von MIR
Es war gar nicht so einfach, passende Kleidung für Harry zu finden. Die süßen Sachen, die sie extra für Dudley gekauft hatte, wollte sie ihm nicht anziehen. Schließlich fand sie eine Hose, die Dudley schon zu klein war und unten ein bisschen ausgefranst, und einen Pulli, der zwar noch passte, aber hartnäckige Flecken hatte. Für Harry war er eigentlich zu groß, aber das würde ihm sicher egal sein.
Unten polterte Vernon: „Wann gibt es endlich Frühstück?!"
Jetzt hatte sie aber wirklich genug Zeit mit Harry vertrödelt.
Beim Vorbereiten des Frühstücks gab sie sich diesmal besonders viel Mühe. Es sollte Porridge, Eier mit Speck und Würstchen, Pfannkuchen und zum Schluss Toast geben, also das full English breakfast. Harrys Anwesenheit sollte für Vernon und Dudley keinen Nachteil bedeuten. Allerdings nervte Harry sie massiv: Während Dudley wieder friedlich bei seinem Vater im Wohnzimmer saß, versuchte Harry ständig etwas von den Lebensmitteln zu bekommen, die sie gerade zubereitete.
Sie setzte ihn in den Hochstuhl, damit er sie in Ruhe ließ, aber dort begann Harry erst richtig zu brüllen, denn er hatte schon sehr lange nichts mehr gegessen.
Flüchtig dachte Petunia darüber nach, dass sie Dudley in so einer Situation mit einem Donut beruhigen würde, aber für Harry war das sicher noch nichts. Dudley war ja so begabt und schon recht weit für sein Alter, bestimmt konnte Harry einen Donut noch nicht alleine essen.
Also blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn weiter brüllen zu lassen, bis das Frühstück endlich fertig war. Am liebsten hätte sie ihm ein Pflaster auf den Mund geklebt, denn es war kaum auszuhalten!
Als endlich alle am Tisch saßen - Vernon hatte murrend den alten Hochstuhl aus dem Keller geholt, den Dudley letzte Woche ruiniert hatte - gab es das nächste Problem. Sie konnte nicht beide Kinder gleichzeitig füttern. Also begann Petunia, nach einem Seitenblick auf Vernon, mit Dudley. Aber Dudley wollte kein Porridge. Er spuckte alles in hohen Bogen wieder aus.
„Pfui!", rief Petunia und holte einen Lappen.
„Der Schlingel!", sagte Vernon stolz, „Du musst eben mehr Zucker in den Brei tun, Petunia. Kleine Kinder brauchen so etwas!"
Harry nutzte die Gelegenheit, sich in seinen Stühlchen so weit herauszulehnen, dass er sich Dudleys Porridge angeln konnte, und versuchte, sich einen Löffel voll in den Mund zu stecken. Zwar ging ein Teil daneben, aber das meiste landete tatsächlich in seinem Mund. Als er den Löffel wieder in den Brei stecken wollte, bemerkten die Dursleys es.
„Was fällt dir ein, Dudley seinen Brei wegzuessen!", schrie Vernon und verpasste Harry eine saftige Ohrfeige.
„Die schönen sauberen Sachen, die ich dir eben angezogen habe! Du hast alles bekleckert!", schimpfte Petunia.
Harry schrie und schrie.
„Mir reicht’s! Ich gehe jetzt ins Büro. Ich bin sowieso schon spät dran. Du hast ja weiter deinem neuen Hobby frönen und hier eine Suppenküche für heruntergekommenes Gesindel einrichten!", sagte Vernon und ließ den reichlich gedeckten Frühstückstisch, ganz gegen seine Gewohnheit, zurück.
Harry schrie und auch Petunia war zum Heulen zumute. Was hatte sie nur falsch gemacht?
Schließlich landete Harry doch wieder im Schrank unter der Treppe. Petunia hatte sich zwar heute morgen noch vorgenommen, ihn nicht mehr dorthin zu stecken, aber was sollte sie machen? Der Junge war einfach nicht zu bändigen.
Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte und Dudley zu einem Vormittagsschläfchen hingelegt hatte, gönnte sie sich eine Verschnaufpause, um das Wetter und die Koch-Tipps in der Zeitung zu lesen. Dabei fiel ihr Blick auf eine Schlagzeile der Titelseite:
13 Menschen bei Gasexplosion getötet
Darunter war das Bild einer Straße zu sehen, in der ein riesiger Krater prangte. Die Kanalrohre in der Erde waren aufgerissen. Überall lagen blutige Leichen herum.
Die Nachricht hätte Petunia nicht besonders interessiert, wenn es sich nicht um den Wohnort ihrer Schwester gehandelt hätte. War Lily etwa so gestorben? Auf dem Foto war sie nicht zu erkennen. Außerdem passte es irgendwie nicht zu dem, was Dumbledore geschrieben hatte. Wahrscheinlich war es nur Zufall. Und wer konnte schon wissen, was das für ein heruntergekommener, zwielichter Ort war, in den es ihre Schwester verschlagen hatte. Bestimmt nicht so eine bevorzugte Wohngegend wie Little Whinging! Für Harry war es wahrscheinlich das Beste, dass er nicht mehr dort leben musste!
Der Tag schob sich schleppend dahin. Es tauchten mehr Probleme auf, als erwartet. Wo sollte Harry schlafen? Womit sollte sie Harry beschäftigen? Ständig wollte er mit Dudleys Sachen spielen, was diesen verständlicherweise wütend machte. Wie sollte sie mit zwei Kindern einkaufen gehen? Was sollte sie mit Harry machen, wenn sie Dudley im Kinderwagen spazieren fuhr? Und vor allem: Wie sollte sie Harry satt kriegen? Beim Mittagessen hatte er einen derart erstaunlichen Appetit an den Tag gelegt, wie man es einem Kleinkind kaum zutrauen konnte. Und das, obwohl er längst nicht so viele niedliche Speckfältchen hatte wie Dudley. Lag es daran, dass er nicht normal war? Brauchte er vielleicht besonders viel zu essen, um seine übernatürlichen Kräfte entwickeln zu können?
Petunia schauderte.
Bei Lily war ihr so etwas eigentlich nicht aufgefallen, aber vielleicht war bei Harry ja alles stärker ausgeprägt, weil schon seine Eltern nicht normal waren!
Wieder musste Petunia an ihre Schwester denken. Anfangs hatte sie Lily tatsächlich beneidet, aber was hatte es ihr gebracht? Zuerst hatte sich Lily mit dem schrecklichen Jungen aus der Nachbarschaft angefreundet, den alle anderen Kinder auslachten, dann war sie auf dieses Spinnerinternat gegangen und dann hatte sie auch noch diesen verantwortungslosen Potter geheiratet. Und jetzt war sie von irgend so einem verrückten Bösewicht ermordet worden!
Harry sollte ein normales Leben führen können! Wenn er von all dem nichts erfuhr und auch nicht auf diese Schule ging, war das bestimmt möglich.
Vernon war sicher auch dieser Meinung.
Der Abend verlief friedlich. Als Vernon aus dem Büro kam, war seine Laune besser als am Morgen. Er schimpfte nicht mit Harry, aber er beachtete ihn auch nicht. Er behandelte ihn wie Luft.
Petunia bracht schließlich beide Kinder ins Bett und ließ Harry erst einmal auf einer Matratze neben Dudleys Bett schlafen.
In der Nacht wurden alle von einem durchdringenden Schrei geweckt.
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