Wehklagen im Wispern des Windes
Verzweifelt schreckte der Gefangene aus seinem schrecklichen Alptraum auf, dessen kalte, schwarze Klauen des Grauens ihn noch immer nicht loslassen wollten. Noch immer sah er die Toten klar und deutlich vor seinem geistigen Auge und sie wollten einfach nicht verblassen. Noch immer schien der stierende, vorwurfsvolle Blick aus ihren leeren, tiefliegenden Augen ihn schier zu durchbohren und sein von Schuld und Gefangenschaft gezeichnetes Herz zu verbrennen. Noch immer dröhnte ihre stumme Anklage laut und donnernd in seinen Ohren und in seinem Herzen, hallte tausendfach in seinem Inneren nach und verschmolz mit den Worten, die er am Vortag gehört hatte, zu einem einzigen nicht endenden Konzert aus Vorwürfen, Enttäuschung und Anklage.
„Wirklich, Gellert, ich bin zutiefst enttäuscht von dir … Du hast nichts dazugelernt, nichts verstanden, seit dem Tag, an dem du aus Godric's Hollow fortgelaufen bist … Ich lasse mich wieder und wieder von meiner Zuneigung zu dir blenden und du bringst mich wieder und wieder dazu, mich für diese Zuneigung zutiefst zu schämen … Ich weiß nicht, ob ich dich unter diesen Umständen überhaupt noch einmal wiedersehen möchte.“
Ein trockenes Schluchzen durchbrach die bleierne Stille in der kargen Zelle im höchsten Turm von Nurmengard. Verzweifelt fuhr sich der Gefangene mit dem Ärmel seines zerfetzten und zerschlissenen Gewandes über das eingefallene, gezeichnete Gesicht, bevor er zu dem kleinen fensterartigen Schlitz im Mauerwerk der ehernen Festung hinüberwankte und in das beruhigende Säuseln der Nachtluft hinaushorchte, dem Gesang der Winde lauschte, um wenigstens für einen kurzen Augenblick Frieden zu finden.
Doch es gelang ihm nicht.
Selbst hier, im leisen Wispern des nächtlichen Windes, meinte er noch immer die Stimmen seiner Opfer zu hören. Das Schluchzen des gebrechlichen alten Muggels … das Weinen der jungen Hexe, deren Mann er getötet hatte … das Wimmern des kleinen Mädchens in seinem geblümten Schlafanzug … die Schreie und das Wehklagen all seiner anderen ungezählten Opfer … Wehklagen im Wispern des Windes, voller Schmerz und Leid und Verzweiflung … Schmerz und Leid, welches er verursacht hatte … Wehklagen im Wispern des Windes … Und selbst hier noch das Donnern einer erzürnten, vorwurfsvollen und zutiefst enttäuschten Stimme, welche der Gefangene nur allzu gut kannte …
Verzweifelt ließ Gellert Grindelwald sich wieder auf seine harte, hölzerne Pritsche sinken und starrte in die klaffende Leere des dunklen Verließes. Erschöpft und beinahe gebrochen. Auf der Suche nach irgendeinem Halt krallten sich seine Finger verzweifelt in den abgewetzten Stoff seines alten, zerschlissenen Umhangs, der einst so prächtig gewesen war.
Plötzlich stutzte der Gefangene.
Er hatte in einer der Falten des zerfetzten Stoffes etwas gespürt. Etwas Kleines, Hartes, Eckiges. Verwundert tastete Gellert Grindelwald nach dem rätselhaften Gegenstand und förderte schließlich etwas bislang völlig in Vergessenheit Geratenes zutage.
Es war ein kleiner, tropfenförmiger, aquamarinblauer Edelstein, der exakt den gleichen Farbton aufwies wie die Augen seines einstigen und einzigen Freundes.
Der Gefangene spürte, wie die Hand, die den aquamarinblauen Edelstein hielt, zitterte. Tränen tropften auf den so schmählich vergessenen Stein, der eine Flut von lange verdrängten Erinnerungen in ihm freisetzte. Eine Flut von ungeheuer schönen und ungeheuer schmerzlichen Erinnerungen. Eine Flut von Erinnerungen an einen ganz besonderen Ort, an eine Reihe von ganz besonderen Begebenheiten.
~*~*~*~
Noch bevor die Morgensonne erwacht war, erhob sich der goldgelockte Junge von dem Schreibtisch, an dem er die ganze Nacht über gelesen hatte, und schlich sich auf leisen Sohlen aus dem Haus seiner schlafenden Tante. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie der laue Luftzug jenes einzigartigen Sommers durchs weit geöffnete Fenster in sein Stübchen wehte, wie er keck mit den Buchseiten und Worten spielte, die Gellert soeben noch gelesen hatte.
„ … so besagen einige, wenngleich zweifelhafte Überlieferungen, dass der jüngste der drei Brüder, welcher schließlich nicht grundlos in dem kleinen Dorfe Godric's Hollow begraben liegt, unweit besagten Dorfes in einem Wald eine Zuflucht hatte, die unter einem schützenden Schleier mächtigster Magie verborgen bleibt und bislang noch von keinem Suchenden entdeckt wurde, da sie laut der Legende nur demjenigen Zutritt gewährt, der ihrer auch würdig sei …“
…
Die bernsteinfarbenen Augen des Jungen weiteten sich in freudiger Erregung, als er die Lichtung tief im Herzen des Waldes betrat, die alles übertraf, was er sich zu finden vorgestellt und erhofft hatte.
Vor ihm erstreckte sich ein kleines Paradies.
Altehrwürdige Ruinen, deren anmutige Formen und edle Materialien von einst sich noch immer erahnen ließen, lagen verstreut in der friedlichen idyllischen Natur und gaben sich ein Stelldichein mit der alten, mächtigen Magie, von welcher dieser sagenhafte Ort durchwirkt und durchwoben war und welche die Luft ringsumher zum Flirren und zum Knistern brachte. Mysteriöse Magie, welche nur dem Eintritt gewährte, der würdig war, diesen verwunschenen Ort voller Rätsel und Geheimnisse zu betreten.
Unbändige Freude, unglaublicher Stolz angesichts seiner kostbaren Entdeckung ließen die Augen des Jungen erstrahlen und sie mit dem hellen, gleißenden Licht dieser sonnendurchfluteten Idylle um die Wette funkeln.
Ein wahres Paradies … eine geheimnisvolle Hochburg der Magie … eine sonnendurchflutete Idylle … ein verwunschener Ort, so eng mit dem Traum der Heiligtümer verwoben wie kaum ein anderer … ein Palast, gehüllt in einen schützenden Schleier mächtigster Magie und erbaut von der Natur aus dem smaragdgrünen Marmor der Bäume und Blätter ringsumher … Sein Palast, ganz allein sein, und Gellert Grindelwald schwor sich, das Wissen um diesen sagenhaften Ort aus smaragdgrünem Marmor mit keiner anderen Menschenseele zu teilen, sondern wieder zu kommen, allein, um die Geheimnisse dieses Ortes zu lüften. Geheimnisse, die ihn seinem großen Traum ein Stück näher bringen würden, ihn ganz allein.
Doch es sollte anders kommen.
So, tut mir sehr leid, dass ihr auf solch ein kurzes Kapitel so lange warten musstet, aber die Uni beansprucht meine Zeit dieses Jahr mehr als mir lieb ist und mein Rücken, der von einem Autounfall letztes Jahr arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, macht mir das Tippen auch sehr schwer …
Ich hoffe aber, dass das Kapitel zumindest nach eurem Geschmack war und dass es ein wenig neugierig macht auf den nächsten Teil, auf den ihr dann hoffentlich nicht ganz so lange warten müsst - ich gebe mein Bestes ;)
Wie immer freue ich mich sehr über eure Kommentare und Meinungen!
Alles Liebe und bis zum nächsten Kapitel,
eure halbblutprinzessin137
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