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Fanfiction

Das Tagebuch der Arabella Doreen Figg - Die Elenden

von BlackWidow

Hallo Leute!
Zum (bayerischen) Ferienende endlich ein neues Kapitel. Danke für die lieben Kommentare - Re-Kommis findet Ihr im Thread. Das Forum scheint jetzt wieder zuverlässiger zu funktionieren, also habe ich mich mal getraut.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch
Eure BlackWidow


109
Die Elenden

25. Juli 2003
Nun befinden wir uns in einem ganz anderen Teil der USA, im mittleren Westen, wo wir in einigen Etappen hinapparieren mussten. Unsere Abreise aus New Hampshire haben wir ganz klug eingefädelt. John hat sich sofort angeboten, Ilse mit ihrem Gepäck behilflich zu sein, und so brachten wir sie zu ihrem Auto. Auf ihre Nachfrage, wo wir denn unseren Wagen geparkt hätten, deutete John in irgendeine Richtung, während wir uns schon von unserer Freundin verabschiedeten. Sie fragte zum Glück nicht weiter nach und wir mussten ihr so nicht noch mehr Lügen auftischen, was uns bei guten Freunden nie leichtfällt.

Die Gegend hier ist bei weitem nicht so grün - und deshalb uns Briten vertraut - wie die Ostküste. Wir sind nun im Indianer-Reservat Pine Ridge in South Dakota. Pine Ridge ist die Heimat der Oglala-Lakota-Nation und wohl eines der bekanntesten Reservate wegen seiner interessanten Geschichte. Etwa 21.000 der fast 30.000 Stammesmitglieder leben hier in einem der ärmsten Gebiete der USA. Im Norden des Reservats befinden sich die Badlands, ein Nationalpark. Die Gedenkstätte von Wounded Knee liegt hier, wo 1890 die 7. Kavallerie ein friedliches Camp der Minneconjou Sioux überfiel und 250 Indianer, meist Frauen und Kinder, tötete. Dieses Massaker brach den letzten Widerstand der Indianer gegen die Weißen. Und in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erregte Wounded Knee noch einmal weltweites Aufsehen. Eine Gruppe von Indianern, unterstützt durch das American Indian Movement, leistete hier einem Überaufgebot von US-Soldaten, Polizei und FBI Widerstand, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen.

In diesem historisch so bedeutungsvollen Ort hat also meine bayerische Freundin Luise schon vor Jahrzehnten ihre neue Heimat gefunden. Obwohl unser Kontakt in all den Jahren nie abgerissen ist und sie mir in ihren Briefen viel über ihr Leben im Indianerreservat erzählt hatte, war ich erstaunt, wie ihr Leben und ihr Alltag hier aussehen. Hier leben sowohl Muggel als auch Zauberer im Einklang, wenn auch unter den Muggeln oft große Not herrscht. Im 19. Jahrhundert von den Weißen ausgebeutet, mit Krankheiten infiziert, vertrieben, fast ausgerottet, und auch noch zum Alkohol verführt, lebt ein Großteil der amerikanischen Ureinwohner in Elend und Hoffnungslosigkeit. Erst ganz langsam erwacht in ihnen wieder das Bewusstsein, einmal eine große Nation gewesen zu sein. Es wird wohl noch viele Jahre dauern, ehe die alten Traditionen wieder uneingeschränkt gelebt und gepflegt werden. Luise leistet in dieser Gemeinschaft ihren großartigen Beitrag als Heilerin. Nun bedeutet „Heilen“ bei den Indianern etwas völlig anderes als bei uns im St. Mungo Krankenhaus. Luise vollbringt ihre Heilungen ganz ohne Zauberstab, nur Kraft ihrer Gedanken, manchmal unterstützt durch ihre Hände. Sie hat es mir so erklärt: „Es gibt drei unterschiedliche Kategorien heilender Energie. Eine ist die persönliche Energie - die vom Körper erzeugte Energie. Die zweite Art ist die übersinnliche Energie. Dies ist die Fähigkeit, die Kraft des Verstandes zu kanalisieren und die Energie durch die Gedanken zu leiten und zu konzentrieren. Die dritte ist die spirituelle oder mystische Energie.“ *) Sie erklärte mir, dass diese dritte Energie, die bei ihren Heilungen zur Anwendung kommt, vom Göttlichen, dem Geist und der Kraft des Gebetes käme. Daher könnten mitunter auch Muggel sich diese Energie nutzbar machen.

Luise selbst zieht diese Energie aus der Kraft ihrer verstorbenen Familie, mit der sie seit deren grausamer Ermordung vor dreißig Jahren in mentalem Kontakt steht. Obwohl Luises Gefährte, der Medizinmann Joe Strong Elk, die alten Rituale wieder pflegt, die vor langer Zeit durch die Weißen verboten worden sind, gibt es bei dem großen Elend im Reservat auch für Luise viel zu tun. Von zehn Familien hier sind acht alkoholabhängig, und für Indianer ist es besonders schwer, vom Alkohol wegzukommen. Es fehlt in ihrem Körper ein Enzym, das sowohl den Alkoholabbau voranbringt als auch die Sucht zu heilen im Stande ist. Dass die Weißen zu all ihren Gräueltaten die amerikanischen Ureinwohner auch noch vom Alkohol abhängig gemacht haben, ist nur noch ein Verbrechen mehr auf ihrer Liste von Übeltaten. Was für eine traurige Bilanz für die Nachfahren des stolzen Häuptlings Sitting Bull! Da könnte ich schrecklich wütend werden, wenn ich den Muggelpräsidenten Kriege führen sehe, die nur noch mehr Elend in die Welt bringen. Gipfel der Frechheit ist dann noch das Herabschauen auf andere Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben. Die Weißen haben den Ureinwohnern das Land gestohlen, doch es gibt keinen Aufschrei ob dieser Ungerechtigkeit in der ganzen Welt!

31. Juli 2003
Wie viel wir in den paar Tagen hier schon erlebt haben! Eine Schwitzhüttenzeremonie, eine Wanderung zu den Schwarzen Bergen, die die Weißen schon seit langer Zeit - obwohl zunächst zum Reservat gehörend - wieder für sich beanspruchen. Es geht ihnen dabei natürlich um die Bodenschätze, die dort abgebaut werden und dem Land zu noch mehr Reichtum verhelfen. Doch für die Ureinwohner ist dieser Landstrich weit kostbarer, weil sich dort ihre wichtigsten Kultplätze befinden. Man stelle sich nur einmal vor, in unser Land kämen Fremde, würden uns Einheimische auf einem kleinen, unfruchtbaren Fleck Land zusammentreiben und unsere Kirchen, Schulen, Theater oder Krankenhäuser abreißen, weil sie dort für sie wertvolle Bodenschätze finden!

Was ich vermisse, das ist ein Aufschrei der Empörung, der durch die ganze Welt geht. Die Muggel-USA halten sich für die moralische Weltpolizei und kaum jemand wagt dies anzuzweifeln. Es werden hier immer wieder Kriege angezettelt, die angeblich die Freiheit und die Religion verteidigen; und das ausgerechnet von einem Land, das seinen Reichtum auf Sklaverei, Unterdrückung und Völkermord aufgebaut hat. Neuen Einwanderern wird gesagt, sie sollen wieder dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind. Würde man das wörtlich nehmen, so müssten doch alle weißen Bewohner dieses Landes in die Herkunftsländer ihrer Vorfahren zurückkehren! Oh, ich schreibe mich regelrecht in Rage, wenn ich mich einmal an diesem Thema festgebissen habe, aber ich kann nicht anders, weil ich meiner Wut Luft machen muss. Wie Luise das nun schon seit Jahrzehnten aushält, all diese Ungerechtigkeiten mitzuerleben? Vielleicht braucht es dazu einfach erst einmal magische Kräfte, dazu dann auch eine stoische Gelassenheit. Und vielleicht die Hoffnung, wenigstens ein klein wenig Gutes tun zu können.

John versuchte, mich zu beruhigen: „Arabella, das Ganze ist doch irgendwie vergleichbar mit der Zeit von Voldemorts Macht. Es wäre für dich doch leicht gewesen, in ein anderes Land zu gehen; denn deine Freunde in der Schweiz hätten dich ganz sicher umgehend aufgenommen. Und doch bist du in England geblieben, weil du etwas für dein Land und deine magische Gemeinschaft tun wolltest. Ich bin mir sicher, du wärest von dir selber enttäuscht gewesen, wenn du dich vor dieser Aufgabe gedrückt hättest, um dein Leben zu retten. Im Vergleich dazu hat es Luise sogar leichter, denn ihr Leben ist hier wenigstens nicht bedroht.“ Ach, der gute John sieht mich immer noch durch die rosarote Brille - wie gut mir das tut! Ich werde ihm lieber nicht widersprechen, denn es schmeichelt meinem Ego schon sehr, wenn ich ihn so reden höre.

5. August 2003
Allmählich wollen wir wieder an unsere Rückreise denken, denn ich muss gestehen, ich sehne mich nun wieder sehr nach Hogwarts. Natürlich war es eine wundervolle Erfahrung, Luise bei ihrem Stamm zu sehen, mitzuerleben, wie ihr Alltag aussieht und mit eigenen Augen zu sehen, was sie trotz ihres hohen Alters noch leistet. Doch nun spüre ich, dass ich wieder meine geordneten Verhältnisse brauche, das Schloss, unsere Wohnung darin, die Kollegen und bald auch wieder die Schüler. Damit unsere Reise zum Flughafen Boston einfacher wird, will Joe Strong Elk uns seinen stärksten Weißkopfseeadler ausleihen. Dieses Tier hat vor vielen Jahren schon einmal großartige Dienste geleistet, als es darum ging, Wigworthy vor den Todessern zu retten. Genau genommen könnte er uns sogar über den Atlantik befördern, doch John und ich wollen ihn nicht zu sehr strapazieren und nehmen, wie geplant, wieder das Muggelflugzeug. Das ist in unserem Alter auch viel komfortabler.

8. August 2003
Wie schnell die Zeit doch wieder dahingerast ist. Der Flug mit dem Adler war schon ziemlich abenteuerlich, ich muss sagen, es ist kein Vergleich zu einem Thestral. Am Flughafen gab es wieder die übliche Prozedur, nur bei der Ausreise war sie nicht ganz so dramatisch. Und der Flug war sehr gemütlich und bequem. Muggel haben eben doch auch sehr gute Erfindungen, das muss ich schon sagen; ich werde den Flug im nächsten Muggelkundeunterricht selbstverständlich bis ins kleinste Detail beschreiben.

Aber nun freue ich mich erst einmal, wieder daheim zu sein. Minerva hat die ganze Zeit hier die Stellung gehalten, als ob die Schule nicht mal ein paar Wochen ohne sie sein könnte. Ich finde es sehr pflichtbewusst von ihr, andererseits mache ich mir auch Sorgen, weil sie gar nichts für ihre Erholung tut. Rubeus hat sich natürlich liebevoll um meinen alten Mr. Tibbles gekümmert, der wohl wirklich Sehnsucht nach mir hatte. Ich muss mich in nächster Zeit ganz besonders um ihn kümmern, um ihn für meine lange Abwesenheit zu entschädigen. Johns Praxis in Hogsmeade hat sein Sohn Sean so lange betreut, so war also alles in besten Händen. Und nun haben wir noch drei Wochen, die zum Teil der Erholung, zum größten Teil aber der Vorbereitung auf das kommende Schuljahr dienen. Es war wirklich ein erfüllender Sommer, doch ich spüre ganz tief in mir, dass dies wohl unsere letzte längere Reise war.

Ein kleines - nein eigentlich ein großes - Problem stellt sich noch: Unsere liebe Reisebekanntschaft Ilse hat uns sowohl ihre Adresse und Telefonnummer, als auch ihre E-Mail-Adresse gegeben, damit wir den Kontakt zu ihr aufrechterhalten können. Im Grunde wollen wir dies ja auch sehr gern, aber welche Muggeladresse könnten wir ihr geben? Ach je, manchmal ist das Geheimhaltungsabkommen wirklich eine große Plage! Da müssen wir noch einige Nächte drüber schlafen, ehe wir eine Lösung finden werden.

*) Zitat aus dem Buch „Spirituelles Handauflegen“ von Michael Bradford, Streyr 1997, Seite 45.


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