von MIR
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Vernon griff nach dem Papier und las. Bei jedem Wort schien sein Gesicht dunkelroter zu werden. Schließlich schnappte mehrmals nach Luft um Anlauf zu nehmen für sein großes Donnerwetter.
Er reichte die Mitteilung an Petunia weiter, packte Harry am Kragen und schrie: „Was fällt dir ein?! Mr Blue ist ein Lehrer!!! Wie kannst du es wagen, seine Haare zu verunstalten!!!“
„Ich fand ‘s gut!“, sagte Dudley.
Harry starrte ihn an. Konnte es sein, dass ausgerechnet Dudley ihm zur Hilfe kam?
Auch Vernon hielt verwundert inne und blickte zu seinem Sohn.
„Ich fand ‘s gut“, wiederholte Dudley, „Harry hätte ihm meinetwegen auch ‘n Kuhmisthaufen auf den Kopf wünschen können!“
„Dudley!“, quiekte Petunia entsetzt.
„Was soll das heißen?!“, polterte Vernon und lockerte seinen Griff ein wenig.
„Der ... Lehrer ... ist ein ... Blödmann! Er hat ... er hat gesagt, dass ich ein ... ein ... ein kleiner dud bin!“ Jetzt setzte das theatralische Heulen ein. „Er hat gesagt, ich bin ein kleiner Versager!“
„Mein armes, armes Duddyleinchen! Komm zu Mami! Das ist aber wirklich ein böser Lehrer!“, jammerte Petunia.
Vernon ließ Harry nun endgültig los.
„Was fällt diesem Möchte-gern-Pädagogen eigentlich ein!“, brüllte er, „schimpft sich Lehrer und weiß nicht, wie empfindsam Kinderseelen sein können!“
„Er war so gemein!“, jaulte Dudley, dessen Wut auf Mr. Blue mittlerweile größer war als die auf Harry.
„Bitte Daddy, ich will einen anderen Lehrer haben, kannst du das nicht machen?“
„Allerdings! Dafür werde ich sorgen! Verlass dich darauf!“, erwiderte sein Vater empört. Dann fiel sein Blick auf Harry. „Was willst du denn immer noch hier?! Verschwinde gefälligst!“
Das ließ Harry sich nicht zweimal sagen.
Noch am selben Abend rief Vernon die Schulleiterin zu Hause an. Er schilderte empört das unmögliche Verhalten des Klassenlehrers und rannte damit bei der Direktorin offene Türen ein. Sie lud ihn für den nächsten Tag zu einem Gespräch ein.
Nachdem Vernon Dursley ihr glaubwürdig versichert hatte, dass bereits die erste Klassenlehrerin ein völliger Fehlgriff gewesen sei, und dann forderte, dass sein Sohn Recht auf kompetenten Unterricht habe, versprach sie, über eine neue Klassenführung nach den Sommerferien nachzudenken.
Für Harry war es glimpflich abgelaufen. Onkel Vernon hatte wortlos die Verwarnung unterschrieben und Tante Petunia hatte es für besser befunden, Vernons Laune nicht noch zusätzlich zu verschlechtern, indem sie ihm von Harrys magischen Angriffen gegen die früheren Lehrerinnen berichtete.
Sie selbst war jedoch noch wütend auf Harry.
Als Harry an diesem Tag aus der Schule kam, fragte sie spitz: „Und? War der Herr heute mit den Frisuren zufrieden? Oder hast du wieder ein wenig nachgebessert? Vielleicht solltest du mal selbst in den Spiegel schauen!“
Verwundert folgte Harry der Aufforderung, aber seine Haare sahen aus wie immer.
„Wie lange ist es jetzt her, dass wir beim Friseur waren?“, fragte Petunia bissig.
„Letzte Woche...“, Harry zählte nach, „... vor fünf Tagen.“
„Und ... was ist daraus geworden? Schon wieder sehen deine Haare total verkommen aus! Weißt du eigentlich, wie viel Geld wir für diese ständigen Friseurbesuche ausgeben? Hmm?!“
Harry zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber meinetwegen muss es nicht sein! Ich hätte lieber...“
Weiter kann er nicht.
„Du widerwärtiger, undankbarer, kleiner Schmarotzer! Das könnte dir so passen! Aber ich werde nicht zulassen, dass du so rumläufst!“
Noch am selben Tag fand ein erneuter Friseurbesuch statt. Zwar hatte der Friseur auf Petunias Anweisung mehr abgeschnitten als sonst, aber als sie zu Hause ankamen reichte es Petunia immer noch nicht.
„Du siehst ja immer noch wie ein Rumtreiber aus!“, sagte sie und griff nun selbst zur Schere.
Das Ergebnis war fast eine Glatze. Nur noch ganz vereinzelt befanden sich unregelmäßige kurze Haarbüschel auf dem Kopf und eine längere Strähne verdeckte die Narbe. Es sah so entsetzlich aus, dass selbst Petunia ein bisschen erschrocken war, aber natürlich ließ sie sich nichts anmerken.
Als Harry sich im Spiegel sah, schossen ihm Tränen in die Augen, doch er schluckte und schluckte, um sich nichts anmerken zu lassen.
Ja, er hoffte sogar, eingesperrt zu werden und morgen Schulverbot zu bekommen, denn so wollte er nicht gehen.
Die Vorstellung, von jemandem so gesehen zu werden, war einfach nur entwürdigend. Er schämte sich vor sich selbst. Der normale Spott, den er ja gewohnt war, war nichts dagegen.
Dudley war der Einzige, der von der Frisur begeistert war. Er machte einen lahmen Witz nach dem anderen und konnte sich vor Lachen kaum einkriegen.
Den Abend über verkroch Harry sich im Schrank, so dass wenigstens Onkel Vernon ihm nicht zu Gesicht bekam.
Danach begann mal wieder eine endlose Nacht, in der Harry sich die Reaktionen seiner Mitschüler vorstellte. Mehr als alles andere wünschte er sich, der Friseurbesuch und alles was danach kam, hätte nicht stattgefunden. Er versuchte, nicht an sein Spiegelbild zu denken, sondern sich selbst so zu sehen, wie er vorher war.
Als endlich der Morgen graute, war er so müde, dass er kaum aufstehen konnte. Und er wollte es auch gar nicht.
Er blieb einfach liegen. Wenn die Dursleys ihn zur Strafe einsperrten, hatte er genau das erreicht, was er wollte.
Doch ganz so kam es nicht: Nachdem Petunia mehrmals erfolglos gegen die Tür gehämmert hatte, griff Vernon ein.
Er langte mit dem Arm in die dunkle Schrankkammer und zog Harry an den Haaren heraus. Gerade wollte er mit einer Schimpftirade beginnen, als Petunia laut aufschrie: „Das gibt‘s doch nicht! Wie hast du das gemacht! Was fällt dir ein?!“
Vernon und Harry blickten beide verständnislos.
„Die Haare!“, japste sie.
„Wie immer hässlich! Der Bursche müsste dringend mal wieder zum Friseur“, donnerte Vernon.
Harry konnte kaum glauben, was er da hörte, doch immerhin hatte er gerade seine Haare ja auch sehr schmerzhaft gespürt. Konnte es sein, dass sie tatsächlich wieder normal waren? Nur weil er sich das gewünscht hatte?
„Ich weiß nicht, was du hast, Petunia! Ich würde jetzt gerne frühstücken, wenn der Bursche sich endlich auf seine Pflichten besonnnen hat.“
So schnell er konnte, machte Harry sich fertig. Im Bad warf er einen Blick in den Spiegel, der seine Vermutung bestätigte.
Die Dursleys warteten schon ungeduldig am Frühstückstisch, um von Harry bedient zu werden.
„Hast du jetzt auch ‘ne Perücke?“, fragte Dudley erstaunt und kicherte.
„Nö“, antwortete Harry gut gelaunt, „alles nachgewachsen. Über Nacht. Wie durch Zauberei.“
Er merkte sofort, dass er etwas Falsches gesagt hatte.
Die Luft schien still zu stehen. Tante und Onkel starrten ihn an.
„In den Schrank!“, sagte Petunia schließlich giftig, bevor Vernon so richtig in Fahrt kam, und setzte hinzu: „Eine Woche!“
Nun war es also doch wieder passiert. Nicht wegen der Perücke, aber wegen seinen eigenen Haaren. Harry hatte nun Zeit genug über diese merkwürdigen Ereignisse nachzudenken. Aber egal wie oft er die Geschehnisse im Kopf durchging, er fand einfach keine Erklärung. Eigentlich konnte das alles gar nicht sein.
Solche Verwandlungen passierten doch nur im Märchen und nicht in der Wirklichkeit.
Die Woche war diesmal leichter zu ertragen, als sonst, da Petunia ihn zu den Mahlzeiten rausließ und er auch das Bad benutzen durfte.
Eigentlich war er ja auch sowieso immer im Schrank, wenn er keine Hausarbeit verrichten musste oder in die Schule ging.
Die letzten Tage vor den Zeugnissen war er wieder in der Klasse und bekam mit, wie Mr. Blue traurig seinen Abschied ankündigte.
„Im nächsten Schuljahr werde ich Klassenlehrer von einer neuen ersten Klasse. Ich wäre gerne bei euch geblieben, aber ihr bekommt dann eine andere Lehrerin.“
„Lehrerin? Kommt Mrs. Stonewalker zurück?“, fragte Harry hoffnungsvoll.
„Oder ist etwa Mrs. Travers wieder da?“, wollte Lucy ängstlich wissen.
„Nein, keine von beiden. Die sind beide nicht mehr an der Schule und kommen wohl auch nicht zurück.
Also, ich glaube, ich darf es euch verraten: „Die Schulleiterin wird eure Klasse selbst übernehmen.“
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