von MIR
*
Harry stolperte und fiel hin. Er fing sich mit dem Händen ab, doch die waren eiskalt gefroren, darum taten die Schürfwunden doppelt weh. Er weinte kurz, doch es war niemand da, der ihn trösten konnte - aber das war er ja gewohnt.
Obwohl es in diesen Novembertagen ziemlich kalt war, hatte er weder Handschuhe, noch Schal, noch Mütze an. Auch keine Jacke, denn er hatte sich heimlich aus dem Haus geschlichen.
Es war ganz einfach gewesen. Nachdem Petunia nicht auf seine Bitten gehört hatte, hatte er noch mal vorsichtig gegen die Schranktür gedrückt und auf einmal war sie aufgesprungen...
Er konnte Dudleys Gebrülle aus dem Wohnzimmer hören, denn Petunia gefiel es nicht, dass sein Panzer mehrere Möbel demolierte und Kritik konnte Dudley nicht vertragen.
Harry schlich sich in seinen Hausschuhen vorsichtig bis zur Haustür und ging einfach nach draußen. Die beiden Dursleys merkten nichts.
Zuerst marschierte er den Weg, den er am besten kannte: Zu dem Haus von Mrs. Figg.
Als er dort ankam, war er bereits ziemlich durchgefroren. Er ging durch den verwilderten Vorgarten zur Haustür und versuchte sie zu öffnen, doch sie war verschlossen. Er hämmerte und trat gegen die Tür, doch Mrs. Figg - falls sie zu Hause war - hörte es nicht. Schließlich setzte er sich auf die Treppenstufen und wartete. Er wartete und wartete, während die Kälte in ihm hochkroch. Nicht nur seine Lippen, auch sein Gesicht und seine Hände schienen blau zu werden.
Irgendwann stand er doch wieder auf und ging zur Straße. Er lief ein bisschen ziellos auf und ab und landete schließlich auf dem Spielplatz, der jetzt verlassen dalag. Hier stolperte er und holte sich die Schürfwunden. Die Spielgeräte wirkten wenig einladend und so verließ er den Spielplatz wieder. Eigentlich wollte er jetzt doch zu den Dursleys zurück, aber so genau wusste er den Weg nicht.
Nur wenige Fußgänger waren an diesen kalten Nachmittag in Little Whinging unterwegs. Und keinem fiel der kleine durchgefrorene Junge auf. Auch die Autofahrer achteten nicht auf ihn, da er zum Glück keinen Unfall verursachte.
Zuletzt landetet Harry auf dem Friedhof, den er schon häufiger mit seiner Tante besucht hatte. Das Grab seiner Großeltern kam ihm irgendwie bekannt vor, und so legte er sich müde und erschöpft zwischen die Pflanzen.
Immer noch vor Kälte zitternd schlief er ein.
Vielleicht wäre er nie wieder aufgewacht, hätten ihn nicht kurze Zeit später zwei Arme hochgehoben und davongetragen.
***
Bei den Dursleys herrschte Aufregung. Zuerst war Petunia einfach nur verärgert über Harrys Verschwinden gewesen. Aber als er nach intensivem Suchen im Haus nicht auftauchte, begann sie sich Sorgen zu machen.
Sie rief bei Mrs. Figg und sogar bei Mrs. Polkiss an, doch beide hatten ihn nicht gesehen.
Die Polizei wollte sie lieber nicht benachrichtigen, bevor sie mit Vernon gesprochen hatte. Außerdem wollte sie nach der Einbruchs-Blamage vom letzten Winter keinen Fehlalarm riskieren.
Als Vernon endlich kam, konnte er die Aufregung allerdings nicht wirklich nachvollziehen: „Du weißt doch, was der Bursche für einer ist! Die werden ihn da irgendwie rausgezau... geholt haben. Jetzt hetzen sie ihn ein bisschen gegen uns auf und bringen ihm neue Tricks bei, und dann lassen sie ihn wieder auf uns los!“
Wütend ging er auf und ab und begann zu toben: „Von mir aus können die ihn gern behalten! Ich habe nicht darum gebeten, diesen abnormen kleinen Quälgeist zu beherbergen! Was bilden die sich eigentlich ein!!! Wir füttern ihn durch und was ist der Dank dafür?!
Die Polizei alamieren! Ha! Das hätten die wohl gerne! Damit wir uns noch mehr zum Gespött machen! Aber nicht mit mir! NICHT MIT MIR!“
„Aber...“, begann Petunia. Doch als sie Vernons Blick begegnete überlegte sie es sich wieder anders und schwieg ... wie immer.
Mrs. Figg hatte natürlich sofort versucht, jemanden vom Orden zu erreichen, denn alleine traute sie sich nicht zu, Harry zu finden. Sie konnte zwar keinen Patronus hervorbringen, aber sie besaß eine Eule, Eusebia, die oben auf dem Dachboden hauste.
Meistens schickte sie diese zu Dumbledore, doch heute bekam Eusebia nur den Auftrag einfach so schnell wie möglich jemanden vom ehemaligen Orden zu finden und zu informieren. Sie hoffte natürlich, die Eule würde Dumbledore oder Remus Lupin erwischen, die waren ihr am vertrautesten. Die anderen kannten Harry auch gar nicht wirklich, na ja, außer Hagrid, aber der war immer ein bisschen unvorsichtig.
Es dauerte keine Viertelstunde, da hörte sie ein lautes „Plopp“ im Wohnzimmer, während sie in der Küche Tee aufsetzte. Sie erschrak und ließ die Teedose fallen, doch dann erinnerte sie sich an das Geräusch des Apparierens. Es war sicher in dieser Situation am sinnvollsten direkt in die Wohnung zu apparieren und keine Zeit zu verschwenden.
Sie ging mit der Teekanne hinüber ins Wohnzimmer: „Du meine Güte! Ich alte Squib habe mich ganz schön ....“
Sie erstarrte.
Die Teekanne fiel klirrend zu Boden und der Tee floss umher.
Doch Arabella beachtete es nicht. Sie zitterte vor Angst.
Im Wohnzimmer stand kein Ordensmitglied sondern ein Todessser!
***
Sie war sich sicher, dass er dazugehört hatte, auch wenn er wie viele andere vorgab, die Seite gewechselt zu haben, und damit seiner gerechten Strafe entgangen war.
„Was wollen sie?“, begann sie stockend, „Ich bin eine Squib, aber nicht muggelstämmig ... Meine Eltern waren beide Zauberer ... Ich habe einen Zauberstab ... Wenn es das ist ... er liegt in dem Schrank ... ich brauche ihn nicht.“
Er sah sie verächtlich an: „Ein Zauberstab für eine Squib. In der Tat eine unsinnige Verschwendung!“ Spöttisch fuhr er fort: „Muggelstämmige Squibs gibt es übrigens nicht. So etwas nennt man Muggel! Ihr Geplapper war also vollkommmen überflüssig! In Anbetracht der Lage eine sträfliche Zeitverschwendung!“
„Welche Lage? Warum sind sie hier?“, fragte Arabella immer noch zitternd.
„Ich denke, wir wissen beide, dass ich wegen dem Potter-Kind hier bin!“, entgegnete der Gefragte ölig, wobei er den Namen Potter abwertend betonte.
„Ich wusste es!“, entgegnete Arabella, die irgendwie wieder mehr Mut bekam als es um Harrys Not ging, „Euer großer Meister ist also tatsächlich wieder da! Und jetzt will er endlich dem kleinen Harry was antun? WO IST DER JUNGE?! WAS HABT IHR MIT IHM GEMACHT?“
„Sie unterliegen offensichtlich einem Irrtum, Mrs. Figg. Bedauerlich! Ich bin hier auf Dumbledores Anweisung. Falls Sie denken, der dunkle Lord sei zurück, muss ich Sie enttäuschen. Außerdem bin ich kein Todesser mehr.“
„Darauf falle ich nicht rein! Ich weiß, dass er wiederkommen will!“, sagte Arabella mutig, „ Ich glaube auch nicht, dass Sie sich geändert haben und dass Sie wirklich ein Spion für uns waren. Immerhin sind James und Lily Potter tot, so wie Sie es wollten!“
Sie erschrak über ihre eigenen Worte. Das letzte hätte sie nicht sagen sollen!
Doch seltsamerweise folgte keine Reaktion.
Der Besucher Severus Snape schien mit seinen schwarzen Augen ins Leere zu starren und sagte nichts.
Es ploppte erneut und Remus Lupin erschien. „Hallo Severus!“, sagte er. Der Angesprochene verzog spöttisch den Mund.
„Haben Wölfe eigentlich auch so gute Spürnasen wie Hunde?“, fragte er statt einer Begrüßung, „Dumbledore wusste ja schon immer, wie man sich die Vorteile aller Kreaturen zunutze macht. Oder bist du hier, weil du Angst hast, ich würde dein Beinah-Patenkind nicht genug verhätscheln, wenn wir es gefunden haben?“
„Nein“, antwortete Remus knapp, „wir sollten uns vertragen, wenn wir Harry finden wollen. Es ist schon genug Zeit vergangen.“
„Mal wieder ein weises Wort unseres lieben Lupin: Jedermanns Freund, egal ob Angeber, ob Verräter...“
Remus antwortete nicht, obwohl die Anspielung auf den Verräter Sirius ihm ganz schön zu schaffen machte.
Arabella blickte verwirrt von einem zum anderen.
„Er ist in Ordnung“, sagte Remus schließlich zu ihr, „Dumbledore vertraut ihm!“
Sie wollten gerade aufbrechen, als es schon wieder ploppte und Dädalus Diggel auftauchte.
„Bin ich zu spät? Habt ihr ihn schon gefunden? Ich möchte so gerne einmal den berühmten Ha...“
„Wir sind hier nicht als Potter-Fan-Club unterwegs, Mr. Diggel!“, unterbrach ihn Snape verächtlich. „Der Junge könnte in Gefahr sein!“ Arabella wollte gerade von ihrer Beobachtung an Halloween erzählen, aber die drei machten sich sofort auf den Weg, um keine weitere Zeit zu verlieren.
Leider gab es keinen Zauber, um Harry direkt herzuholen und auch keinen, um sofort seinen Aufenthaltsort zu bestimmen. Sie konnten nur seine Spur verfolgen.
So fanden sie heraus, dass der Junge unmittelbar vor dem Haus gewesen sein musste. Sie verfolgten seinen Weg über die verschiedenen Straßen und kamen so auch zu dem Spielplatz und zuletzt auch auf den Friedhof. Aber auch hier war Harry nicht mehr. Man sah noch genau, dass er das Grab betreten haben musste.
Severus Snape ließ sich nicht anmerken, welche Gefühle das Grab in ihm weckte. Hier lagen die einzigen Menschen, die in seinem Heimatort jemals nett zu ihm gewesen waren.
Remus Lupin dagegen hatte sie nur einmal an Lilys Hochzeit gesehen. Er musste wieder an Lily und James denken.
Dädalus Diggel konnte mit dem Namen Evans überhaupt nichts anfangen und sagte: "Also, dann müssen wir wohl schnell wieder weiter. Lasst uns versuchen, ihn endlich zu finden!"
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