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Fanfiction

Nebel über Nurmengard - Von Vertrauen und Verrat

von halbblutprinzessin137

Von Vertrauen und Verrat

Der Grund, warum Gellert Grindelwald die Begegnung mit Albus Dumbledore tatsächlich gefürchtet hatte, war so simpel und zugleich so schwierig.
Anders als all die Leute geglaubt hatten, waren es nicht die magischen Fähigkeiten und Zauberkräfte Dumbledores, die er gefürchtet hatte. Es war nicht die Niederlage, die er gefürchtet hatte, obgleich er diese jetzt als umso schmerzhafter empfand. Was Gellert Grindelwald wirklich gefürchtet hatte, war gänzlich anderer Natur. Er hatte sich davor gefürchtet, dass bei einer Begegnung unweigerlich alles zerstört werden würde, was je zwischen ihnen gewesen war. Endgültig und unwiderruflich zerstört. Denn Albus Dumbledore war der einzige Mensch, dem Gellert Grindelwald jemals vertraut hatte.
Mit einem tiefen Seufzer schloss der Gefangene die Augen und spürte, wie er allmählich in die Vergangenheit abdriftete...

~*~*~*~

Auf leisen Sohlen schlich er durch das verschlafene Dorf, das noch nicht erwacht war. Die ersten Strahlen der aufgehenden Morgensonne hatten sich über den Horizont gekämpft und tanzende Flecken goldenen Lichts begleiteten seinen Weg. Eine leichte Brise erfasste sein gelocktes Haar und strich es ihm aus der Stirn. Dankbar atmete er die köstliche frische Morgenluft in tiefen Zügen ein und legte den Kopf in den Nacken, um sich für einen kurzen Augenblick in den unendlichen Weiten des azurblauen Sommerhimmels zu verlieren. Ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit entfaltete sich in seiner Brust.
Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal in seinem Leben völlig frei war, und er spürte, wie kostbar dieses Gefühl ihm war. Frei wie der Wind. Nicht mehr eingesperrt innerhalb der steinernen Mauern von Durmstrang mit ihrer düsteren Aura. Nicht mehr umgeben von Leuten, die nicht verstanden und auch gar nicht verstehen wollten. Nicht mehr den eisernen Regeln unterworfen, die schließlich zu seinem Rauswurf geführt hatten. Die ihn einengten und bedrängten in seinem unersättlichen Drang zu wissen, zu verstehen, zu entdecken und zu finden. In seiner Freiheit.
Kaum hatte er diesen kostbaren Schatz gefunden, als er sich schon schwor, ihn nie wieder herzugeben oder aufs Spiel zu setzen. Niemand würde ihm seine Freiheit nehmen. Er würde sich seine Freiheit von niemandem nehmen lassen. Der Weg, der jetzt vor ihm lag, würde ihm ganz allein gehören. Diesen Weg, der hier auf einem verwilderten Friedhof in Godric's Hollow seinen Anfang nahm, würde er ganz allein bis zum Ende gehen. Und bis zum Ende des Weges würde er niemanden in dieses Geheimnis einweihen. Denn er allein würde über jeden einzelnen Schritt auf diesem langen und gewundenen Pfad entscheiden. Um seiner Freiheit willen.

All diese Vorsätze gerieten in dem einen Moment ins Wanken und stürzten in sich zusammen, als er zum ersten Mal in diese funkelnden blauen Augen blickte, die ihn von Anfang an in Bann schlugen und ihm einem verwunschenen Spiegel gleich eine sanftere Seite von sich selbst zeigten: Er sah darin Intelligenz aufblitzen, die der seinen in nichts nachstand. Er sah darin einen Durst nach Glanz und Anerkennung, den er nur allzu gut nachempfinden konnte. Er sah darin auch ein Gefühl schimmern, das er nicht so recht zu deuten und zu benennen wusste, das ihn aber gleichwohl faszinierte. Vor allem jedoch sah er darin Träume aufleuchten - seine eigenen Träume reflektiert in den Augen seines Gegenübers wie in den Tiefen eines Ozeans. In diesem Moment wurde Gellert Grindelwald bewusst, dass manche Träume es wert waren geteilt zu werden. Er ahnte erstmals, dass es sich zu zweit vielleicht schöner träumte als allein.

Diese Ahnung wurde in den folgenden Tagen und Wochen zur Gewissheit. Er fühlte sich nicht weniger frei als zuvor, aber stärker. Denn er hatte zum ersten Mal in seinem Leben jemanden gefunden, dem er vertraute. Der es wert war, dass man ihm etwas anvertraute. Und das tat Gellert Grindelwald auch. Er genoss die Minuten und Stunden und Tage, an denen er Seite an Seite mit Albus Dumbledore im sonnenbeschienenen Gras lag und sie ihre Träume miteinander teilten.

Als sie eines Abends ihre Gläser hoben und wie aus einem Munde sagten: „Auf uns!“, da war Gellert Grindelwald überzeugt, es werde stets so bleiben. Weil er an ihre Freundschaft glaubte. Weil er Albus Dumbledore vertraute.

Selbst als ihre Wege sich trennten, änderte sich daran nichts. Gellert Grindelwald war ganz sicher, dass der Andere wieder zu ihm zurückkommen würde, wenn er ihren gemeinsamen Traum erst einmal verwirklicht und die Welt geändert hätte. Eine Welt, die sie Seite an Seite regieren und beherrschen würden genau so wie sie es sich damals erträumt hatten: Grindelwald und Dumbledore, die glorreichen Führer der Revolution. Unbesiegbare Gebieter des Todes, Grindelwald und Dumbledore! Er war ganz sicher, dass der Andere diese Träume nicht vergessen hatte und dass er irgendwann zurückkehren würde...

...doch dem war nicht so. Und allmählich begann Grindelwald zu verstehen, dass Dumbledore sich geändert hatte. Dass er jetzt andere Träume träumte. Und allmählich begann Grindelwald sich vor der Begegnung mit seinem einstigen Freund zu fürchten. Vor der Begegnung, die alles zerstören würde.

~*~*~*~

Resigniert schlug der Gefangene die Augen wieder auf. Erneut hallte das eine Wort in ihm nach, welches er zuvor in die Stille gezischt hatte. Waren es Minuten oder Stunden, die seitdem vergangen waren? Gellert Grindelwald vermochte es nicht zu sagen. Er, der sonst gelassen zugesehen hatte, wie Stunde um Stunde in Müßiggang und Träumerei verflogen war, der aber gleichzeitig fähig gewesen war, jede Minute so auszuschöpfen und zu nutzen, dass er seinen Zielen ein Stück näher gekommen war, und der beim Duellieren die Bedeutung von Sekundenbruchteilen niemals unterschätzt hatte - er musste nun feststellen, dass die Zeit hier in dieser Festung zu einem Mysterium geworden war. Dass sie vor seinen Augen verschwamm und in seinen Fingern zerrann, während er dazu verdammt war, reglos in der drückenden Düsternis zu verharren und einzusehen, dass er ausgerechnet das, was ihm am teuersten gewesen war, verloren hatte: seine Freiheit.

Grindelwalds Leib wurde plötzlich von einem heftigen Schaudern erfasst und geschüttelt. War es ein Hustenanfall, eine verzweifelte Reaktion des Körpers auf die klamme Kälte und Feuchtigkeit im Gefängnis? Oder war es ein trockenes Schluchzen, ein verzweifelter Aufschrei der Seele, da sie alles verloren hatte?
Es war schwer zu sagen. Gellert Grindelwald selbst wusste es nicht, während er blind in den Nebel starrte und wie aus weiter Ferne das eintönige Tropfen des Wassers von den Kerkerwänden vernahm.
Ebenso wenig wusste Gellert Grindelwald, dass Albus Dumbledore in seinem Büro in Hogwarts ebenfalls ihre gemeinsame Zeit Revue passieren hatte lassen und dass auch er dachte, wie sehr der Andere, dem er doch vertraut hatte, ihn verraten hatte, als er ihn allein mit seiner Schmach und seiner Trauer zurückgelassen hatte und verschwunden war mit seinen Plänen zur Machtübernahme und seinen Vorhaben, Muggel zu foltern, und seinen Träumen von den Heiligtümern des Todes. Er konnte den schmerzerfüllten Ausdruck in den wohlbekannten blauen Augen nicht sehen und er hätte ihn auch gar nicht verstanden.

Zu überzeugt war Gellert Grindelwald davon, dass Albus Dumbledore ihn verraten hatte. Verraten, als er sich von ihrem gemeinsamen Traum abgekehrt und ihre sorgsam erdachten Pläne verworfen hatte. Verraten, als er den Zauberstab gegen seinen ehemaligen Freund erhoben hatte. Verraten, als er ihm das eine gut genommen hatte, von dem er wusste, dass Gellert es so dringend brauchte wie die Luft zum Atmen - seine Freiheit. Verraten, als er sich entschieden hatte, Gellert noch weiter zu demütigen und ihn ausgerechnet in Nurmengard gefangen zu halten. Verraten, obwohl er der einzige war, dem Gellert Grindelwald jemals vertraut hatte.



So, das war also das zweite Kapitel und ich hoffe sehr, dass es eure Erwartungen erfüllt hat! ;)
Wenn ihr euch beim Lesen das ein oder andere Mal gefragt habt, warum Gellert sonst niemandem vertrauen konnte bzw. vertraut hat, dann freut euch auf das nächste Kapitel - das beantwortet diese Frage nämlich!
Alles Liebe und bis bald,
eure halbblutprinzessin137


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