von MIR
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Nach Dudleys Überzeugung war eine Geburtstagsfeier zu Hause kein Ersatz für einen Ausflug in einen Freizeitpark, und so ging es am nächsten Tag zusammen mit Piers in den Thorpe Park. Harry blieb ein weiteres Mal bei Mrs. Figg.
„Warum haben immer alle anderen Geburtstag und ich nicht?“, fragte er sie.
„Aber du hast doch auch Geburtstag, Harry! Es dauert gar nicht mehr lange. Weißt du noch letztes Jahr, als ich dir die Plüschkatze geschenkt habe?“, gab Mrs. Figg zurück.
„Die Katze habe ich noch, sie heißt Tibby, aber ich habe nicht Geburtstag gehabt. Dudley hatte Geburtstag und Onkel Vernon und Tante Petunia. Da bekommt man immer ganz viel geschenkt und dann gibt es Kuchen und dann feiern alle.“
Mrs. Figg seufzte traurig. „Nun bei dir werden es wohl nicht so viele Geschenke werden. Aber du hast trotzdem bald Geburtstag.“
„Wann ist bald?“, wollte Harry wissen, „Wie oft muss ich noch schlafen? Wie viele Finger sind es?“
Er streckte ihr seine Hände entgegen.
„Dafür reichen deine Finger leider nicht. Es dauert doch noch etwas länger.“
„So lang wie deine und meine Finger zusammen?“, fragte Harry hoffnungsvoll.
„Nein, leider noch länger.“
„Also nie!“, stellte Harry traurig fest.
„Doch, doch, warte einmal. Ich habe einen Abreißkalender, den kannst du haben.“
Mrs. Figg blätterte vor bis zum 31. Juli und malte einen dicken roten Kreis um die Zahl. „So, jetzt musst du jeden Morgen, wenn du wach wirst genau einen Zettel vorne abreißen. Und wenn man dann die Seite mit dem roten Kringel sieht, hast du Geburtstag.“
„Kann ich nicht lieber jeden Tag zwei Zettel abreißen?“, schlug Harry vor.
„Das nützt nichts! Du darfst nur einen Zettel abreißen!“
„Okay“, sagte Harry, „Und dann kriege ich endlich Geschenke?“
„Ich weiß nicht, ob die Dursleys dir etwas schenken! Denk mal an Weihnachten!“
„Da war Father Christmas böse auf mich, weil Onkel Vernon plötzlich so komische bunte Punkte im Gesicht hatte. Deshalb habe ich nichts gekriegt. Aber zum Geburtstag kriegt man immer Geschenke!“, gab Harry zurück.
„Sei dir lieber nicht so sicher Aber vielleicht kannst du ja hierhin kommen, dann machen wir uns einen schönen Tag mit Tibbles, Hudson und den anderen.“
„Hudson ist blöd! Ich möchte lieber eine richtige Feier und in einen Freipark fahren und Geschenke!“
„Das kann ich verstehen, Junge!“, murmelte Mrs. Figg vor sich hin. Laut sagte sie: „Dein Onkel und deine Tante möchten das aber wahrscheinlich nicht!“
„Warum?“, fragte Harry.
„Weil...“ Der alten Dame fehlten die Worte.
„Weil Tante Petunia nicht meine Mama ist?“, ergänzte Harry jetzt selbst.
Mrs. Figg nickte langsam.
„Warum habe ich keine Mama und keinen Papa?“, bohrte Harry weiter.
„Sie sind leider tot!“, antwortete Mrs. Figg traurig.
„Warum?“ Harry ließ nicht locker.
„Das darf … da kann ich nicht mit dir drüber reden. Frag Onkel und Tante.“
„Die sagen nichts! Warum kannst du nicht drüber reden? Wird Onkel Vernon böse? Haut er dich?“, fragte Harry mitleidig.
„Nein, keine Angst, Harry! Schau mal, was Spider schon wieder angestellt hat!“
Mrs. Figg versuchte Harry vom Thema abzulenken, was schließlich auch gelang.
Harry riss nun jeden Tag sein Kalenderblatt ab und obwohl ihm Mrs. Figg noch mehrmals eingeschärft hatte, dass er nicht mit Geschenken rechnen sollte, war er gespannt, was an dem Tag passieren würde.
Und dann war es endlich soweit. Er wachte auf, riss einen Zettel ab und sah den roten Kreis um die Drei und die Eins. Heute würde er fünf Jahre alt, genau so viele wie Finger an einer Hand waren.
Tante Petunia war anscheinend schon auf werkelte in der Küche herum.
Irgendwie konnte er nicht glauben, dass er nichts bekommen würde. Dass Geburtstag und Geschenke zusammengehörten, erschien ihm wie ein Gesetz.
„Steh endlich auf Harry! Und deck den Tisch!“, rief Tante Petunia jetzt und donnerte mit der Faust gegen die Tür des Treppenschrankes.
Ruck-zuck war Harry in der Küche um ein paar Teller entgegen zu nehmen, die er zum Essplatz im Wohnzimmer tragen sollte.
Und dort sah er es: Ein großes rotes Fahrrad, um das viele Schleifen gewickelt waren. Harry konnte es fast nicht glauben und ließ beinahe die Teller fallen.
„Tante Petunia! Das Fahrrad! Das ist ja toll! Ich wusste, ich kriege was zum Geburtstag! Danke, danke!“
Er wollte Petunia umarmen, doch diese fasste ihn am Arm und hielt ihn auf Abstand.
„Moment mal! Was?! Du hast doch nicht...“ Sie dachte einen Moment nach und lachte spöttisch auf: „Stimmt, ja, es ist der 31. Juli. Aber du glaubst doch nicht, wir würden dir so ein teures Geschenk machen? Wie kommst du denn darauf?“
Harry schossen die Tränen in die Augen. „Aber heute habe ich doch Geburtstag! Da bekommt man doch Geschenke!“
„Werd' bloß nicht frech, Bursche!“ Onkel Vernon war hinzu getreten: „Wie kann man nur derart undankbar sein! Weißt du eigentlich, was das alles kostet! Wir füttern dich hier Tag für Tag durch, kaufen dir Kleidung und alles Mögliche und du willst auch noch extra Geschenke?! Wenn du dich jetzt nicht endlich benimmst und deiner Tante hilfst, den Tisch zu decken, kannst du deinen Geburtstag im Schrank verbringen!“
„Aber...“, begann Harry tapfer, doch Vernon packte grob am Arm: „Was glaubst du eigentlich, womit du es verdient hättest, so ein Geschenk zu bekommen?! Hhm?! Antworte! Womit?!“
Harry schüttelte den Kopf. Seine Stimme versagte. Vernon ließ ihn los.
„Bring endlich die Tassen rüber!“, sagte er barsch.
Das Fahrrad war natürlich für Dudley. Ein Geschenk zur kommenden Einschulung. Zwar konnte der – im Gegensatz zu Harry, der auf Mrs. Figgs dreißig Jahre altem Damenrad geübt hatte – noch nicht Radfahren, aber Vernon hatte sich vorgenommen, mit ihm zu üben. Am Nachmittag hatte er Zeit dafür.
Doch es war gar nicht so einfach. Vernon war keinerlei körperliche Betätigung gewohnt, außer Autowaschen und Rasen mähen. Neben dem Fahrrad herzulaufen, war für ihn unmöglich, da er nach wenigen Schritten bereits außer Puste kam. Dudley wackelte auf dem Rad hin und her und hatte keine Ahnung, wie er das Gleichgewicht halten sollte. Sobald sein Vater losließ, begann er zu schreien und kippte um.
Harry sah die beiden immer wieder mit dem roten Fahrrad durch die Gegend wabbeln und hätte sicher lachen müssen, wenn seine Gedanken nicht voll von Traurigkeit, Wut und Neid gewesen wären.
Schließlich hatte Vernon genug und schraubte erst mal Stützräder an Dudleys Rad. Für den Rest des Tages war seine Laune noch schlechter als sonst und das bekam natürlich besonders Harry wieder zu spüren. Von Geburtstagsfeier konnte keine Rede sein und zu Mrs. Figg wurde er auch nicht geschickt. Nur Petunia erbarmte sich schließlich und gab Harry eine Packung Butterkekse mit den Worten: „Aber gib Dudley auch etwas ab!“
Und dann war es endlich soweit: der erste Schultag an der Primary School des Ortes stand für Harry und Dudley bevor.
Beide Jungs trugen ihre Schuluniform: Dudley ein nagelneue und Harry die verwaschene, zerschlissene von Malcolms älterem Bruder, die eigentlich in den Kleidersack gesollt hatte.
Aber Harry war nichts anderes gewohnt und so sah auch er der Einschulung erwartungsvoll entgegen.
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