
von MIR
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In den nÀchsten Wochen ging bei den Dursleys alles wieder seinen gewohnten Gang. Harrys Schrankstrafe war beendet, aber das bedeutete nicht, dass er jetzt freundlicher behandelt wurde.
Besonders Dudley war sauer auf ihn, da sein eingetauschtes Luftgewehr seit der spektakulĂ€ren Aktion verbogen war. Zwar war er selbst derjenige gewesen, der sich daraufgesetzt hatte, um es zu verstecken, doch es war leichter zu ertragen, wenn man die Schuld dafĂŒr Harry anlastete. WĂ€re der nicht hochgekommen, wĂ€re sicher alles anders gelaufen!
Leider fiel Dudley keine geeignete Rache ein und so beschloss er, Malcolm beim nĂ€chsten Besuch davon zu erzĂ€hlen: Der hatte immer so tolle Ideen. Und auĂerdem war es ja auch dessen Gewehr gewesen (eigentlich das des Vaters, aber das war ja dasselbe).
Harry bekam jedoch wie immer die Verachtung seines Cousins zu spĂŒren. Demonstrativ hielt Dudley sich stets die Nase zu, wenn er an dem Schrankbewohner vorĂŒber ging.
Harrys Geburtstag rĂŒckte nĂ€her. Diesmal hatte er keinen Kalender, um die Tage abzuzĂ€hlen, aber diesmal erwartete er den Tag auch nicht so sehnlich. Im letzten Jahr hatte er endlich begriffen, dass es fĂŒr ihn keine Geschenke geben wĂŒrde.
Und so war es auch. Der 31.Juli war ein ganz normaler Tag fĂŒr die Dursleys. Petunia plante einen gröĂeren Einkauf und nahm dazu beide Jungs mit, da noch immer Ferien waren. Harry wurde ja nicht mehr regelmĂ€Ăig von Mrs. Figg betreut und ihn lĂ€ngere Zeit alleine zu lassen, fand seine Tante immer noch riskant.
Diesmal hatte sie sich tatsĂ€chlich durchgerungen, auch etwas fĂŒr Harry zu besorgen: Er brauchte dringend neue Schuhe. Die jetzigen waren zu klein und die abgetragenen von Dudley so weit, dass er sie stĂ€ndig verlor und stolperte. Selbst Petunia sah ein, dass es so nicht ging. Sie steuerte mit den beiden also einen Secondhand-Laden an, den sie noch nie vorher betreten hatte, und hoffte, dass im Kleiderbereich auch Schuhe angeboten wurden.
Schon, als sie hineinging, wĂ€re sie am liebsten wieder rĂŒckwĂ€rts hinausgegangen. Der muffige Geruch und die verstaubten GegenstĂ€nde ekelten sie an. Ăberhaupt konnte sie nicht glauben, dass es Leute gab, die sich freiwillig diesen Trödel, der in ihren Augen nichts als MĂŒll war, in die Wohnung stellten. Harry dagegen staunte. Er konnte kaum glauben, was es alles fĂŒr Dinge gab. Er hĂ€tte hier stundenlang auf Entdeckungstour gehen können. Selbst Dudley war fasziniert, obwohl er SpielwarengeschĂ€fte spannender fand.
Petunia hielt Ausschau nach einem VerkĂ€ufer, doch zunĂ€chst zeigte sich niemand. Es waren nur wenige andere Kunden im GeschĂ€ft und Petunia fand sie alle abstoĂend.
Besonders fiel ihr ein kleiner Mann mit einem langen Mantel und einem violetten Zylinder auf. Wie konnte man in der heutigen Zeit nur so rumlaufen!!! Das erinnerte ja fast an diese Sippschaft ihrer Schwester.
Jetzt hatte der kleine Mann sie auch gesehen.
Zielstrebig kam er auf sie zu.
âWenn das nicht Harry Potter ist! Welche Ehre!â, quiekte er begeistert und verbeugte sich so tief vor Harry, dass er fast mit dem Kopf den Boden berĂŒhrte.
Petunia blickte ihn wie versteinert an.
âIch glaube sie irren sich!â, sagte sie schnell und schob Harry und Dudley aus dem GeschĂ€ft, ohne etwas zu kaufen.
âWas sollte das?!â, herrschte sie drauĂen Harry an, âWoher kennst du den Mann?â
Harry sah sie ĂŒberrascht an: âIch weiĂ gar nicht, wer das war, Tante Petunia!â
Aber natĂŒrlich glaubte sie ihm nicht. Sie hĂ€tte den Einkauf gerne abgebrochen, aber da noch Wichtiges zu besorgen war, ging es mit schlechter Laune weiter.
Dudley bekam neue Kleidung und neue Schuhe und da er herumgejammert hatte, dass sein gegen den Papagei getauschtes Spielzeug kaputt sei, besuchten sie auch noch einen Spielzeugladen.
Dort hatten sie die nÀchste Begegnung. Die erste Lehrerin der Jungs, Mrs. Stonewalker, kam ihnen zusammen mit einem jungen Mann entgegen.
âHallo Harry, hallo Dudley, Guten Tag Mrs. Dursley. Was fĂŒr ein Zufall, Sie hier zu treffen. Harry hast du nicht heute Geburtstag?â
Der Angesprochene nickte.
âDann seid ihr sicher hier, damit du dir selbst ein Geschenk aussuchen darfst, nicht wahr?â
Doch Harry schĂŒttelte den Kopf.
âIch bekomme keine Geschenkeâ, sagte er.
âDas kann ich aber gar nicht glauben!â, sagte Mrs. Stonewalker und blickte zu Mrs. Dursley, die rot anlief.
âDoch, doch, natĂŒrlichâ, beeilte diese sich zu sagen, âer ist nur nie so richtig zufrieden. Aber wir schauen hier auch nach einem Geschenk fĂŒr ihn und auĂerdem bekommt er auch noch Schuhe!â
Der Mann neben Mrs. Stonewalker wollte etwas sagen, doch diese boxte ihm unauffÀllig in die Rippen und so schwieg er.
âLeider habe ich kein Geschenk fĂŒr dich, aber ich habe eben ein paar Bleistifte gekauft, da ist Basil, der MĂ€usedetektiv, drauf, möchtest du einen haben?â
Harry nickte und strahlte. Da Dudley entsetzt dreinblickte, bot sie auch ihm einen an.
âEinen schönen Geburtstag noch, Harry!â wollte sich die Lehrerin verabschieden, doch Harry griff ihre Hand und hielt sie fest.
âSind Sie nach den Ferien wieder da? Sie sind doch eigentlich unsere Lehrerin, nicht der Mr. Blue!â
âTut mir Leid, Harry. Aber durch meine lange Krankheit hat sich das geĂ€ndert. Ich kann nicht mehr zu euch in die Schule kommen. Aber Mr. Blue ist doch sicher auch ganz nett!â
Harry schaute traurig, doch Dudley sagte: âDer ist viel besser, sagt mein Papa. Nicht so inkorpulent wie Sie!â
Wieder wurde Petunia rot und verabschiedete sich rasch.
Im SpielwarengeschĂ€ft wurde nun erst mal ausfĂŒhrlich nach der richtigen Unterhaltung fĂŒr Dudley gesucht.
Da Petunia ein Geschenk fĂŒr Harry versprochen hatte, kaufte sie zum Schluss noch ein PĂ€ckchen Kaugummi und eine Gummiente.
Als nĂ€chstes stand ein Besuch im Supermarkt an. Beim Zusammensuchen der Lebensmittel stellte Petunia fest, dass in dieser Woche gerade Kinderschuhe als Billig-Sonderposten angeboten wurden und so besorgte sie tatsĂ€chlich doch noch welche fĂŒr Harry.
In der Brotabteilung trafen sie auf Mrs. Figg.
âDas ist ja ein netter Zufall, dass wir uns hier treffenâ, begrĂŒĂte die alte Dame sie, âund die beiden reizenden Jungs sind ja auch dabei! Harry, mein Lieber, hast du nicht heute Geburtstag?â
Wieder nickte Harry.
âUnd wie geht es dir so? Hattest du einen schönen Tag?â
Petunia hielt die Luft an, doch zu ihrer Ăberraschung nickte Harry erneut.
âIch habe auch noch etwas fĂŒr dich. Da du nicht mehr so hĂ€ufig zu mir kommst, gebe ich es dir lieber jetzt, hier - herzlichen GlĂŒckwunsch!â
Es war ein kleines Buch mit niedlichen Tierfotos. Bei den Tieren handelte es sich allerdings - natĂŒrlich - ausschlieĂlich um Katzen.
Dudley sah sie erwartungsvoll an, aber Mrs. Figg schien den Blick nicht richtig zu deuten.
âSie sind ÂŽne doofe alte Schachtel!â, schrie er wĂŒtend.
Wieder wechselte Petunias Gesichtsfarbe.
âSo etwas sagt man doch nicht, Duddy-Spatz!â Zu Mrs. Figg gewandt fuhr sie fort: âEs tut mir wirklich Leid! Er ist noch so klein und kann noch nicht richtig verstehen, wieso Harry Geschenke bekommt und er nicht. Aber er hat es nicht so gemeint! Er versteht diese bösen Wörter noch gar nicht richtig!â
Mrs. Figg bekam mal wieder eine Hustenattacke und verabschiedete sich, wĂ€hrend Petunia ihren SpröĂling damit tröstete, dass sie anschlieĂend noch einen Buchladen aufsuchen könnten.
Beim Besuch des âLesestĂŒbchensâ hatte Petunia allerdings relativ wenig Geduld, da sie immer daran denken musste, wie Butter und Sahne in ihrer Einkaufstasche wohl die hochsommerlichen Temperaturen verkraften wĂŒrden.
Dudley fand alle BĂŒcher langweilig, bestand jedoch auf dem versprochenen Geschenk. SchlieĂlich bekam er - um eine Szene zu vermeiden - eine Hörspielcassette der Ninja-Turtles aus der entsprechenden Abteilung.
Auf dem RĂŒckweg fuhren sie zwei Stationen mit dem Bus, denn es war eine ziemliche Schlepperei mit den ganzen EinkĂ€ufen, die sich Petunia und Harry teilten.
Heute schien Petunias Pechtag zu sein, denn schon wieder trafen sie auf eine merkwĂŒrdig gekleidete Person, die Petunia an Lilys Welt erinnerte. Es war eine Ă€ltere Frau mit einer wilden LockenmĂ€hne und knallig-grĂŒner Kleidung, die völlig unpassend wirkte. Sie winkte Harry und den beiden Dursleys so freudig zu, dass sich alle FahrgĂ€ste nach ihnen umdrehten. Erneut wĂ€re Petunia am liebsten in den Boden versunken, wĂ€hrend Harry die Aufmerksamkeit genoss.
Petunias Laune war nun so im Keller, dass Harry den Abend wieder im Schrank verbringen musste. Trotzdem war er sich sicher, dass heute der beste Geburtstag, an den er sich erinnern konnte, gewesen war. So viele Leute waren freundlich zu ihm gewesen!
Er breitete die SchÀtze, die er im Lauf des Tages bekommen hatte, vor sich aus: Den Bleistift, die Gummiente, den Kaugummi, das Katzenbuch und die neuen Schuhe. Das Buch von Yvonne legte er noch daneben. So viele Sachen, die allein ihm gehörten!
Drei Sachen davon waren von seiner Tante, vier sogar, wenn man die Schuhe einzeln rechnete. Ob sie ihn wohl doch ein winziges bisschen leiden konnte? Wie es wohl wÀre, in diesem Haus zu leben und gemocht zu werden?
Den Kaugummi steckte er schlieĂlich in den Mund. Es schmeckte köstlich und lieĂ ihn das fehlende Abendessen fast vergessen.
***
Annie Stonewalker hĂ€tte dieser Mrs. Dursley am liebsten ordentlich die Meinung gesagt und ihr anschlieĂend den Hals umgedreht, doch Harry zuliebe hielt sie sich zurĂŒck. Sie wusste, dass der Ărger sonst nur auf ihn zurĂŒckfallen wĂŒrde.
Trotz Dudleys Bemerkung hatte es ihr eben sehr Leid getan, dass sie nicht mehr zurĂŒckkehren wĂŒrde. Aber nach allem, was sie in diesem Sommer erlebt hatte, angefangen mit dieser Eisdielengeschichte, hatte sie nun ein ganz anderes Leben vor sich. Immerhin schien der Plan zu Harrys Geburtstag aufzugehen. All die Begegnungen waren kein Zufall gewesen.
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