandte den Blick ab. Sie spürte, wie sie rot wurde. So viel offenes Interesse an ihr war sie nicht gewohnt. Bei den meisten ihrer Verabredungen hatte sie zugehört, wie der Kerl von sich geschwärmt hatte, und das meistens viel zu übertrieben. Noch nie hatte sie jemand über eine Stunde lang reden lassen und dabei auch noch zugehört.
Merlin, der Mann war wirklich toll.
You've already won me over in spite of me
And don't be alarmed if I fall head over feet
Don't be surprised if I love you for all that you are
I couldn't help it
It's all your fault
Auch nach zwei Wochen war er immer noch so toll. Sie gingen mittlerweile zum fünften Mal aus und dieses Mal war definitiv das allerbeste. Er hatte sie in das Musical König der Löwen eingeladen und es war fantastisch. Sie hatte bisher nie etwas für Oper oder Theater oder irgendwelche Konzerte übrig gehabt (sie war einmal bei einem Konzert der Schwestern des Schicksals gewesen und hatte sich geschworen, sich so etwas nie wieder anzutun), aber dieses Musical war einfach nur super. Die Farben, die Darsteller, die Geschichte, die Musik. Sie war völlig gefesselt gewesen von allem und hatte die Welt um sich herum komplett vergessen.
Als die Vorstellung schließlich zu Ende war und sie vor dem Theater standen, fiel Roxanne ihm übermütig um den Hals.
"Vielen Dank für diesen Abend!", rief sie glücklich. "Das war so fantastisch!" Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie erschauderte, als sein Blick ihren traf und er sie liebevoll anlächelte.
"Ich hab gewusst, dass es dir gefallen würde", sagte er zufrieden. Roxanne war sich sicher, dass es ihm sehr gefiel, sie nach so kurzer Zeit schon so gut einschätzen zu können. "Ich freu mich, dass du mir vertraut hast, obwohl du nicht gerade begeistert gewesen bist."
Er hatte ihr nicht gesagt, wo es hingehen würde. Er hatte ihr nur gesagt, dass sie sich etwas schickes anziehen sollte und sie hatte angenommen gehabt, dass sie einfach wieder essen gehen würden, wie bei ihren ersten vier Verabredungen. Als sie schließlich vor dem Theater, in dem das Musical aufgeführt wurde, standen, hatte sie angestrengt überlegt, wie sie ihm die ganze Sache wieder ausreden konnte, ohne ihn zu kränken, aber er hatte ihre Einwände ignoriert, sie in das Theater geschleppt und auf ihren Platz verfrachtet.
Die ersten fünf Minuten hatte Roxanne überlegt, wie sie ihn dafür würde leiden lassen und dass sie ihn nie wieder sehen wollte, weil er ihre Wünsche so wenig respektiert hatte. Aber dann hatte sie sich doch auf das Geschehen auf der Bühne eingelassen und war verzaubert gewesen. So verzaubert von dem Musical, wie sie jetzt verzaubert von Oliver war.
Your love is thick and it swallowed me whole
You're so much braver than I gave you credit for
That's not lip service
Es vergingen zwei Monate, bis sie zum ersten Mal miteinander schliefen. Auch das war eher ungewöhnlich für Roxannes Verhältnisse. Sie ging nicht gleich nach der ersten Verabredung mit einem Mann ins Bett, aber nach ein paar Treffen lief es irgendwie immer darauf hinaus. Sie hatte nichts dagegen, weil Sex ein wichtiger Bestandteil einer Beziehung für sie war. Allerdings nicht der wichtigste, was mitunter ein Grund dafür war, dass viele ihrer Beziehungen nicht gehalten hatten. Nur Sex war eben keine richtige Grundlage für eine Beziehung.
Oliver hatte sie zum ersten Mal richtig geküsst, als er sie nach dem Musical nach Hause gebracht hatte. Und das war so ein himmlisches Gefühl gewesen, dass Roxanne am liebsten nie wieder damit aufgehört hätte. Sie hatte ihm angeboten, noch hereinzukommen, in der Hoffnung, noch ein bisschen damit weiterzumachen, aber Oliver hatte abgelehnt, weil er eine wichtige Besprechung am nächsten Morgen hatte.
Seitdem hatten sie sich häufiger geküsst, auch einmal eine halbe Stunde auf ihrem Sofa herumgeknutscht, aber Oliver hatte immer gezögert, den entscheidenden Schritt zu machen.
Nach zwei Monaten war es Roxanne zu bunt geworden. Sie war mittlerweile so sexuell frustriert, dass sie kaum noch an etwas anderes denken konnte und das blockierte sie bei ihrer Arbeit. Sie war nutzlos, wenn Hugo, Lucy und sie neue Ideen für ihre Scherzartikel diskutierten. So konnte es nicht weitergehen.
"Ich hab die Schnauze voll!", sagte sie aufgebracht und setzte sich auf. Sie strich sich ihre zerzausten Haare aus der Stirn und zog ihr Top herunter, das nach oben gerutscht war, als Oliver mit seinen Händen über ihren Rücken gefahren war. Sie hatte gedacht, dass er dieses Mal weiter gehen würde, aber sie hatte gespürt, wie er sich zurückgezogen hatte, als sie sein Hemd hatte aufknöpfen wollen.
"Was?", fragte er verwirrt. Er richtete sich auf und schaute sie verständnislos an. "Was meinst du?"
Sie sprang auf und begann, vor ihm auf und ab zu gehen, um wenigstens so etwas ihrer Frustration loszuwerden. Es funktionierte nicht. "Wenn du mich nicht attraktiv findest, dann kannst du auch gerne gehen. So hat das alles ja wohl keinen Sinn!" Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und schaute ihn auffordernd an.
"Wovon sprichst du?" Oliver starrte sie an, als würde sie von einem anderen Stern kommen. "Natürlich finde ich dich attraktiv! Du bist die schönste und heißeste Frau, die ich kenne."
"Ach ja?", fragte Roxanne ungläubig. Dass sie nicht lachte! "Und wieso willst du dann nicht mit mir schlafen? Nenn mich altmodisch, aber ich hab immer gedacht, wenn man jemanden attraktiv findet, dann hat man auch Sex mit ihm! Alles andere ist so, als wenn man einem Niffler einen Goldklumpen unter die Nase hält und ihn dann wieder wegnimmt!"
Oliver fing an zu grinsen, was Roxanne nur noch wütender machte. Dieser Idiot hatte nichts zu grinsen, verdammt noch mal! "Was ist bitte so witzig?", fragte sie aufgebracht.
Er schüttelte immer noch grinsend den Kopf, stand auf und schlang die Arme um sie. Er küsste sie so leidenschaftlich und intensiv wie noch nie zuvor. Roxanne klammerte sich an ihm fest, um nicht umzufallen. "Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich will, Roxy.", flüsterte er mit rauer Stimme. "Ich wollte nur nichts überstürzen. Du bist eine fantastische Frau und ich wollte mit Sex nichts kaputt machen." Er hob die Hand und strich ihr zärtlich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. "Meine Mum hat immer gesagt, dass es wichtig ist, ein Gentleman zu sein. Ganz besonders zu der Frau, die man liebt."
Tränen stiegen ihr in die Augen. "Du liebst mich?", fragte sie mit erstickter Stimme. Wärme durchflutete ihren ganzen Körper.
Oliver nickte. Er beugte sich vor und küsste sie erneut. Roxanne erwiderte den Kuss so inbrünstig, wie es ihr nur möglich war. Sie drückte ihn so fest an sich, dass nichts, absolut nichts, zwischen ihnen Platz hatte. Sie hätte nie gedacht, dass diese Worte ihr einmal so viel bedeuten würden.
Als sie schließlich mit fahrigen Fingern sein Hemd aufknöpfte, wehrte er sich nicht mehr.
Und als sie schließlich miteinander geschlafen hatten und aneinandergekuschelt in ihrem Bett lagen, war sie froh, dass sie so lange gewartet hatten. Es war absolut perfekt.
You've already won me over in spite of me
And don't be alarmed if I fall head over feet
Don't be surprised if I love you for all that you are
I couldn't help it
It's all your fault
"Deine Familie ist viel chaotischer, als ich gedacht habe", sagte Oliver kopfschüttelnd. Roxanne setzte sich auf die Arbeitsplatte in seiner Küche, baumelte mit ihren Füßen, die in schwarzen High Heels steckten, und schaute dabei zu, wie er sich einen Feuerwhiskey einschenkte. "Und beängstigend. Sehr beängstigend."
Sie lachte. "Ich hab dir doch gesagt, dass wir nicht so sind wie andere.", sagte sie schulterzuckend und nahm das Glas entgegen, das er ihr reichte.
"Ja, schon. Aber ich hab trotzdem nicht damit gerechnet, dass Aiden die Schokotorte zum Einsturz bringt und dein Cousin sich am liebsten auf den Freund seiner Tochter gestürzt hätte, weil der ihre Hand gehalten hat." Er erschauderte. "Und du hättest mich wenigstens vorwarnen können, dass dein Dad alle deine Onkel zusammentrommelt, um mich in diesem kleinen Zimmer zu fragen, was ich für Absichten habe und ob er darauf vertrauen könnte, dass ich deine Jungfräulichkeit demnächst nicht rauben werde." Oliver schloss die Augen und trank einen Schluck Whiskey aus der Flasche.
Roxanne stellte lachend ihr Glas auf den Tresen und zog Oliver an seinem Hemd zu sich heran. Sie legte die Arme um ihn. "Glaub mir, das hat Dad noch nie gemacht." Er hatte eigentlich nie Theater gemacht. Wenn sie jemanden mitgebracht hatte, um ihn der Familie vorzustellen, hatte er sich nur versichert, dass der Mann einen guten Sinn für Humor hatte und sich ansonsten darauf verlassen, dass Roxannes Urteilsvermögen sie nicht im Stich gelassen hatte. Er hatte noch nie mit seinen Brüdern und Onkel Harry zusammen versucht, einem ihrer Freunde wirklich Angst zu machen.
"Ach ja?", fragte Oliver unbeeindruckt und versuchte, sich aus ihrer Umarmung wieder zu lösen. "Da fühle ich mich jetzt aber sehr geehrt.", sagte er augenverdrehend.
Roxanne schüttelte den Kopf und zog ihn noch näher zu sich. Sie war so schnell, dass er beinahe den Halt verloren hätte und bei dem Versuch, sich am Tresen abzustützen, die Flasche Feuerwhiskey fallen ließ. Sie kümmerte sich nicht darum, sondern drückte ihre Lippen auf seine. "Das solltest du wirklich", flüsterte sie schließlich, als sie es kurz über sich brachte, sich von ihm zu lösen. "Mein Dad weiß, dass das zwischen uns was ernstes ist. Ich glaube, das war seine Art, dich in der Familie willkommen zu heißen."
"Ach ja?", fragte Oliver überrascht. Ein Leuchten trat in seine Augen, das sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie hoffte, sie hatte sich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt. Sie hatten nie darüber gesprochen, ob es etwas ernstes zwischen ihnen war. Ob es eine Zukunft für sie beide geben würde. Sie hatte es nur angenommen. Aber schließlich hatte er ihr schon gesagt, dass er sie liebte. Für sie war noch nie etwas so ernst gewesen.
"Komische Art", murmelte er nur kopfschüttelnd und zog sie noch enger an sich.
Roxanne zuckte mit den Schultern. So war ihre Familie eben.
You are the bearer of unconditional things
You held your breath and the door for me
Thanks for your patience
"Bitte schön, Madame", sagte Oliver grinsend und hielt ihr die Tür auf.
Roxanne warf ihm einen wütenden Blick zu und trat schwer atmend über die Schwelle. Kaum stand sie im Flur, ließ sie die schwere Kiste mit den Büchern fallen. Sie beugte sich vor, stützte sich auf ihren Knien ab und rang nach Luft. Sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
"Ich ... hasse ... dich", brachte sie schließlich mühsam hervor.
Oliver schloss die Tür und lehnte sich, immer noch mit diesem dämlichen Grinsen im Gesicht, dagegen. "Ich weiß nicht, was du hast", sagte er gut gelaunt. "Du hast doch darauf bestanden, dass du die Bücherkiste alleine tragen kannst und dass ich dich nicht wie ein rohes Ei behandeln muss, nur weil du eine Frau bist. Ich hab mich nur an deine Wünsche gehalten."
Roxanne schüttelte den Kopf und richtete sich langsam wieder auf. "Das war, bevor ich wusste, dass du eine halbe Bibliothek eingepackt hast!", widersprach sie. Wer hatte schon ahnen können, dass Oliver so viele Bücher hatte! So viele hatte ja nicht mal ihre Tante Hermine. Wütend versetzte sie der Kiste einen Tritt. Gleich darauf schoss ein stechender Schmerz durch ihre Zehen und sie umklammerte mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Fuß. "Aua! Verdammte Scheiße!"
"Roxy!" Olivers Grinsen war verschwunden. Er eilte auf sie zu und fing sie auf, als sie das Gleichgewicht verlor. Hilfesuchend klammerte sie sich an ihn und schrie einen Moment später erneut auf. Dieses Mal allerdings vor Überraschung, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie gleich auf den Arm nehmen würde. Besorgt musterte er sie. "Soll ich dich ins Krankenhaus bringen?"
Roxanne wackelte vorsichtig mit ihren Zehen. Es tat zwar weh, aber sie war sich sicher, dass es nicht schlimm genug war, um ins Krankenhaus zu gehen. Außerdem würde James sich kaputt lachen, wenn er davon hörte. Entschieden schüttelte sie den Kopf. "Nein, das geht schon."
Oliver seufzte erleichtert. "Merlin sei Dank! Das wäre sonst wirklich ein beschissener erster Abend in unserem neuen Haus."
Sie lachte. Da hatte er Recht. Ihren ersten Abend hier wollte sie wirklich nicht im Krankenhaus verbringen. Sie ließ ihren Blick durch die Zimmer schweifen. Es war noch kein einzelnes Möbelstück aufgebaut, aber dafür stapelten sich überall Umzugskartons bis an die Decke. Die Wände waren noch in dem scheußlichen Schwarz gestrichen, das dem Vormieter so sehr gefallen hatte. Roxanne und Oliver hatten sich noch nicht einigen können, welche Farbe ihnen besser gefiel.
"Bist du sicher, dass wir das Richtige tun?", fragte sie mit einem Anflug von Unsicherheit. Sie hatte bisher keine Sekunde gezweifelt, aber jetzt, wo alles so entgültig war, war ihr schon etwas mulmig zumute.
Oliver nickte. Er küsste sie zärtlich. "Ich weiß, dass das alles sehr schnell zwischen uns geht, aber ich bin mir sicher. Du dir etwa nicht?" In seine grünen Augen trat ein besorgter Ausdruck.
Roxanne biss sich auf die Lippe.
Es stimmte. Im Vergleicht dazu, wie langsam es zwischen ihnen angefangen hatte, war es wirklich wahnsinnig schnell gegangen. Letzten Monat war Olivers Mietvertrag ausgelaufen und er hatte nicht mehr in seiner Wohnung bleiben wollen. Also war er auf Wohnungssuche gegangen und Roxanne hatte ihn als moralische Unterstützung begleitet und irgendwie waren sie über ein kleines Häuschen am Stadtrand Londons gestolpert, das beiden überraschend gut gefallen hatte und so waren sie auf die Idee gekommen, zusammen in das Haus einzuziehen, weil es für Oliver alleine definitiv zu groß war. Roxanne hatte ihren Vertrag gekündigt und keine Woche später hatten sie damit begonnen, den ganzen Kram, der sich im Laufe der Jahre in ihren beiden Wohnungen angesammelt hatte, in das Haus zu schaffen. Alles war so schnell gegangen, dass Roxanne überhaupt keine Zeit gehabt hatte, über die Entscheidung richtig nachzudenken. Jetzt erschien ihr das Ganze zwar wie der reine Wahnsinn, aber sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal in ihrem Leben so glücklich gewesen zu sein.
Sie hob ihre Hand und strich über Olivers Wange. Sie lächelte ihn liebevoll an. "Doch, ich bin mir sicher. Hundert Prozent." Glücklich beobachtete sie, wie sich das strahlende Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, das sie so sehr liebte. "Aber scheiß auf die Emanzipation!", sagte sie entschieden. "Die anderen Kartons trägst du ins Haus!"
Oliver lachte. "Wenn's weiter nichts ist", erwiderte er. "Ein einfacher Schwebezauber und fertig!"
Roxanne hätte ihn am liebsten getreten. Aber weil er sie noch auf dem Arm trug, ging das schlecht. Stattdessen küsste sie ihn. Und küsste und küsste und küsste ... Und als er sie vorsichtig auf die Matratze legte, die ihr vorläufiges Bett sein würde, da war Küssen nicht mehr das einzige, was sie taten. Roxanne vergaß, dass sie ihn hatte treten wollen. Und sie vergaß auch den Schmerz in ihrem Fuß. Und sie vergaß auch, dass noch eine Menge Kartons im Garten standen, die eigentlich ins Haus gehört hätten. Aber das war im Grunde auch alles scheißegal.
You're the best listener that I've ever met
You're my best friend
Best friend with benefits
What took me so long
"Urgh!" Roxanne trat aus dem Kamin und schmiss erschöpft ihre Handtasche in die Ecke. Oliver schaute von seinen Papieren auf, auf denen verschiedene Querschnitte von Rennbesenmodellen abgebildet waren.
"Harter Tag?", fragte er mitfühlend.
Roxanne verdrehte erschöpft die Augen. "Du hast keine Ahnung! Unsere Verkäuferin hat sich krank gemeldet und Hugo musste früher weg, weil Clara noch irgendeine Kundin am Hals hatte und er auf Angela aufpassen musste, die natürlich ausgerechnet heute einen Termin beim Kinderheiler hatte." Roxanne setzte sich an den Küchentisch, auf dem Oliver seine Unterlagen ausgebreitet hatte. Sie legte den Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. "Und gerade, als nur noch Lucy und ich da waren, kam eine ganze Horde von Kindern herein und jeder wollte was anderes und alle haben sich natürlich zurufen müssen, was sie tolles entdeckt haben. Ich hätte am liebsten jemanden umgebracht."
Sie spürte, wie Oliver seine Hände auf ihre Schultern legte und anfing, sie zu massieren. Zufrieden seufzte sie. Oliver war wirklich fantastisch. Er hörte ihr zu, wenn sie Probleme hatte. Er massierte sie, wenn sie völlig fertig war und eine Aufmunterung brauchte. Er war umwerfend im Bett. Ihre Familie war begeistert von ihm. Sicher, er hatte einen unmöglichen Geschmack, was Möbel anging, (Roxanne hätte das hässliche Sofa, auf das er bestand, am liebsten rausgeworfen, aber dann hätte sie ihre hübschen orangefarbenen Vorhänge nicht aufhängen dürfen und das war es ihr nicht wert gewesen), aber alles in allem war er wirklich der beste Mann, mit dem sie je zusammen gewesen war. Er machte sie glücklich.
"Und wie war dein Tag?", fragte sie fünf Minuten später, als Oliver die Verspannungen in ihrem Nacken etwas hatte lösen können. "Fliegt der neue Besen schon?"
Oliver seufzte. "Sagen wir mal so: Er war zehn Sekunden länger in der Luft als letzte Woche. Dafür ist er aber auch dreimal so schnell wieder abgestürzt.", erklärte er bedauernd.
Roxanne richtete sich wieder auf. Sie legte ihre Hand auf seine. "Das tut mir Leid für euch. Ihr habt euch doch solche Mühe gegeben."
Oliver zuckte mit den Schultern. "Irgendwann wird es schon klappen. Das hat es bis jetzt immer." Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Stirn. "Deine Mum war vorhin da und hat ihr Roast Beef dagelassen."
Roxanne sprang mit leuchtenden Augen auf. "Wirklich?" Sie liebte das Roast Beef ihrer Mutter. Das würde aus einem wahnsinnig beschissenen Tag einen beschissenen Tag machen. Sie stürzte sich auf den Kühlschrank, schnappte sich das Essen, wärmte es mit einem Spruch auf und schlang es dann fast herunter.
Oliver schaute ihr lächelnd dabei zu. "Ich hab noch nie eine Frau gesehen, die so essen kann wie du. Man könnte meinen, du hast seit einer Woche nichts mehr zu essen bekommen."
Roxanne lehnte sich satt und zufrieden in ihrem Stuhl zurück und zuckte mit den Schultern. "Ich kann nichts dafür, dass meine Mum so gut kocht. Irgendwie muss ich diesen beschissenen Tag doch noch retten."
Er schaute sie beleidigt an. "Und was ist mit mir? Hat meine Anwesenheit den Tag für dich nicht schon gerettet?" Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Roxanne lachte. "Entschuldige, Schatz, aber an das Roast Beef meiner Mutter kommst du nicht heran."
Ein entschlossener Ausdruck trat in Olivers Augen. Er stürzte sich auf Roxanne, hob sie aus ihrem Stuhl und warf sie sich über die Schulter. Sie wehrte sich schreiend und schlug mit Händen und Füßen um sich, aber er war stärker. Er trug sie die Treppe hinauf ins Schlafzimmer und warf sie auf ihr großes Doppelbett.
"Das wollen wir doch mal sehen!"
Und so wurde aus dem beschissenen Tag ein mieser Tag. Und das war viel mehr, als Roxanne sich erhofft hatte, als sie aus dem Kamin geklettert war.
I've never felt this healthy before
I've never wanted something rational
I am aware now
I am aware now
"Entschuldigen Sie bitte, Miss, haben Sie noch einen roten Minimuff?"
Roxanne, die gerade auf einer Leiter balancierte und die Nasch- und Schwänzleckereien zu sortieren versuchte, drehte sich genervt um. Die Menschen hatten wirklich keinen Orientierungssinn.
Sie wäre fast von der Leiter gefallen, als sie Oliver mitten im Laden stehen sah. Er war bis auf die Knochen durchnässt (was allerdings auch kein Wunder war, da es draußen in Strömen regnete). Aus diesem Grund war der Laden auch wie ausgestorben und Roxanne hatte gehofft, etwas Ordnung in ihr kreatives Chaos bringen zu können.
"Oliver, was ...", fragte sie völlig überrascht.
Er zeigte auf den Käfig, in dem sich nur sehr wenige Minimuffs tummelten. Rote waren nicht dabei. "Nein, leider nicht. In ein paar Wochen kriegen wir neue, kurz vor Weihnachten." Hatte sie sich nur verhört, oder hatte der Mann, mit dem sie jetzt seit einem Monat zusammenwohnte, sie gesiezt?
"Verdammt! Die Tochter einer Kollegin hat nächste Woche Geburtstag und wünscht sich einen roten Minimuff. Unbedingt. Können Sie nicht irgendwas machen?" Oliver sah sie flehentlich an.
Roxanne runzelte die Stirn. "Was soll das, Oliver?"
"Ich habe gehört, Sie kennen einen Züchter in Frankreich. Könnte der vielleicht einen roten Minimuff haben?", fragte Oliver hoffnungsvoll.
Roxanne stieg kopfschüttelnd von der Leiter. "Ich hab zwar keine Ahnung, was das soll, aber bitte ..." Sie ging zu dem Käfig und schaute sich die Minimuffs genau an, die darin herumhüpften. "Wäre die Tochter Ihrer Kollegin auch mit einem violetten Minimuff zufrieden? Ich weiß nicht, ob der Züchter noch Rote hat. Rote sind sehr gefragt. Wie wäre Blau? Vor ein paar Monaten wollten Sie doch unbedingt einen Blauen."
Oliver schüttelte den Kopf. "Das war ein Junge. Das Mädchen will unbedingt einen Roten." Er schaute sie so bittend an, dass Roxanne schon wieder nicht anders konnte.
"Also schön. Ich frag den Züchter, ob er noch einen roten Minimuff hat." Warum er sie nicht einfach zu Hause gefragt hatte, ob sie noch rote Minimuffs hatten, war ihr ein Rätsel. Er hatte ihr noch nicht mal erzählt, dass er zum Geburtstag der Tochter einer Kollegin eingeladen war. Das Ganze kam ihr wirklich sehr suspekt vor. War irgendein Test fehlgeschlagen und sein Gehirn hatte etwas abgekriegt? Nicht mal James war so dämlich, und der war öfter vom Besen gefallen, als sie alle hatten zählen können.
"Ich danke Ihnen!", rief Oliver glücklich. "Ich danke Ihnen!" Er umarmte sie stürmisch. "Zum Dank könnte ich Sie vielleicht ..." Er verstummte. Verwirrt schaute Roxanne dabei zu, wie er einmal schluckte und tief durchatmete. So merkwürdig hatte sie ihn noch nie erlebt. Erst vergaß er, dass sie sich schon kannten, oder er tat zumindest so, und jetzt sah er so aus, als wäre er kurz vor einer Panikattacke. Was sollte der Mist?
"Zum Essen einladen?", schlug sie trotzdem vor. Vielleicht würde sie schneller erfahren, worum es ging, wenn sie mitspielte.
Er schüttelte den Kopf. Er steckte eine Hand in seinen Umhang und begann, irgendetwas zu suchen. "Ich dachte eher daran, dass ich Sie vielleicht ..." Er räusperte sich lautstark. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Roxanne musterte ihn besorgt. Er schien ernsthaft krank zu sein. "Dass ich Sie vielleicht ... heiraten könnte." Roxannes Mund fiel auf. "Aber wenn Sie nicht wollen, ist das völlig in Ordnung", fügte er hektisch hinzu. "Wir können auch nur Essen gehen, das würde auch ..."
"Ist das dein Ernst?", fragte sie mit zitternder Stimme. "Ist das wirklich dein Ernst oder hat dich irgendjemand mit dem Imperius-Fluch belegt? Denn wenn das ein Scherz sein soll, dann finde ich ihn überhaupt nicht witzig."
Mit diesem Thema machte man keine Scherze. Sie hatte einen guten Sinn für Humor, den hatte sie von ihrem Vater geerbt, aber selbst für sie hatte Humor irgendwann Grenzen. Und mit diesem Thema machte man nun wirklich keine Witze. Sie würde ihn umbringen, wenn er das lustig fand.
"Das ist mein Ernst", flüsterte Oliver. "Ich hab noch nie etwas so ernst gemeint." Er hatte gefunden, was er gesucht hatte. In seiner Hand hielt er ein geöffnetes Schmuckkästchen. Ein wunderbarer schlichter Ring mit einem Saphir funkelte ihr entgegen.
Roxanne spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, von denen sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie überhaupt da waren. Sie schaute nur auf diesen Ring in Olivers Hand und versuchte krampfhaft zu überlegen, was sie antworten sollte. Sie kannten sich noch keine sechs Monate. Das ging alles viel zu schnell. Sie fühlte sich noch gar nicht bereit für die Ehe. Sie fühlte sich noch so jung und unerfahren, obwohl sie schon einunddreißig war. Sie musste unbedingt länger darüber nachdenken. Richtig nachdenken. Diese Entscheidung konnte sie nicht überstürzen. Sie musste genau abwägen, ob das ...
Sie schaute von dem Ring in Olivers Augen, die sie hoffnungsvoll, aber auch ängstlich anschauten.
"Ja", flüsterte sie mit brechender Stimme. "Ja. Ich will."
"Wirklich?", flüsterte Oliver fassungslos zurück. "Du willst?"
Sie nickte. "Ja. Ich will." Weinend warf sie sich in seine Arme und küsste ihn stürmisch. Sie konnte ihre Tränen auf seinen Lippen schmecken. Sie konnte spüren, wie Oliver lächelte. Und sie fühlte sich, als ob sie vor Glück gleich explodieren würde. Sie hatte nie gedacht, dass sie sich einmal so fühlen würde. Dass es so schön sein konnte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sie sich wieder voneinander. Misstrauisch schaute sie ihn an. "Brauchst du wirklich einen roten Minimuff oder war das nur ein Vorwand?"
Oliver grinste kleinlaut. "Ich fürchte, den brauche ich wirklich. Kannst du einen besorgen?"
Roxanne lachte. "Du hast Glück, dass ich so gute Kontakte habe, mein Lieber."
Er nickte. "Ja, das hab ich wirklich."
You've already won me over in spite of me
And don't be alarmed if I fall head over feet
Don't be surprised if I love you for all that you are
I couldn't help it
It's all your fault
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A/N: So, nach langer Zeit mal wieder was neues bei den Momentaufnahmen. Und es ist sogar noch eine Premiere, denn das war das erste Mal, dass ich mich an einer Songfic versucht habe. Auf das Lied bin ich aufmerksam geworden, als meine Dozentin in der Uni es als Beispiel für ein Zeugma verwendet hat (ein Verb, das mehrere Nomen umfasst, die nichts miteinander zu tun haben - you held your breath and the door for me, oder für die, die nur Deutsch verstehen ein anderes Beispiel, falls es sie interessieren sollte: Herzlich willkommen an alle, die gerade die Augen oder ihr Frühstücksei aufschlagen (Morgensendung Radio) ). Ich kannte den Song schon davor, aber danach hab ich mich etwas mehr mit dem Text beschafft und bumm, dachte ich mir, dass er ganz gut auf Roxanne und Oliver passen könnte. Ich wollte auch mal ein paar schöne Momente für die beiden schreiben, die ja bisher in den Momentaufnahmen nicht ganz so vom Schicksal begünstigt waren. Wie ihr seht, sie hatten auch schöne Momente.
Dann möchte ich noch erwähnen, von wem der Song überhaupt ist: Alanis Morissette - Head over Feet
So, und dann möchte ich noch für alle Fans von unserem lieben Hugo Weasley erwähnen, dass ich endlich die FF über ihn und Clara und ihre ungeplante Schwangerschaft gepostet habe. Wen es interessiert, wie der arme Hugo mit seiner plötzlichen Vaterschaft umgeht, schaut mal unter dem Titel Baby an Bord. Zwei Kapitel sind schon gepostet, die nächsten kommen regelmäßig jeden Sonntag dazu (insgesamt 20, die Muse hat mich da sehr ausgiebig geküsst).
Und ansonsten, ich hoffe, ihr habt noch nicht das Interesse an dieser FF verloren (die Reviews für das letzte Kapitel waren eher spärlich, ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen) und bis zur nächsten Momentaufnahme
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