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Fanfiction

Nebel über Nurmengard - In Memoriam

von halbblutprinzessin137

In Memoriam


Der ausgezehrte Leib des Gefangenen wurde von einem verzweifelten Schluchzen geschüttelt. Doch allmählich versiegten die heißen, bitteren Tränen. Die einzigen kleinen Lichttropfen im Meer der Dunkelheit erloschen. Keine Kraft mehr. Zu viele Tränen hatte Gellert Grindelwald in den vergangenen Stunden vergossen, als dass noch welche übrig gewesen wären. Keine Kraft mehr zum Weinen. Verzweifeltes, stummes Flehen um Trost und Halt in der kalten Einsamkeit der ewigen Nacht.

Die kraftlosen, zitternden Finger des Gefangenen schlossen sich bebend um den dritten und letzten Gegenstand. Jene letzte Erinnerung aus einer Ära am anderen Ufer des dunklen Ozeans der Zeit. Jene letzte Erinnerung aus einer Ära am anderen Ufer des Sonnenuntergangs. Jene letzte Erinnerung aus einer Ära am anderen Ufer der ewigen Nacht. Jene letzte Erinnerung aus einer Ära am anderen Ufer des schmalen Flusses zwischen Leben und Tod war eine alte, verblasste Fotographie.

Eine alte, verblasste Fotographie, die zwei Jungen nebeneinander auf einer kleinen schmiedeeisernen Bank sitzend im goldenen Sonnenlicht eines unvergleichlichen Sommers zeigte. Eine alte, verblasste Fotographie, auf der Gellert Grindelwald und Albus Dumbledore einander die Arme um die Schultern gelegt hatten und herzhaft über einen längst vergessenen Witz lachten. Eine alte, verblasste Fotographie, abgegriffen und ausgeblichen, und selbst hier noch dieses rätselhafte Funkeln, dieses geheimnisvolle Gefühl, in unentschlüsselbar aufblitzenden gletscherblauen Augen, die dem Gefangenen das Gefühl gaben, geröntgt und bis auf den Grund seiner Seele durchleuchtet zu werden, in denen er sich verlieren konnte wie in einem tiefen, unergründlichen Ozean, ohne darin zu ertrinken und unterzugehen.

Die Umrisse und Konturen der kargen Zelle im höchsten Turm von Nurmengard verschwammen und verblassten zunehmend vor den geröteten, geschwollenen Augen des Gefangenen. Die Gegenwart verwehte leise im Wind und unter einem dichten Nebelschleier, unter einem silbrigen Vorhang, aus Luft und Duft gewoben, während der Gefangene immer tiefer in diesen azurblauen Augen versank und spürte, wie seine Gedanken in andere Sphären glitten und ihn auf den sanften Schwingen der Erinnerung über das Meer der Zeit hinweg tatsächlich zurück ans andere Ufer trugen. Zurück ans andere Ufer des dunklen Ozeans der Zeit. Zurück ans andere Ufer des Sonnenuntergangs. Zurück ans andere Ufer jener ewigen Nacht. Zurück zu dem Einzigen, den er je Freund geheißen hatte. Zurück zu dem Einzigen, der bis auf den Grund von Gellerts Seele geblickt und ihn nie gänzlich aufgegeben hatte. Zurück zu Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore.

~*~*~*~

Sein ganzes Leben änderte sich in dem einen Moment, als er zum ersten Mal in diese funkelnden blauen Augen blickte, die ihn von Anfang an in Bann schlugen und ihm einem verwunschenen Spiegel gleich eine sanftere Seite von sich selbst zeigten: Er sah darin Intelligenz aufblitzen, die der seinen in nichts nachstand. Er sah darin einen Durst nach Glanz und Anerkennung, den er nur allzu gut nachempfinden konnte. Er sah darin auch ein Gefühl schimmern, das er nicht so recht zu deuten und zu benennen wusste, das ihn aber gleichwohl faszinierte. Vor allem jedoch sah er darin Träume aufleuchten - seine eigenen Träume reflektiert in den Augen seines Gegenübers wie in den Tiefen eines Ozeans. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass manche Träume es wert waren geteilt zu werden. Er ahnte erstmals, dass es sich zu zweit vielleicht schöner träumte als allein.

…

Unzählige Bücher und alte Schriften zur Zaubereigeschichte, zu Mythen und Legenden sowie zur Zauberstabkunde lagen überall in dem Zimmer verstreut, in dem die beiden Jungen mit fieberhaft glänzenden Augen und vor Eifer geröteten Wangen über einer riesigen Karte knieten, mal schweigend mit dem Finger einzelne Wege nachzeichneten, mal angeregt über eine neue Idee diskutierten, hin und wieder eines der Werke, die sich zu ihren Füßen über den Teppich ergossen, zu Rate zogen und dann und wann ganz plötzlich zu Feder und Pergament griffen, um sich schnell Notizen zu diesem oder jenem zu machen und ihre blitzartigen Einfälle wenigstens annähernd so schnell zu Papier zu bringen und festzuhalten wie sie ihnen kamen.

Die Magie, die in dieser kleinen Dachstube in der Luft lag, schien förmlich zu knistern und zu vibrieren und sie war ebenso greifbar wie die begeisterte Entschlossenheit und Konzentration der beiden Jungen.

Plötzlich riss er seinen Blick von der verzauberten Karte los und sah Albus, der sein Buch längst zur Seite gelegt und stattdessen seinen in Gedanken versunkenen blonden Gefährten betrachtet hatte, direkt in die Augen. Diese unvergleichlichen Augen … Wieso hatte er in jenen kostbaren Momenten nur so gar keinen Blick dafür gehabt? Nun war es zu spät …

„Was glaubst du, Al, wer hat ihn im Moment?“, fragte er mit gespannter Miene und lauernder Stimme.

Der Zauberstab … Das war das einzige, was er damals im Kopf gehabt hatte … Dabei hatte er etwas viel Wertvolleres gefunden und wieder verloren …

Er beugte sich ein wenig näher zu seinem Freund, sodass ihrer beider Gesichter sich beinahe berührten. Albus` zartes Erröten ignorierte er jedoch.

…

„Wir finden den Stein, Al, ganz sicher. Ich verspreche es dir.“

Eine ungewöhnliche Ernsthaftigkeit lag in seinem treuherzigen Blick und allmählich stahl sich wieder ein Lächeln auf Albus` Gesicht und er nickte stumm.

„Danke, Gellert. Ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich tun würde.“

Lachend zog er seinen Freund in eine innige Umarmung, die diesem die Röte ins Gesicht trieb.

…

Zwei kurze Sommermonate hatten ausgereicht, einander so gut kennen zu lernen, dass es oft gar keiner Worte zwischen ihnen bedurfte. Sie konnten auch gemeinsam schweigen und verstanden einander immer noch blind. Vielleicht waren es sogar jene Momente der geteilten Stille, die zeigten, wie tief ihre Freundschaft war, wie tief sie einander verbunden waren. Jene Abende, an denen sie zuvor schon geredet und geredet hatten bis sie heiser waren und schließlich nur noch einvernehmlich schwiegen, waren vielleicht die kostbarsten von allen.
Das Fenster von Albus' kleiner Dachstube stand offen, sodass der laue Abendwind jenes einzigartigen Sommers ins Zimmer wehen und ihre erhitzten Gesichter umschmeicheln konnte. Rücken an Rücken saßen sie so in dem kleinen Zimmer und keiner von ihnen brauchte Worte. Es war genug, dass sie einander fühlten. Genug, dass sie in dieser angenehmen Stille jeden einzelnen Atemzug des anderen hörten. Genug, dass sie jede noch so kleine Bewegung des anderen spürten.
In diesen einzigartigen Momenten hatte er zum ersten Mal wirklich gelernt, was Nähe und Vertrautheit bedeutete.

…

„Eines Tages, Albus, eines Tages werden wir auch auf diesen Karten sein, du wirst sehen! Wir beide werden unter den berühmtesten Hexen und Zauberern aller Zeiten sein und jedes Kind wird unsere Namen kennen. Eines Tages ... Eines Tages wird es eine Schokofroschkarte von Gellert Grindelwald und Albus Dumbledore geben ... Ganz bestimmt!“

…

Das kleine schmiedeeiserne Schwingtor schimmerte im silbernen Mondlicht und über ihnen erstreckte sich der klare, sternenübersäte Nachthimmel, als die beiden Jungen Hand in Hand durch den verwilderten Friedhof schlenderten. Ihr heimlicher Mondscheinspaziergang führte sie vorbei an unzähligen Grabsteinen magischer und nichtmagischer Familien, die hier Seite an Seite ruhten, bis sie schließlich zu dem einen Stein kamen, den sie gesucht hatten. Zu dem alten Geheimnis, das hier in den Tiefen des kleinen Friedhofs von Godric's Hollow verborgen war. Zu dem altehrwürdigen Grabmal, welches bereits eine Art Symbol ihres großen, ehrgeizigen Projektes geworden war. Unbesiegbare Gebieter des Todes, Grindelwald und Dumbledore! Dieser Traum spiegelte sich auf ihrer beider Gesichtern, ließ diese vor Eifer in der Dunkelheit glühen, während sie sich weiterhin an den Händen hielten und einträchtig auf den alten, verwitterten Stein blickten und spürte, wie besonders dieser Moment war.

Es war das erste Mal, dass sie diesen verwunschenen, bedeutsamen Ort gemeinsam aufsuchten, dass sie gemeinsam an dieser denkwürdigen Stätte verweilten und dass sie das Sinnbild ihres großen Traums gemeinsam betrachteten. Gemeinsam. Gellert Grindelwald und Albus Dumbledore.

Und tatsächlich fühlte es sich zu zweit noch viel schöner als alleine an, hier zu stehen und diesen großen Traum zu träumen. Er spürte ein viel intensiveres Glücksgefühl in sich aufsteigen, Hand in Hand mit seinem bislang einzigen Freund, als am Tag seiner Ankunft in Godric's Hollow, an dem er das Grab des Ignotus Peverell auf eigene Faust aufgesucht hatte. Er war froh, den Traum mit Albus teilen zu können. Sehr froh sogar.

Und als er seinen Blick von dem verwitterten Stein abwandte und sich wieder zu Albus umdrehte, da sah er die gleiche Faszination, wie er sie empfand, widergespiegelt in diesen blauen Augen, und sie wurde begleitet von jenem eigentümlichen Funkeln, dessen Namen Gellert nicht kannte.

…

Das dicke Buch lag aufgeschlagen neben ihnen und alte, verschlungene Lettern verkündeten „Blut, willentlich und von Herzen gegeben“. Das kleine silberne Messer glitt über Albus' Fingerkuppe und rubinrote, in der Glut der Sonne leuchtende Blutstropfen quollen aus der Wunde hervor. Albus' schmale Hand zuckte nicht ein einziges Mal. Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Bist du sicher?“
„Ganz sicher.“

Diese Worte hingen noch immer in der Luft und hallten in Gellerts Innerem nach. Uneingeschränktes Vertrauen und auch eine gewisse Hingabe lagen in Albus' Blick. Und jenes rätselhafte Funkeln ... stärker als jemals zuvor.

…

Auf leisen Sohlen trat er von hinten an Albus Dumbledore heran und legte ihm in einer geschmeidigen, raubtierhaft flinken Bewegung die Hände aufs Gesicht. Ein leises Lachen voller Schalk und Übermut und Unbeschwertheit schlich sich aus seiner Kehle, während er seinem Freund die Augen zuhielt und ihn so behutsam ins Nebenzimmer bugsierte. Albus hatte sich kein bisschen angespannt. Vollkommen ruhig und voller Vertrauen ließ er sich von ihm führen. (…) Es war als gäbe es nur sie beide auf der Welt. Alles andere war unbedeutend. Ein tiefes Gefühl der Vertrautheit und der Verbundenheit erfüllte den Raum. Wieder beherrschte jenes unergründliche Funkeln Albus Dumbledores Augen.

…

„Lieber Gellert,
es tut mir so Leid, dass du so krank bist und dass du nicht aufstehen kannst und einfach tun und lassen, was du willst. Ich hoffe, du bist bald wieder auf den Beinen. Ich vermisse dich, obwohl wir uns jetzt nur anderthalb Tage nicht gesehen haben! Ich vermisse alles - unsere Gespräche, unsere Pläne, unsere kleinen Übungsduelle, deine Ideen, dein Lachen, ...
Werde ganz schnell wieder gesund!
Alles Liebe und gute Besserung,
Albus“

…

„Meine Güte“, stöhnte er theatralisch, während er seinem Gegenüber lässig einen blauen Lichtblitz entgegenschickte, welcher ebenso lässig abgelenkt wurde, „eigentlich ist es viel zu heiß zum Kämpfen! Wenn ich dich endlich besiegt habe, brauche ich dringend eine Abkühlung...“

Übermütig und herausfordernd blitzten die braunen Augen Albus an. Er lachte vergnügt. Dieser winzige Moment mangelnder Konzentration reichte bereits aus.

„Hochmut kommt vor dem Fall... Du sollst deine Abkühlung bekommen, mein Lieber!“, murmelte Albus. Auch seine blauen Augen funkelten schalkhaft. Er schwang seinen Zauberstab und mit einem lauten „Platsch!“ landete Gellert geradewegs in dem kleinen Fluss, an dessen Ufer sie gekämpft hatten.

„Tja, so etwas nennt man dann wohl eine schlagfertige Antwort, nicht wahr?“, meinte er und grinste seinen Freund anerkennend an. „Wobei es nicht heißen muss -", Albus hatte ihm lächelnd die Hand gereicht, um ihm wieder an Land zu helfen, „- dass das letzte Wort schon gesprochen ist!“

Mit einem frechen, siegessicheren Lächeln auf den Lippen ließ er sich, Albus' Hand noch immer ergriffen, wieder zurück fallen und so landeten sie diesmal alle beide mit einem noch lauteren „PLATSCH!“ in dem kühlen Nass.

„Du brauchst doch schließlich auch eine Abkühlung, Al!“

„Du liebes bisschen, was habe ich mir mit dir nur eingefangen?“

Doch Albus Dumbledores funkelnde Augen und sein Lächeln straften seine gespielt empörten Worte Lügen. Die beiden blickten einander an und fingen gleichzeitig an zu lachen.

…

Halb besorgt, halb belustigt, eilte er herbei und streckte rasch die Hand nach dem zerkratzten und mit Schrammen übersäten Albus aus, um ihm aus den Brombeersträuchern und wieder auf die Beine zu helfen.

„Gellert Grindelwald, jetzt weiß ich, was sie in dem Schreiben aus Durmstrang mit unübersehbarem Hang zur Gewalt gemeint haben! Musste das sein?“, beschwerte sich Albus.

Gellert strich seinem Freund zwar tröstend über die Wange, konnte den Anflug eines Lachens aber nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. (…)

„Also, wenn eine Narbe bleibt, hast du einen tadellosen Plan der Londoner U-Bahn und wirst immer an mich denken, wenn du dein linkes Knie betrachtest. Ist doch auch was, oder?“

„Grandios...“, murmelte Albus, doch eigentlich war er nicht mehr wirklich verstimmt, das sah er ihm direkt an der Nasenspitze an. Er hatte nie ernsthaft auf ihn böse sein können, wenn er ihn doch so treuherzig und einnehmend angelächelt hatte, nie.

„Obwohl du mich gerade halb umgebracht hast -" (Gellert schnaubte vor Lachen) „ - hoffe ich doch, dass wir nie so lange voneinander getrennt sein werden, dass ich ein solches Erinnerungsstück brauche.“

…

„Ich bilde mir meine Meinung selbst. Dazu brauche ich weder meine Familie noch irgendwelche reißerischen Berichterstattungen. Und meine Meinung über dich habe ich mir längst gebildet: Ich mag dich. Sehr sogar. Und ich vertraue dir.“

…

Die Nacht war schon so weit vorangeschritten, dass das gesamte kleine Dorf in völlige Dunkelheit getaucht war. Die Straßenlaternen waren bereits erloschen und in keinem einzigen Fenster brannte mehr Licht. Nur der fahle Schein der silbrigen Mondsichel fiel auf das schlafende Dorf. Alles war mucksmäuschenstill. Kein Geräusch trübte den Frieden.

Einzig hinter der verwilderten Hecke des wohl berüchtigtsten Anwesens von ganz Godric's Hollow hörte man leises Wispern, perlendes Lachen und das unverkennbare Rascheln von Papier, wann immer eine Buchseite umgeblättert oder ein Bogen Pergament entfaltet wurde.

Die entzündeten Zauberstabspitzen hinter der hohen Hecke leuchteten einsam wie kleine Glühwürmchen oder funkelnde Katzenaugen durch die nächtliche Schwärze. Ihr heller Schein fiel auf sorgsam skizzierte Karten und Schlachtpläne, huschte über im Eifer des Gefechts hastig hingekritzelte Gesetzesentwürfe und Theorien, auf denen auch der eine oder andere Tintenklecks zu sehen war, zauberte einen leichten Glanz auf die samtenen Roben der beiden Jungen und reflektierte schimmernd in den leuchtend blauen Augen des Älteren.

Stunde um Stunde zerriss der Schlag der großen Kirchturmuhr die nächtliche Stille und schreckte die eine oder andere Eule aus den Baumkronen auf, von wo aus sie sich empört krächzend in das samtene Schwarz des Himmels hinaufschraubte, bevor sich wieder dunkles Schweigen auf die Landschaft hinabsenkte. Doch gleichwohl, wie oft die Uhr auch schlagen mochte, die beiden Freunde, welche im Schutz der verwilderten Hecke im weichen Gras saßen, ließen sich in ihrem angeregten Gespräch nicht stören. Sie redeten und redeten und redeten und vergaßen dabei Zeit und Raum.

Und während die beiden Jungen redeten, bis sie allmählich heiser wurden und ihr Hals mit zunehmenden Schmerzen zu protestieren begann, wich die nächtliche Schwärze langsam vor der nahenden Ankunft des neuen Tages. In der kurzen Zeit der Morgendämmerung verschmolzen die Schatten der Nacht mit dem Licht des Tages zu einem sanften Meer aus Silber- und Grautönen. Auf den Grashalmen und Blättern lag der funkelnde Morgentau. Die kühle Morgenluft duftete frisch und verheißungsvoll. Ringsumher begannen die Vögel zu zwitschern und den neuen Tag mit ihrem lieblichen Gesang zu begrüßen. Die Dämmerung wurde zunehmend vom Licht verscheucht und eine Weile lang erstreckte sich der weite Himmel klar und farblos über dem Dorf. Dann kämpften sich die ersten warmen Strahlen der Sonne nach und nach über den Horizont und sandten ihr gleißendes Licht über die sanften Hügel, von denen das Dorf umgeben war. Allmählich begann die Welt zu erwachen und wieder munter zu werden.

Die beiden Jungen hingegen, welche die ganze Nacht und den ganzen vorherigen Tag und auch die Nacht davor miteinander geredet und kein Auge zugetan hatten, spürten, wie Müdigkeit und Erschöpfung sie zart auf die Stirn küssten und ihre Arme immer fester um sie schlangen.

Als er zum wiederholten Male herzhaft gähnte, ließ Albus mit einem wissenden Lächeln seinen violetten Umhang von den Schultern gleiten und breitete ihn sorgsam im Gras aus, ehe er seinen müden Gefährten einladend anblickte. Dieser ließ sich nicht lange bitten, sondern legte sich auf die provisorische weiche Decke und bettete seinen Kopf kurzerhand auf den Schoß des Anderen. Dessen leichtes Zusammenzucken und Erröten nahm er gar nicht mehr richtig wahr. Sein Blick glitt schläfrig blinzelnd über das vom Tau benetzte Gras, dann glitt er hinüber ins Land der Träume. Dort verweilte er für lange Zeit, da die Erschöpfung der letzten schlaflosen Tage und Nächte ihren Tribut forderte.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als seine Lebensgeister sich allmählich wieder zu regen begannen. Weder schlief er noch tief und fest, noch war er bereits wirklich erwacht. In diesem dämmerigen Zustand zwischen Schlaf und Erwachen hatte er auf einmal das deutliche Gefühl, dass jemand zu ihm sprach. Er spürte die Finger, die zärtlich über sein Haar strichen und mit seinen goldenen Locken spielten. Er vernahm die Stimme, die leise sanfte Worte sprach. Aber er war noch zu träge, zu tief im Land der Träume, als dass er die Bedeutung jener Worte realisiert hätte, als dass er tatsächlich verstanden hätte, was gesagt worden war.

Mühsam schlug er schließlich die Augen auf und blinzelte verschlafen in das vertraute Antlitz über ihm. Sein Kopf lag noch immer in Albus' Schoß. Verwirrt bemerkte er, wie seinem Freund schlimmer denn je das Blut in die Wangen schoss. Mit gerötetem Gesicht und leicht gehetztem Blick murmelte Albus aufgeschreckt: „Gellert! Ich - ich dachte, du schläfst ...“

Langsam richtete er sich auf, sodass sie einander nunmehr gegenüber saßen, und rieb sich die Augen. Ein Gähnen unterdrückend erwiderte er: „Das hab ich ja auch getan ... Aber ich hatte das Gefühl, dass du mit mir gesprochen hast.“

Bei diesen Worten legte sich ein noch tieferes Rot auf die Wangen des Älteren. Verwirrt und belustigt zugleich blickte Gellert seinen Freund an und verlangte neugierig zu wissen: „Was hast du denn gesagt?“

„Ach ...“, murmelte Albus ungewohnt hilflos und offenkundig verlegen, „ich ...“

Er schien fürchterlich mit sich selbst zu kämpfen. Mehr als einmal öffnete er leicht den Mund, besann sich dann aber anders und schloss ihn wieder ohne auch nur ein weiteres Wort gesagt zu haben. Schließlich schüttelte er stumm den Kopf und blickte Gellert entschuldigend an.

…

„Und? Habe ich dir zu viel versprochen?“

Unverkennbarer Stolz schwang in seiner gespannten Stimme mit, als sie die sonnendurchflutete Lichtung erreicht hatten und er sich mit seinem einzigartig wilden und ansteckenden Lächeln zu seinem Gefährten umwandte, in dessen funkelnden gletscherblauen Augen sich die goldenen Strahlen der Sonne brachen und spiegelten.

Von der knisternden Magie, von der spürbaren Präsenz vergangener Zeiten und von der verwunschenen Atmosphäre dieses Ortes viel zu überwältigt, um antworten zu können, schüttelte Albus Dumbledore nur stumm den Kopf und ließ seinen Blick staunend durch diese smaragdgrüne Idylle schweifen, sog jedes Detail in sich auf wie ein Schwamm das Wasser.

Die Strahlen der Sonne schienen hier heller und wärmer als sie es im Rest des Waldes gewesen waren … Sie reflektierten schimmernd im von glitzernden Tautropfen benetzten Gras sowie auf der funkelnden Oberfläche eines vergnügt vor sich hin glucksenden, plätschernden Bächleins … Kein einziges Wölkchen trübte den wunderbar strahlenden, azurblauen Sommerhimmel an diesem verzauberten Ort, obgleich sich draußen über dem verschlafenen Dörfchen eben noch ein Unwetter zusammengebraut hatte … Und zu ihren Füßen ergoss sich ein solch farbenprächtiges Blumenmeer exotischster Blüten, wie man es in England gewiss kein zweites Mal erblicken konnte …

„Dieser Ort … Er bildet also die Stimmung der Menschen, die sich dort aufhalten, in der Natur ab, spiegelt ihre Emotionen und Gefühle wider, ganz gleich, wie das Wetter draußen wirklich ist, nicht wahr? Und deswegen …“, Albus schien ein wenig verlegen, „ … deswegen ist es im Moment so wunderschön hier …“

„Genau so ist es!“

Mit diesen Worten und mit einem übermütigen, vor Charisma nur so sprühenden Lächeln schloss Gellert seinen besten Freund in seine Arme und drückte ihn fest, geradezu besitzergreifend, an sich. Und als er Albus einen leichten, freundschaftlichen Kuss auf die Wange drückte, blühten die Rosen hinter ihnen auf und entfalteten sich zu ihrer ganzen Pracht und Schönheit, verströmten den lieblichsten Duft, den je eine Blume verströmt hatte.

…

Die milden Strahlen der Spätsommersonne tanzten über den kleinen, verlassenen Dorfplatz von Godric's Hollow, tauchten die alte Buche und die zierliche schmiedeeiserne Bank in ihrem Schatten in ein warmes, goldenes Licht, ließen das sich langsam färbende Laub in allen Feuerfarben erstrahlen. Sie reflektierten schimmernd in den leuchtend blauen Augen Albus Dumbledores, der neben ihm auf der Bank saß, an jenem letzten goldenen Sommertag, und sanft seine Hand berührte, sie behutsam in seine nahm und ihm ernst und eindringlich in die Augen blickte.

„Falls es doch so sein sollte und wir irgendwann alle gehen müssen, dann möchte ich dir etwas versprechen, Gellert: Sollte ich diese Reise irgendwann in ferner Zukunft vor dir antreten müssen, so werde ich auf dich warten und dir die Hand reichen, wenn es auch für dich so weit ist - damit du nicht alleine bist, damit wir diesen allerletzten Weg gemeinsam beschreiten können. Versprochen.“

…

Und dann waren es plötzlich getrennte Wege, die sich vor ihnen erstreckten.

…

„Gib es auf, Gellert. Gib es auf, mich überzeugen zu wollen, denn es macht alles nur noch schwerer und schmerzhafter. Was zwischen uns war, ist Vergangenheit. Das meiste davon ist zerbrochen, als du fortgelaufen bist und mich neben dem Leichnam meiner Schwester zurückgelassen hast. Diese Dinge können, einmal zerbrochen, nicht mit einem Reparo wieder zusammengesetzt werden. Geh deinen Weg, Gellert, und akzeptiere, dass meiner ein anderer ist. Bitte.“

Albus` Stimme klang furchtbar belegt und sie bebte.

„Glaube mir, Gellert, selten hat mich irgendetwas derart geschmerzt, aber … ich kann nicht. Es geht nicht. So sehr ich es mir auch wünschen würde, es führen keine Wege zurück in unsere gemeinsame Zeit von damals. Denn jeder Schritt in deine Richtung ist ein Schritt zu weit, Gellert, lebe wohl …“

Albus Dumbledores Stimme erstarb. Er warf ihm einen letzten schmerzerfüllten Blick zu, so intensiv und eindringlich, als wollte er sich dennoch jedes einzelne Detail, jede einzelne Linie seines Gesichtes für immer einprägen.

Dann drehte er sich auf dem Absatz um und mit einem Wehen seines Umhangs war er verschwunden.

Zurück blieben einzig die welkenden Rosen und ein kleiner, funkelnder, aquamarinblauer Edelstein an genau der Stelle, wo eine Träne auf den smaragdgrünen, sonnenbeschienenen Boden getropft wäre, wenn Albus Dumbledore denn eine vergossen hätte.

…

Und dann hatte es doch noch ein Wiedersehen gegeben. So ganz anders, als er es sich ausgemalt hatte … Selbst, nachdem die Schlacht beendet war, meinte er noch immer zu spüren, wie es ihm den Zauberstab aus der Hand riss ... Meinte zuzusehen, wie sich Albus Dumbledore unter dem Applaus der Menge bückte, um den unbesiegbaren Zauberstab aufzulesen, der soeben besiegt worden war ... Meinte noch einmal den quälenden Moment zu durchleben, in dem er gefallen war ... Meinte sich selbst zu beobachten, wie er Albus zu Füßen im Staub lag ... Meinte erneut dem Blick aus diesen durchdringend blauen Augen zu begegnen, der noch nie so hart und unerbittlich gewesen war wie in diesem Moment ... Im Moment seiner Niederlage.

…

Als die Tür zu seinem Verließ sachte aufgestoßen wurde, hob er den Kopf und erstarrte. Für einen kurzen Moment kauerte er wie versteinert auf dem Boden seiner Zelle und starrte den Neuankömmling fassungslos an. Fassungslos zunächst und zutiefst schockiert, doch bald verzerrte sich sein Antlitz in kaum zu bändigender Wut. Der Zorn, der beim Anblick des anderen Mannes gleich einer brennenden Flamme von zerstörerischer Kraft in ihm aufgelodert war, strömte heiß und zersetzend wie glühende Lava durch seine Adern. Dieser Zorn stellte all seine Lebensgeister wieder her, ließ ihn Kraftlosigkeit und Erschöpfung vergessen, überwinden. Mit einem einzigen Satz war er auf den Beinen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Drohend und schäumend vor Wut.

„Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen? Hierher? Ausgerechnet du! Wie kannst du es wagen? Hat es dir etwa nicht gereicht, mich in dieses erbärmliche Verließ werfen zu lassen? Willst du deinen Triumph noch ein wenig weiter auskosten?“

Außer Atem hielt er inne. Aus seinen vor Verärgerung halb zugekniffenen Augen sah er gerade noch, wie der unwillkommene Besucher auf seine letzte Frage hin verneinend den Kopf schüttelte.

„Was dann? Was zum Teufel willst du dann hier?“

„Lediglich nach dir sehen. Nichts weiter.“

Die vollkommene Ruhe, die in dieser Antwort und in Albus Dumbledores gesamter Erscheinung lag, die Sanftheit in seiner Stimme sowie der feste Blick seiner blauen Augen - all dies wirkte wie stilles, fließendes Wasser. Klares Wasser der Ruhe, welches das tobende Feuer des Zorns zu löschen vermochte.

…

Vor ihm lag eine druckfrische Ausgabe des Tagespropheten, auf deren Titelseite ihm ein wohlbekanntes Gesicht entgegenblickte. Das Gesicht der Person, über die er in den vergangenen Stunden und Tagen so ausgiebig nachgesonnen hatte. Direkt über dem Foto prangten die Worte „Albus Dumbledore inoffiziell bereits neuer Zaubereiminister“ und etwas kleiner darunter hieß es:

„Nach seinem spektakulären Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald ist Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore der unumstrittene Nachfolger von Millicent Bagnold. Dumbledores Sieg über Grindelwald, der für die magische Gemeinschaft von ähnlich großer Bedeutung ist wie die Unterzeichnung des Internationalen Geheimhaltungsabkommens im Jahre 1689 und der als enorme Wende in der Geschichte gilt, hat auch die letzten Zweifler überzeugt, dass der derzeitige Verwandlungslehrer und stellvertretende Schulleiter der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei der mit Abstand geeignetste Kandidat für das frei werdende Ministeramt ist. Albus Dumbledore gilt spätestens jetzt als der größte Zauberer seiner Zeit. Für seinen Triumph über Grindelwald wurde ihm am gestrigen Tage der Orden des Merlin erster Klasse zuerkannt.“

Neben besagter Zeitung lag eine Schokofroschkarte berühmter Hexen und Zauberer. Die Aufschrift auf der Rückseite verkündete:

„Albus Dumbledore, gegenwärtig stellvertretender Schulleiter von Hogwarts. Gilt bei vielen als der größte Zauberer der jüngeren Geschichte. Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf seinem Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der zwölf Anwendungen für Drachenblut und auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel. In seiner Freizeit hört Professor Dumbledore mit Vorliebe Kammermusik und spielt Bowling.“

Der Gefangene spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. In seiner Magengrube brodelte es. In einer einzigen ruckartigen Bewegung riss er die Karte entzwei. Zorn und Trauer brannten gleichermaßen in ihm.

…

Ein Hauch Resignation lag in seinen Augen und ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit tonloser Stimme sagte: „So schnell sieht man sich wieder, nicht wahr? Nun, der einzige Vorteil ist, dass mir zumindest nicht langweilig wird hier in Nurmengard, wenn das so weitergeht...“

„Nur keine Sorge, es wird gewiss nicht so weitergehen. Ich versichere dir, dass es keineswegs in meiner Absicht liegt, dir meine Gesellschaft öfter als nötig aufzuzwingen, zumal du ja bei unserem letzten Zusammentreffen unmissverständlich deutlich gemacht hast, dass du sie nicht wünschst.“

Bei dieser beschönigenden Umschreibung seines Wutausbruchs zuckte es kaum merklich um seine Mundwinkel, bevor er trocken erwiderte: „Wie rücksichtsvoll von dir. Ich hoffe, du erwartest keinen Dank dafür.“

Albus Dumbledores Miene blieb vollkommen ernst und nahezu unbewegt, als er erwiderte: „Nein, ich erwarte keinen Dank von dir, Gellert. Aber es gibt einen ganz bestimmten Grund, der mich noch einmal hierher führt. Ich habe nämlich einige Fragen, die ich dir stellen muss.“

„Tatsächlich? Ich muss zugeben, das überrascht mich. Welche Fragen könnte der größte Zauberer der jüngeren Geschichte schon an einen gescheiterten schwarzen Magier haben?“

Albus warf ihm einen langen, traurigen Blick zu, ehe er leise sagte: „Mir wurde zwar schon des öfteren vorgeworfen, dass ich mit dem Talent gesegnet bin, unbequeme Wahrheiten zu ignorieren, aber nicht einmal ich käme auf den Gedanken, die Ereignisse und die Träume und die Gefühle jenes Sommers zu leugnen. Ich betrachte dich durchaus als mehr als nur einen gescheiterten schwarzen Magier, Gellert.“

…

„Albus -
Besuchst du mich? Furchtbar einsam.
Gellert“

…

Unwillkürlich zuckte er zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Doch wider Erwarten wurde er nicht brutal herumgerissen. Die Berührung war nicht grob, sondern sanft. Unheimlich sanft. Ihm war es als ob seine geschundene Seele aufgrund dieser unerwartet sanften Berührung stumm aufseufzte. Er flehte innerlich, dass die Hand weiterhin so sanft auf seiner Schulter ruhen, dass sie bleiben möge.

Und sie blieb.

Noch immer hatte er die Augen geschlossen und war unter seiner Decke zusammengekauert. Doch er hörte, wie der Andere sich vorsichtig neben ihn auf die harte, ächzende Holzpritsche setzte, seine Hand noch immer auf der Schulter des Gefangenen. Dann begann der Besucher zu sprechen und endlich verstand Gellert. Diese Stimme erkannte er sofort wieder.

„Es ist lange her, dass ich zuletzt hier war, und obwohl ich damals sagte, ich würde dir meine Gesellschaft in Zukunft nicht mehr aufzwingen, schulde ich dir dennoch eine Entschuldigung, Gellert: Verzeih, dass ich dich so lange deinem Schicksal überlassen habe, ohne mich auch nur ein einziges Mal nach dir zu erkundigen. Ich dachte wirklich, es wäre besser so und einfacher für uns beide. Nun, offensichtlich habe ich mich da geirrt - es war nur für mich einfacher, nicht für dich. Das hat mir dieser kleine Brief, den Fawkes vor etwa fünf Jahren gebracht hat, deutlich gemacht. Du hast scheinbar stärker unter der Einsamkeit gelitten als ich geahnt hatte und es tut mir aufrichtig leid. (…) Aber all diese Jahre über habe ich doch an dich gedacht. Und ich komme später zurück, als du gedacht hast, aber ich komme zurück zu dir - nicht als ein berühmter Zauberer, nicht als Schulleiter von Hogwarts, nicht als Lehrer, nicht als irgendetwas, worauf ich mir etwas einbilde, sondern lediglich als ein alter Mann, den du einst Freund geheißen hast und dem es aufrichtig leid tut, dass er so lange gebraucht hat, hierher zu kommen.“

…

„Warum kümmert es dich überhaupt? Warum kümmert es dich, ob ich Reue zeige, ob ich den rechten Weg noch finden werde? Nach all dieser Zeit, nach allem, was war - du müsstest mich doch hassen!“

Albus Dumbledore wich seinem eindringlichen Blick nicht aus, sondern erwiderte ihn fest aus seinen eigenen blauen Augen. Als er sprach, tat er es mit leiser, jedoch deutlich vernehmbarer und ungeheuer ernster Stimme.

„Es mag nach all dieser Zeit und nach allem, was war, vielleicht seltsam klingen und schwer zu glauben sein, aber sei versichert, dass ich dich nicht hasse, Gellert. Ich habe dich nie gehasst. Ich war enttäuscht, ich war verletzt, aber ich habe dich niemals gehasst und ich werde dich auch niemals hassen. Wie gesagt, du magst es schwer finden, das zu glauben. Ich fürchte, ich finde es schwer zu erklären ...“

„Also gut, ich glaube dir. Aber selbst wenn du mich nicht hasst, warum bin ich dir dann nicht einfach gleichgültig? Was ist es, weswegen du dich noch immer um mich sorgst?“

Albus Dumbledore schien fürchterlich mit sich selbst zu kämpfen. Mehr als einmal öffnete er leicht den Mund, besann sich dann aber anders und schloss ihn wieder ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben.

Schließlich schüttelte er stumm den Kopf und blickte ihn entschuldigend an. Er musste schwer schlucken, denn so hatte Albus ihn noch nie angesehen. Eine tiefe, verzweifelte Traurigkeit lag in seinem Blick, begleitet von einem stummen Flehen. Und unter all dieser Traurigkeit und dem Schmerz in den leuchtend blauen Augen erkannte er ganz deutlich wieder jenes besondere Funkeln, jenes rätselhafte Gefühl, welches er weder zu deuten noch zu benennen wusste.

Eine kleine Ewigkeit verharrten sie so. Stumm blickten sie einander an, gefangen von der Frage, die noch immer im Raum hing, nachdem sie über seine Lippen gekommen war. Die Frage, deren Antwort er nicht kannte. Die Frage, deren Antwort Albus offenbar nicht imstande war auszusprechen. Und trotzdem waren sie einander in diesem Augenblick näher als jemals zuvor, seit ihre Freundschaft zerbrochen war.

Doch der Augenblick ging vorüber wie jeder andere.

Albus Dumbledore warf ihm einen letzten entschuldigenden Blick zu, dann kehrte er der kargen Zelle und seinem einstigen Freund den Rücken zu, wandte sich erneut zum Gehen und wiederholte nur leise die Verabschiedung ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Leb wohl, Gellert ...“

Es war das erste Mal, dass Albus Dumbledores sonst so ruhige Stimme zitterte. Sie zitterte unter der Last der unterdrückten Emotionen.

…

Gerade fiel ihm auf, dass die sanfte Hand noch immer auf seiner Schulter ruhte, da wandte er den Kopf so schnell und ruckartig zur Seite, dass sein Nacken unheilvoll knackte. Und tatsächlich ... seine Ahnung bestätigte sich!

Neben ihm auf der harten hölzernen Pritsche, gehüllt in einen dicken schwarzen Winterumhang und einen rot-goldenen Schal, saß Albus Dumbledore und musterte ihn besorgt über den Rand seiner goldenen Halbmondbrille hinweg.

Der Mund des Gefangenen verzog sich angestrengt zu einem winzigen schiefen Lächeln, als er mit heiserer Stimme murmelte: „Immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nicht wahr?“

Dann fügte er ernster hinzu: „Aber woher wusstest du es?“

Sein Gegenüber zog leicht die Augenbrauen hoch.

„Woher ich wusste, dass es einem alten Freund äußerst schlecht geht und er dringend Hilfe braucht? Glaube mir, das spürt man. Und mit Wissen hat es eigentlich rein gar nichts zu tun, sondern ausschließlich ... hiermit.“

Bei diesen Worten löste Albus Dumbledore seine Hand von der Schulter des Gefangenen und legte sie stattdessen sanft aber bestimmt auf Gellerts Brust - auf sein Herz.

Eine ganze Weile blickten die beiden Männer einander nur an. Gellert fiel auf, dass sich auch das Kastanienbraun von Albus' Haar und Bart nunmehr in silbriges Grau verwandelt hatte genauso wie seine eigenen goldenen Locken schon vor so langer Zeit ergraut waren.

Schließlich brach er erneut das Schweigen.

„Wie lange bist du schon hier?“

„Mit dem heutigen Abend“, erwiderte Dumbledore, „sind es drei Tage.“

Verblüfft blickte er ihn an.

„Drei Tage? So lange? Ich dachte eher, es wären Stunden gewesen ...“

Albus Dumbledore schüttelte mit einem nachsichtigen Lächeln den Kopf und jetzt, wo er genauer hinsah, fiel ihm auf, dass Albus tatsächlich furchtbar müde und erschöpft wirkte, wenngleich er es zu verbergen suchte.

Er hatte also nicht nur schnell ein paar Heilzauber gemurmelt, sondern war die ganze Zeit neben ihm auf der erbärmlichen Holzpritsche gesessen. An seiner Seite. Tag und Nacht, wie es den Anschein hatte.

Er spürte, wie sich vor Rührung und Dankbarkeit ein dicker Kloß in seiner Kehle bildete, der sich partout nicht hinunterschlucken ließ. (…) Er zuckte leicht zusammen, als er Albus' Hand wider Erwarten erneut auf seiner Schulter spürte. Es war nur eine kurze, flüchtige Berührung, doch er wandte sich schnell wieder zu seinem Besucher um.

Ein unglaublich trauriger Ausdruck trübte das strahlende Blau von Albus Dumbledores Augen, als er leise flüsterte: „Es tut mir leid, Gellert, es tut mir wirklich leid. Glaube nicht, dass es mir nicht weh tut, dich unter solchen Bedingungen zurückzulassen. Es tut mir so weh, dass ich, ginge es nach mir alleine, versucht wäre, dir die Tür zu öffnen und dich ziehen zu lassen. Aber ich bin nicht frei das zu tun. Weil ich an die anderen denken muss, an all den Schaden, den eine solch unüberlegte Tat anrichten könnte ... Im Grunde, Gellert, lebe ich immer noch nach diesen verdammten Worten, wie sie über deiner Tür stehen, wahrscheinlich mehr noch als du selbst ... FÜR DAS GRÖSSERE WOHL ... Deswegen musste ich mich dem Duell mit dir letztlich stellen, deswegen muss ich dich für den Rest deines Lebens in diesem Gefängnis festhalten ... FÜR DAS GRÖSSERE WOHL ... nicht etwa, weil es mir gefällt ...“

Stumm blickten sie einander an, in beider Augen ein feuchter Glanz, beide gefangen, der eine in steinernen Gefängnismauern, der andere im Druck dessen, was getan werden musste und was die Welt von ihm erwartete. Doch dieses eine Mal sprach er wenigstens aus, was in ihm vorging.

„Ich wünschte wirklich, ich könnte etwas für dich tun, Gellert. Dabei ist das einzige, was mir im Moment einfällt, wahrscheinlich eine bloße Geste ohne großen Nutzen.“

Mit diesen Worten nahm Albus Dumbledore seinen dicken Schal ab und reichte ihn dem Gefangenen.

„Ein wenig Wärme, das ist das einzige, was ich dir geben kann.“

…

„Du hast vorhin ein alter Freund gesagt - hast du das auch wirklich gemeint oder hast du es nur so daher gesagt? Hast du wirklich alter Freund gemeint oder eigentlich doch eher ehemaliger Freund?“

Albus Dumbledore warf ihm einen langen forschenden Blick zu, ehe er sanft, aber bestimmt erwiderte: „Ich denke, ich kann guten Gewissens sagen, dass ich alles, was mir heute über die Lippen gekommen ist, auch tatsächlich so gemeint habe. Und wenn ich dich vorhin einen alten Freund geheißen habe, dann sehe ich dich auch als solchen und als nicht anderes.“

„Und ... alte Freunde ... lachen sich doch nicht aus, ... oder?“

„Für gewöhnlich nicht, nein“, versicherte ihm Albus Dumbledore und schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln.

Er nickte langsam. Er zögerte. Diesmal war er derjenige, der fürchterlich mit sich selbst zu kämpfen schien.

Dann, nach einer kleinen Ewigkeit, in der Albus Dumbledore geduldig und schweigend gewartet hatte, bückte er sich zögerlich und las etwas vom Boden des Verließes auf.

Mit zutiefst verunsicherter Miene richtete er sich wieder auf und als Dumbledore fragend eine Augenbraue hob, streckte er ihm stumm seine Hand entgegen, in der unzählige kleine Papierfetzen lagen. Er holte tief Luft, bevor er, ohne Albus in die Augen zu sehen, zu sprechen begann.

„Könntest du das mit Reparo wieder zusammensetzen Ich ... ganz am Anfang, da habe ich das hier vor lauter Wut zerrissen und zerfetzt, aber ... aber ich hätte es gerne wieder. Bitte?“

Nach wie vor vermied er es, Albus in die Augen zu blicken. So spürte er nur, wie dessen Hand die seine berührte und wie dessen Finger sich um den Haufen kleiner Papierschnipsel schlossen.

Sachte tippte der silberhaarige Zauberer die vielen kleinen Fetzen mit der äußersten Spitze seines Zauberstabs an, woraufhin sie sich noch im selben Atemzug wieder nahtlos zusammensetzten.

Währenddessen hatte er den Blick noch immer nicht gehoben, hatte Albus noch immer nicht angeblickt und daher auch dessen Reaktion nicht bemerkt.

Seine Stimme klang schroff und gepresst, als er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß: “Ich weiß, ich habe gesagt, du sollst mich nicht auslachen, aber ... vergiss es einfach, ja? Lach mich ruhig aus!“

Die Hände, die er in der Anspannung unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte, zitterten.

Albus Dumbledore trat zu ihm und strich ihm zart über die Wange. Seine stets gefasste Stimme klang ein wenig belegt, als er leise beteuerte: „Glaube mir, Gellert, es gab selten etwas, das ich als weniger lächerlich empfunden habe. Ich wüsste keinen einzigen Grund, dich auszulachen. Nichts - nichts! - daran ist in meinen Augen zum Belächeln oder gar Auslachen, überhaupt nichts.“

„Hier.“

Sanft öffnete Albus Dumbledore eine von seinen zu Fäusten geballten Händen und legte die Schokofroschkarte, welche sein eigenes Bildnis trug, behutsam hinein. Jene alte neue Bildkarte berühmter Hexen und Zauberer mit der Aufschrift:

„Albus Dumbledore, gegenwärtig Schulleiter von Hogwarts. Gilt bei vielen als der größte Zauberer der jüngeren Geschichte. Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf seinem Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der zwölf Anwendungen für Drachenblut und auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel. In seiner Freizeit hört Professor Dumbledore mit Vorliebe Kammermusik und spielt Bowling.“

Der Blick Grindelwalds war unverwandt auf jene Schokofroschkarte gerichtet, auf dem von Leid und Gefangenschaft gezeichneten Antlitz ein nicht enträtselbarer Ausdruck.

…

Erst hier in Gefangenschaft, in der bedrückenden Einsamkeit des kalten Verließes, war ihm so richtig und endgültig bewusst geworden, wie viel ihm diese Freundschaft bedeutete. Wie teuer sie ihm noch immer oder vielleicht sogar gerade jetzt war.

Eine Seerose blüht
Auf sumpfigen Wassern.
Eine Gewissheit leuchtet nur
Auf dem Dunkel so vieler Fragen.
Eine Liebe bewährt sich erst
An so viel grauen Tagen.
Eine Heimat wird dir lieb
Auf so viel unsicherem Boden.
Verliere also den Mut nicht
Auf dem Meer so vieler Leiden.
Das Glück ist eine Blume
Mit dem Namen
Trotzdem.

Die Freundschaft zu Albus Dumbledore war die kleine Blume mit dem Namen „Trotzdem“, die als einzige im felsigen Stein des kargen Verließes blühte. Sie war der kleine Funke Licht, der ihm geblieben war und der über all die Jahre nicht erloschen war trotz des vielen Leides und Schmerzes, den sie einander bereits zugefügt hatten, ohne es zu wollen. Eine kleine zerbrechliche Blume mit dem Namen „Trotzdem“ im Sturm der Zeit. Die Freundschaft zu Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore.

…

Mit einem traurigen Seufzen gab er Albus den goldenen Zeitumkehrer zurück. Seine Stimme klang schwer und schwach, als er das, was ihn umtrieb, leise aussprach.

„Ich dachte früher nie, dass ich jemals so etwas sagen würde, aber ich würde die Zeit gerne zurückdrehen ... so gerne ... Der Gedanke“, seine Stimme drohte zu brechen, „dass es in ... in einem Gefängnis enden wird ...“

Traurig erwiderte Dumbledore seinen Blick und sagte mit ebenso schwerer Stimme: „Glaube mir, Gellert, da bist du nicht der einzige, dem es so ergeht. Sei versichert, dass auch ich einiges dafür geben würde, an bestimmten Stellen in meinem Leben einfach die Zeit zurückdrehen und alles anders machen zu können. Aber dafür ist es leider zu spät - viel zu spät ...“

Er spürte, wie sich ein dicker Kloß in seiner Kehle bildete, und schluckte schwer. Er glaubte zu wissen, was es war, das Albus Dumbledore gerne rückgängig machen würde, wenn er nur könnte. Er glaubte zu wissen, welches der eine Makel in diesem perfekten Leben war, der, wäre es nur irgend möglich, getilgt werden würde.

Ein bitteres Lachen entrang sich seiner Kehle. Auch die Worte, die über seine Lippen kamen, schmeckten bitter. Unendlich bitter.

„Lass mich raten, welchen Schandfleck du aus diesem makellosen Leben entfernen würdest, ausradieren, als hätte es ihn nie gegeben - vielleicht ... mich? Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, dann würdest du dafür sorgen, dass wir einander nie begegnen, dass du mich nie kennen lernst. Ist es nicht so?“

Albus Dumbledore war, während Grindelwald gesprochen hatte, immer bleicher geworden. Es schien, als hätte jedes einzelne Wort ihm bittere Schmerzen zugefügt. Sein Mienenspiel verriet, dass er zutiefst getroffen und schockiert war.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Dumbledore seine Stimme wiederfand. Als er schließlich zu sprechen ansetzte, tat er es so heftig und aufgewühlt, wie es aus seinem Munde gewiss noch nie jemand gehört hatte. Seine sonst so ruhige und gefasste Stimme zitterte. Doch zugleich sprach er jedes einzelne Wort so ernst und eindringlich, dass man nicht anders konnte als zu glauben, was er sagte.

„Gellert, wie kannst du das nur sagen? Wie kannst du nach all diesen Jahren immer noch so von mir denken? Ich hätte wirklich geglaubt, inzwischen wüsstest du es besser, würdest mich besser kennen ...
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde ich in deiner Gegenwart wohl anders handeln, ja. Ich würde das, was wir angerichtet haben, nie geschehen lassen, würde dafür sorgen, dass es nicht mit ... mit dem Tod meiner Schwester endet und damit, dass ich fortan nie mehr in den Spiegel blicken kann, ohne schreckliche Schuldgefühle zu empfinden, dass ich fortan nicht anders kann, als mich selbst zu verachten - und glaube mir, es gibt niemanden, Gellert, nicht einmal dich, der mich so sehr verachten kann wie ich mich selbst verachte für all das, was ich damals getan und zu tun versäumt habe. Das würde ich verhindern. Und ich würde versuchen, die vielen anderen unschuldigen Menschen vor einem sinnlosen Tod zu bewahren, würde versuchen, dich von deinen ... unseren ... Plänen abzubringen, ehe es zu spät ist. Merlin allein weiß, ob es mir gelingen würde, aber zumindest würde ich es versuchen. Nicht einmal das habe ich damals getan.
Und deshalb, Gellert, lautet meine Antwort: Ja, ich würde das rückgängig machen, was wir damals verbrochen haben, aber, nein, ich würde nie auch nur auf den Gedanken kommen, dafür zu sorgen, dass wir einander niemals kennen lernen. Das würde ich niemals tun, Gellert, niemals. Ich könnte es nicht und ich möchte es auch nicht. Ich könnte es nicht, da diese Erfahrung mich so sehr geprägt und geformt und beeinflusst hat wie kaum eine andere. Mich, so wie ich jetzt hier sitze, gäbe es nicht ohne diese ganz besondere Erfahrung.
Vieles, wenn nicht sogar alles, woran ich glaube und woran ich nicht mehr glaube, steht und fällt mit dieser einen Erfahrung. Diese Erfahrung ist ein Teil von mir. Du bist ein Teil von mir, Gellert, ganz gleich, ob du das hören willst oder nicht, ganz gleich, ob du das verstehst oder nicht - wobei ich wünschte, du würdest es verstehen ...
Diese eine Erfahrung kann durch die Zeit allein gar nicht berührt oder gar ausgelöscht werden. Weil sie ... anders ist als viele Erfahrungen. Diese Erfahrung hat einen Platz in meinem Herzen, dem die Zeit oder das Zurückdrehen der Zeit rein gar nichts anhaben kann. Einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen - wie besonders, das ahnst du wahrscheinlich gar nicht, Gellert ...
Aber es ist so. Und deswegen könnte ich die Erfahrung, dich kennen gelernt zu haben, gar nicht rückgängig machen, selbst wenn ich es wollte. Ich will es jedoch auch gar nicht. Weil es trotz allem eine Erfahrung ist, die ich nicht missen möchte.“

Auf Albus Dumbledores Worte folgte eine lange, bedeutungsschwere Stille. Der Gefangene wagte kaum zu atmen. Jedes von Albus Dumbledores Worten hatte ihn direkt ins Herz getroffen.

Unsicher und aufgewühlt blickte er in die rätselhaft funkelnden blauen Augen seines Gegenübers. Doch Albus' Blick war so eindringlich, dass er ihm nicht lange standhielt und bald betreten zu Boden blickte. Schon schämte er sich seiner verletzenden, bitteren Worte, die, als er sie ausgesprochen hatte, noch wie die reine, logische Wahrheit geklungen hatten, und die nun angesichts Dumbledores Antwort so furchtbar hohl und unangebracht wirkten.

„Entschuldige bitte, dass ... dass ich so von dir gedacht habe.“

Albus Dumbledore schüttelte den Kopf und blickte Gellert Grindelwald ernst über die Gläser seiner goldenen Halbmondbrille hinweg an.

„Es gibt nichts zu entschuldigen, Gellert. Deine Gedanken sind ganz allein dein und du musst dich für sie nicht rechtfertigen. Vor niemandem.“

Albus lächelte ihn an. Überhaupt war er nun wieder viel mehr der gewohnte ruhige Albus Dumbledore, den man kannte.

„Es lag nicht in meiner Absicht, dich zu tadeln oder zu maßregeln. Ich wollte lediglich, dass du weißt, wie ich darüber denke. Über uns. Über diese Erfahrung. Und noch viel wichtiger ist mir, dass du es glaubst.“

Albus Dumbledore hielt kurz inne. Dann sagte er mit jener eindringlichen Stimme: „Die Erfahrung, dich kennen gelernt zu haben, ist eine Erfahrung für die Ewigkeit ... oder zumindest“, er lächelte leise, „für den winzigen Bruchteil der Ewigkeit, den ein Menschenleben ausmacht.“

Diese Worte hallten noch lange in seinem Inneren nach. Er lauschte ihnen auch dann noch nach, als die eiserne Tür der kargen Zelle im höchsten Turm von Nurmengard längst hinter Albus Dumbledore ins Schloss gefallen war.


„ ... eine Erfahrung für die Ewigkeit ...“

…

Der wohl bekannte forschende Blick aus leuchtend blauen Augen sowie ein warmes, tröstendes Lächeln streiften sein zerfurchtes, tränenüberströmtes Antlitz. Er war äußerst dankbar dafür, dass Albus Dumbledore ihn nicht nach dem Grund seiner Tränen fragte, ihn nicht zum Sprechen drängte, die einvernehmliche Stille zwischen ihnen auch selbst nicht durchbrach. Denn endlich kannte er die Worte, welche gesagt werden mussten, und endlich wusste er, dass sie von ihm ganz allein kommen mussten. Freiwillig. Von innen heraus.

„Du hast mich vor langer Zeit einmal auf Reue angesprochen, Albus, hast dich gefragt, ob die Gerüchte über vermeintliche Reue meinerseits wahr seien. Letztes Mal sind wir deswegen im Streit auseinandergegangen … wegen der Reue … weil ich es immer noch nicht wirklich begriffen hatte. Aber seitdem … ist schon wieder so viel Zeit vergangen … so viele endlose Tage und Nächte … derselbe Alptraum jede Nacht … die - die ganzen Toten …“

Seine Stimme zitterte, doch er sprach unbeirrt weiter.

„Glaub mir, Albus, ich habe es verstanden, ich bereue, oh ja, und ich verstehe jetzt auch, weswegen es in manchen Büchern heißt, der Schmerz dabei kann einen umbringen, ich weiß es, ich weiß, warum, und … und es tut mir so leid … es tut mir leid … alles … mein ganzes Benehmen bei deinem letzten Besuch … aber auch alles - alles andere … Verzeih mir … bitte.“

Die letzten Worte waren kaum mehr als ein heiseres Flüstern gewesen, doch Albus Dumbledore hatte sie dennoch verstanden. Seine funkelnden blauen Augen schimmerten verdächtig. Es lag eindeutig Rührung in ihnen. Rührung und … noch etwas anderes. Das eine Gefühl, welches er nie so recht zu deuten oder zu benennen wusste.

„Ich muss gestehen, auf diese Worte warte ich bereits, seit ich dich zum ersten Mal hier besucht habe und von dir so unsanft hinausgeworfen wurde. Da erst wurde mir klar, welch langer Weg noch zu gehen sein würde - für dich, aber auch für uns beide. Ich danke dir, auch um deinetwillen, dass ich diese Worte heute noch hören durfte, ich danke dir wirklich, Gellert. Und ich nehme deine Entschuldigung gerne an.“

Zart strich Albus über seine nasse, eingefallene Wange. Zu den getrockneten, verschmierten Tränenspuren von eben gesellte sich bereits frisches Nass.

„Verziehen, Gellert, verziehen. Und ich fürchte“, Albus Dumbledore lächelte ein wenig zittrig, als auch einzelne Tränen ihren Weg über seine Wangen fanden, „ich muss dich bitten, mir auch meine ungewöhnliche Rührseligkeit zu verzeihen. Es mag daran liegen, wohin mich mein Weg heute noch führen wird …“

…

„Dann … sagen wir wohl Lebewohl, Gellert.“

…

„Du erinnerst dich noch an das Gespräch, in dem du mich fragtest, ob du nun ein alter Freund oder doch eher ein ehemaliger Freund für mich seiest? Du weißt meine Antwort noch?“

Er nickte stumm.

„Und du erinnerst dich auch noch daran, wie ich sagte, unsere Freundschaft und die bloße Erfahrung, dich kennen gelernt zu haben, sei etwas, das ich niemals missen möchte, eine Erfahrung für die Ewigkeit?“

Wieder nickte er.

Albus Dumbledore warf ihm einen letzten eindringlichen Blick zu. So ungeheuer viel lag in diesem Blick. So viel. Genauso viel wie in den letzten geflüsterten Worten.

„Vergiss es nicht. Bitte.“

…

„Dann … sagen wir wohl Lebewohl, Gellert.“

…

„Sei jedoch versichert, dass dies kein Abschied für immer ist, alter Freund, dessen bin ich gewiss. Denk an meine Worte über das, was wir miteinander geteilt haben: eine Erfahrung für die Ewigkeit. Denk an mein Versprechen.“

…

„Bis zu dem Tag, an dem wir uns irgendwann abseits der diesseitigen Wirklichkeit wiedersehen werden, sage ich nun also ein letztes Mal Lebewohl.“

~*~*~*~

Die Umrisse und Konturen der kargen Zelle im höchsten Turm von Nurmengard nahmen allmählich wieder Gestalt an, während die Erinnerung an die wenigen kostbaren Augenblicke, welche der Baum des Lebens für Gellert Grindelwald und Albus Dumbledore bereitgehalten hatte, nach und nach immer weiter verblasste und leise in Nebel und Wind verwehte. Die kurzen, kostbaren Momente, darin Zeit und Ewigkeit einander berührt hatten und zwei Menschenleben miteinander verschmolzen waren, die bittersüßen Früchte verlorener Zweisamkeit und selbst verschuldeter Einsamkeit, sie versanken unaufhaltsam wieder in den dunklen Tiefen des weiten und bewegten Meeres der Zeit, aus denen sie emporgestiegen waren.

Der Gefangene spürte, wie die Wellen der Gegenwart ihn unbarmherzig immer weiter einholten, wie sie ihn unerbittlich, Welle um Welle, Woge um Woge, wieder zurück an den trostlosen Strand der ewigen Nacht spülten und seine Welt erneut in undurchdringliche schwarze Finsternis der Einsamkeit und des Todes tauchten. Welle um Welle, Woge um Woge, erfasste seinen von Leid und Gefangenschaft gezeichneten Geist, riss ihn ohne Gnade aus dem schützenden Nebel des Vergessens und der Vergangenheit, trug ihn unbarmherzig wieder zurück ans trostlose Ufer der Gegenwart.

Zurück ans andere Ufer des dunklen Ozeans der Zeit. Zurück ans andere Ufer des Sonnenuntergangs. Zurück ans andere Ufer der ewigen Nacht. Zurück in undurchdringliche schwarze Finsternis der Einsamkeit und des Todes und weg von dem Einzigen, den er je Freund geheißen hatte. Weg von dem Einzigen, der bis auf den Grund von Gellerts Seele geblickt und ihn nie gänzlich aufgegeben hatte. Weg von Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore.




So, damit findet auch das bisher allerlängste Kapitel der ganzen Geschichte sein unvermeidlich tristes Ende …

Tut mir leid, wenn einige von euch es im Moment als ZU traurig empfinden, aber ich befürchte, von diesem Kurs kann und werde ich eher nicht abweichen, da ich einfach der Überzeugung bin, Kapitel, die einen Mann beschreiben, der seit einem halben Jahrhundert in einer kleinen Zelle festsitzt, alles verloren hat und an seiner Schuld beinahe zerbricht und nun auch noch den einzigen Menschen verliert, der ihm noch etwas bedeutet hat und umgekehrt - solche Kapitel können gar nicht ZU traurig sein ...

Ich hoffe dennoch, Gellert Grindelwalds ganz persönliche „Erinnerungen an Albus Dumbledore“ und somit ein Ausflug zurück zu den Anfängen der FF und wieder zurück, haben euch gefallen und es war schön, sie noch einmal so am Stück zu lesen, obwohl natürlich alles altbekannt war.

Wie immer freue ich mich sehr über Kommentare und Rückmeldungen - gerade da dieses Kapitel ja im Grunde die gesamte Geschichte im Kleinen war!

In den nächsten beiden Kapiteln versucht sich Gellert zu trösten und von dem schrecklichen Verlust abzulenken, indem er sämtliche Zeitungen durchforstet und sie nach dem Namen und dem Bild einer ganz bestimmten Person absucht. Worauf er dabei so stößt und wie er darauf reagiert - ihr könnt ja schon mal Vermutungen anstellen ;)

Alles Liebe & bis dann,
eure halbblutprinzessin137


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