Xperts Press - Februar 2007
Horace Slughorn - Auf welcher Seite steht er?
von Bernhard Nowak
Ich möchte mir in der heutigen Kolumne über einen wichtigen Charakter Gedanken machen, den plotschi in seiner Kolumne zu recht einen der interessantesten Charaktere von Band 6 genannt hat.
Es geht um Horace Slughorn, den Vorgänger und Nachfolger Snapes als Zaubertranklehrer.
Zunächst kurz zur Geschichte:
Slughorn wird von Dumbledore in "Harry Potter und der Halbblutprinz" aus dem Ruhestand zurückberufen, um in Hogwarts zu unterrichten. Um Slughorn, der bequem und opportunistisch zu sein scheint, einen Wechsel nach Hogwarts "schmackhaft" zu machen, nimmt Dumbledore Harry mit, um Slughorn zu überreden. Slughorn, der sich gerne mit prominenten Personen umgibt und sie wie Trophäen sammelt, ja sogar einen Club nach seinem Namen gründet, wo er diese "Berühmtheiten" zusammenfasst, gibt schließlich dem Drängen Dumbledores nach und geht nach Hogwarts, wobei Harrys Überredungskunst entscheidend zu diesem Wechsel beiträgt. Doch Dumbledore scheint nicht ganz glücklich mit den Charaktereigenschaften dieses Lehrers zu sein. Erstmals deutet der Direktor von Hogwarts Distanz zu einer Lehrkraft an und spricht offen von Slughorns Schwächen. Dennoch stellt er ihn ein.
Was ist der Zweck dieser Einstellung?
Ganz offensichtlich will Dumbledore von Slughorn Klarheit darüber erlangen, ob Voldemort von dem Geheimnis der Horkruxe, also der Fähigkeit, seine Seele aufzuspalten, Kenntnis bekommen hat. So zwingt Dumbledore Slughorn, ihm eine Erinnerung zu geben, doch Slughorn hat sie vor Dumbledore manipuliert. Es gelingt Harry, der durch besondere Leistungen im Fach Zaubertränke mit Hilfe der Zaubersprüche des ihm noch unbekannten Halbblutprinzen (wir erfahren am Ende des Buches, dass sich dahinter Severus Snape verbirgt), die echte Erinnerung Slughorns zu bekommen. Sie bestätigt Dumbledores Vermutungen: Slughorn hat Voldemort das Geheimnis der Erstellung der Horkruxe verraten.
Ist Slughorn daher – wie von einigen Fans vermutet – Voldemorts Spion in Hogwarts? Soll er Snape überwachen und Draco helfen, Dumbledore zu töten? Draco spricht in einem Gespräch mit Snape davon, er habe "andere Leute auf seiner Seite, bessere!" (Halbblutprinz, dt., S. 327). Könnte damit Slughorn gemeint sein?
In jedem Fall weiß Slughorn über die Horkruxe Bescheid und wenn dieses Wissen - dass Voldemort seine Seele zerteilt hat - ein Geheimnis bleiben soll, dann müsste er von Voldemort gejagt werden. Die Maskerade in seiner Wohnung kurz vor der Ankunft Dumbledores veranstaltet Slughorn nach eigenem Bekunden deshalb, um Dumbledore nicht begrüßen zu müssen. Oder will er die Todesser abhalten, die ihn jagen? Auf jeden Fall wäre er in Hogwarts vor Voldemort sicher, denn angeblich zieht er ja vor seinem Wechsel nach Hogwarts trotz seiner Bequemlichkeit dauernd um. Und Dumbledore will nicht, dass Slughorn Hogwarts verlässt. Daher lehnt er es ab, erneut Zwang anzuwenden, um von Slughorn die ersehnte Erinnerung zu behalten. Ist Slughorn also doch nicht Voldemorts Mann?
Was mich zudem an der Theorie eines bösen Slughorns stört, ist, dass er dafür zu spät in die Handlung eingeführt worden ist. Außerdem wurde er von Dumbledore nach Hogwarts geholt. Dumbledore beweist gute Menschenkenntnis - daher glaube ich auch nicht, dass sich Dumbledore in Snape irrte.
Soll er so viel Fehler gemacht und mit Slughorn den Wolf im Schafspelz nach Hogwarts geholt haben? Slughorn ist aus meiner Sicht letztlich doch eine Nebenfigur und keine Hauptfigur.
Aber warum wurde er dann in die Handlung eingeführt?
• Hauptsächlich doch seines Wissens um die Horkruxe wegen, damit Dumbledore an die echte Erinnerung kam und so an die Zahl der von Voldemort gebildeten Horkruxe
• Möglicherweise sollte er in Hogwarts auf Grund dieses Wissens auch vor Voldemorts Rache geschützt werden wie Trelawney - damit Harry Zaubertränke weiterhin belegen konnte (denn Snape verlangte ja mehr als ein "Erwartungen übertroffen" in Zaubertränke, Slughorn gab sich jedoch mit dieser Note zufrieden), um ein Auror zu werden. Nur dadurch konnte Harry das Buch des Halbblutprinzen zugespielt bekommen und im Unterricht glänzen und nebenbei Tipps zur Giftherstellung erhalten
• damit Snape Lehrer für "Verteidigung gegen die Dunklen Künste" werden konnte und somit feststand, dass Snape am Ende des Schuljahres Hogwarts würde verlassen müssen
• um evtl. eine Spaltung von Hogwarts nach den Ereignissen in Band 6 zu verhindern. Wenn sich die übrig gebliebenen Slytherins Voldemort anschlössen, wäre dies eine empfindliche Schwächung der "guten Seite". Dies mag der sympathische Slytherin Slughorn verhindern
Denn es wird wichtig werden, dass die vier Häuser in Hogwarts nach Dumbledores Tod im Kampf gegen Voldemort zusammenstehen. Dies wäre unter einem Hauslehrer Snape wohl nicht möglich gewesen. Und wenn es Harrys Aufgabe ist, als "Erbe Dumbledores" die vier Häuser zu vereinigen, dann kann er dies wohl nur mit einem neuen Hauslehrer in Slytherin, denn mit Snape wäre Harry mit dieser Aufgabe zum Scheitern verurteilt – die gegenseitige Abneigung ist einfach zu groß.
• er könnte dazu dienen, Ereignisse aus der Vergangenheit - etwa Einzelheiten zu Snape und Lily (Snape-Lily-Theorie) - oder Geheimnisse zu entlarven.
Slughorn war wichtig, weil er - neben Dumbledore, Harry, Ron, Hermine, R.A.B. und möglicherweise Snape - der einzige ist, der außer den Todessern das Geheimnis der Horkruxe kennt und daher für die Handlung von Band 6 und 7 von enormer Wichtigkeit geworden ist.
Eines bleibt natürlich nach wie vor merkwürdig. Voldemort ist ein Mensch, der seine intimsten Geheimnisse wahren will. Nun kann es natürlich sein, dass er die Todesser, wie die Formulierung im Feuerkelch mit "Die Schritte" suggeriert, über die Horkruxe informiert hat. Andererseits passt dies nicht zu Voldemort, dazu ist er eigentlich zu ängstlich, dass ihm jemand aus diesem Geheimnis einen Strick drehen könnte und die Horkruxe vernichten könnte - wie es R.A.B. ja als Erster getan und es ihm dann Harry und Dumbledore nachgemacht haben. Die Formulierung im Feuerkelch ist daher äußerst doppeldeutig, denn was bedeutet die Formulierung: "Die Schritte" - dies klingt schon nach Einzelheiten.
Wenn Voldemort - was eigentlich doch wahrscheinlicher ist - die Todesser nicht über sein Geheimnis informiert hat, weil er sich "sicherer" fühlte und es bei allgemeinen Andeutungen belassen hat (nach dem Motto: "ich habe Schritte unternommen, den Tod zu umgehen, ihr könnt mich nicht töten"), dann bleibt natürlich fraglich, warum er Slughorn als den Mitwisser seines Geheimnisses nicht tötet. Ist Slughorn also doch auf Voldemorts Seite?
Dafür gibt es einen möglichen Hinweis.
Mir ist die Parallelität der Träume von Harry in Band 1 und Band 6 aufgefallen.
In Band 1, Harry Potter und der Stein der Weisen, gibt es folgenden Traum von Harry:
"Vielleicht hatte Harry ein wenig zu viel gegessen, denn er hatte einen sehr merkwürdigen Traum. Er trug Professor Quirrells Turban, der ständig zu ihm sprach. Er müsse sofort nach Slytherin überwechseln, das sei sein Schicksal; der Turban wurde immer schwerer; Harry versuchte ihn vom Kopf zu reißen, doch er zog sich so eng zusammen, dass es wehtat. Und da war Malfoy, der ihn auslachte, jetzt verwandelte sich Malfoy in den hakennasigen Lehrer Snape, dessen Lachen spitz und kalt wurde - grünes Licht flammte auf und Harry erwachte zitternd und in Schweiß gebadet."
(- Harry Potter und der Stein der Weisen, dt., S. 143f).
Wir werden hier erstmals auf Quirrell als Täter hingewiesen - versteckt, auch auf die zentrale Rolle Snapes und den Avada Kedavra-Fluch, der in Band 6 eine entscheidende Rolle spielt.
Jetzt seht Euch einmal im Vergleich den Traum an, den Harry in Band 6, Harry Potter und der Halbblutprinz, im Kapitel:
"Der unergründliche Raum", träumt: "Harry schlief nicht gut in dieser Nacht. Stundenlang [...] lag er wach und fragte sich, wie Malfoy den Raum der Wünsche benutzte [...]. Harry dachte fieberhaft nach und als er endlich einschlief, tauchten in seinen Träumen immer wieder beunruhigende Bilder von Malfoy auf, der sich in Slughorn verwandelte, sich in Snape verwandelte [...]"
(- Harry Potter und der Halbblutprinz, dt., S. 458f)
Die Ähnlichkeit - ja Parallelität - zum Traum im Stein der Weisen fällt doch auf. In beiden Fällen geht es um Malfoy. Beides mal taucht auch Snape auf. In beiden Fällen wird ein anderer Name genannt - und zwar vor Snape. In Band 1 Quirrell, der sich als Schurke erweist. Und hier träumt Harry von Malfoy, der sich in Slughorn verwandelt, also - wie in Traum 1 - vor Snape erwähnt wird.
Da kann es dann doch sein, dass Slughorn Malfoys geheimnisvoller Helfer ist, den jener ja auch erwähnt (s.o.). Die Ähnlichkeiten sind mir doch zu deutlich. Dann dürfte Slughorn - wenn die Parallelität gewollt ist - sich evtl. doch als Schurke erweisen und Dumbledores Motivation, ihn nach Hogwarts zu holen, dürfte - neben der Sache mit den Horkruxen - und vor allem seiner Absicht, die Zahl der Horkruxe zu erfahren, in die Voldemort seine Seele geteilt hat - dann in der Tat darin liegen, Slughorn in Hogwarts besser zu kontrollieren. Denn wozu sonst sollte sich Dumbledore den Wolf im Schafspelz nach Hogwarts holen?
Oder ist dieser Vergleich zu offensichtlich?
Joanne K. Rowling kann natürlich hier auch mit "entgegengesetzten" Mitteln arbeiten. In Band 1 verdächtigt niemand Quirrell - Schurke ist Quirrell. In Band 6 verdächtigt jeder Slughorn - Schurke am Ende "scheint" Snape zu sein.
Nochmal: aus den Gründen, die ich benannt habe, glaube ich nicht an einen bösen Slughorn. Aber es gibt Merkwürdigkeiten:
• der Slug-Club: er scheint das "Sammelbecken" der frühen Todesser gewesen zu sein. Dumbledore erwähnt ja, dass sich Tom Riddle schon früh mit Gleichgesinnten zusammengetan hat. Deutet dies auf einen "väterlichen Mentor" Horace Slughorn hin?
• der Vielsafttrank zur Verwandlung von Crabble und Goyle wird von Draco aus dem Zaubertrankkerker gestohlen. Und dies soll Slughorn nicht mitbekommen haben? Wer ist dann die Hilfe, von der Draco spricht?
• Ron wird bei Slughorn fast vergiftet. Slughorn hat also seit längerem einen giftigen Trank, eigentlich als Geburtstagsgeschenk für Dumbledore gedacht, den er Dumbledore aber nicht überreicht. Warum trinkt er, der Sammler, den Trank nicht selber, wenn er ihn Dumbledore nicht geben will? Will er nur als offensichtlicher "Absender" nicht feststehen und die Herkunft des Gifttrankes tarnen? Wollte er ihn möglicherweise Draco geben, damit - falls der Trank Dumbledore erreicht hätte - Slughorn als "Absender" nicht feststeht?
• Woher kennt Slughorn die Horkruxe und hat Dumbledore, nachdem er die "ungefilterte" Erinnerung von Slughorn durch Harry erhalten hat, nicht mit Slughorn Rücksprache gehalten. Vermutet wird ja, der Tipp zum See käme von Slughorn.
• Warum ist Slughorn so interessiert am Gift der toten Spinne Aragog? Nach einer Theorie stammt von ihm ja der Gifttrank am "magischen See". Trank Dumbledore möglicherweise Spinnengift?
Dies sind zumindest Auffälligkeiten und kleine Hinweise, die Zweifel an Slughorns Loyalität zu Dumbledore wecken könnten. Fragen bleiben offen. Hatte Dumbledore einen Tipp, als er zur Höhle aufbrach? Kam dieser Tipp möglicherweise von Slughorn, der Dumbledore schwächen wollte, damit Draco diesen leichter töten konnte?
Oder ist es so, dass Slughorn sein Fähnchen nach dem Wind richtet; ein loyaler Slughorn Dumbledore gegenüber, solange er in Hogwarts sicher ist, aber jemand, der umfällt und schuldig werden könnte, sobald es für die "gute" Seite gefährlich wird? Ist Slughorn – wie es der Traum suggerieren könnte – Antipode zu Severus Snape als "sympathischer Slytherin" oder ist er – wenn Snape Dumbledores Mann ist, doch böse?
Ich möchte Euch nicht mit einer vorgefertigten Theorie "langweilen". Das Spannende an den Harry-Potter-Bänden ist es doch, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Und dies könnte sich in Band 7 auch in Bezug auf Horace Slughorn erweisen.