von Godess_Artemis
Ein kleines bisschen Licht
Wie lange mag dieser Tag schon zurückliegen? Jahre? Jahrzehnte? Ich vermag es nicht genau zu bestimmen, hier in dieser Dunkelheit, in diesem zeitlosen Raum, den ich einst selbst geschaffen habe. Ich, Gellert Grindelwald.
Meine Tage sind so schrecklich eintönig geworden, fliessen übergangslos inneinander und ziehen sich manchmal doch hin wie eine kleine Ewigkeit. In meiner Einzelzelle im obersten Stock von Nurmengard ist es oft so dunkel, dass nicht mal die Sonne es schafft ihre wärmenden Strahlen durch den winzigen Schlitz das sich Fenster schimpft zu zwängen. Das Einzige, dass hier einem etwas Licht bringt, sind die Erinnerungen an schönere Tage, Tage meiner Jugend. Aber mittlerweile ist mein früher so brillianter Verstand so vergesslich geworden, dass ich mich an nur wenige Dinge zu erinnern vermag.
Dinge, die nicht ganz so weit zurückliegen. Nur bruchstückhaft und meistens ohne rechte Bedeutung für mich. Aber für die Personen die darin vorkommen waren sie sicher wichtig. Eine davon ist die des 30. Juni 1980.
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Mir ging es schon in der Früh nicht besonders gut und nachdem ein Heiler des St. Mungo unter strengen Sicherheitsvorkehrungen eine Visite bei mir gemacht hatte wurde ich ins Krankenhaus eingewiesen. Ich hatte damals fast 41 °C Fieber und es war nicht sicher ob ich die nächste Nacht noch erleben würde. Traurig darüber wäre sicherlich niemand gewesen.
Ich bekam ein Einzelzimmer und zwei Aufpasser zugewiesen, die rund um die Uhr auf mich achtgeben sollten. Mich störte diese zeitweilige Unterbrechung meines trübseeligen Lebens nicht. Sollte ich doch sterben, wen kümmerte es schon. Ich war alt und gebrechlich. Niemand würde mich vermissen und wenigstens wäre mein erbärmliches Leben dann endgültig vorbei, keine Vorwürfe und Schmerzen mehr, nur Ruhe und Geborgenheit. So dachte ich damals wirklich. Genau in diesem Moment - der fiebrige Nebel in meinem Kopf hatte sich etwas gelichtet - hörte ich die Stimmen meiner Aufpasser durch die geöffnete Tür hereinschweben.
„Was hältst du von ihm, Frank? Sieht doch eigentlich ganz harmlos aus der Alte, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der mal ein gefürchteter Schwarzmagier war!“, sagte eine männliche Stimme.
„Früher sah er bestimmt um einiges beeindruckender aus, James! Du lässt dich viel zu oft von Äußerlichkeiten täuschen! Deswegen wärst du beim letzten Einsatz haarscharf von dieser Todesserbraut umgebracht worden, mein Lieber.“, tadelte ihn Frank.
„Ja, Lily war deswegen ziemlich...na du hast ja unseren Streit gestern mitbekommen. Liegt aber auch sicher an ihrer Schwangerschaft. Sie ist schon seit vier Monaten so gereizt. Wenn sie nicht gerade kotzend über der Kloschüssel hängt benimmt sie sich wie eine cholerische Zicke. ...Ach fast schon nostalgisch. Genau wie damals in der Schule. Ich hab mit meinem blendenden Aussehen und meinem Charme nur Körbe von ihr gekriegt bis zu unserem letzten Jahr, Frank und sieh mich jetzt an. Vater. Und das schon sehr bald. Mit meiner Lilly. Sie liegt hier gleich nebenan auf der Neugeborenenstation, heute morgen haben kurzzeitig die Wehen eingesetzt, aber als wir dann hier waren haben sie wieder nachgelassen. Die Heiler meinten es könne nicht mehr lange dauern bis das Baby kommt, entweder heute oder morgen.“, schwärmte James enthusiastisch. „Sie liegt übrigens auf dem selben Zimmer wie Alice, hat fast Zustände gekriegt als die Medihexe deine Frau weggeholt hat um sie in den Geburtssaal zu bringen. Sie ist fast so aufgeregt wie ihre Freundin.“
„James, wenn du nervös bist kannst du es ruhig zugeben. Dein aufgeregtes Geplapper geht den anderen Patienten langsam aber sicher auf die Nerven - und mir auch. Ich bin selbst schon aufgeregt genug!“, fauchte Frank ungeduldig als sein Kollege nicht aufhören wollte zu quatschen.
„Ja, ja schon kapiert.“, schnappte James beleidigt und tigerte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen unruhig vor der Tür auf und ab.
„Sag hast du deswegen den Aussendienst aufgegeben um ganz für Lily und das Kind da zu sein?“, wechselte Frank abrupt das Thema.
„Ja, deswegen auch. Aber Dumbledore meinte es wäre sicherer für unsere Familie wenn ich erstmal aus dem öffentlichen Leben verschwinde und mich etwas zurückhalte. Im Moment mache ich nur Bürokram. Der Horror, ich wusste nicht mal wie viele Abteilungen das Aurorenbüro hat bis ich deren Post verteilen musste. 7 Abteilungen allein in London! Und dann die Nebenabteilungen und Unterabteilungen.“, ereiferte sich James.
„Genau dasselbe hat mir Albus auch geraten! Er sei sich wegen der Prophezeihung noch nicht sicher wen sie betreffe es kann sich nur um dich oder mich handeln! Also habe ich Alice zuliebe etwas kürzer getreten und Dumbledores Ratschlag befolgt. Sie ist auf jeden Fall froh darüber, dass ich etwas aus der Gefahrenzone bin. Sie macht sich immer so große Sorgen wenn ich morgens das Haus verlasse und abends so spät nach Hause komme. Seit sie wusste, dass sie schwanger war hat sie mich angefleht mit dem Job aufzuhören.“, erzählte Frank ernst.
Eine dritte, weibliche Stimme gesellte sich zu den beiden männlichen: „Mister Longbottom? Würden Sie bitte kurz kommen!“, meinte sie verschwörerisch. „Sie wollen ihren Sohn sicherlich gleich in die Arme schließen. Ihre Frau hat sich schon nach ihrem Befinden erkundigt. Sie meinte ich sollte Ihnen vielleicht einen Beruhigungstrank vorbeibringen.“
„Nein, nein, nicht mehr nötig. Wo ist sie?“, krächzte der frischgebackene Vater heiser.
„Folgen Sie mir bitte. Haben Sie sich schon einen Namen überlegt?“, fragte die Heilerin geschäftig.
„Ja, er soll Neville heißen. Hübscher Name nicht wahr?“, lächelte Frank sehnsuchtsvoll. „So heißt eine von Alice` Lieblingsfiguren aus einem ihrer Schnulzenromane.“
„Ja, wirklich passend.“, erwiderte die Hexe nur automatisch und führte den leicht zitternden Auroren den Gang entlang.
„Mister Potter?“, meinte sie nochmal kurz im Gehen. „Ihre Frau wurde soeben in den Geburtssaal geschoben, möchten Sie ihrer Frau nicht die Hand halten?“
„Wollen schon, aber ich kann hier nicht weg! Job, verstehen Sie, gnädige Frau?“, seufzte der Auror frustriert auf.
„Einen Moment, ich rufe nur schnell zwei ihrer Kollegen, die die Wache für sie beide übernehmen können.“, erwiderte die Hexe nach kurzem Überlegen und schenkte dem werdenden Vater ein aufmunterndes Lächeln, das voller Insbrunst erwidert wurde.
„Sie sind ein Engel!“, jubelte James und umarmte die perplexe Frau, die nicht so recht wusste wie sie sich verhalten sollte.
„Wissen sie denn auch schon wie sie ihr Kind nennen wollen?“, fragte sie schnell.
„Ja, Harry. Lily meinte das würde prima zu meinem Namen passen.“, strahlte der Angesprochene über das ganze Gesicht.
„Ja und was wenn es ein Mädchen wird?“, fragte die Schwester abwesend.
„Oh, darüber haben wir uns noch gar keine Gedanken gemacht! Wir rechnen fest mit einem Jungen. Aber wenn wir ein kleines Töchterchen kriegen fällt meiner Frau sicherlich ein hübscher Name ein.“, antwortete James ganz überrascht, daran hatte er nun wirklich nicht mehr gedacht.
In diesem Moment kam es zu einem kleinen Tumult draußen am Gang als eine weitere Person den Gang betrat und lauthals von allen Umstehenden ob Schwester, ob Heiler, ob Patient überschwänglich begrüsst wurde.
„OH, sie waren aber schon lange nicht mehr hier. Haben sie sich etwa verletzt?“, fragte eine Schwester besorgt nach.
Und ein Heiler fügte geschäftsmässig hinzu: „Mr. Dumbledore, schön sie hier zu sehen. Was führt sie hierher? Beschwerden?“
„Nein, nein. Danke der Nachfrage, Lancelot. Abgesehen vom Alter, keine ungewöhnlichen Beschwerden.“, erwiederte der alte Zauberer amüsiert.
„Guten Abend, Professor. Ist irgendetwas passiert? Wieder ein Auftrag vom O....*autsch, Frank hau mich doch nicht so doll auf die Schulter, Lilly hat mir da schon einen riesigen blauen Fleck beschert*“, maulte James, aufgebracht über den Stüber, den Frank ihm verpasst hatte.
Ein Lachen ertönte, gefolgt von einem „Nein, ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen. Aber wie ich hörte komme ich gerade rechtzeitig. James, Frank geht ihr nur ich passe solange hier auf.“
Daraufhin ertönte kurz zustimmendes Gemurmel, bevor es wieder stiller wurde.
Ich hätte diese Stimme mühelos unter tausenden wiedererkannt obwohl sie schwächer und lustloser klang als ich sie in Erinnerung hatte. Albus. Mein Freund.
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Leise wurde die Tür aufgezogen und wieder geschlossen.
Ich wusste ohne die Augen öffnen zu müssen wer sich fast lautlos durch mein Krankenzimmer bewegte. Das monotone ?Tap` der Schuhsohlen hallte gespenstisch laut durch den totenstillen Raum.
Ich frage mich jedes Mal aufs Neue, ob er damals wusste dass ich bei vollem Bewusstsein war oder nur so tat als würde ich schlafen, aber er lies sich nie etwas anmerken. Weder damals noch heute, wenn er mich ab und zu in Nurmengard besucht.
Mit beherrschten Bewegungen schritt er auf mein Bett zu und zog einen Stuhl heran um sich darauf niederzulassen. Ich glaube, ich brauche hier nicht extra zu erwähnen wie sehr mich das plötzliche Scharren des Holzstuhles über den kalten unebenen Boden aufschreckte. Wäre ich nicht schon wach gewesen, spätestens jetzt wäre ich es. Und ich denke manchmal er wusste es. Er saß die ganze Zeit nur schweigend da und beobachtete mich durch seine Halbmondbrille, die ein klein wenig schief auf seiner Nase saß.
Ja, seine Nase. Er hatte sie immer schon etwas hoch getragen, aber jetzt nicht mehr. Sie sah aus als ob jemand sie ihm mit einem kräftigen Fausthieb zertrümmert hätte. Doch das war nicht das schlimmste. Seine Gestalt an sich wirkte gebrochen, wie er zusammengekrümmt auf dem winzigen unbequemen Stuhl hockte, die runzeligen alten Hände im Schoss gefaltet. Seine Augen wirkten müde. Tiefe dunkle Augenringe verbargen sich unter seinem dichten Wimpernkranz, die zum Vorschein kamen, wenn er blinzelte oder die Augen versuchte krampfhaft offenzuhalten. Es war mir als wollte er mit seiner ganzen Ausstrahlung klarmachen: Ich kann nicht mehr. Ich schaffe es nicht weiterzumachen. Ich bin es leid und müde geworden mich für euch aufzuarbeiten.
Und trotzdem würde dieser dumme Junge das tun worum man ihn bat, weil es eben seiner Natur entsprach. Solange es niemandem schaden würde. Darum hatte ich mich ja damals für den Ältesten der Dumbledores entschieden. Er war naiv und gutgläubig, ein einsamer verlassener Teenager, der sich nach einer Zuflucht sehnte. Es war ein Kinderspiel sein Vertrauen zu gewinnen...ihn zum Lachen zu bringen oder zum Weinen. In diesem Moment sah es jedenfalls für mich so aus als wäre er näher am Weinen als am Lachen.
Erschrocken zuckte ich zusammen als eine seiner Hände sich über meine legte, die auf meiner linken Seite ruhte. Wann hatte er sie bewegt? Es verwunderte mich, dass er nach meiner Hand tastete, nach ihr griff und noch mehr, dass er sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken strich. Seine Hände waren soviel schmaler und dürrer als noch vor einem guten Jahrhundert. Seine Haut war geschmeidiger als damals als wir noch Jungen waren und sie roch nach Lavendel und Zitrus. Sie wirkte so klein und gebrechlich im Vergleich zu meinen riesigen Pranken. Händen die von harter körperlicher Arbeit zeugten. Arbeit, die mich meinem Ziel hätte näher bringen sollen. Eine neue Welt mit uns beiden als Herrschern. Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald, die Retter der Zauberwelt. Träume, die ich nun alleine träumen musste, hoch oben in meiner Zelle.
Ich wollte schon meine Augen aufschlagen um diesem Spuk ein Ende zu machen. Was wenn plötzlich ein Heiler ins Zimmer kam und uns so sah? Doch acht simple Worte liessen mich mein Vorhaben abblasen.
„Lass mich noch ein wenig bei dir bleiben.“, wisperte Albus mit schwacher Stimme und drückte meine Hand einmal kurz. Und ich erstarrte und rührte mich nicht. Feigling.
Wir verharrten noch eine ganze Weile so, bis weit nach Mitternacht, viele Stunden. Wir redeten kein Wort miteinander. Ich glaube ich bin sogar ein paar Mal eingenickt. Ebenso erinnere ich mich, ihm beim Schlafen zugesehen zu haben, aber ich kann mich auch täuschen, die Jahre haben meinem Gedächtnis nicht wirklich gutgetan und ich hatte damals hohes Fieber. Man mag mir also diese kleinen Freiheiten lassen.
Im Morgengrauen jedenfalls drückte er meine Hand ein weiteres Mal leicht und kurz darauf konnte ich spüren wie mir der Pony aus der Stirn gestrichen wurde. Angespannt wartete ich nun ab was folgen würde. Es wäre eine Untertreibung zu sagen mein Herz wäre mir damals fast aus der Kehle gesprungen, es fühlte sich eher so an als würde es schon irgendwo auf dem Boden liegen und verzweifelt versuchen durch meinen Rachen wieder an seinen angestammten Platz zu gelangen. Aber meine Nervosität war unbegründet, er hauchte nur einen schnellen Kuss auf meine Stirn.
„Ich gehe dann mal, Moody löst mich in fünf Minuten ab. Mach derweil keinen Ärger hast du gehört. Ich bleibe vor der Tür bis er da ist.“, sagte er in Zimmerlautstärke und rappelte sich von seinem Stuhl auf, in dem er sogar geschlafen hatte.
Sein Gang wirkte etwas steif und er rieb sich mehrmals über den Rücken. Ich vermute mal, dass ihn schon länger Arthritis und Rheuma plagen, in unserem Alter kein Wunder. Aber es erinnerte mich auch paradoxerweise an unser letztes Auseinandergehen, nur dass ich damals derjenige gewesen war, der mit gebeugtem Kreuz wie ein geprügelter Hund von dannen gezogen war. An der Tür hielt Albus kurz inne.
„Ich muss wirklich verrückt sein, dass ich ausgerechnet aus deiner Nähe Kraft schöpfen kann.“, verständnislos schüttelte er den Kopf. „Dass du derjenige bist der meinem Leben Sinn gegeben hat und etwas Licht, werde ich wohl nie abstreifen können. Ich wüschte das zwischen uns wäre anders gekommen, Gellert. Ich wünschte du wärst ganz bei mir. Ich wünschte du könntest mir aus diesem Zimmer folgen wie ein Ehrenmann.“
Beschämt stellte ich fest, dass es mir genauso ging. Ich wollte bei ihm sein. Aber dazu hatte ich kein Recht mehr. Ich würde zurück müssen sobald ich gesund war und ich würde wieder gesund werden. Und wenn es nur dafür gut war, dass du ebenfalls wieder zu Kräften kamst um dich deinen Dämonen zu stellen. Damit ich dir ein Licht sein kann. Wie in den zwei schicksalhaften Sommermonaten, die uns zu Erwachsenen machten.
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