Erinnerungen ...
Endlich neigte sich der unerbittliche, kalte Winter, welcher Gellert Grindelwald so sehr zugesetzt hatte, dem Ende zu. Eis und Schnee schmolzen langsam dahin und ab und zu schaffte es die Sonne sogar, den einen oder anderen wärmenden Strahl durch den winzigen fensterartigen Schlitz in die Zelle im höchsten Turm von Nurmengard zu senden. Dennoch legte der Gefangene den dicken rot-goldenen Schal, den einst vor beinahe einem Jahrhundert Kendra Dumbledore gestrickt hatte, nicht ab. Ein wenig Wärme konnte er in seiner kargen Zelle immer brauchen, nicht bloß im Winter. Die Schokofroschkarte Albus Dumbledores war schon ganz abgegriffen, so oft hielt der Gefangene sie in der Hand und betrachtete das Bildnis seines alten Freundes.
Als er eines Tages wieder so auf seiner hölzernen Pritsche saß und in das vertraute, auf Papier gebannte Antlitz Albus Dumbledores starrte, fiel ihm plötzlich etwas ein, was ihm bis dahin noch gar nicht in den Sinn gekommen war und was er Albus daher auch bei keinem seiner Besuche gefragt hatte.
Ob Albus es wohl geschafft hatte?
Ob er ihrer beider gemeinsamen Traum von einst wohl alleine verwirklicht hatte? Ob er die beiden anderen wohl gefunden hatte, wo er doch bereits der rechtmäßige Herr über den Elderstab war? Hatte er die Heiligtümer des Todes vereint oder würde es zumindest eines Tages tun? Würde Albus allein vollbringen, woran er, Gellert Grindelwald, gescheitert war? Würde Albus Dumbledore zum Gebieter des Todes werden?
Der Gefangene wusste es nicht.
Doch diese einfachen Gedanken reichten bereits aus, um das alte Feuer erneut zu entfachen. Das alte Glimmen schlich sich in Gellert Grindelwalds braune Augen, als er in sein Verließ starrte, ohne es wirklich wahrzunehmen. Stattdessen tauchten sie vor seinen Augen auf. Er sah sie klar und deutlich vor sich.
Die Heiligtümer des Todes ... den Elderstab ... den Stein der Auferstehung ... den Umhang der Unsichtbarkeit ... und das Zeichen ... das Zeichen der Heiligtümer ...
Unwillkürlich musste Gellert Grindelwald an den goldenen Anhänger in Form eben jenes Zeichens denken. Es war ein langer Weg, auf dem der Anhänger ihn begleitet hatte. Es war eine bedeutsame Geschichte, die sich hinter ihm verbarg.
~*~*~*~
Geschwind erhob sich Gellert von den staubigen, knarrenden Holzdielen des kleinen Geschäftes in der Nockturngasse, den Brief Antiochs noch immer fest umklammert, und hastete zurück in die Regalreihen, welche er zuvor schon begutachtet hatte. Tatsächlich, dort war es! Das Zeichen der Heiligtümer glitzerte ihm golden entgegen als hätte es all die langen Jahre über nur auf ihn gewartet. Behutsam streckte Gellert Grindelwald die freie Hand nach dem goldenen Anhänger in seltsamer Runenform aus, der ihm zuvor bereits aufgefallen war. Ein tiefes Gefühl der Freude, des Stolzes und der Entschlossenheit durchflutete ihn wie er so dastand, den alten Brief des Antioch Peverell in der einen und die funkelnde goldene Kette mit dem Zeichen der Heiligtümer des Todes in der anderen Hand.
...
Ein ohrenbetäubendes Knirschen, das einem seltsam durch Mark und Bein ging, zerriss die schwarze Stille der Nacht, von der das alte düstere Gemäuer erfüllt war. Eine unheimliche Macht ging von der scharlachrot glühenden Zauberstabspitze aus, als ihre Hitze sich in den kalten Stein fraß und ihr Mal auf der ehemals glatten Wand hinterließ. Eine senkrechte Linie, ein Kreis und ein Dreieck, auf ewig gemeißelt in den starren Stein.
Mit einem Ausdruck grimmigen Stolzes trat Gellert Grindelwald einen Schritt zurück, den flammenden Zauberstab noch in der Hand, und begutachtete sein Werk. Der rote Lichtkegel tanzte über die alten Steinmauern und spiegelte sich feuergleich flackernd in Gellerts Augen wider. Harte und entschlossene Augen.
Der goldene Anhänger auf seiner Brust schien wie von selbst aufzublitzen.
...
Gellert Grindelwalds braune Augen leuchteten triumphierend auf, als sein Blick auf das aufgeschlagene Märchenbuch fiel. Über dem Titel war mit Tinte das eine Symbol hineingezeichnet worden, das für Gellert mittlerweile die Welt bedeutete. Eine senkrechte Linie, ein Kreis und ein Dreieck. Das Zeichen der Heiligtümer des Todes.
„Du glaubst also auch daran?“, rief er erstaunt und erfreut gleichermaßen aus.
„Du etwa auch?“, fragte Albus und wirkte dabei ziemlich perplex.
Anstelle einer Antwort zog Gellert den goldenen Anhänger unter den Falten seines Umhangs hervor und zeigte ihn dem Älteren. Stumm lächelten sie einander an und keiner von ihnen nahm mehr bewusst wahr, dass der Anhänger ganz von alleine scharlachrot aufleuchtete.
...
Plötzlich riss Gellert seinen Blick von der Karte zwischen ihnen los und sah seinem Gefährten direkt in die Augen.
„Was glaubst du, Al, wer hat ihn im Moment?“, fragte er mit gespannter Miene und lauernder Stimme, während der goldene Anhänger auf seiner Brust zu pulsieren schien.
„Schwer zu sagen ... Es bleibt dabei, dass sich die Spur mit Loxias verliert, ganz gleich, wie viele Bücher man auch zu Rate zieht. Aber ich denke, wir sollten mit Ollivander sprechen“, setzte Albus mit nachdenklichem Gesichtsausdruck hinzu, „vielleicht weiß er als Zauberstabmacher doch mehr...“
Bei dieser Erwähnung blitzten Gellert Grindelwalds Augen auf und er beugte sich noch ein wenig näher zu seinem Freund, sodass ihrer beider Gesichter sich beinahe berührten. Albus' zartes Erröten ignorierend, wisperte der Blondschopf: „Mmh ... Zauberstabmacher war ein gutes Stichwort, Al ... Ich glaube nämlich, dass Gregorowitsch ihn haben könnte!“
Bei der Erwähnung dieses Namens schien der goldene Anhänger auf Gellerts Brust einen wahren Stromstoß durch seinen Körper zu jagen und seine Ahnung somit zu bestätigen.
...
Ein paar Sekunden lang starrte Gellert wie betäubt auf das, was sie angerichtet hatten. Der Körper des Mädchens lag reglos und leblos am Boden. Ihre angstvoll aufgerissenen Augen blickten leer und glasig an die Decke. Sie war noch so jung - viel zu jung, um zu sterben! - und doch war sie tot.
Der Zauberstab in der Hand seines Freundes zitterte und während er ihn langsam sinken ließ, weiteten sich seine Augen in fassungslosem Entsetzen. Tiefer, verzweifelter Schmerz lag darin.
Gellert wollte zu ihm hinlaufen, ihn in die Arme schließen und trösten. Aber Gellert wollte auch frei sein und nicht etwa bestraft werden für ein Verbrechen, das er gar nicht begangen hatte. Es war nicht er gewesen, der diesen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Es war nicht sein Fluch gewesen, der ihr Leben ausgelöscht hatte.
Eine Weile verharrte Grindelwald unschlüssig, dann plötzlich wandte er sich abrupt ab, kehrte diesem ganzen Elend, diesem Scherbenhaufen, den Rücken und beschleunigte seine Schritte.
Krachend fiel die kleine Tür hinter ihm ins Schloss und in diesem Moment wurde Gellert bewusst, dass es kein Zurück mehr geben würde. Er hatte sich entschieden. Er hatte seinen Weg gewählt. Einen Weg, auf dem er frei war. Einen Weg, an dessen Ende die Heiligtümer auf ihn warten würden. Aber auch einen Weg ohne Albus ...
... Und als Gellert Grindelwald den bläulich pulsierenden Portschlüssel, der ihn fort von hier bringen und seine Entscheidung somit besiegeln würde, mit den Fingerspitzen berührte, da verspürte er Entschlossenheit und einen bitteren Schmerz gleichermaßen. Der goldene Anhänger auf seiner Brust jedoch pochte heiß und triumphierend. Das kalte Metall kannte weder Zweifel noch Freundschaft noch Schmerz.
...
Langsam, aber entschlossen erhob sich Gellert Grindelwald von den knarrenden Holzdielen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Trotz der vollkommenen Finsternis, die ihn nach wie vor umgab, war sein Blick ruhig und berechnend. So verharrte er in der Dunkelheit, den Elderstab in der linken und seine eigene Waffe in der rechten Hand. Es würde die letzte große Tat seines treuen Zauberstabs werden. Gellert Grindelwald war bereit.
Die Tür zu der kleinen Werkstatt flog krachend auf und im hellen Licht einer empor gehaltenen Laterne, welche die Finsternis verscheuchte, konnte man den Umriss eines korpulenten, bärtigen Mannes erkennen.
In dem kurzen Moment, den Gregorowitsch brauchte, um sich zu orientieren, schwang sich Gellert leichtfüßig auf die nächstbeste Fensterbank und hob seinen Zauberstab. Er wartete, bis der helle Lichtkegel und Gregorowitschs hektisch umherhuschende Augen schließlich auf sein hübsches Antlitz fielen, auf dem ein diebisches Lächeln lag, und murmelte dann leise: „Stupor!“
Der mächtige rote Lichtblitz verfehlte sein Ziel nicht und in dem Augenblick, in dem Gregorowitsch ohnmächtig zusammenbrach und bewusstlos auf den Holzdielen seiner kleinen Werkstatt aufschlug, da sprühte ein prasselnder Funkenregen aus der Spitze des Elderstabs, der jetzt wieder bereit war, einem neuen Herrn zu dienen.
Mit einem übermütigen Lachen schwang sich Gellert Grindelwald von der Fensterbank wie ein Vogel und stürzte sich hinab in den eisigen, wilden Schneesturm. Der goldene Anhänger auf seiner Brust glühte heißer als jemals zuvor, als würde im Inneren des Metalls eine Flamme weiß aufleuchten. Es war ein köstliches, wenngleich aufwühlendes Gefühl. Das goldene Metall pochte schneller und heftiger als Gellert Grindelwalds eigenes Herz.
Sie waren am Ziel angelangt.
...
In einen prächtigen, wallenden Umhang gekleidet, den Elderstab, die Waffe, welche ihn an die Macht gebracht hatte, sicher in der rechten Hand und den mysteriösen goldenen Anhänger, welcher ihn den ganzen Weg über begleitet hatte, auf der Brust, schritt Gellert Grindelwald hoch erhobenen Hauptes durch die Straßen und wohin er auch kam, machten ihm die Menschen hastig Platz, deuteten Verbeugungen an und warfen ihm ehrfurchtsvolle Blicke zu. Teils bewundernd, teils verängstigt, aber stets ehrfurchtsvoll.
Schließlich schien sein unaufhaltsamer Siegeszug für das Größere Wohl mit dem gestrigen Kampf endgültig besiegelt: Das gesamte europäische Festland war nun gefallen und in seiner Hand. Er war der Herrscher und alle anderen mussten sich seiner neuen Ordnung entweder beugen oder sterben. So lautete sein unbarmherziges Gesetz. Für das Größere Wohl natürlich ...
Diejenigen, die ihn bekämpften, fristeten die restlichen Tage ihres Daseins bis zur Hinrichtung hinter den steinernen Mauern von Nurmengard. Zurück blieben diejenigen, die zu verängstigt waren, um sich ihm zu widersetzen, und diejenigen, die ihn als einen Helden feierten. Und deren Zahl war beträchtlich - insbesondere angesichts der neuen spektakulären Siege.
Gellert Grindelwald hätte also allen Grund gehabt, stolz und hocherfreut zu sein. Doch dem war nicht so. Wie er so majestätisch und mit raubtierhafter Eleganz durch die Straßen schritt, dräuten Gewitterwolken auf seinem hübschen Antlitz und ungeduldiger Groll verfinsterte seine Miene.
Dass seine Berater es auch einfach nicht lassen konnten! Wie kamen sie nur auf den aberwitzigen Gedanken, alles besser zu wissen als er selbst? Lächerlich! Sich nicht mit dem Festland zufrieden geben, Großbritannien ebenfalls angreifen - diese Hornochsen, diese unwissenden Idioten!
Grindelwald schnaubte missbilligend, während er so innerlich zürnte.
Fairerweise musste der stolze Herrscher allerdings einräumen, dass er nie erklärt hatte, warum dieser Schachzug für ihn nicht in Frage kam und auch niemals in Frage kommen würde, niemals.
„Natürlich hast du es nie gesagt ... Weil es eine Schande ist!“, tönte kichernd ein leises, spöttisches Stimmchen in seinem Inneren.
Mit einem kleinen Schnipsen seines Zauberstabs zertrümmerte Grindelwald zornig einen massiven Felsen in der Landschaft zu seiner Rechten. Doch leugnen konnte er es vor sich selbst nicht. Es war eine Schande. Wahrhaftig. Es war eine Schande, einen Bogen um ein ganzes Land zu machen und das nur aus Furcht vor der Begegnung mit einer einzigen gottverdammten Person - noch dazu einer Person, die sich doch tatsächlich aus Angst vor der eigenen Größe und Macht in einem armseligen Lehrerbüro versteckte!
Gellert Grindelwalds Nasenflügel bebten und in seinem Inneren kochte es.
Diesmal ging zu seiner Linken ein Haus in Flammen auf. Ein bewohntes Haus. Es scherte Grindelwald nicht. Seinen ungezügelten Zorn auf die Welt, auf seine Berater, auf Albus Dumbledore und nicht zuletzt auch auf sich selbst sah man ihm nunmehr schon von weitem an und die Leute hasteten ihm mittlerweile fluchtartig aus dem Weg.
Nur eine nicht.
Eine alte Frau mit eisengrauem Haar, das sie im Nacken zu einem lockeren Knoten festgesteckt hatte, und durchdringenden eisblauen Augen rührte sich nicht vom Fleck, als Grindelwald sich ihr näherte. Schon hatte er seinen Zauberstab halb erhoben, schon lag ihm ein vernichtender Fluch auf der Zunge, und doch - er hielt inne.
Es war nicht ihre ehrwürdige Ausstrahlung von Wissen und Weisheit, die ihn zögern ließ. Es war auch kein Mitleid. Es war ganz einfach der Anblick des vertrauten Zeichens, das mit goldenem Garn auf ihren linken Ärmel gestickt war. Eine Linie und ein Kreis, eingeschlossen in einem Dreieck.
Grindelwalds Wut war verflogen. Vergessen. Verraucht als hätte es sie nie gegeben. Statt einen tödlichen Fluch zu wirken, zeichnete er mit der äußersten Spitze des Elderstabs das Zeichen auf dem schweren Stoff ihres Gewandes nach, bevor er leise fragte: „Sie glauben an die Heiligtümer des Todes?“
Die alte Frau schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln.
„Wie könnte ich es nicht tun? Ich stamme schließlich ab von dem, dessen Zauberstab Sie da in der Hand halten, junger Mann.“
Gellert spürte, wie ihm vor Erregung der Atem stockte. Eine Nachfahrin Antioch Peverells!
Plötzlich fühlte er sich wieder wie jener Jugendliche, der fieberhaft über alten Büchern und Karten gebrütet hatte, der mitten in der Nacht Briefe voller abenteuerlicher Ideen und Spekulationen verschickt hatte und der fest an seinen großen Traum geglaubt hatte, wenngleich er damals noch so weit davon entfernt gewesen war. Schattenhaft tauchte auch wieder das einst so teure Antlitz des einen, der diesen Traum mit ihm geteilt hatte, vor seinem geistigen Auge auf und er verspürte Gewissensbisse. Gewissensbisse wegen seiner ungerechten Wut von gerade eben. Gewissensbisse, weil er Albus damals im Stich gelassen hatte.
Doch der Anhänger auf seiner Brust fühlte sich bei diesen Gedanken plötzlich schwer wie Blei an und die feingliedrige Kette schien ihm beinahe die Luft zum Atmen abzudrücken, weswegen Gellert Grindelwald jene Gedanken schnell verdrängte.
Er wandte sich wieder der geheimnisvollen alten Frau zu, die ihn die ganze Zeit über aufmerksam aus ihren wachen eisblauen Augen gemustert hatte.
Neugierig fragte er: „Wie heißen Sie?“
Wer die geheimnisvolle Fremde wohl ist? Was weiß sie über die Heiligtümer und was hat sie mit dem mysteriösen Anhänger zu tun, dass sie in diesen Erinnerungen überhaupt auftaucht?
Das wird erst im nächsten Kapitel verraten! ;p
Ich hoffe, dass dieses Kapitel euch gut unterhalten hat und es die leider etwas längere Wartezeit wert war, obwohl es auch einige bekannte Szenen noch einmal aufgegriffen hat.
Bis zum nächsten Mal!
Alles Liebe,
eure halbblutprinzessin137
P.S.: Und nochmal ein ganz dickes Extra-Dankeschön an Schwesterherz und käfer, die immer so treu kommentieren! <3333
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel