Die Hexenwoche - März 2004
Warum ist man Harry-Potter-Fan?
von Ulrike Pammer
Ein Harry-Potter-Fan hat heutzutage einige Probleme: Er muss befürchten, dass sein Lieblingscharakter im nächsten Buch sterben wird. Er fragt sich, wie er das Flugticket nach London bezahlen soll, weil er sich weigert, das Erscheinen von Band 6 in seinem Heimatland zu feiern. Einige von uns müssen ihren Eltern alle zwei Monate erklären, warum die Internetrechnung wieder mal viel höher ausgefallen ist, als erwartet. Viele müssen ihren Freunden jede Woche einmal erklären, warum sie so besessen von diesem "Kinderbuch" sind.
Nicht wenige von uns verbringen viel Zeit in Internet. In Diskussionsforen und auf diversen Harry-Potter-Fanseiten wie "Harry Potter Xperts" diskutieren wir, ob Sirius zurückkommt und ob Harry am Ende von Band 7 nun sterben wird oder nicht. Stellt sich die Frage, warum wir das alles machen. Es geht doch "nur" um ein Buch!
Die Antwort ist ganz einfach: Für mich (und ich bin mir sicher, für viele von euch auch) ist Harry Potter sehr viel mehr als ein Buch. Harry Potter bereichert unser Leben. Es wird zu einem Teil unseres Leben.
Wenn mir mein Verstand nicht das Gegenteil sagen würde, dann würde ich sofort glauben, dass Harry & Co. leben. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, bei dem ich so mit den Charakteren mitgefühlt habe. Das beste Beispiel dafür ist Band 5. Ich weiß, dass vielen der Tod von Sirius sehr nahe gegangen ist. Für mich war es ein großer Schock. Ich konnte es zunächst gar nicht fassen, dass er wirklich tot ist. (Zum Tod von Sirius wird es wahrscheinlich auch eine extra Kolumne geben. )
Oberflächlich betrachtet hat Harry Potter nur wenig mit unserem täglichen Leben zu tun. Doch wenn man sich die Bücher genauer ansieht, erkennt man, dass in ihnen Themen behandelt werden, die sehr wohl unser tägliches Leben betreffen. Die meisten von uns hatten schon mal Streit mit ihrem besten Freund - wie Harry im vierten Band. Viele von uns haben schon erfahren, oder werden noch erfahren müssen, wie schmerzhaft es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt - wie Harry im fünften Band. Ich hoffe, dass viele von euch Freunde wie Ron und Hermine haben. Freunde, von denen man mit Sicherheit sagen kann, dass sie einen nie verraten oder hintergehen würden.
J. K. Rowling hat oft gesagt, dass es nie eins ihrer Ziele war, mit ihren Büchern den Leser zu belehren (Quelle: DVD "Harry Potter und die Kammer des Schreckens"). Dennoch kann man viel von diesen Büchern lernen. Viele von uns glauben an Rowlings Botschaften aus den Büchern und wenden sie in ihrem eigenen Leben an. Ich z.B. weiß spätestens seit Band 4, dass es keinen Sinn hat, sich Sorgen zu machen. Was kommen wird, wird kommen... und wenn es da ist, werde ich es treffen müssen. (Das Zitat stammt aus Band 4 und ist auf Seite 767 zu finden. Im englischen Original heißt der Satz: "what would come, would come...and he would have to meet it when it did." Im Deutschen wurde der Satz mit "was kommen musste, würde kommen...und wenn es da war, würde er den Kampf aufnehmen müssen." Ich bin mit dieser Übersetzung nicht ganz einverstanden, deswegen habe ich den Satz so übersetzt, wie ich ihn übersetzen würde. )
Und was man auch nicht vergessen sollte: Wir erleben das Harry- Potter-Phänomen so, wie es unsere Kinder nie erleben werden. Wir können mit 500 Leuten, die wir gar nicht kennen, auf den neuesten Band warten. Wir können uns schon vier Monate vor der Premiere des neuesten Harry Potter Filmes überlegen, wie wir uns verkleiden werden. Wir sollten dankbar dafür sein, dass wir die Möglichkeit haben, Jahre lang darüber zu diskutieren, wer wen am Ende heiraten wird. Unsere Kinder werden die Möglichkeit haben, sofort nach dem fünften Band den sechsten Band zu lesen. Viele von euch sagen jetzt sicher: "Das würde ich auch wollen". Aber überlegt mal: Besteht ein großer Teil des Zaubers von Harry Potter nicht aus der Vorfreude, die wir auf die nächsten Bände haben? Würde uns nicht etwas fehlen, wenn wir nicht mehr spekulieren und diskutieren könnten?
Menschen, die Harry Potter gelesen haben, und den Zauber, der von diesem Büchern ausgeht, nicht verstehen können, tun mir Leid. Das ist jetzt nicht abschätzig gemeint. Es ist nur so, dass diese Menschen niemals erfahren werden, wie es ist, einem Buch so entgegenzufiebern wie wir es tun. Sie werden nie so in die Welt von Harry Potter eintauchen können, wie wir es tun, wenn wir eines der Bücher öffnen.
Und das Ganze ist es doch wirklich wert, mit seinen Eltern alle zwei Monate über die Internetrechnung zu streiten und drei Tage lang schlecht zu schlafen, weil man den neuen Harry Potter Band entgegenfiebert. Oder? ;-)