Xperts Press - Juli 2007
Das Ende der Saga
von rayarts
Wenn ihr das hier lest, wird es nur noch einige Tage dauern bis es da ist:
Das siebte Buch, "Harry Potter and the Deathly Hallows", das Ende der Harry-Potter-Reihe und damit einer Saga.
Zehn Jahre ist es nun her, dass Joanne K. Rowling ihren ersten Band veröffentlichte, nachdem sie während einer Zugfahrt 1990 die Idee dazu bekam. Die Idee zu einer Geschichte, in der es um eine Schule von Zauberern geht, eine Schule, die wirklich existieren könnte.
So setzte sie sich hin, üblicherweise in eines ihrer Lieblingscafés, und schrieb - oder mehr kreierte - eine Welt, die Millionen Menschen später in ihren Bann ziehen würde.
Hogwarts war geboren, und ein Junge, welcher der Angelpunkt einer siebenjährigen, mitreißenden Geschichte sein würde.
Als 2000 der vierte Band erschien, "Harry Potter and the Goblet of Fire", brach eine Harry-Potter-Welle aus, die seinen Namen bis in die letzten Ecken der Welt bekannt machte. In den Abendnachrichten berichtete Peter Kloeppel wie Tausende Fans, zumeist Kinder, überall auf der Welt die Buchläden zur Öffnungszeit stürmten. Bilder, wie Hunderte Harry-Potter-hungrige Fans sich kreischend auf den vierten Band stürzten und Kinder mit funkelnden Augen den Journalisten erklärten, dass sie Zauberer werden wollten, brannten sich in Gedächtnisse ein.
Mit Skepsis betrachteten viele dieses Phänomen. Harry Potter? Ein Kinderbuch? Was soll die Furore? Aber die Ansteckung breitete sich aus, für die einen wie eine Krankheit, für die meisten allerdings wie ein Segen. Spätestens wenn der beste Freund/die beste Freundin sich die Reihe gekauft hatte, wurde man überzeugt wenigstens reinzuschnuppern. Verurteilen kann man es später immer noch. Das Reinschnuppern dauerte zwei Tage und drei Nächte, in denen der Vater letztendlich versuchte das Licht auszumachen, weil man zu viel las. Die Welt stand Kopf.
Kurze Zeit später wurden die Läden - ob Supermarkt oder Bücherei - von Harry-Potter-Merchandising überschwemmt. Von echten Schokofröschen (die zur allgemeinen Enttäuschung nicht hüpfen wollten), über Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung (Gab es eine mit Popelgeschmack?), bis hin zu Harrys Feuerblitz (leider nur zum Ansehen und Fegen geeignet, nicht zum Fliegen). Harry Potters Welt schien noch ein Stück näher gerückt zu sein.
Harry Potter wurde "Common Knowledge". Die Abiturgänge 2002 und 2003 waren die ersten, die für die Englischprüfung fleißig alle HP-Bände auf Englisch lasen. In 67 Sprachen wurde die HP- Reihe übersetzt, nur getopt von der Bibel. Ein Stück Kultur überwindet geographische wie auch sämtliche andere Grenzen.
2001 kommt der erste Harry-Potter-Film in die Kinos. Das letzte Bröckchen Eis ist gebrochen - Millionen Zuschauer in allen Ländern pilgern vor die Leinwände, um die "lebendigen" Charaktere zu sehen. Harry Potter, Ron Weasley, Hermine Granger und viele andere bekommen ein Gesicht. Wer zu faul zum Lesen ist, geht wenigstens ins Kino.
Die Verbreitung des Internets führte ebenfalls zur Verbreitung von Harry Potter. Seit mehreren Jahren existieren zunehmend viele Fanseiten: MuggleNet, The Leaky Cauldron, HPANA und noch mehr. Joanne K. Rowling eröffnete ihre Homepage in 2004. Deutschlands populärste HP-Fanseite wurde (selbstverständlich) Harry Potter Xperts, gegründet November 2003, und inzwischen weit über 8000 Mitglieder reich. Unzählige Foren und vorstellbare (sowie unvorstellbare) Threads - von Harrys "zweiter Vater" bis Kennen sich Krummbein und Mrs Norris - bilden eine Community, die ein Teil von Rowlings Welt geworden ist.
Nicht "Du bist Deutschland" - "Du bist Harry Potter!"
Denn das müsste mittlerweile allen klar geworden sein: Was wir die letzten Jahre erleben durften, von dem wir ein Teil geworden sind, ist eine Saga, eine Legende - ein Teil Kulturgeschichte, der niemals vergessen werden wird. Was Star Wars für unsere Eltern war, ist Harry Potter für uns - und noch viel mehr, denn es ist für Jung und Alt, für Gebildete und Lernfaule, für Mädchen und Jungs, für Schüler und Lehrer, für Leseratten und Kinofans, für Arme und Reiche.
Die Betonung liegt auf ist, denn am 21. Juli 2007, wenn der letzte Band erscheint, wird es zu war. Selbstverständlich werden alle weiterhin HP Fans sein, die Foren werden weiterbestehen, der Zauber wird erhalten bleiben und die Diskussionen werden noch einige Zeit weitergehen. Aber es wird nie wieder so sein wie es war und wie es jetzt (noch) ist. Kein Zittern, kein Bangen, wer überleben wird und wer nicht. Keine heißen Wortgefechte unter Harry-Hermine- und Harry-Ginny-Shippern (zumindest etwas weniger heiß?). Kein Rätseln um die Horkruxe, Petunias Geheimnisse und Snapes Absichten. Die meisten Fragen werden beantwortet sein.
Was Harry Pottern ausmacht, ist JKRs Talent, uns die Antworten vor der Nase vorzuenthalten - ein Jahrzehnt des Fragens, Hoffens, Erstaunens. Was Harry Potter ausmacht, ist unsere Neugier, unsere Sucht nach Wissen, unser Nichtwissen - denn das alles fördert Fantasie. Auf diese Art und Weise waren wir ein Teil der Saga.
Es wird weitergehen. Für 2009 ist ein Harry Potter Adventure Park geplant. Zwei weitere Filme müssen gedreht und veröffentlicht werden. Und irgendwann wird es die Harry Potter Special Edition Box geben, alle sieben Teile, plus Zauberstab und aufklebbarer Narbe, oder so, wenn es das nicht schon gibt. Ein paar Jahre später werden wir unseren Kindern erzählen, was für ein Gefühl das war, Jahr um Jahr auf das nächste Buch zu warten, mitternachts aus dem Fenster zu spähen und darauf zu hoffen, dass der nur zu diesem Zweck losgeschickte Postbote mit dem neuesten Band gleich um die Ecke biegt. Unsere Kinder werden Harry Potter als das Natürlichste der Welt ansehen, haben wir ihnen doch dann die Geschichten bereits als Gutenachterzählung vorgetragen.
Doch NOCH, noch ist es nicht "natürlich" zu wissen, wie Harry Potter enden wird.
Noch lese ich die Threads nach Anhaltspunkten für das Ende durch. Noch ist es Realität, dass mein Vater mit mir in die HP Filme ins Kino geht - abgesehen von Star Wars die einzigen Filme überhaupt. Noch kann ich erleben wie meine Mutter, die seit Jahrzehnten kein Buch mehr gelesen hat ("Keine Zeit, ich muss arbeiten."), jeden einzelnen HP Band, den ich ihr schenke, in einer Nacht verschlingt. Noch argumentiere ich mit Universitätsprofessoren über die Notwendigkeit Harry Potter wenigstens einmal im Leben gelesen zu haben.
Wenn der letzte Band erscheint, werde ich es langsam angehen lassen. Ich werde ausnahmsweise mal nicht bei Amazon bestellen. Ich werde einige Tage warten bevor ich, traditionell, gemächlich, in meinen Lieblingsbuchladen gehe, ohne Hektik, und mir die englische Ausgabe von "Harry Potter and the Deathly Hallows" kaufe. Das Buch in der Tasche werde ich mit der S-Bahn nach Hause fahren, und mir einen Cappuccino machen. Ich werde den Anrufbeantworter ein-, mein Handy leise und den Fernseher ausschalten. Der Käfig mit den Wellensittichen kommt auf den Balkon, wo sie in Ruhe und außerhalb meiner Hörweite weiterkreischen können. Eine Tüte Snacks habe ich mitgebracht. Ich werde mich auf die Couch setzen und die Beine hochlegen. Dann erst nehme ich das Buch in die Hand. Ich werde noch eine Weile auf das Cover starren und mich über die Hinweise wundern, die es zeigt und von denen ich einige Stunden später alles wissen werde. Und ich werde mich an die letzten Jahre erinnern - von Peter Kloeppels Lächeln während er über den neuesten HP Film berichtet, bis Daniel Radcliffe, den ich im Londoner Theater nackt auf der Bühne gesehen habe. Von den Schokofroschkarten, die ich kurz vor meinem Abitur in meine Schulmappe geklebt habe, bis hin zu meinem Streit mit einem Mitbewohner, der Harry Potter für "ridiculous" hält, aber keinen einzigen Band gelesen hat. Von dem Kommentar meiner Mutter, mein Freund würde ja aussehen wie Harry, bis zu meinem Versuch HP in Japanisch zu lesen. Von meiner ersten Nacht mit dem ersten Band bis zu diesem jenen Tag, an dem ich das letzte Buch in den Händen halte.
Erst dann werde ich ausatmen und langsam die erste Seite aufschlagen...
Doch noch kann ich mich auf diesen Tag freuen, denn noch...
...noch ist die Saga nicht vorbei.
rayarts
