
von Nurbla
5
Ginny rannte verzweifelt durch den verbotenen Wald. Sie hatte sich längst verlaufen, doch das probierte sie zu ignorieren.
Wie konnte Harry nur so dumm sein? Wie konnte er glauben, dass Voldemort aufhörte, wenn Harry tot war?
Wütend wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. So lange hatte sie nicht mehr geheult, warum in letzter Zeit so oft?
Die Antwort wusste sie genau. Wegen einem schwarzhaarigen, grünäugigen verdammten Helden, der sich gerade selber um brachte. Sie liebte ihn, und zwar mehr als ihr gut tat, dachte sie.
Immerhin hatte er Schluss gemacht am Ende der 5. Klasse. War es wirklich nur weil er sie nicht in Gefahr bringen wollte? Oder hatte er noch einen anderen Grund? Hatte er sich auch nur einen Moment gefragt, wie es ihr ging, während er einfach untertauchte und sie fast ein Jahr nichts von ihm zu hören bekam?
Ja, sie war wütend. Doch jetzt galt es Harry zu finden, bevor dieser die Todesser fand. Danach konnte sie weiter sehen und wenn er sie dann nicht mehr wollte? Na ja, irgendwie würde sie schon drüber hinweg kommen.
Irgendwo tief in ihr drin war sie anderer Meinung. Sie hatte sich sieben Jahre lang für ihn interessiert. Am Anfang mehr angehimmelt, dann, als sie alt genug dafür war, hatte sie sich in ihn verliebt. Das hatte sie nach einiger Zeit ganz gut verdrängt und hatte auch wirklich geglaubt, sie hätte nur freundschaftliche Gefühle für Harry. Mit Micheal hatte sie deshalb Schluss gemacht. Nicht weil er ein schlechter Verlierer war, sondern weil sie sich schuldig dabei fühlte ihn zu küssen und dabei an Harry zu denken.
Wahrscheinlich hatte Ginny Micheal und Dean wirklich geliebt , sonst hätte sie die nicht geküsst. Doch irgendwann hatte immer die Liebe zu Harry Überhand genommen, sie hatte gelernt sie zu ignorieren.
Und dann fing er an sich für sie zu interessieren und sie hatte so oft geweint. Viel öfter als in irgend einer anderen Zeit, an die sie sich erinnern konnte.
“Ginny?” Das war ganz eindeutig Rons Stimme. “Ginny, wo bist du?”
Schnell wischte sie sich die Tränen weg und beschleunigte ihre Schritte. Doch Ron war schneller, sie hörte wie er aufholte und dann hielt er sie fest an der Schulter.
“Wo willst du hin?” seine Stimme klang forsch.
Fast angewidert sah sie ihn an und sagte spitz, obwohl ihre Stimme leicht zitterte: “Und das kannst du dir nicht denken?”
Ginny riss sich los und rannte davon.
“Hey Ginny, dass kannst du Mum und Dad nicht antun!” Und als sie nicht reagierte rief er verzweifelt: “Sie werden dich töten, sowie sie Fred umgebracht haben.”
Ginny schluchzte auf, doch sie blieb immer noch nicht stehen.
Da rief er auf einmal: “Petrificus totalus!”
Der Fluch traf Ginny genau zwischen den Schulterblättern und sie kippte vorne über.
In zwei Sekunden war Ron neben ihr und ließ sie dann neben sich in Richtung Schloss schweben. “Tut mir Leid, Ginny” flüsterte er.
Nach einer Weile sagte er zögernd: “Ginny, ich würde dem Idioten doch auch am liebsten hinterher, aber es würde nichts bringen.”
“Doch, würde es”, dachte Ginny, aber ihre Lippen bewegten sich keinen Millimeter. Sie probierte den Gedanken zu verdrängen, dass Ron Recht hatte, aber es funktionierte nicht wirklich. Wenn Harry beschlossen hatte, sich umzubringen, würde er sich wohl nicht davon abbringen lasse, weil ein paar Freunde dann traurig wären.
So viele andere trauerten in diesem Moment in der Großen Halle, die doch sonst immer so fröhlich war, um ihre verlorenen Verwandten und Freunde. Unter ihnen Ginnys Eltern. Ginny gestand sich ein, dass sie überstürzt gehandelt hatte.
Wieder fingen die Tränen an, ihr Gesicht runter zu laufen.
War Harry noch am Leben? Wahrscheinlich nicht. Voldemort würde sich dieses eine Mal keinen Patzer erlauben.
Es war ihr nicht mehr peinlich zu weinen. Ihr Bruder lag tot im Schloss und irgendwo im Wald wurde wahrscheinlich gerade ihr Freund ermordet.
Wie viele hatte sie noch verloren?
Wie viele gab es noch, die sie verlieren konnte?
Ein lauer Wind strich Ginny über das Gesicht, als wolle er sie trösten. Er trocknete ihre Tränen, blies ihr die Haare aus dem Gesicht und brachte sie zum Zittern. Wahrscheinlich trug dieser Wind die letzten Atemzüge Harrys zu ihr.
Ginny wäre gerne selber gegangen, anstatt hier zu schweben und nur denken zu können. In einer Weise konnte sie es Ron nicht verdenken, sie hatte sich kindisch aufgeführt, doch trotzdem wünschte sie, ihm mitteilen zu können, dass sie nicht mehr wegrennen würde. Was sollte sie auch noch wegrennen? Es brachte ja doch nichts.
Sie verdrehte die Augen um Ron anzusehen, doch schnell schaute sie wieder weg. Wann hatte sie Ron das letzte mal weinen sehen?
Es war lange her, um ehrlich zu sein, konnte sie sich an kein einziges mal erinnern.
Während Ginny da lag und nachdachte, schoss auf einmal eine große Sternschnuppe über den Himmel.
Hatte Dad ihr nicht einmal etwas über Sternschnuppen erzählt?
Und dann sah Ginny sich selbst mit ihrem Vater auf dem Dach sitzen, das hohe Dach des Fuchsbaus. “Weißt du, Ginny?” hatte er gesagt, als sie ihn auf eine Sternschnuppe aufmerksam gemacht hatte, “Währst du jetzt ein Muggel, könntest du dir etwas wünschen. Es würde in Erfüllung gehen. Glaub mir.”Ginny wäre damals gerne ein Muggel gewesen. Und jetzt war es wieder so.
“Du weißt was ich mir wünschen würde”, flüsterte sie in Gedanken. “Du weißt es ganz genau.”
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