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Fanfiction

Das Tagebuch der Arabella Doreen Figg - Zurück zu den Wurzeln

von BlackWidow

Hallo Leute,
es geht wieder weiter - wie versprochen, viel schneller als in den letzten beiden Jahren. Über Kommentare wĂŒrde ich mich schon freuen ... (Butterbier und Kesselkuchen stehen bereit!)

@Winkelgassler: Tut mir leid, dass hier so tote Hose ist, ich bin unter den MODs auch nur ein kleines Licht und nicht befÀhigt, die ganzen technischen Schwierigkeiten zu beheben. Und von den Verantwortlichen ist gerade niemand erreichbar - das E-Mail-System scheint derzeit auch nicht zu funktionieren. Einfach Geduld haben, mehr kann ich leider auch nicht machen.

@alle: Nun wĂŒnsche ich Euch viel Spaß beim vermutlich drittletzten Kapitel.
Liebe GrĂŒĂŸe
von Eurer BlackWidow


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ZurĂŒck zu den Wurzeln

10. Juli 2006
Heute war mein erster Besuch im St. Mungo Krankenhaus und ich spĂŒrte gleich, dass dies im Moment die richtige Aufgabe fĂŒr mich ist. Außenstehenden mag es seltsam erscheinen, dass ich in meinem Alter meine sichere Stellung aufgegeben habe, um mich ehrenamtlich zu engagieren, doch die Hauptsache ist, dass es fĂŒr mich stimmt. Ich wurde von einer Heilerin mit der Station fĂŒr unheilbar Kranke vertraut gemacht, wo ich nun Patienten besuchen werde, so oft mir dies möglich ist. Die Pflege wird nach wie vor von den Heilern geleistet, sodass ich nur dafĂŒr da bin, mit den Menschen zu reden, sie zu trösten oder ihnen vorzulesen. Eben all die Dinge, fĂŒr die den Heilern die Zeit fehlt. Es wird also eine wesentlich leichtere Aufgabe als vor etlichen Jahrzehnten, als ich meine Mutter pflegte, denn da war ich ganz allein fĂŒr Alles verantwortlich und hatte nur einmal in der Woche UnterstĂŒtzung von einer Heilerin. Meine Mutter zu versorgen strengte mich nicht nur psychisch an, weil ich ja gewaltig ĂŒber meinen Schatten springen musste, der Frau, von der ich mich als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene nie wirklich geliebt gefĂŒhlt hatte, nun meinerseits einen Liebesdienst erweisen zu mĂŒssen. Es brachte mich zudem auch noch körperlich an meine Grenzen, da mir ja keine ZauberkrĂ€fte zur VerfĂŒgung standen, um meine Mutter aus dem Bett zu heben.

13. Juli 2006
Ich habe nun in drei Tagen schon sechs verschiedene Patienten besucht, ihnen vorgelesen, mir ihre Lebensgeschichten angehört oder auch einfach nur die Hand gehalten, je nachdem, was gerade nötig war. Bei einigen handelt es sich um Menschen, die von Todessern gefoltert worden sind und die seitdem körperliche oder seelische Leiden haben, die nicht mehr geheilt werden können. Bei allen habe ich den Eindruck, dass der Tod fĂŒr sie eine Erlösung wĂ€re, doch liegt es nicht in der Hand von uns Menschen, zu bestimmen, wann diese Erlösung kommen wird. Und meine Aufgabe ist es, die Patienten, die selten oder nie Besuch bekommen, aufzuheitern. Um wie viel leichter mir dies bei mir völlig fremden Menschen fĂ€llt, als es mir bei meiner Mutter gefallen ist, gibt mir immer wieder zu denken. Gut, bei fremden Personen ist man emotional unabhĂ€ngiger, könnte man sagen. Aber da bin ich mir nicht einmal so sicher, denn einige interessieren sich ebenso sehr fĂŒr meine Lebensgeschichte, wie ich mich fĂŒr ihre interessiere, sodass oft ein fruchtbarer Austausch stattfinden kann.

Eine der Heilerinnen hat mir von einem „hoffnungslosen Fall“ berichtet: Josephine, eine Frau, die seit ihrer Krankheit immer mehr in einer fremden, fĂŒr alle unverstĂ€ndlichen Sprache spricht und wohl ihr Englisch völlig vergessen hat. „Es hat ĂŒberhaupt keinen Sinn, Josephine zu besuchen, weil sie ja doch nicht versteht, was man zu ihr sagt,“ war ihr ResĂŒmee. Nun, da hatte sie die Rechnung aber ohne mich gemacht, denn allein die Neugier, um welche Sprache es sich wohl handeln könnte, trieb mich in dieses Krankenzimmer. Ich setzte mich neben ihr Bett, stellte mich vor und sprach ĂŒber Belanglosigkeiten, schwieg aber dazwischen immer wieder. Es kam wohl etwa eine Stunde lang gar keine Reaktion, da begann ich einfach, ihr etwas aus meinem alten MĂ€rchenbuch vorzulesen. Ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht, dass man alte Menschen, die nicht mehr ansprechbar sind, am besten mit Erinnerungen an die Kindheit aus ihrem Schneckenhaus locken kann. Deshalb ist mein MĂ€rchenbuch immer dabei, wenn ich ins Krankenhaus gehe. Als nach einer Stunde immer noch keine Reaktion kam, ging ich frustriert nach Hause. Ich erzĂ€hlte Mary von diesem Erlebnis, und sie brachte mich auf eine Idee: „Wenn diese Frau aus irgendeinem Grund ihr Englisch vergessen hat, muss man herausfinden, welche Sprache sie denn nun spricht. Vielleicht stammt sie aus einem anderen Land und kehrt nun gedanklich wieder in ihre Kindheit zurĂŒck?“

„Mary, das ist wirklich genial!“ rief ich aus, ging zu meinem Wohnzimmerschrank, in dem ich eine Ecke mit meinen „Kostbarkeiten“, wie ich sie nenne, habe: Fotos von allen lieben Menschen, die bereits von mir gegangen sind, aber auch viele Andenken an sie. Neben den Fotos meiner Regensburger Freunde steht das Buch mit den deutschen MuggelmĂ€rchen, das mir Luise nach dem schrecklichen Tod ihrer SchwĂ€gerin Agnes als Andenken an sie vermacht hatte. Bei den Fotos von Urs steht unter anderem auch ein französisches MĂ€rchenbuch, denn wir haben uns in der Schweiz oft zwei-, oft sogar dreisprachig unterhalten. Vor allem dem kleinen Luc habe ich diese MĂ€rchen damals oft auf Französisch vorgelesen. „Dann wollen wir einfach mal hoffen, dass eine der Sprachen dabei ist und Josephine nicht etwa Tschechisch oder Polnisch spricht!“ lachte ich, und Mary war sehr angetan davon, dass ich KinderbĂŒcher in drei Sprachen besitze. „Besitzen heißt noch lange nicht beherrschen!“ musste ich gestehen. „Ich habe mein Französisch schon sehr lange nicht mehr gebraucht und hoffe, dass ich mich nicht zu sehr verhasple beim Vorlesen.“

15. Juli 2006
Die Heilerin konnte es nicht glauben, dass ich diese „schwierige Patientin“ nicht aufgeben, sondern noch einen Versuch unternehmen wollte. Aber sie ließ mich dann doch ins Zimmer, weil ich mich nicht abwimmeln lassen wollte. ZunĂ€chst versuchte ich es mit dem französischen MĂ€rchenbuch und schlug auf Ali-Baba et les quarante voleurs, ein MĂ€rchen, das Luc frĂŒher immer wieder von mir hören wollte und ich mir deshalb noch zutraute, es ohne größere Pannen vorzulesen. Ich konzentrierte mich und begann: „Il Ă©tait une fois, il y a trĂšs longtemps, dans une ville de Perse, deux frĂšres. …“ Zum GlĂŒck brauchte ich nicht sehr weit zu lesen, denn Josephine war bald eingeschlafen. Also ging ich zu meinen anderen SchĂŒtzlingen, die sich ĂŒber unsere GesprĂ€che freuten. Als ich mich von ihnen verabschiedet hatte, drĂ€ngte es mich noch einmal zu Josephine, denn ich wollte es wenigstens noch mit einem deutschen MĂ€rchen versuchen. Wenn dies auch nicht klappen wĂŒrde, mĂŒsste ich diese Patientin wohl doch aufgeben.

Ich setzte mich noch einmal neben ihr Bett, da sie wieder wach, aber wie immer völlig apathisch war, schlug mein MĂ€rchenbuch auf und las: „Eine arme Witwe lebte einsam in einem HĂŒttchen, und vor dem HĂŒttchen war ein Garten. Darin standen zwei RosenbĂ€umchen, davon trug das eine weiße, das andere rote Rosen. …“ Beim Lesen kamen mir selber die TrĂ€nen, denn ich erinnerte mich wieder an meine Zeit als KindermĂ€dchen im Hause Black, und als der verwandelte BĂ€r in dem MĂ€rchen auftauchte, natĂŒrlich auch an meinen lieben Urs. Ich las das ganze MĂ€rchen von Schneeweißchen und Rosenrot zu Ende, doch weil ich so sehr mit meinem eigenen GefĂŒhlswirrwarr zu kĂ€mpfen hatte, achtete ich gar nicht mehr auf Josephine. Als ich geendet hatte und meine TrĂ€nen wegwischte, hörte ich sie ausrufen: „Mei, war des schee!“ Auch sie hatte TrĂ€nen in den Augen. Nun wusste ich, welche hier unverstĂ€ndliche Sprache Josephine spricht und verabschiedete mich, da wir beide zu ergriffen waren, um noch miteinander sprechen zu können. Beim Abschied fragte sie nur: „Kimmst morg'n wieda?“ was ich sehr gerne bejahte.

Mary wartete daheim ganz gespannt auf meinen Bericht, ob ich mit einem meiner MĂ€rchenbĂŒcher Erfolg hatte. „Mary, diese Frau spricht Bayerisch, deshalb hat niemand sie verstanden! Ich glaube, das dĂŒrfte wohl ein Wink des Schicksals sein, vielleicht werde ich durch sie wieder in meine Vergangenheit gefĂŒhrt. Ich werde nun zu ihr gehen, so oft mir das möglich ist, wer weiß, vielleicht tut es uns beiden gut?“ So an meine Vergangenheit erinnert, holte ich mein altes Tagebuch aus den spĂ€ten 50er und frĂŒhen 60er Jahren hervor und las Mary meine Erlebnisse im Bayerischen Wald und in Regensburg vor. Ich hörte Mary immer wieder schniefen, und da kamen auch bei mir allmĂ€hlich die TrĂ€nen. Und wenn die Schleusen einmal geöffnet sind, dann kommen meist wahre SturzbĂ€che, die so schnell nicht mehr trocknen, doch waren es heilsame TrĂ€nen.

Es war Mary, die als erste wieder sprechen konnte: „Arabella, hast du schon einmal daran gedacht, deine Lebensgeschichte als Roman aufzuschreiben?“ „Warum sollte ich das tun?“ entfuhr es mir, dabei war mir die Antwort eigentlich sowieso gleich klar, als Mary erwiderte: „Es ist ein wertvolles StĂŒck Zeitgeschichte, das uns sowohl die Geschichte der Muggel als auch die der Zauberer nĂ€herbringt. FĂŒr die jetzige junge, als auch fĂŒr nachfolgende Generationen wĂ€re es wirklich sehr lehrreich.“ Ich dachte darĂŒber nach, sagte dann aber: „Ich glaube nicht, dass mir noch die Zeit bleibt, meine TagebĂŒcher zu einem Roman umzuformulieren. Aber ich könnte es in mein Testament aufnehmen, dass jemand anderer dies tut. Vielleicht wĂŒrde meine Geschichte auch anderen Squibs Mut machen, ihr Leben in die Hand zu nehmen.“

29. Juli 2006
Meine tĂ€glichen Besuche bei Josephine sind nun nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Ich habe natĂŒrlich den Heilern sofort Bescheid gegeben, dass sie einen Dialekt spricht, den man als AuslĂ€nder nicht sofort als Deutsch zuordnen kann. Noch ist Josephines Erinnerung nicht wieder da, aber wer weiß, vielleicht kommt sie mit der Zeit, wenn wir tĂ€glich in ihrem Dialekt miteinander sprechen. Aber vielleicht ist es auch gar nicht nötig, in ihrer Vergangenheit nachzuforschen, denn das wĂŒrde sie wohl auch nicht wieder gesund machen. Sie wird ihre GrĂŒnde gehabt haben, ihr Deutsch ganz lang zu vergessen und jetzt plötzlich wieder auszugraben. Noch ist es Agnes` MĂ€rchenbuch, das tĂ€glich zum Einsatz kommt. Dann wird die Zeit sehen, was wir noch alles reden werden.

Sehr gĂŒnstig ist es fĂŒr mich auch, dass ich auf meinem Weg zum Krankenhaus an dem Friedhof vorbeikomme, auf dem John begraben ist. So kann ich tĂ€glich vor oder nach meinen Krankenbesuchen bei ihm Station machen und mit ihm reden. Es ist ja nicht so, dass ich zu Hause nicht mehrmals tĂ€glich mit ihm sprechen wĂŒrde, aber frische Blumen aufs Grab zu bringen und eine Kerze anzuzĂŒnden ist doch etwas anderes. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass es gut ist, dass er vor mir gegangen ist, denn ich bin in dieser Hinsicht stĂ€rker als er. John ist wohl nie seine SchuldgefĂŒhle losgeworden, die er wegen seiner Abwesenheit wĂ€hrend Marguerites Erkrankung hatte. So war es gut fĂŒr ihn, nicht noch einmal um einen geliebten Menschen trauern zu mĂŒssen, sondern nun wieder mit seiner ersten Frau vereint zu sein. Meine Trauer um Urs liegt nun schon so viele Jahrzehnte zurĂŒck, dass ich gut mit meiner jetzigen Situation zurechtkomme, und die Trauer um John verkraften kann. Ich bin dankbar, dass ich mit ihm zusammensein durfte, und das wiegt weit mehr als die Trauer darĂŒber, dass er gegangen ist. Die Zuversicht, dass es ihm jetzt gutgeht, ist ein großer Trost fĂŒr mich und lĂ€sst mich zuweilen sogar fröhlich sein.


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