von MIR
Der Brief war nur an Petunia adressiert. Die Schrift mit der grünen Tinte kam ihr bekannt vor. Auf der Rückseite vermutete sie das seltsame Siegel mit den vier Tieren. Sie hatte es bereits zweimal gesehen und würde es niemals vergessen. Sie drehte den Brief um, aber da war nichts.
Schließlich öffnete sie endlich den Umschlag und spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen.
Sehr geehrte Mrs. Dursley!
Leider muss ich Ihnen eine schrecklich traurige Mitteilung machen: Ihre Schwester Lily Potter und Ihr Schwager James Potter sind gestern ums Leben gekommen.
Sie hatten sich gegen einen der mächtigsten dunklen Zauberer aller Zeiten aufgelehnt. Gestern Abend drang er in ihr Haus ein und ermordete zunächst James. Danach wollte er den kleinen Harry töten. Lily starb bei dem Versuch, ihren Sohn zu retten, doch Harry überlebte. Er ist jedoch noch immer in sehr großer Gefahr, auch wenn besagter Zauberer spurlos verschwunden scheint. Nur, wenn der Junge bei Ihnen aufwächst, können magische Kräfte verhindern, dass ihm etwas angetan wird. Sie sind Lilys Schwester, daher fließt in Ihren Adern dasselbe Blut. Und das Blut seiner Mutter beschützt Harry, da sie sich für ihn geopfert hat.
Ich bitte Sie daher inständig, nehmen Sie Harry bei sich auf! Retten Sie sein Leben! Der Junge hat seine Eltern verloren. Nehmen Sie ihn auf wie ein eigenes Kind und schenken Sie ihm Ihre Liebe, von der Sie sicher reichlich haben!
Lily hätte es so gewollt. Nutzen Sie die Chance, durch den kleinen Harry mit unserer Welt verbunden zu bleiben und damit auch mit Ihrer Schwester.
Falls Sie glauben, in der Vergangenheit etwas versäumt zu haben, können sie es nun hundertmal wieder gut machen!
Mein aufrichtiges Beileid und herzliche Grüße
Albus Dumbledore
Auf dem Brief breiteten sich immer mehr Kleckse aus. Petunia merkte gar nicht, dass ihr schon die ganze Zeit stumm die Tränen herunterliefen.
Lily war tot! Ihre kleine Schwester, die kleine Lily war tot! Warum hatte sie sich in den letzten zehn Jahren eigentlich nicht mit ihr vertragen?
Nun war sie tot. Und ihr Ehemann auch. Gut, sie hatte James weder gekannt noch gemocht, aber den Tod hatte sie ihm auch nicht gewünscht. Der kleine Harry - natürlich konnte er hier bei ihnen bleiben. Das war bestimmt besser, als in dieser merkwürdigen Welt aufzuwachsen.
Wo war Harry überhaupt?
Siedendheiß fiel es ihr wieder ein. Sie hatte ihn in den Schrank unter der Treppe gesperrt!
Schnell stand sie auf, um sich endlich um ihn zu kümmern. Als sie schließlich die Tür des Schrankes öffnete, kam ihr ein ekliger Geruch entgegen. Harrys Kleidung war nass und stank, denn die Windel war total übergelaufen. Harry selbst war vom vielen Schreien erschöpft eingeschlafen.
Im Wohnzimmer begann Dudley herumzuquengeln. Sein Donut war alle und das Fernsehprogramm langweilte ihn nun. Vernon schaffte es nicht, ihn zu beruhigen. Petunia ging ins Wohnzimmer und ließ Harry erst mal schlafen. Dudley brauchte sie jetzt dringender. Bestimmt hatte er Hunger. Durch die ganzen Ereignisse hatte es heute ja auch noch gar kein richtiges Frühstück gegeben. Sie nahm Dudley an der Hand und wollte mit ihm in die Küche gehen. Im Flur jedoch bemerkte auch Dudley den seltsamen Geruch.
“Pfui, bäh!”, sagte er und deutete auf den Schrank. Dann riss er sich los, stiefelte in Richtung Schrank und entdeckte Harry. “Pfui, pfui!”, rief er nun und verpasste Harry ein paar kräftige Fußtritte. Harry wachte auf und begann zu schreien. Dudley trat erneut auf ihn ein. Harry wollte sich schützen und fuchtelte mit den Armen um sich. Sein Handrücken traf Dudley, der nun zu jaulen anfing, als hätte er eine schlimme Verletzung erlitten.
Gerade als Petunia eingreifen wollte, erschien Vernon in der Tür.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, brüllte er, „Hat der Bursche etwa Dudley geschlagen?! Jetzt reicht‘s! Das war‘s. Ich hole jetzt sofort die Polizei, die sollen ihn dahin bringen, wo er hingehört!“
„Vernon! James und Lily sind tot!“, brachte Petunia hervor.
„James und Lily? Kenn ich nicht! Was hat das mit...“
„Ich meine meine Schwester und ihren Mann“, unterbrach Petunia ihn, „Harry sollte bei uns bleiben, diese... diese Leute sind nicht gut für ihn, er ist in Gefahr.“
„Und wer sagt uns, dass er nicht eine Gefahr für uns ist?! Für Dudley?! Schließlich könnte er selbst einer von denen sein!“, entgegnete Vernon, immer noch lautstark, „Und wenn er nicht bei denen bleiben kann, dann gehört er in ein Waisenhaus!“
Petunia kämpfte mit sich. Sie wollte Vernon gerne Recht geben, aber Dumbledores Worte hatten sie tief getroffen.
„Er ist mein Neffe und ich hätte ihn gerne bei mir. Lass es uns versuchen!“, bat sie schließlich schweren Herzens.
„Bitte, von mir aus!“, blaffte Vernon, „wenn dir das Kind eines hergelaufenen Rumtreibers wichtiger ist als dein eigenes! Nimm ihn auf! Hol am besten noch mehr Gesindel von der Straße! Du kannst ja...“
Petunia unterbrach ihn wieder, ganz entgegen ihrer sonstigen Art: „Vernon, denk einmal darüber nach, was die Nachbarn sagen würden, wenn hier plötzlich die Polizei auftaucht!“
Das Argument ließ Vernon einen Moment verstummen, dann grummelte er: „Wir könnten ihn auch selbst im Heim abgeben. Wenn er bleibt, werde ich es jedenfalls nicht zulassen, dass er hier irgendwelche Dinger dreht!“ Danach verschwand er wieder im Wohnzimmer.
Petunia wusste, dass es nun geschafft war, und wandte sich nun wieder den Jungs zu. Beide heulten noch immer und versuchten sich gegenseitig zu hauen und zu treten. Sie schnappte sich Dudley und setzte ihn in seinen Hochstuhl. Ein weiterer Schoko-Donut war diesmal nicht nach Dudleys Geschmack. Er wurde in die Ecke gepfeffert. Petunia probierte einiges aus, bis sie herausfand, dass es der Muffin mit dem rosa Zuckerguss sein musste.
Harry war ihnen vorsichtig in die Küche hinterhergetapst und wollte den angematschten Schoko-Donut essen, denn er hatte mittlerweile großen Hunger.
„Nein, der ist pfui!“, sagte Petunia schnell und schmiss ihn in den Mülleimer. Harry heulte wieder.
„Pfui!“, wiederholte Dudley und zeigte auf Harry.
„Du hast recht, Duddyspatz, Harry braucht jetzt erst einmal eine neue Windel.“
Und endlich, endlich zog sie mit Harry los, um ihn zu wickeln und umzuziehen.
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