
von Nurbla
35
Dean sah sie schon von weitem. Sie fiel einfach aus der Menge heraus, schon alleine, weil sie durch ihre scheinbar abwesende Art anders ging als die anderen, die da mit ihr die StraĂźen von Hogsmead entlang kamen.
In diesem Moment trafen sich ihre Augen und sie beschleunigte ihre Schritte während sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.
Dean zwang sich, stehen zu bleiben anstatt ihr entgegen zu laufen. So macht er den Moment der Vorfreude ein paar Sekunden länger, bevor er die Arme ausbreitete und Luna fest an sich drückte. Sie war fast einen Kopf kleiner als er und ihr Körper fühlte sich zerbrechlich an, als sie sich an ihn schmiegte. Er lächelte, als sie die Augen schloss und einmal tief Luft holte. Dann blickte sie auf und lächelte ebenfalls und löste sich von ihm.
“Was sollen wir machen?” wollte Dean etwas hilflos wissen, als sie nebeneinander die Straße entlang gingen.
“Ich will dir etwas zeigen!” antwortete Luna und griff nach seiner Hand. Dankbar schlossen sich seine Finger um ihre. Dean hatte sich einfach nicht getraut. Bei Luna galt nichts, was er je gelernt hatte und das machte ihn sehr unsicher. Aber ihr fühlte sich mit ihr auch so wohl, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie war so sehr sie selbst, dass man, wenn man mit ihr zusammen war gar keine anderen Chance hatte, als auch man selber zu sein.
Das war nicht gerade einfach, das hatte Dean in den Weihnachtsferien erfahren, aber seit Luna weg war hatte er fast ständig Sehnsucht nach diesem Gefühl voll und ganz er selber sein zu können oder sogar zu müssen. Denn erst da hatte er gemerkt, wie oft und wie sehr er sich im Umgang mit anderen Menschen verstellte.
“Wie läuft deine Ausbildung?” fragte Luna.
“Es macht Spaß.” antwortete Dean. “Und du, wie geht es dir?”
Luna antwortete nicht. Erst dachte Dean, sie hätte seine Frage nicht verstanden, aber dann warf er ihr einen Seitenblick zu, den sie aus ihren strahlend blauen Augen erwiderte. In diesem Blick meinte er den Wunsch zu lesen, ihm etwas zu erzählen, nur nicht hier.
“Nicht so gut.” antwortete sie leise. Dean nickte.
Es wunderte ihn nicht im geringsten, dass sie das Dorf verlieĂźen und auf eine kleine, geschĂĽtzte Waldstelle zusteuerten.
Angekommen ließen sie sich auf einem umgekippten Baum nieder. Luna saß da. Die Hände schlaff im Schoß gefaltet. Die Schultern hingen nach vorne und sie starrte ins Leere.
Dean legte zögerlich einen Arm um sie und sie rückte ein Stück näher.
“Mir geht es überhaupt nicht gut.” wiederholte Luna und holte tief Luft. Dean schwieg, er wusste nicht, wie er reagieren sollte.
Und Luna schwieg. Es kam ihm vor, als kämpfe sie mit sich selber.
“Du merkst, dass mir das verdammt schwer fällt, oder?” fragte Luna nach einiger Zeit.
Dean nickte. “Und ich frage mich warum? Was ist so schwer zu erzählen?”
“Es geht um Ginny.”
Dean horchte auf. Sie hatten sich schon einmal ausfĂĽhrlich ĂĽber Ginny unterhalten Ginny als seine Ex-Freundin. Ginny als Lunas beste Freundin. Und Luna hatte sich Sorgen gemacht wegen Eduardo.
“Was ist mit ihr, Luna?”
“Sie ist mit Eduardo zusammen.”
“Und, was ist daran so schlimm?”
“Ich glaube...” Luna stockte. “Ich glaube, dass er sie vergewaltigt. Ich meine...” sie redete fast hastig weiter. “...sie wird immer dünner und ungepflegt und so, so...”
Dean wusste nicht, was er sagen sollte. Das war schon eine sehr harte Anschuldigung.
“Luna..., das müsste doch nicht heißen, dass...”
“Es hat relativ harmlos angefangen. Ginny war halt mit Eduardo zusammen, als ich aus den Ferien wiederkam. Ich hab ihr ein paar mal gesagt, dass ich Bedenken habe, aber das wollte sie nicht hören. Und dann hat sie dicht gemacht. Und dann, nach der Beerdigung irgendwann, da sind die beiden am Vormittag nicht im Unterricht gewesen. Nachmittags ist Eduardo dann wieder aufgetaucht. Und am Tag darauf war Ginny im Krankenflügel. Ich hab mir natürlich Sorgen gemacht, ich meine, sie ist doch trotzdem meine Freundin. Ich bin also in den Krankenflügel und Ginny hatte Fieber und dunkle Ringe unter den Augen und eine Schramme im Gesicht und aufgeplatzte Lippen. Ich hab sie gefragt, wie es ihr geht und sie hat so traurig und verlassen gewirkt. Aber sie hat nichts erzählt.”
Luna wischte sich mit einem Ärmel Tränen vom Gesicht aber ihre Stimme klang noch immer sicher, als sie fortfuhr: “Ginny weicht mir seitdem aus. Und es geht ihr jeden Tag schlechter. Und das kann nicht nur daran liegen, dass sie noch an Harry hängt und Eduardo nicht liebt, das war vorher auch so. Er misshandelt sie, ich bin mir sicher.”
Sie weinte stumme, bittere, hilflose Tränen und genauso fühlte sich Dean. Er war überfordert. Überfordert davon, dass Luna weinte. Überfordert von dem, was sie indirekt erlebte. Er war hilflos und kannte fast alle Betroffenen zu wenig um helfen zu können.
“Es ist” sagte Luna und ihre Stimme brach zum ersten Mal. “als ob alle Schutzgeister Ginny verlassen hätten. Sie hat aufgehört zu kämpfen. Kannst du dir das vorstellen? Eine Ginny, die nicht mehr kämpft. Als hätte ein nurnebiges Lellelupf sie befallen. Nur, dass es die wirklich nicht gibt.
Ginny ist wie ein Schmetterling. Einer von denen, die von außen robust wirken und dann, wenn sie die Flügel öffnen, in allen Regenbogenfarben schimmern. Und Eduardo” auf einmal sprang sie auf und schrie: “Eduardo, dieses Schwein, hat den feinen Staub von ihren Flügeln gerieben.”
Luna beugte sich ganz nah zu Dean herab und flüsterte: “Wusstest du, dass man die Flügel der Schmetterlinge nur ganz zart berühren darf? Sonst können sie nicht mehr fliegen.”
Luna warf sich in das nasse Moos und begann hemmungslos zu schluchzen.
Und Dean saß da und hätte sie gerne in den Arm genommen, konnte sich jedoch keinen Millimeter bewegen.
“Billiges Misststück!” sagte Eduardo wütend und trat ihr einmal gegen den Arm. Dann ließ er sie alleine und Ginny begann sich unter Tränen anzuziehen. Einen Rollkragenpullover, dann sah man die blauen Flecken nicht.
McGonagall wĂĽrde sie sagen, sie sei ĂĽberfordert. Wenn jemand anders die Quidditschmannschaft ĂĽbernahm, konnte Gryffindor vielleicht, ganz vielleicht, noch gewinnen.
Ginny beschloss schlafen zu gehen.
Die ewigen Kopfschmerzen. Vielleicht, wenn sie genug schlief wĂĽrden sie weggehen. Aber sonst, was machte das noch aus?
“Das ist ja nicht zum Aushalten!” stöhnte Hermine und knallte die Zimmertür hinter sich zu.
“Was, mein Schätzchen?” wollte ihre Mutter wissen.
“Na die beiden da unten.” sagte Hermine und setze sich zu der Mutter ins neue Wohnzimmer.
“Sie ist bestimmt neidisch, unsere kleine...” stichelte ihre Mutter belustigt.
“Dazu habe ich keinen Grund!” giftete Hermine sie an.
“Aber sie sind ja auch ein süßes Pärchen!” Die Augen ihrer Mutter weiteten sich träumerisch. “Wie, als ich deinen Dad kennen lernte...”
Hermine verlieĂź fluchtartig das Zimmer mit dem Gedanken, dass ihr dann Dad wohl Leid tun mĂĽsse, wenn es so gewesen war wie bei Harry und Bridget.
Vor zehn Minuten war Bridget angekommen und seit dem war die KĂĽche voller Rosenduft und jedes von bridgets Worten wurde in Hermines Vorstellung zu einem rosa PlĂĽschherz. Und Harry versank darin.
Hermine beschloss jetzt zu Ron zu gehen und zu besprechen, wie und wann sie ihren Eltern am besten von der Verlobung erzählen konnten. Sie ging zurück ins Wohnzimmer.
“Falls die da unten fragen, ich bin bei Ron, ok Mum?” sagte Hermine und war schon wieder auf halbem Weg nach draußen, da fragte ihre Mutter: “Du magst ihn gerne, den Ronald, ganz schön gerne, oder?”
“Ich liebe ihn über alles!” sagte Hermine ernst und knallte schon wieder die Tür hinter sich zu.
Hermine zog gerade ihren Mantel aus, da kam Mrs Weasley mit, vor Aufregung geröteten Wangen in den Flur gestürzt.
“Hermine, seit wann bist du da?” rief sie aus und begann ihren Mantel anzuziehen.
“Seit eben...” Hermine blickte etwas ratlos, als Ron ebenfalls in den Flur gerannt kam.
“Was ist...?” wollte sie wissen.
“Lass den Mantel gleich an!” riet Ron ihr und begann seine Schuhe anzuziehen.
“Das Baby!” sagte Mrs Weasley erklärend und öffnete die Tür. “Na los, kommt schon. Hier!” Sie streckte ihre Hände aus. Schnell wurden diese von Ron und Hermine ergriffen und kurz darauf befanden sie sich im St. Mungo.
“Können die denn nicht schneller machen?” fragte Mrs Weasley als sie gerade mal zwei Sekunden in der langsam vorrückenden Schlange standen.
“Hallo auch erst mal.” sagte Hermine zu Ron und er gab ihr zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss.
“Hi!” sagte er und lächelte etwas nervös.
“Du bist ja nervös.” stellte Hermine lächelnd fest. Irgendwo in ihr fühlte sie den Schmerz und sie probierte ihn zu unterdrücken. Aber die Überlegung, wie nervös er wohl gewesen wäre, wenn es um ihr Baby ging, ließ sich nicht ganz hinweg schieben.
Molly hatte mit der Empfangsdame geredet und nun lief sie im Laufschritt die Treppe hinauf.
“Hier!” sagte sie schließlich und die drei betraten ein kleines Vorzimmer, in dem eine Heilerin stand.
“Guten Tag!” sagte sie höflich.
“Wir sind Verwandte.” antwortete Molly.
“Ich werde drinnen Bescheid sagen.” und die Heilerin verschwand durch eine zweite Tür. Kurz darauf betrat Bill durch eben jene Tür den Raum. Er sah müde und erschöpft aus, seine Haare standen in alle Richtungen ab, aber er strahlte so, wie Hermine noch nie jemanden hatte strahlen sehen. Seine Augen leuchteten vor Glück, als er seine Mutter in die Arme schloss.
Hermine griff nach Rons Hand als sie kurz darauf den anderen Raum betraten. Keiner von den dreien wĂĽrde dieses Bild je vergessen.
Durch die halb zugezogenen Vorhänge drang die letzte Wintersonne und beleuchtete die Wand und das Bett, das davor stand. Auf der rechten Bettkante saß Madame Delacour, den Kopf an die Wand gelehnt, die Augen geschlossen, das Gesicht völlig entspannt, den Mund geschlossen und zu einem sanften Lächeln geschwungen.
Und in den weißen Kissen lag, halb aufgerichtet Fleur und lächelte den Besuchern matt entgegen. Ihre Haare waren ungekämmt und auf ihrem Gesicht glänzten Tränenspuren. In Schönheit stand sie ihrer Mutter in nichts nach. Und vorsichtig hielt sie in ihren Armen ein Bündel von Decken, in dem man einen kleinen Kopf erkennen konnte.
Bill setzte sich auf die andere Bettkante und lächelte das Baby und dann seine Frau liebevoll an.
Molly wischte sich fahrig die Tränen aus dem Gesicht.
“Es ist ein Mädchen.” flüsterte Fleur. “Wir wollen es Victoire nennen.”
In Hermine wallten Rührung, Anteilnahme, Schmerz und Sehnsucht auf. Sehnsucht nach einem Kind, das sie nicht gewollt hatte und jetzt gerne lieben würde. Ihr kamen die Tränen, so heftig war dieser Moment, ein 22. Februar.
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